Günter Bartosch (1928 - 2013†) schrieb viel (sehr sehr viel) über und aus seine(r) Zeit beim ZDF in Eschborn und Mainz .....
Der ZDF Mitarbeiter Günter Bartosch war 30 Jahre beim ZDF - also von Anfang an dabei -, ebenso wie sein deutlich jüngerer Kollege Knapitsch. Angefangen hatte sie beide bereits vor 1963 in Eschborn, H. Knapitsch in der Technik, Günter Bartosch im Programmbereich Unterhaltung.
Und Günter Bartosch hatte neben seiner Arbeit und seinen Büchern so einiges aufgeschrieben, was er damals alles so erlebt hatte. In 2013 habe ich die ganzen Fernseh- und Arbeits-Unterlagen erhalten / geerbt und dazu die Erlaubnis, die (die Allgemeinheit interessierenden) Teile zu veröffentlichen.
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Wie immer wieder festzustellen ist, herrscht ganz allgemein die Ansicht vor, daß Preußen das Deutsche Reich und das Deutsche Reich Preußen gewesen sei. Zum Donnerwetter und Potzblitz: Das stimmt doch überhaupt nicht !
Prolog
Das Deutsche Reich und seine Staatsorgane
Bei seiner Gründung 1871 hatte das Deutsche Reich eine Fläche von 530.134 km, in der 41.010.150 Menschen wohnten. Es bestand aus den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, den Großherzogtümern Baden und Hessen sowie 19 kleineren Staaten: Anhalt, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Lippe-Detmold, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Waldeck-Pyrmont.
Zwei weitere Territorien, das Reichsland Elsaß-Lothringen und das Großherzogtum Luxemburg, standen unter der Aufsicht des Deutschen Kaisers.
Preußen - das waren 2/3 des Deutschen Reichs
In diesem Reich war Preußen bei weitem der größte Staat mit 351.020 km2 und 24 Millionen Einwohnern; das waren etwa zwei Drittel der Fläche und rund 60% der Bevölkerung.
Nach der vorläufigen Verfassung - sie wurde nach der Annahme durch den Reichstag erst am 16. April 1871 vom Kaiser verkündet - ging die Macht im Staate von drei Organen aus: Dem Bundesrat, dem Präsidium und dem Reichstag. Der Kaiser ernannte einen Reichskanzler, der auch Präsident des Bundesrates war.
Im Bundesrat saßen 58 »Bevollmächtigten«
Der Bundesrat bestand zunächst aus 58 »Bevollmächtigten« der Bundesstaaten. Entsprechend seiner Einwohnerzahl bzw. Flächengröße hätte Preußen alle Versammlungen beherrschen und von den 58 Stimmen zwischen 40 und 44 haben müssen, tatsächlich hatte es aber nur 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg jeweils 4, Baden und Hessen jeweils 3, Braunschweig, Mecklenburg und Schwerin jeweils 2, alle anderen hatten nur eine Stimme. Die Zahl der Bevollmächtigten entsprach der Anzahl der Stimmen.
Jeder Bundesstaat ernannte so viele Bevollmächtigte zum Bundesrat, wie er über Stimmen verfügte. Jene Staaten, die mehr als einen Vertreter in den Bundesrat schickten, benannten einen »Stimmführenden Bevollmächtigten«. Manche Staaten, z. B. die thüringischen, teilten sich gemeinsam einen Bevollmächtigten.
Der Bundesrat - ein schwaches Organ mit beratender Funktion
Obwohl der Bundesrat an erster Stelle in der Reihe der Verfassungsorgane stand, war dieses »Parlament der Regierenden« ein eher schwaches und erzkonservatives Glied. »Der Bundestag tagte, der Bundesrat beriet.
So hatte er über die Steuerfestlegung und viele andere Bereiche der Gesetzgebung nur beratende Funktion. Er verhandelte nicht öffentlich, publizierte auch keine Wort-, sondern nur Ergebnisprotokolle und war deswegen wenig bekannt, folglich auch wenig populär.
Natürlich trug dazu bei, daß die Mitglieder des Bundesrates nicht kandidieren mußten und sich zum größten Teil aus dem Adel rekrutierten, vielfach waren sie miteinander verwandt und verschwägert.
Der Bundesrat tagte offiziell in einem größeren Sitzungsraum im hinteren Seitenflügel im provisorischen Reichstag Leipziger Straße 4. Die meisten Sitzungen fanden jedoch im Reichskanzleramt in der Wilhelmstraße 4 statt.
Staatsoberhaupt war Wilhelm I., deutscher Kaiser
Nominelles Staatsoberhaupt war Wilhelm I., deutscher Kaiser und König von Preußen. Chef der Regierung war Otto von Bismarck, der zu Beginn der Legislaturperiode am 16. April 1871 vom Grafen zum Fürsten erhoben worden war.
Mit der Annahme der Verfassung änderte sich gleichzeitig die Amtsbezeichnung Bundeskanzler in Reichskanzler. Erleichternd - oder auch erschwerend - kam die Tatsache hinzu, daß Bismarck nicht nur Reichskanzler, sondern - mit Ausnahme eines Jahres - auch Ministerpräsident von Preußen war.
Da der Aufbau von zentralen Verwaltungen und Ministerien nicht über kurz oder lang abgeschlossen werden konnte, regelte in der ersten Zeit das Reichskanzleramt, die administrative oberste Reichsleitung, die wichtigsten Probleme im Reich und die auswärtigen Angelegenheiten.
Fast alle anderen Aufgaben wurden von den preußischen Ministerien wahrgenommen, erst nach und nach bildeten sich fest abgesteckte zentrale Geschäftsbereiche heraus.
Eine Behörde für das neue Reichstagsgebäude
Die Behörde, die für die Entstehung des Reichstagsgebäudes maßgeblich war, war die des Präsidenten des Reichskanzleramts, dem zunächst Rudolf Delbrück 1871-76 vorstand. Sein Nachfolger im Amt war von 1876-80 Karl von Hoffmann, gleichzeitig Staatssekretär des Reichsamts des Innern; für den Bau des Parlamentsgebäudes war der dritte Amtsinhaber, Karl Heinrich von Boetticher (1880-97), von allergrößter Bedeutung.
Die wichtigsten Ministerien für den Reichstagsbau waren das für Inneres, für Kultur und für öffentliche Arbeiten, später auch das Reichsamt des Innern, 1879 in Nachfolge des Reichskanzleramtes geschaffen. Die meisten Ministerien befanden sich in oder um die Wilhelmstraße und waren vom Reichstag in der Leipziger Straße 4 aus leicht erreichbar.
Nach dem zeitgenössischen Selbstverständnis war das Deutsche Reich nur eine Vergrößerung des Norddeutschen Bundes, dessen höchste politische Repräsentation der Reichstag schon seit 1867 darstellte. Hauptstadt des Norddeutschen Bundes war Berlin; Berlin blieb auch Hauptstadt des Deutschen Reiches.
März 1871 - Die Wahlen zum Reichstag
Die Wahlen zum Reichstag des neuen Deutschen Reiches fanden nach dem Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 am 3. März 1871 statt.
Die Einwohnerzahl des Reiches betrug mehr als 41 Millionen. Von diesen waren infolge der Wahlrechtsbestimmungen nur 7.656.203 oder 18,67% wahlberechtigt, von diesen wiederum machten nur 3.886.515 oder 51% von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Das aktive und passive Wahlrecht besaßen alle männlichen Staatsangehörigen, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten, im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte waren und in einem der Bundesstaaten wohnten.
Trotz mancher Einschränkungen war das Wahlrecht demokratischer als in anderen deutschen Staaten, z. B. für die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus, in dem Eigentumsnachweise, Grundbesitz und Steuererklärungen erforderlich waren. Allerdings konnten 1871 Frauen nicht zur Urne gehen, und es gab auch keine Listenplätze.
1871 - ein Präsident und eine Geschäftsordnung
Durch die geringe parlamentarische Tradition in Deutschland war es Brauch geworden, daß ein sich neu konstituierendes Parlament eine vorläufige Geschäftsordnung und einen vorläufigen Präsidenten erhielt.
Als erster Sitzungstag war der 21. März 1871 anberaumt, als Ort das Preußische Abgeordnetenhaus in der Leipziger Straße.
Als Alterspräsident wurde der 86jährige Leopold Freiherr von Frankenberg-Ludwigsdorf gewählt, die Geschäftsordnung war die des Reichstags des Norddeutschen Bundes.
Am 23. März wählte der Reichstag seinen Präsidenten, den 61jährigen Dr. Eduard Martin von Simson, und erarbeitete eine definitive Geschäftsordnung.
Ein Geschäftsordnung - ehemals aus England
Die bisherige Geschäftsordnung stand in der Tradition des englischen Unterhauses. Aus einer Kurzfassung jener schon im 16. Jahrhundert herausgebildeten Richtlinien hatte der Franzose Mirabeau die Geschäftsordnung für das französische Parlament übersetzt.
Vom französischen Parlament hatte sie 1830 das belgische übernommen und vom belgischen das preußische Abgeordnetenhaus von 1850. Diese Linie endete mit der Geschäftsordnung des Norddeutschen Bundes.
Nach der Konstituierung und der Wahl des Präsidenten wurde der Gesamtvorstand gewählt - die Vizepräsidenten Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst und Obertribunalsrat Franz von Weber, acht Schriftführer und zwei Quästoren.
Bescheiden und effizioent - die Reichstags-Verwaltung
Im Vergleich zu heute war die Verwaltung des Reichstags äußerst bescheiden; dem Direktor Friedrich Bernhard Happel unterstanden die Bibliothekare, drei Registraturen, ein Kastellan, ein Botenmeister, ein Portier, zwei Postspediteure und ein Telegrafist. Das Stenographische Büro bestand aus 14 Stenographen.
Bis zum 8. Mai bildete der Reichstag sieben Kommissionen:
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- I. Geschäftsordnung,
- II. Petitionen,
- III. Immatrikularbeiträge,
- IV. Gesetzentwurf von Inhaberpapieren,
- V. Vorbereitung eines Gesetzes über die privatrechtliche Stellung von Vereinen,
- VI. Haushaltsausschuß und
- VII. Vorbereitung eines Gesetzentwurfes betreffend die Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reich.
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Leider war es mit den Vorrechten des Reichstages nicht so demokratisch bestellt wie ursprünglich gehofft, denn ureigene Kompetenzen - das Recht auf Zusammenkunft, Vertagung und Auflösung - blieben nach Art. 12 der Reichsverfassung beim Kaiser. In der ersten Legislaturperiode hat der Reichstag meist nur zweimal im Jahr - von März bis Mitte Juni und von Oktober bis Dezember - über jeweils sechs Wochen verhandelt.
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Reichstagsmitglieder erhielten keine Diäten
Im Gegensatz zu den Vertretern des preußischen Abgeordnetenhauses erhielten die Reichstagsmitglieder keine Diäten bzw. Sitzungsgelder.
Bismarck lag daran, daß sich die Politiker als ehrenamtlich verstanden und ihre Wahlkreise besser kannten als Berlin. Dies hatte zur Folge, daß die wenig betuchten Mitglieder, besonders wenn sie weit von Berlin entfernt wohnten, äußerst selten zu den Reichstagssitzungen kamen. Insofern waren beispielsweise die Abgeordneten aus Bayern und aus den fernen polnischen Gebieten stark benachteiligt.
Im ersten Reichstag gab es sieben ?? Fraktionen:
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- die Nationalliberalen waren mit 116,
- das Zentrum (die Katholiken) mit 57,
- die Konservativen mit 50,
- die Deutsche Fortschrittspartei mit 44,
- die Deutsche Reichspartei mit 38 und
- die Liberalen mit 29 Mitgliedern vertreten.
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Die Fraktionslosen und die Polen traten in bezug auf die Parlamentsbaufrage nicht in Erscheinung. Im übrigen scheint die Fraktionszugehörigkeit keine große Rolle bei der Bevorzugung eines Standortes gespielt zu haben.
Man sollte sich auf keinen Fall zu einem Vergleich zwischen dem Fraktionsgehabe des heutigen Bundestages und dem des Reichstags in der frühen Phase verleiten lassen. Es gab keine Fraktionsgeschäftsführer, auch so gut wie keine Fraktionsdisziplin. Eine explizite Regierungspartei bzw. organisierte Opposition fehlte fast völlig. In den Debatten spürte man aber relativ schnell antipreußische und Anti-Bismarck-Gefühle, besonders von den Süddeutschen und den katholischen Abgeordneten.
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