Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....
Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.
Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
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Bartosch's Abneigung gegen realitätsfremde Ideologien
Nach den zwei Jahren Erfahrung mit den Russen in Ost- und auch in Westberlin und vor allem mit den Ostberliner "Deutschen" um Walter Ulbricht kam wieder eine Erfahrung hinzu. Rechthaben um des ideologischen Prinzipes willen, wie hier bei uns in der Bundesrepublik von den SPD regierten Ländern durchgezogen, das ist ihm bitter aufgestoßen.
Heute in 2020 schreiben die FAZ, NZZ und auch der Spiegel, die SPD habe den Kontakt zu den Menschen und ihren Wählern völlig verloren. Ob das damals der Anfang war ?
Ein weiterer Artikel aus 1993 untermauert Bartosch's Meinung über diesen 1960er Unsinn, als dann 1984 das Privatfernsehen doch erlaubt werden mußte, weil es einfach nicht mehr anders ging. - Der TV-Satellit war einfach zu hoch über Deutschland und Bonn hatte einfach keine Befehlsgewalt über Satelliten im All.
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TELESIBIRSK - Eschborns Urzeit
von Günter Bartosch im März 1993
Wer den Namen "Telesibirsk" erfunden hat und wann dies war, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen. Aber jeder, der die ZDF-Zeiten in Eschborn noch miterlebt hat, wird wissen, daß er treffend war.
Kaum jemand im heutigen ZDF - außer den gaaaanz Alten - wird wissen, wie die Mainzer Fernsehanstalt vor mehr als dreißig Jahren (also 1963) zu ihrem "Sende-Zentrum" vor den Toren Frankfurts kam. Wie die Jungfrau zum Kinde !
Die heute "größte Fernsehanstalt Europas"
Die heute "größte Fernsehanstalt Europas" hatte ganz klein angefangen. In einem Barackencamp ! Und wer dabei war, sehnt sich heute noch nach diesen guten alten Pionierzeiten zurück.
Erbaut wurde "Telesibirsk" in Rekordzeit von wenigen Wochen im Herbst 1960. Da war an das ZDF von heute noch nicht zu denken, wohl aber an ein zweites Fernsehprogramm. Bauherr des ebenso kuriosen wie einmaligen Fernsehzentrums war die Gesellschaft Freies Fernsehen.
In den Jahren 1959/60 war man sich zwar einig, daß das seit rund zehn Jahren bestehende Deutsche Fernsehen der ARD durch ein zweites Programm ergänzt werden sollte, doch gab es politisch unendliche Streitereien über das Wie und das Wo, speziell unter den Bundesländern.
In dieser Situation beschlossen der damalige Bundeskanzler Adenauer und sein Finanzminister Schäffer, das zweite Fernsehprogramm als privates Fernsehen ins Leben zu rufen.
Allerdings wurde das Pferd von hinten aufgezäumt. Wirtsehaftsunternehmer und die Presse gründeten die Gesellschaft Freies Fernsehen, und diese wurde durch einen Brief der Bundesregierung vom 3o.12.1959 beauftragt, die Vorbereitungen für ein zweites Fernsehprogramm zu beginnen, für dessen Kosten die Bundesrepublik die Bürgschaft übernehmen werde.
Für den Posten des Intendanten faßte man einen Universitätsprofessor aus Mainz ins Auge: Dr. Karl Johannes Holzamer. Erst langsam dämmerte es den Initiatoren der Bundesregierung, daß das Vorhaben mit den gültigen Mediengesetzen in Einklang gebracht werden müsse.
Geklagt hatten die SPD regierten Länder
Als Folge entstand die von der Bundesregierung geführte "Deutschland Fernsehen G.m.b.H.", die als Kontrollinstanz und Dachorganisation für das zweite Fernsehprogramm gedacht war, wie es heute die Landesanstalten für den privaten Rundfunk sind, die die Lizenzen erteilen und die Kontrollfunktionen ausüben (sollen).
In Abänderung des ursprünglichen Vorhabens sollte Professor Holzamer nun dort Intendant werden. Schon gleich regte sich der Widerstand der Bundesländer gegen das "Staatsfernsehen".
Am 19.8.1960 reichte das Land Hamburg Klage gegen die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht ein, um die alleinige Kompetenz der deutschen Länder in Sachen Kulturhoheit und damit auch in Bezug auf Rundfunk und Fernsehen zu erhärten.
Niedersachsen, Bremen und Hessen schlossen sich an, und es nimmt rückblickend nicht Wunder, daß es sich um SPD-regierte Länder handelte, denen es wohl weniger um das Fernsehen an sich als vielmehr um die Beschneidung von Kompetenzen ging, die die CDU-geführte Bundesregierung beanspruchte.
Auch den Sozialismus hielt man damals noch höher als heute, und privates Fernsehen war so etwas wie ein kapitalistisches Schreckgespenst. Wenn damals die Argumentation der Kläger dahin ging, Fernsehen sei eine kulturelle Unternehmung und unterstände deshalb qua Grundgesetz der Kulturhoheit der Länder, so muß man heute wohl fragen, was von dieser "Kultur" (die noch immer den Ländern obliegt) übrig geblieben ist.
Deshalb also Eschborn !
Wie dem auch sei, die von der Bundesregierung beauftragte Gesellschaft Freies Fernsehen ging daran, mit Beginn des Jahres 1961 ein zweites Fernsehprogramm zu starten.
Es war logisch, das Fernsehzentrum dort einzurichten, wo die nachrichtlichen Verbindungen aus aller Welt zusammenkamen, und das war nach Lage der Dinge, da man ja auf die aktuelle Anlieferung von Filmmaterial angewiesen war, der Frankfurter Flughafen.
Das "Freie Fernsehen" mietete sich Büros in der Frankfurter Kaiserstraße und erwarb, wahrscheinlich sehr günstig, einen heruntergekommenen Bauernhof am Rande Frankfurts im kleinen Dorf Eschborn nahe am Flughafen und mit Gleisanschluß an die Vorortstrecke Frankfurt-Kronberg.
Damit glaubte man, die denkbar günstigsten Voraussetzungen für einen reibungslosen und brandaktuellen Nachrichtendienst geschaffen zu haben. Deshalb also Eschborn !
Und das allles unkonventionell und schnell
Auch damals dachten Politiker anders als die Praktiker. Der Streit in der Regierungsmannschaft hörte nicht auf, daß das "Freie Fernsehen" ins CDU-sichere Köln und nicht ins SPD-regierte Hessen gehöre, zumal die Hessen dagegen klagten.
Schließlich war es ja auch eine Frage, wer steuerlich davon profitieren konnte ! Doch ungeachtet aller Querelen, Streitigkeiten und Widrigkeiten - das "Freie Fernsehen" haute sein Fernsehzentrum in Eschborn !
Aus der ehemaligen Scheune, einem Steinbau, wurde das Studio für die Ansagen und die aktuelle Berichterstattung, in den früheren Stallungen wurden Archive und Werkstätten eingerichtet, und für Redaktionen und die Technik entstand im Eilverfahren ein Barackenkomplex, wie er aus Kriegs- und Nachkriegsjahren noch allgemein in Erinnerung war.
Wie unkonventionell dies vonstatten ging, mag man daran ermessen, daß z.B. unser Kollege Alfred Regner selbst zum Bauherrn jener Baracke gemacht wurde, in der er sein Fotolabor einrichten sollte.
Doch es war ja nicht nur der äußere umbaute Raum, der geschaffen werden mußte, sondern es bedurfte auch der sehr komplizierten technischen Ausrüstung.
Die damals modernste Studiotechnik wurde angeschafft
Bemerkenswert war, daß gleich die damals modernste Studiotechnik in der Scheune und in den Baracken installiert wurde, einschließlich der noch relativ neuen und in den Fernsehanstalten der ARD bis dahin nur selten vorhandenen Ampex-Maschinen für die magnetische Bildaufzeichnung.
Für die "Außenübertragung" waren in England mehrere moderne "Ü-Züge" gechartert worden, die mit eigenem Personal anreisten.
Eine dieser Units wurde in Unterföhring bei München stationiert, wo in den neuerbauten Studios von Ritter-Vaillant (RIVA) schon im November 1960 damit begonnen wurde, Fernsehspiele und Unterhaltungssendungen zu produzieren.
Mit einem weiteren Ü-Zug wurden in der Turnhalle Kronberg Außenübertragungsversuche durchgeführt. In Eschborn selbst liefen die Vorbereitungen für den aktuellen Nachrichtendienst auf Hochtouren.
Und dann kam der Winter .......
Es kam der Wintereinbruch, es gab Schnee und anschließend dann Tauwetter. Erst dadurch wurde den emsig tätigen Fernsehschaffenden bewußt, daß man das "Sendezentrum" auf einem unbefestigten Bauernhof errichtet hatte.
Bis man den rettenden Eingang der Baracke erreicht hatte, mußte man tief im Schlamm waten. Ein paar Bohlen von Eisenbahngeleisen sollten Besserung verschaffen - es waren viel zu wenig. Schnee, Matsch, Barackenlager, Stallungen, Ödland und mittendrin Fernsehgetriebe neben einer nur wenig befahrenen Eisenbahnstrecke im damals noch gottverlassenen Nest Eschborn, das alles führte zum treffenden Namen "Telesibirsk".
Wann und wie der Name Telesibirsk zustande kam ......
Ich bin mir aber nicht sicher, ob er nicht erst zu Zeiten entstand, als dort schon das ZDF eingezogen war. Denn im Herbst 1962, als dieser Fall eintrat, war die Situation noch nicht viel anders als zwei Jahre zuvor.
Die ehrgeizigen Pioniere von 1960 - gegenüber dem heutigen Riesenapparat waren sie nur eine "Handvoll" Menschen - hatten für den Beginn des Programms bereits den 1. Januar 1961 vorgesehen.
Die aktuelle Nachrichtensendung wurde schon probeweise unter Life-Bedingungen gefahren, in München entstanden am laufenden Band Fernsehspiele und UnterhaltungsSendungen - da gab es eine Vollbremsung !
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Die Vollbremsung am 18. Dez. 1960
Am 18. Dezember 1960 kam der vorläufige Stopp aller Aktivitäten. Die klagenden Länder hatten mit einer Einstweiligen Verfügung den Beginn der Sendungen verhindert. Zum 30. Juni 1961 ergab sich dann das endgültige Aus.
Die juristsische Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.2.1961, die damals sehr mysteriös war und aus heutiger Sicht noch viel mysteriöser erscheint, hatte dem Versuch eines privaten Fernsehens ein Ende bereitet; der deutsche Rechtsstaat hatte voll zugeschlagen.
Und dann kam der Bumerang, die Länder mußten handeln
Die siegreichen Bundesländer aber sahen sich plötzlich - erstaunlicherweise völlig unerwartet - vor die Aufgabe gestellt, nun das zweite Fernsehprogramm in eigener Initiative durchführen zu müssen.
In der allgemeinen Verwirrung und Ratlosigkeit profilierte sich das Land Rheinland-Pfalz.
Ministerpräsident Altmeier hob den Finger und sagte: "Das ganze bitte zu mir !" Und er hatte auch ein treffendes Argument bei der Hand: Rheinland-Pfalz war das einzige Bundesland ohne eine Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts, denn Mainz war in der ARD nur ein Anhängsel an den Südwestfunk in Baden-Baden.
Die übrigen Ministerpräsidenten waren froh, daß sich für das ungeliebte Kind überhaupt jemand interessierte, und so wurde kurzerhand Mainz festgeschrieben als Sitz des künftigen Länderfernsehens.
Übrig blieb eine 1-Mann Firma
Die Nachfolge des liquidierten Unternehmens "Freies Fernsehen", das innerhalb kürzester Frist zu senden imstande gewesen war, bestand ein Jahr später lediglich in der Person des Oberregierungsrats Dr. Fuhr in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.
Und der war, neben dem am 12.3.1962 bereits gewählten Intendanten Professor Karl Holzamer, der Herr über Eschborn in Hessen ! Weniger der Einsicht als vielmehr der Notwendigkeit folgend, hatten sich die Länder entschlossen, das Barackencamp Eschborn - eingemottet und von einigen Pionieren aus der Zeit des "Freien Fernsehens" gepflegt und gewartet - bestehen zu lassen, um, wenn man dann wirklich zu einer Einigung über ein ländergeführtes zweites Fernsehprogramm käme, eine vorläufige Sendestelle zu haben.
Muß man noch mehr berichten ?
So begann die Geschichte jener öffentlich-rechtlichen Anstalt, die den Namen "Zweites Deutsches Fernsehen" trägt.
Heute ist aus dem ehemals unscheinbaren Dorf Eschborn eine ebenso moderne wie verwinkelte und seelenlose Bürostadt geworden und aus dem ZDF die "größte Fernsehanstalt Europas".
Wenn neuerdings Überlegungen auftauchen, das ZDF zu privatisieren, so kann man dem nur ein schlichtes "Zu spät !" entgegenhalten. Vor rund 30 Jahren haben politische Querelen und juristische Rechthaberei verhindert, daß das Zweite Deutsche Fernsehen ein privatwirtschaftliches Unternehmen wurde. Vielleicht säßen wir noch heute in aller Bescheidenheit im Sendezentrum »Telesibirsk".
von Günter Bartosch im März 1993
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