Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....
Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.
Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
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16:9 - Ich bin dagegen !
Ein Protest von Günter Bartoscham 8. November 1991
"In den nächsten Tagen wird Ihnen ein Fragebogen auf den Schreibtisch flattern", kündigte KONTAKT an, und "um Ihre Mitarbeit wird gebeten". Nun, bis jetzt ist noch nichts auf mich zugeflattert, doch an meiner Mitarbeit soll es nicht fehlen.
Es geht um HDTV und um das "Verbrauchen" von Fernsehen
Es geht um HDTV, "die Fernsehtechnik der Zukunft". Gefragt werden soll, was man bereit wäre, für die neuen Empfänger zu bezahlen, gefragt wird aber auch: "Wie denken die Verbraucher über diese neue Technik ?"
Als "Verbraucher" ist mir diese schnurzpiepegal, denn ich habe mir längst abgewöhnt, Fernsehen zu verbrauchen.
Aus dem einfachen Grunde, weil es sich inzwischen selbst verbraucht hat. Je perfekter die Technik wird, umso schlechter wird das Programm.
Und mit den Privaten ufert es nicht nur aus, sondern gerät auch mehr und mehr ins Seichte. Was einst schönste bizarre Küste war, ist verflacht, und es plätschert nur noch ein bißchen an den ökogeschädigten Strand.
Also "verbrauchermäßig" bleibt alles mäßig, ob HDTV oder D2-MAC oder PAL plus oder NHK-Norm. Doch als fernsehschaffender Regisseur ... da tangiert mich die neue Technik doch sehr.
Unsere Welt ist doch nicht nur breit, sondern auch hoch
Egal, ob HDTV oder welche Norm auch immer: Der Bildformatwechsel von jetzt 4:3 auf künftig 16:9 ist mir durchaus nicht schnuppe. Ja, ist denn die Technik von allen Musen verlassen ?!
Ich muß heftig Protest anmelden, denn unsere Welt ist doch nicht nur breit, sondern auch hoch. Mit 16:9 verlieren wir eine ganze Dimension - das ist die Höhe !
Uns, das Fernsehen, geht dies sogar unmittelbar an. Zwar gibt es heute schon hier und da Breitbandkabel für die Fernsehübertragung, doch in der Regel erfolgt sie noch "terrestrisch".
Fernsehen wird von Türmen von Turm zu Turm ausgestrahlt
Das heißt, Fernsehen wird von Türmen ausgestrahlt und auch von Turm zu Turm weitergeleitet, um sogar bis Reith im Winkl zu kommen.
Sollen wir künftig unsere eigenen Objekte verleugnen ? Wie wollen wir denn Türme zeigen, wenn uns die Höhe fehlt ? In Scheibchen: Oben, Mitte, unten ? Um einen Turm in seiner ganzen imposanten Größe zeigen zu können, müßte fortan der Abstand so weit sein, daß das hochragende Ding zum Ausmaß eines Gartenzwergs zusammenschrumpft.
Und die Kirchen - Kulturgüter erster Ordnung -, die ihre Türme symbolhaft zum Himmel strecken ? Werden eliminiert, eingeebnet, abgeflacht ! Von ihrer Größe und ihrer Bedeutung bleibt nichts mehr übrig.
Was für eine Kunst es ist, Kirchtürme ins Bild zu setzen, weiß jeder, der einmal versucht hat, den Stephansdom in Wien zu fotografieren. Künftig nichts mehr von Kunst !
UNd wenn bei 16:9 die Haare zu Berge stehen
Doch auch in anderen Bereichen ergeben sich Probleme. Wenn dem Trainer des verlierenden Fußballvereins beim Stand von 16:9 die Haare zu Berge stehen - wie zeigt man das ?
Wie setzt man Stabhochsprung ins Bild ? Fallen Berichte von Raketenstarts künftig aus, klettert Messmer nur noch quer, darf ein Hund nicht mehr Männchen machen ?
Wir haben jetzt schon unsere Schwierigkeiten, im Artistenprogramm Jongleure zu zeigen. Wie wird das erst bei Breitwand ! Nur antike Säulen und Lenin-Denkmäler wird man noch vorweisen können als hohe Kunst, die liegen ohnehin schon quer.
Fernsehen wird platt im Bild, passend zum Programm
Können wir uns noch im Spiegel betrachten - als halbe Portion ? Was groß ist, wird niedergemacht, wie im richtigen Leben.
Fernsehen wird platt im Bild, passend zum Programm. Gewiß: Der Horizont kommt besser zur Geltung bei 16:9. Aber welcher Horizont ? Haben wir noch einen ?
Und die Größe eines Menschen, wo bleibt die ? War nicht schon unser Vorfahr der "Pithecanthropus erectus" - der "aufgerichtete Affenmensch" ?
Das 16:9 mag für RTL noch attraktiv sein
Zeigt man uns nur noch im liegen ? Das mag für RTL plus mit seinen bevorzugten Sexstreifen noch attraktiv sein, aber für uns, die Anstalt mit der kulturellen Mission ?
Nein, auch RTL plus käme in Schwierigkeiten, denn die Schönen von "Tutti-Frutti" möchte man - wenn schon - dann auch von oben bis unten sehen.
"Oben" und "unten", das gibt's nicht mehr bei 16:9. Nur noch "rechts" und "links" wie in der Politik. So ist denn dieses Format wohl besonders für die Chefredaktion vorteilhaft.
Hier kann man den Politikern sagen: "Sie stehen falsch, gehen Sie bitte auf die andere Seite." Da vermag der Bildschirm etwas zu verdeutlichen, zurechtzurücken.
Aber künstlerisch ?
Ich will nicht verschweigen, daß das neue Format vielen modernen Machern gelegen kommen wird. Denjenigen Regisseuren und Kameraleuten zum Beispiel, die sich auf "Füße" spezialisiert haben. "Füße" in ihrer Masse gewinnen
sehr durch Breitwand, ebenso wie die beliebten Wasserflächen: "Wir fangen auf der Wasserfläche an und schwenken dann langsam nach oben."
Im Breitwandformat wirkt das natürlich phänomenal und noch viel besser als jetzt. Doch die anderen Künstler von Regie und Kamera, die zum Beispiel ein Fernsehspiel inszenieren, was machen die ?
Da werden dann links und rechts Butler und Dienstmädchen hingestellt, um das Bild zu füllen, wenn das Paar sich unterhält, selbst wenn es ein ganz intimes Gespräch ist.
Ja, wenn man "Ben Hur" machen täte
Ja, wenn man "Ben Hur" machen täte mit Wagenrennen und so ! Aber die heute so beliebten Großaufnahmen von Köpfen, meist schwitzend ... wie zieht man die noch in die Breite ?
Gangster im Krimi mit ihren typisch kantigen Schädeln lassen sich noch unterbringen - doch der intelligente Detektiv ? Monsieur Poirot hatte bekanntlich einen Eierkopf, wie Agatha Christie glaubwürdig mitteilte.
Ja, überhaupt: Sind nicht die cleversten Menschen "Eggheads" ? Sie sind nicht mehr ins Bild zu kriegen. Und das Ei des Columbus wird zum Spiegelei.
Wenn bei der "Sixtinische Madonna" die Engel weg wären ....
Jeder Fotograf überlegt sich, ob er sein Objekt waagerecht oder senkrecht ablichtet. Er entscheidet sich für das Format, das künstlerisch den besten Eindruck macht.
Die "Sixtinische Madonna" von Raffael, eines der berühmtesten Gemälde der Welt (das mit den verträumten Engelchen im Bereich unserer Untertitel), ist ein Hochkant-Bild.
Wollte das Fernsehen es breit zeigen, wären die Engel weg ! Und sollte etwa das Lächeln der Mona Lisa ein breites Grinsen werden ?
Nein, so geht es nicht !
Aber der Film, werden Sie sagen, ist doch auch breit: Wide-Screen, Breitwand, Cinerama, Cinemascope, Panavision, Todd-AO.
Das schon, doch um welchen Preis ! Bei richtigen Breitwandszenen wendet man im Kino (da unsereiner ja bekanntlich in der ersten Reihe sitzt) den Kopf hin und her wie beim betrachten eines Tischtennisspiels.
Und bei Großaufnahmen brauchte die Hauptdarstellerin abstehende Ohren, um die Leinwand zu füllen. Ganz kluge Breitwand-Regisseure haben die Ecken inszeniert und dafür die Mitte freigelassen.
Ein völlig neues Fernseherlebnis !
Das ist ein toller Spaß, wenn solche Produktionen im Fernsehen laufen - bei der jetzigen Breite. Aber bei 16:9 ! Da blühen diese Filme auf, und Sie können endlich - bei der 10. Wiederholung - sehen, was in den Ecken passiert. Ein völlig neues Fernseherlebnis !
Ich glaube aber nicht, daß der Film dadurch besser wird. Ein Beispiel: Vincente Minnelli drehte seinen weltberühmten Film "An American in Paris" im Normal-Filmformat. Mit großartigen Ballettszenen wurde der Film ein Kunstwerk und gleichzeitig ein Kassenerfolg.
Sir Richard Attenborough hingegen zog die "Chorus Line" in die Breite ... und der Erfolg blieb aus.
Ich möchte mal ein Senkrecht-Fernsehspiel machen
Was sollen wir uns vom Breitbild versprechen ? Ein neues Seherlebnis ? Dann nehmen Sie lieber ein Fernglas zur Hand und schauen dem Nachbarn ins Fenster.
Wenn wir uns nicht entschließen, neben den Fernsehempfänger mit der breiten Bildröhre auch einen mit senkrecht stehender Bildröhre zu stellen, dann kann sich das Fernsehen nur verschlechtern.
Ich möchte mal ein Senkrecht-Fernsehspiel machen ! "Faust" senkrecht würde endlich Gründgens in die Schranken weisen.
Neue schöpferische Möglichkeiten gibt es nur in der Senkrechten, glauben Sie mir ! Wir leben in Wolkenkratzern, fahren im Fahrstuhl 20 Stockwerke in die Höhe und sehen Fernsehen breit. Was für ein Widerspruch in unserer modernen Zeit !
Ich meine, die senkrechten Bildschirme müssen her, das aufrechte Programm !
"Wer hat mein Bild so zerstört ?"
Und bis die Technik so weit ist, uns dieses wirklich neue Erlebnis zu vermitteln (hoffentlich lesen nicht Japaner meine Anregung, sonst sind wir ganz schnell wieder ein Stück Fortschritt los), gilt es, zurück zu den Anfängen zugehen.
Das Fernsehen, das Paul Nipkow am Weihnachtsabend 1883 erfand, hatte (bedingt durch seine Lochscheibe) ein rundes Bild ! Und das ist ja wohl vernünftig, weil es gleichermaßen hoch wie breit ist. Bullaugen-Empfänger sind das richtige ! Dann wird auch kein künstlerisch sensibler Regisseur oder Kameramann mehr klagen müssen: "Wer hat mein Bild so zerstört ?" Beim runden Bild ist kein Platz mehr fürs Logo !
Bildunterschrift: Rien ne va plus - Nichts geht mehr !
Zur Bebilderung dieses Artikels / Glosse bieten sich an:
Der Stuttgarter Fernsehturm . Ein Rakentenstart . Stephansdom Gemälde "Sixtinische Madonna" . Frankfurter Messeturm oder Karikatur "Columbusei auf der Spitze"
Ein Protest von Günter Bartosch am 8. November 1991
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