Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....
Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.
Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
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Deutsch-französisches Fernsehen in Paris mitten im Krieg
Ein Deutscher "FERNSEHSENDER PARIS" - Vor 50 Jahren:
Rückblick Februar 1994 - Ur-ARTE vor 50 Jahren:
Deutsches Fernsehen in Paris während des Krieges? Das mag vielen wie eine Quizfrage vorkommen, hinter der sich eine Falle verbirgt. Ohnehin wissen die wenigsten, daß schon lange vor der Nachkriegszeit Fernsehen - und sogar gutes Fernsehen - produziert wurde. Das damals beste der Welt wurde vor 50 Jahren in Paris veranstaltet!
Die Vorgeschichte: Seit 1935 gab es ein regelmäßiges Fernsehprogramm in Deutschland, seit 1936 in England und seit 1937 in Frankreich. Alle Nationen hatten unterschiedliche Sendesysteme, ihre Ausstrahlungen beschränkten sich auf die Hauptstädte und deren Umgebung; eine internationale programmliche Zusammenarbeit hatte noch nicht begonnen.
Bei Kriegsausbruch 1939 stellten England und Frankreich ihre Fernsehsendungen ein, in Deutschland wurde weiter gesendet, allein schon, um deutsche Überlegenheit zu dokumentieren. Doch durch die Verlängerung des Krieges und die härter werdenden Kämpfe geriet auch das deutsche Fernsehen in Gefahr, als „nicht kriegswichtig" eingestellt zu werden.
Das wollten die dort Tätigen, für die eine Einstellung den Fronteinsatz bedeutet hätte, vermeiden. Die Frage stellte sich, wie das deutsche, nur in Berlin und nur in wenigen öffentlichen Fernsehstuben empfangbare Programm (denn Fernsehgeräte in privatem Besitz gab es noch nicht) „kriegswichtig" werden konnte.
Die Idee
Die cleveren Fernsehleute fanden eine Lösung, die zugleich eine humanitäre Tat war: Das Fernsehen sendete sein Programm für die Verwundeten und Kriegsversehrten in den Berliner Lazaretten, Krankenhäusern und Hospitälern. Dazu wurden alle vorhandenen Fernsehgeräte beschlagnahmt und in den Gemeinschaftsräumen der Lazarette aufgestellt.
Aufgrund dieser engen Zuschauerbegrenzung, aber auch weil das Programm in erster Linie den Verwundeten und Genesenden zur Entspannung und Unterhaltung dienen sollte, hatten das Fernsehen und seine Mitarbeiter die Chance, von den Einflüssen der Partei und der Propaganda weitgehend verschont zu bleiben.
Das deutsche Fernsehen stellte somit - obwohl nun „kriegswichtig" - eine Art Schongebiet dar und schuf sich auf wundersame Weise einen Ableger in Paris.
Während die deutsche Besatzung vielfach sehr hart vorging, versuchten Wirtschaftskreise, zu einer friedlichen Zusammenarbeit mit den Besiegten zu kommen. Aus der Vorkriegszeit bestanden Kontakte zwischen deutschen und französischen Firmen der Elektroindustrie. Diese versuchte min wiederzubeleben.
Es war die Idee deutscher Fernsehtechniker und Fernsehschaffender, in Paris die vorhandenen Sendeeinrichtungen zu übernehmen und ein deutsches Fernsehen nach Berliner Vorbild zur Betreuung von verwundeten Soldaten aufzubauen.
am 7. Mai 1943 der regelmäßige Programmdienst
Nach vielen Schwierigkeiten, verbunden mit erheblichem Kompetenzgerangel und einer Versuchsphase ab August 1942, begann am 7. Mai 1943 der regelmäßige Programmdienst des deutschen „Fernsehsenders Paris".
Intendant und Programmchef war der Berliner Fernsehspezialist Kurt Hinzmann. Hinzmann, mit dem undefinierbaren militärischen Rang eines „Sonderführers" versehen, merkte sehr bald, daß die Mannschaft seines Senders fast ausschließlich aus Franzosen bestehen mußte. Er beeilte sich, die Uniform abzulegen und eine zivile Atmosphäre zu schaffen.
Gemeinsam mit deutschen Firmen der Rundfunkindustrie (allen voran Telefunken) und ihren französischen Partnern wurde in Paris ein leerstehendes Vergnügungsetablissement namens „Magic City" in der Rue de l'Universite durch Verbindung mit einer Garagenanlage in der parallel gelegenen Rue Cognacq-Jay zu einem Fernsehkomplex mit großem Studio für 300 Zuschauer ausgebaut.
Die in den Kellerbunkern des nahe gelegenen Eiffelturms stationierte Technik des Fernsehsenders wurde völlig neu installiert und auf die deutsche Norm von 441 Zeilen umgestellt. Es handelte sich um die modernste und seinerzeit am weitesten entwickelte Ausstattung auf dem Gebiet des Fernsehens, und so strahlte der Fernsehsender Paris das damals technisch beste und umfangreichste Programm der Welt aus, und zwar zu etwa 80 Prozent in französischer Sprache! Italien stand kurz davor, sich ebenfalls anzuschließen.
In Berlin fielen im November 1943 die Bomben
Während der Berliner Sender gerade ein Opfer des eskalierenden Luftkriegs geworden war - eine Brandbombe hatte ihn am 23. November 1943 zerstört -, stand das deutsche Fernsehen in Paris in voller Blüte.
Im Gegensatz zu Deutschland, in dem die Herstellung von Fernsehgeräten bei Kriegsbeginn eingestellt worden war, produzierten französische Firmen Empfänger nach der deutschen Norm. Anders als in Berlin hatten in Paris auch Privatpersonen die Möglichkeit, ein (teures) Fernsehgerät zu erwerben und das Programm zu sehen, das offiziell nur für die „Truppenbetreuung" gedacht war.
Schätzungen zufolgen gab es 800 bis 1000 Privatempfänger, in Lazaretten und Truppenunterkünften waren ca. 250 Geräte aufgestellt. Insgesamt waren das wesentlich mehr, als in Berlin zur Verfügung standen.
Die Engländer konnten jetzt auch mal richtig "fernsehen"
Niemand schien sich über die Reichweite des Pariser Fernsehsenders Gedanken gemacht zu haben. Durch die Ausstrahlung vom hohen Eiffelturm hatte man Zaungäste, von denen niemand etwas ahnte. In Beachy Head, jenseits des Ärmelkanals, sah der britische Geheimdienst heimlich das Programm mit und informierte sich aus Wochenschauen und - wenn auch propagandistisch eingefärbten - Berichten zum Zeitgeschehen über die aktuelle Lage der Deutschen.
Die Abstrahlungen vom Eiffelturm erfolgten im Bereich der UKW-Wellen. Die meiste Zeit des Tages fanden allerdings nur Tonsendungen statt; das Fernsehprogramm verteilte sich auf den Vormittag und den Abend mit insgesamt drei bis vier Stunden. Es beinhaltete neben Spielfilmen selbstproduzierte Stücke, meist Lustspiele, bunte Abende und andere unterhaltende Sendungen, für die ein eigenes 24-Mann-Orchester zur Verfügung stand.
Auch gab es einen täglichen Zeitdienst von 15 Minuten Dauer, dessen Berichte von kleinen Filmtrupps in Stärke von drei bis fünf Mann hergestellt wurden. Ferner waren Interviews und Gesprächsrunden im Programm.
Gesprochen wurde Französisch
Die Arbeitssprache in den Studios war fast immer Französisch, die Ansagen erfolgten in deutsch und französisch, ein Abendprogramm in der Woche hatte vollständig französischen Charakter.
Am 6. Juni 1944 ereignete sich die Invasion an der Kanalküste, die alliierten Truppen begannen den Vormarsch auf Paris. Das deutsch-französische Fernsehprogramm lief jedoch weiter, als sei nichts geschehen, ja, die Gesamtsendezeit wurde im Juli 1944 noch auf mehr als fünf Stunden verlängert. Die letzte Sendung des Fernsehsenders Paris fand am 16. August 1944 statt, als die Amerikaner bereits auf die französische Hauptstadt vorrückten; neun Tage später, am 25. August, wurde Paris besetzt.
Bereits am 13. August 1944 war mit deutscher Gründlichkeit alles für den Abzug der deutschen Fernsehmitarbeiter und die Mitnahme des technischen Geräts geregelt und vorbereitet worden, inklusive der restlichen Entlohnung des französischen Personals.
Der traurige Abschied aus Paris
Am 19. Aug. 1944 verließen die deutschen Fernsehleute in zwei kleinen Lkws die Stadt. Das gute Einvernehmen mit den Franzosen gipfelte darin, daß trotz der Aktivitäten der französischen Widerstandsbewegung die deutsche Kolonne Paris unbehelligt verlassen konnte; man hatte Hinzmann einen Stadtplan in die Hand gedrückt, auf dem eine Fahrtroute und Zeitvorgaben eingetragen waren, mit dem Hinweis, er solle sich mit seinem Transport daran halten. Auf Hinzmanns Frage warum, erhielt er die knappe Antwort: „Dann werdet ihr nicht beschossen."
Die Sprengung des Eiffelturms "vergessen"
So wie der deutsche Kommandant von Paris, General von Choltitz, sich widersetzte, Hitlers Zerstörungsbefehle für Paris auszuführen, handelte auch Hinzmann. Er „vergaß", einen Befehl für die Sprengung der Sendeanlagen in den Kellern zu Füßen des Eiffelturms auszuführen; dies hätte den Einsturz des Turms verursachen können.
Hinzmann lieferte in Deutschland alle entliehenen Geräte bei den Firmen wieder ab und mußte dann untertauchen, da die Gestapo ihn suchte. Erst nach dem Krieg erfuhr er, daß ihm 20 Anklagepunkte vorgeworfen wurden, zu liberale Führung des Senders, die zu enge Zusammenarbeit mit den Franzosen und die Beschäftigung von gesuchten Personen oder Juden und „Halbjuden". Bei Verhaftung hätte das sein Todesurteil bedeutet.
Wenn ein Deutscher bei den Franzosen geschätzt wurde ....
Ohne zu wissen, was ihn erwartete, kam Hinzmann dann im Herbst 1945 einer Aufforderung der französischen Besatzungsmacht nach, sich bei der Militärbehörde in Baden-Baden einzustellen. Hinzmann dazu: „Ich hatte mir nichts vorzuwerfen."
Nach langem Verhör, bei dem er feststellen mußte, daß seine Tätigkeit in Paris von den Franzosen genau überwacht worden war, sprach ihm der französische Offizier seine Anerkennung aus über sein Verhalten bei der Führung des deutschen Fernsehsenders im besetzten Paris.
Ende 1946 folgte Hinzmann dann einer Bitte des französischen Fernsehens, als Berater an seine Wirkungsstätte in Paris zurückzukehren.
Von November 1953 an wirkte Kurt Hinzmann beim Aufbau der Fernsehabteilung des Südwestfunks in Baden-Baden mit und wurde dort Produktionschef. Nach Tätigkeiten beim Bayerischen Rundfunk und beim WDR trat er 1971 in den Ruhestand, lebt jetzt am Bodensee und wird in Kürze 88 Jahre alt. (1994)
Was unternimmt etwa der deutsch-französische Kulturkanal ARTE
In Frankreich findet die damalige Partnerschaft - die erste internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Fernsehens - heute weit mehr Würdigung als in Deutschland.
Und was unternimmt etwa der deutsch-französische Kulturkanal ARTE, der in gewissem Sinne die Fortsetzung dessen ist, was vor 50 Jahren begann?
Er plant ein Fernsehspiel mit integrierter Liebesgeschichte. Im Pressetext heißt es dazu: „Der Film spielt in den letzten drei Tagen des Fernsehsenders Paris. Die Amerikaner stehen vor den Toren von Paris. Und Heyzmann (!) will zum krönenden Abschluß eine ganz besondere Sendung machen, eine Art Ehrensiegel. Hektisch stürzen sich die französischen und deutschen Mitarbeiter in die Vorbereitungen für diese letzte Live-Übertragung. Politische, technische und persönliche Probleme nehmen ihren Lauf." Hinzmanns Kommentar dazu: „Was mag uns da bevorstehen?"
Günter Bartosch im Februar 1994
geparkt
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Oktober 1943: „ Fernsehsender Paris" in Aktion. Aufnahme mit Orchester und zwei Kameras 14
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Rückblick
Der ehemalige Tanzpalast „Magic City" kurz vor dem Umbau zum Fernsehstudio
Peter Igelhoff im Pariser Studio