Die Lebensbiografie von Akio Morita (aus 1986), dem berühmten SONY Mitbegründer - Er war "Mister Japan"
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4. Kapitel - UNTERNEHMENSFÜHRUNG: EINE REINE FAMILIENANGELEGENHEIT
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Es gibt kein Geheimrezept für "Erfolg"
Dem Erfolg der besten japanischen Unternehmen liegt kein Geheimrezept zugrunde. Keine Theorie, kein Plan, keine staatliche Maßnahme kann ein Unternehmen zum Erfolg führen. Nur der Mensch selbst vermag dies.
Die wichtigste Aufgabe eines japanischen Managers ist es, ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern herzustellen. Er hat innerhalb des Unternehmens das Gefühl von >Familienzusammengehörigkeit< zu pflegen, und er muß allen bewußt machen, daß Manager und Mitarbeiter in einem Boot sitzen.
Die erfolgreichsten Unternehmen in Japan sind solche, die allen Mitarbeitern (Anteilseigner eingeschlossen) dieses Gefühl gemeinsamen Schicksals am besten vermitteln können.
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Wieso waren wir in Japan mit dieser Stategie so einmalig ?
Nirgendwo sonst auf der Welt habe ich dieses simple Führungsprinzip angetroffen, aber ich meine, wir haben überzeugend nachgewiesen, daß es funktioniert.
In anderen Ländern kann man dieses System vielleicht deshalb nicht übernehmen, weil man dort den eigenen Traditionen zu stark verhaftet ist oder man Angst vor Experimenten hat.
Das Bestreben, den Menschen in den Mitelpunkt zu stellen, muß echt sein, manchmal auch sehr kühn und unkonventionell, und gelegentlich ist es nicht ohne Risiken. Aber auf lange Sicht - dies sei besonders betont - liegt Ihr Unternehmen und seine Zukunft in der Hand der Mitarbeiter, die Sie beschäftigen.
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....... in den Händen des jüngsten Lehrlings
Da spielt es keine Rolle, wie gut oder erfolgreich, oder wie clever oder gerissen Sie selbst sind. Um es ein wenig drastischer zu sagen: das Schicksal Ihres Unternehmens liegt in den Händen des jüngsten Lehrlings.
Aus diesem Grunde lasse ich es mir nicht nehmen, alljährlich unsere neu eintretenden College-Absolventen persönlich zu begrüßen. Das japanische Schuljahr endet im März, über Bewerbungen aber wird bereits im letzten Halbjahr entschieden, so daß jeder Schulabgänger schon weiß, in welche Firma er eintreten wird.
Das Dienstverhältnis beginnt dann am 1. April. Ich pflege die Neuzugänge zu einer kleinen Einführungs- und Einweisungsfeier in der Tokioter Hauptniederlassung zusammenzurufen.
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Meine Ansprache an die College-Absolventen
In diesem Jahr (1984 ?) schaute ich in mehr als 700 junge, erwartungsvolle Gesichter, und ich hielt, wie nun schon seit fast 40 Jahren, folgende kurze Ansprache:
»Zunächst einmal sollten Sie den Unterschied zwischen einer Schule und einem Unternehmen erfassen. Auf der Schule zahlen Sie für Ihre Ausbildung selbst, nunmehr bezahlt dieses Unternehmen Ihre Ausbildung. Während Sie Ihren Beruf erlernen, fallen Sie diesem Unternehmen zur Last.
Zweitens: Wenn Sie in der Schule eine gute Prüfung ablegen und die beste Note erhalten, ist das hervorragend. Wenn Sie aber ein leeres Blatt abgeben, erhalten Sie Null Punkte.
Im Unternehmen werden Sie Tag für Tag geprüft, nur können Sie dort nicht 100 Punkte, sondern 1.000 Punkte erreichen, oder auch nur 50. Wenn Sie bei uns einen Fehler machen, erhalten Sie nicht einfach eine Null. Ein Fehler ist stets ein Minuswert. Nach unten gibt es keine Grenzen, und dies kann das ganze Unternehmen gefährden.«
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Natürlich ist das für die jungen Leute erstmal ernüchternd
Die neuen Mitarbeiter erhalten so ihren ersten und ernüchternden Eindruck von dem, was sie in einem Unternehmen erwartet. Ich erzähle ihnen, was sie meiner Meinung nach über das Unternehmen und sich selbst wissen sollten.
Der letzten Gruppe neu eintretender Mitarbeiter sagte ich:
»Wir haben Sie nicht zwangsverpflichtet. Dies hier ist nicht die Armee: Sie haben sich freiwillig und in eigener Verantwortung für Sony entschieden. Wenn jemand in dieses Unternehmen eintritt, dann erwarten wir, daß er in der Regel in den nächsten 20 oder 30 Jahren bei uns bleibt.
Niemand lebt zweimal. Die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre werden die schönste Zeit Ihres Lebens sein. Und diese Zeit erleben Sie nur ein einziges Mal.
Wenn Sie in 30 Jahren oder am Ende Ihres Lebens aus diesem Unternehmen ausscheiden, sollten Sie nicht mit Bedauern auf all die Jahre zurückblicken müssen, die Sie hier verbrachten. Das wäre eine Tragödie. Ich kann nicht deutlich genug darauf hinweisen, daß Sie in eigener Verantwortung handeln.
Deshalb mein Hinweis: In den nächsten Monaten sollten Sie herauszufinden suchen, ob Sie hier zufrieden oder unzufrieden sein werden. Obwohl wir Sie eingestellt haben, können wir, die Unternehmensleitung, Sie nicht glücklich machen; zu Glück und Zufriedenheit muß jeder selbst finden.«
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Das gesamte Berufsleben in einer Firma verbringen
Die gängige Praxis, sein gesamtes Berufsleben in einer Firma zu verbringen, ist keine japanische Erfindung; sie wurde uns eigentlich aufgezwungen.
Verantwortlich für das japanische Prinzip der langjährigen, wenn nicht sogar lebenslangen Beschäftigung in einem Hause ist eigentlich die uns von der Besatzungsmacht auferlegte Arbeitsgesetzgebung.
Damals schickten uns die Amerikaner zahllose liberale oder linksorientierte Technokraten ins Land, um Japan zu entmilitarisieren und zu demokratisieren. Zunächst widmete man sich den verbliebenen industriellen Grundstrukturen.
Im Vorkriegs-Japan wurde die Wirtschaft im Grunde genommen von einer Handvoll gigantischer Holdinggesellschaften kontrolliert. Die vier größten dieser Dachgesellschaften hielten gemeinsam ganze 25 Prozent des eingezahlten Grundkapitals der gesamten Volkswirtschaft.
Familieneigene Mischkonzerne wie Mitsui, Sumitomo und Mitsubishi kontrollierten jeweils etwa dreihundert andere Unternehmen. Auf Grund ihrer ungeheuren Wirtschaftsmacht fiel diesen sogenannten >zaibatsu< (Clique, Seilschaft, Kartell) auch politische Macht zu, denn sie konnten jeden Politiker ihrer Wahl mit Geld, bezahlten Wahlhelfern und allem Nötigen versorgen.
Doch sobald sie die nach erfolgreichem Griff nach der Macht de facto zu Politikern gewordenen Militärs unterstützten, begann der Schwanz mit dem Hund zu wedeln.
Die >zaibatsu< glaubten sich einen Werkschutz geschaffen zu haben, doch gab dieser sehr schnell selbst die Befehle und machte die >zaibatsu< gewissermaßen zu Gefangenen jenes Systems, das sie vermeintlich nach wie vor kontrollierten.
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Nach dem verlorenen Krieg ....
Nach dem Krieg erklärten die Besatzungsbehörden, das Land könne nicht demokratisiert werden, solange dieses >zaibatsu<-System von verschachtelten Unternehmen und mächtigen Dachgesellschaften beibehalten werde.
Fast über Nacht löste die Holding-Liquidierungskommission 15 dieser >zaibatsu< auf. Die Vermögen wurden zunächst eingefroren, die Aktienbeteiligungen in den Händen von 83 Holdinggesellschaften schließlich eingezogen und neu gestreut.
Weitere 450 Gesellschaften wurden zu >restricted concerns< - in ihren Rechten eingeschränkten Unternehmen - erklärt. Diese Unternehmen durften keine Aktien anderer Unternehmen besitzen, und ihren Mitarbeitern war verwehrt, in einem anderen Unternehmen des alten Konzerns zu arbeiten.
Eine der für die konzeptionelle Seite der >zaibatsu< -Auflösung verantwortlichen Hauptfiguren, die Ökonomin Eleanor Hadley, sagte jüngst in Tokio auf einem Seminar über die Besatzungszeit, das Entflechtungsprogramm »konnten wir nicht konsequent und reibungslos abwickeln. Wir wußten erschreckend wenig über das japanische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Und auch die Japaner selbst wußten nicht genau, welche Verflechtungen und Beherrschungsverhältnisse innerhalb der >zaibatsu< existierten.«
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Eine Zerschlagung mit ungewöhnliche Situationen
Die verschachtelten Unternehmen wurden mit Erfolg zerschlagen, doch ergaben sich hieraus einige ungewöhnliche Situationen. So durfte zum Beispiel ein >restricted concern< keinen Zweigbetrieb gründen und sich auch keine neuen Teilbereiche angliedern.
Aus diesem Grunde arbeitete etwa die 1950 gegründete Toyota Motor Sales Company, die Verkaufsorganisation, in voller unternehmerischer Unabhängigkeit von der Toyota Motor Company, dem Produktionsunternehmen. Die beiden Gesellschaften fusionierten erst 1984. Den großen, alten Familien wurde zwar Macht und Reichtum genommen, doch entschädigt wurden sie kaum.
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Das japanische Nachkriegs-Kreditwesen
Im Kreditwesen wurden neue Gesetze erlassen und scharfe Kontrollen eingeführt denn die Inflationsraten lagen sehr hoch (bei 150% im Jahre 1947). Die neue (noch immer gültige) Verfassung, von der Besatzungsmacht diktiert, wurde ins Japanische übersetzt und vom Reichstag unverzüglich angenommen.
Sie gestand Frauen und Minderheiten Gleichberechtigung zu, schuf die Grundlagen für ein neues Ehe- und Scheidungsrecht und begründete das Privatrecht. Der Adel wurde abgeschafft.
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Die neue japanische Bodenreform (von 1947)
Aber die wohl folgenschwerste Einzelursache des gesellschaftspolitischen Strukturwandels dürfte die Bodenreform gewesen sein. Viele Großgrundbesitzer, die Landwirtschaft betrieben - darunter auch meine Familie -, wurden enteignet; Waldbesitz dagegen blieb unangetastet. Wer damals ausgedehnte Wälder besaß, zählt heute in Japan folglich zu den Reichsten.
Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Experten des amerikanischen "New Deal" verfügten, daß praktisch niemand mehr entlassen werden konnte.
Gleichzeitig gestatteten und förderten sie gewerkschaftliche Zusammenschlüsse, die während des Krieges verboten waren (damals gab es lediglich eine staatlich geförderte landesweit tätige Betriebsgewerkschaft).
Vor dem Krieg war Treue zur >zaibatsu< das Hauptanliegen aller Arbeiterorganisationen. Die Väter des neuen Arbeitsrechts wußten natürlich, daß die Kommunisten, als Partei nicht länger verboten, in die neuen Gewerkschaften drängen würden.
Die amerikanischen Arbeitsrechtler sahen die damit verbundenen Gefahren durchaus, nahmen sogar schriftlich dazu Stellung, glaubten aber, daß die unvermeidlichen Schwierigkeiten Teil der Erziehung Japans zur Demokratie seien.
In gewissem Sinne lag dieser Einstellung der Besatzungsbehörden ein großes Vertrauen in die konservative Grundeinstellung des japanischen Volkes zugrunde.
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Aber was wurde am Ende aus diesem Versuch!
Kaum war das neue Arbeitsrecht in Kraft gesetzt, schossen 25.000 Gewerkschaften wie Pilze aus dem Boden; fünf Millionen japanische Arbeiter schlossen sich ihnen an.
Für die lange unterdrückten Liberalen, Sozialisten und Kommunisten begann eine Zeit hektischer Geschäftigkeit. Sie organisierten sich sofort. Viele Gewerkschaften erlagen dem Einfluß der Kommunistischen Partei Japans (KPJ).
Am 1. Mai 1946 paradierten sie mit roten Bannern, Fahnen und Transparenten vor dem Kaiserpalast. Der Aufmarsch schlug in offenen Aufruhr um, einige Marschierer stürmten gar den Palast.
Die Bevölkerung war entsetzt. Zahllose Streiks für die Rechte der Arbeiter brachen aus, viele protestierten bei der Regierung gegen die niedrigen Löhne.
Als die kommunistisch gelenkten Gewerkschaften mit der Androhung eines Generalstreiks den Rücktritt des Ministerpräsidenten Shigeru Yoshida und massive Lohnerhöhungen erzwingen wollten, wurden sie vom Ministerpräsidenten und der Besatzungsmacht schließlich in ihre Schranken verwiesen.
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Yoshida blickt zurück auf diese Zeit
Yoshida, der den Kommunisten und ihren Motiven noch nie getraut und sich daher auch der Zulassung der KPJ widersetzt hatte, schrieb später in seinen Memoiren:
»Unmittelbar nach Kriegsende richtete die Sowjetunion als Kriegsverbündeter eine Mission in Tokio ein, der über 500 ausgebildete Propaganda-Spezialisten und Mitglieder des Geheimdienstes angehörten. Diese steuerten die Aktivitäten der KPJ, zettelten Streiks an, stifteten Koreaner *) zum Aufruhr an und sorgten im ganzen Land für Unruhe.«
*) Etwa 650 000 Koreaner sind die stärkste Minderheit im Land. (A. d. Ü.)
Mit Unterstützung General Mac Arthurs, des Alliierten Oberkommandierenden, brachte Yoshida im Reichstag eine Gesetzesvorlage ein, die den öffentlich Bediensteten das Streikrecht entzog. Die Kommunisten, dadurch gewarnt, nahmen von dem angedrohten Generalstreik Abstand.
Die neue Sozialgesetzgebung aber, die neben den neuen Arbeitsgesetzen auch das System der sozialen Sicherheit einführte, ist uns bis heute erhalten geblieben.
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Die Absicht war, die >zaibatsu< zu beseitigen
Hinter den neuen Gesetzen, der Änderung des Steuerrechts und der Beseitigung der >zaibatsu< stand die erklärte Absicht, in Japan zum ersten Mal eine egalitäre Gesellschaftsordnung einzuführen.
Die Bezieher niedriger Einkommen hatten die Möglichkeit, ihren Lebensstandard zu verbessern. Armut wie in anderen Teilen der Erde ist in Japan heute praktisch unbekannt, und die Japaner wissen ihre auf dem Grundsatz der Gleichheit aufgebaute Gesellschaftsordnung zu schätzen.
Jahrhundertelang litt die Bevölkerung immer wieder Not oder hungerte gar. Armut in Stadt und Land war gang und gäbe. Im Grunde genommen war das Leben der unteren Schichten seit Generationen nichts anderes als ein harter Kampf ums Überleben gewesen. Heute kennt man bei uns zwar keine Armut mehr, aber es gibt auch nicht mehr die reichen Familien früherer Zeiten.
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Volksbefragung bzw. Erhebung der Selbsteinschätzung der Bevölkerung
Das Amt des Ministerpräsidenten führt jedes Jahr eine Erhebung durch und fragt dabei auch nach der Selbsteinschätzung der Bevölkerung. Seit mehr als zehn Jahren rechnen sich über neunzig Prozent zum Mittelstand.
Dem heutigen Japaner sind Privilegien fremd. Manche unserer Züge haben zwar Erster-Klasse-Waggons, aber die japanischen Fluggesellschaften kannten über viele Jahre keine entsprechende Einrichtung.
Konosuke Matsushita, der große alte Mann der japanischen Elektronik-Industrie, fliegt trotz seiner weit über neunzig Lebensjahre zwischen dem Firmensitz in Osaka und Tokio mitten unter Hunderten einfacher Gehaltsempfänger noch immer Touristenklasse. Und kein Mensch denkt sich etwas dabei.
Privatmaschinen oder Hubschrauber haben neben Sony nur sehr wenige Firmen; doch sie dienen nicht dazu, leitende Angestellte - wie in manchen Ländern üblich - unter fadenscheinigen Vorwänden zum Privatvergnügen reisen zu lassen.
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Der Unterschied zwischen "reich" und "vermögend"
Japans Nachkriegserfolge haben ganz gewiß viele reich werden lassen; aber große Vermögen wie in England oder Kontinentaleuropa - Vermögen, die Revolutionen, Regierungswechsel und selbst Kriege unbeschadet überdauern - sind in Japan nicht mehr anzutreffen.
Vor ein paar Jahren bewunderte ich auf einer Pariser Party das Diamanthalsband einer bezaubernden Rothschild-Dame. Ihr Mann nannte mir sofort und von sich aus den Namen seines Juweliers, damit ich für Yoshiko etwas Ähnliches anfertigen lassen könnte. Ich bedankte mich, machte aber keinen Hehl daraus, daß ich mir ein so teures Stück nicht leisten könnte.
Der Mann zog die Stirn kraus, »Aber Sie sind doch reich«, meinte er. »Sie können sich so was ganz gewiß leisten.«
»Zwischen uns beiden gibt es einen großen Unterschied«, erwiderte ich. »Natürlich bin ich reich, aber Sie sind vermögend. Deswegen können Sie sich so etwas leisten, ich aber nicht.«
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Ein Blick zurück auf die alten japanischen Verhältnisse
Wie gesagt, unermeßlich reiche Familien wie in alter Zeit gibt es in Japan nicht mehr. Für das Schwinden großen privaten Reichtums haben unter anderem auch die konfiskatorischen Erbschaftsteuern gesorgt.
Heute ist das Streben nach großem Reichtum für die meisten Japaner kein Thema. In der Tat ist der Erwerb riesiger Ländereien und die Beherrschung vieler Großunternehmen nicht mehr möglich. Genau dies war die Grundlage von Familienvermögen, die es früher einmal in Japan gab.
Familien wie die meine waren vor dem Kriege sehr reich. Unser Lebensstil unterschied sich grundsätzlich von dem aller heutigen Japaner. Ich wuchs inmitten der reichsten und begütertsten Familien von Nagoya auf.
Jeder unserer Nachbarn hatte einen eigenen Tennisplatz - in Japan, wo nutzbarer Boden rar ist, ein wahrer Luxus. Wir alle hatten Privatwagen mit Chauffeur, dazu Dienstmädchen und Butler. Mein Vater, der über ein beachtliches Einkommen verfügte, kam in unserem Falle für alles auf.
Da die Steuern niedrig waren, kam niemand auf die Idee, seine Fahrzeuge oder die Bewirtung von Gästen als Betriebsaufwand abzusetzen. Die japanischen Teehäuser, in denen sich die Geschäftsleute trafen, schickten alle sechs Monate oder einmal im Jahr eine Rechnung, die man aus eigener Tasche bezahlte.
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Der Krieg stellte die Verhältnisse völlig auf den Kopf.
Plötzlich waren 85 Prozent Einkommensteuer zu zahlen. So wurde es also schwierig, sich einen Privatwagen mit Fahrer zu leisten und andere Betriebskosten selbst zu tragen. Deshalb gingen die Unternehmen schrittweise dazu über, diese Kosten, die ihren Führungskräften entstanden, zu übernehmen.
Meine Familie hatte sehr viel Glück, daß trotz schwerer Bombenangriffe auf Nagoya unsere Geschäfts- und Privatgebäude unbeschädigt blieben. Doch auch wir hatten nach dem Kriege weder Mädchen noch Butler mehr, also mußte meine Mutter die Hausarbeit selbst übernehmen.
Das sei sehr gesund, meinte sie, sicherlich zu Recht. Wir mußten eine Unsumme an Vermögensteuer zahlen und verloren fast allen Grundbesitz. Ein großer Teil unserer Ländereien wurde an Bauern verpachtet, die darauf Reis anbauten und an die Morita-Brauerei verkauften.
Die Japanische Erbschaftsteuer und Einkommensteuer
Verloren wir auch fast alles, so hatte das doch seine Richtigkeit. Wir waren dankbar, daß alle drei Söhne unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt waren und daß uns wenigstens die alte Stammfirma blieb.
Dennoch war es eine große Umstellung. Mein Vater hatte schon während des Krieges mit dem Rad zur Arbeit fahren müssen, und auch jetzt bestand keinerlei Aussicht auf einen Wagen mit Fahrer.
In Japan sagt man heute, daß ererbter Reichtum nur dann über drei Generationen erhalten bleibt, wenn die Familie arbeitet und ihn mehrt: die Erbschaftsteuern sind zu hoch.
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Damit die ehemals Reichen nicht wieder mächtig wurden
Die neuen, von der Besatzungsmacht erlassenen Gesetze sollten die Stellung der Arbeiter und Angestellten stärken und dafür sorgen, daß die ehemals Reichen nicht wieder mächtig wurden.
Nach Ansicht der Amerikaner mußten die begüterten Familien - und ganz besonders das Dutzend >zaibatsu<, die mit der Rüstungsindustrie mehr oder weniger identisch waren - auf Grund ihrer Kollaboration mit den Militaristen für immer ausgeschaltet werden.
Wahrscheinlich nahmen die Amerikaner völlig zu Unrecht an, daß alle Wohlhabenden für den Krieg verantwortlich waren; dabei hatten viele schon vorher erkennen können, daß die >zaibatsu< - ich sagte es bereits - zu Gefangenen des von ihnen vermeintlich kontrollierten Militärs geworden waren.
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Die von den Besatzern erzwungene Blutauffrischung
Es waren aber gerade die Verordnungen aus dem Hauptquartier der Besatzungsmacht, die das erneute Erstarken der japanischen Industrie in Gang setzten. Zu den positiven Aspekten dieser >Säuberung< gehörte unter anderem, daß ihr auf der obersten Führungsebene so manche taube Nuß zum Opfer fiel, wenngleich auch viele hervorragenden Kräfte aus ihren Positionen entfernt wurden.
Die Nachrücker kamen aus dem zweiten und dritten Glied - Ingenieure und Techniker, die die eigentliche Arbeit geleistet hatten, sowie jüngere Manager mit neuen Ideen. Für die Unternehmen selbst bedeutete dies eine Blutauffrischung.
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Das Prinzip der lebenslangen Beschäftigung .....
Gleichzeitig wurde deutlich, daß die alten Industriegiganten nicht mehr alle Wirtschaftsbereiche kontrollieren konnten. Die Folge waren zahlreiche Neugründungen, darunter auch unsere Firma oder Honda Motors, um nur zwei zu erwähnen.
Aber, wie gesagt, auch in den alten Firmen wurden jüngeren, aktiveren und technisch besser ausgebildeten Mitarbeitern die Leitung übertragen.
Das Prinzip der lebenslangen Beschäftigung ergab sich aus der Einsicht, daß Management und Belegschaft viele gemeinsame Interessen hatten und langfristig planen mußten.
Entlassungen wurden durch Gesetz erschwert und übrigens auch teuer, aber das schien im Grunde keine schlechte Idee. Schließlich suchten Arbeiter und Angestellte dringend Beschäftigung, und die Unternehmen, die mitten im Wiederaufbau steckten, brauchten loyale Mitarbeiter.
Trotz der Parteipropaganda der Kommunisten und Sozialisten gab es keine Klassenkämpfe. Die Japaner, die ein homogenes Volk sind, arbeiteten gemeinsam zum Nutzen aller. Ich sage oft: Das japanische Unternehmen ist weitgehend ein Gebilde zur Wahrung der Rechte auf soziale Sicherheit.
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Führungskräfte kamen ganz schnell in die höchste Steuerstufe
Seit dem Kriege hat es wegen der steilen Steuerprogression keinen Sinn, Führungskräften in Unternehmen hohe Gehälter zu zahlen. Die höchste Steuerstufe wird schnell erreicht.
Als Ausgleich für die hohe Besteuerung bieten die Unternehmen ihren Mitarbeitern Zusatzleistungen, wie Arbeiterwohnheime oder Erstattung des Aufwandes für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese Leistungen sind steuerfrei. Steuerbegünstigungen und legale Steuerumgehung sind in Japan praktisch unbekannt.
Das Gehalt eines Spitzenmanagers liegt heute nur sehr selten höher als das Sieben- bis Achtfache des Einkommens eines jungen Trainee *), das heißt: Es gibt in Japan keine Topmanager, die Millionen verdienen. Japanische Unternehmen zahlen ihren Vorständen keine hohen Tantiemen, gewähren ihnen kein Aktienbezugsrecht, bilden keine Gehaltsrückstellungen für sie, zahlen keine
großzügigen Abfindungen - und deshalb ist der Abstand zwischen den einzelnen Mitarbeitergruppen nicht so groß wie in anderen Ländern, weder real noch psychologisch.
*) Betriebsintern oder konzernzentral speziell geschulte Führungsnachwuchskraft mit sehr oft akademischer Vorbildung. (A. d. Ü.)
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Es gibt wenige Ausnahmen von dieser Regel
Es gibt sicherlich nur sehr wenige Ausnahmen von dieser Regel. Die oberste Finanzbehörde veröffentlicht alljährlich in den großen Zeitungen die Liste der Spitzenverdiener. Aus dem Bericht für das Jahr 1982 geht hervor, daß lediglich 29.000 japanische Staatsbürger ein Jahreseinkommen entsprechend 85.000 Dollar und mehr hatten.
Obwohl (nach den Zahlen der OECD für 1983) der typische japanische Arbeiterhaushalt - Alleinverdiener, Frau und zwei Kinder - nur zwei Drittel des Bruttoeinkommens der amerikanischen Vergleichsgruppe bezog, liegt das verfügbare Einkommen in dieser Kategorie auf Grund niedrigerer Steuerbelastung höher als in Amerika.
Allerdings muß der japanische Arbeiter länger arbeiten als sein amerikanischer Kollege - an harter Arbeit aber hat bei uns niemand etwas auszusetzen. Aus einem Regierungsbericht über das Jahr 1985 geht hervor, daß die meisten Arbeiter nicht einmal den ihnen zustehenden Urlaub voll in Anspruch nehmen.
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Auch der Umgang mit unseren Mitarbeitern hat sich geändert
Im Umgang mit unseren Mitarbeitern kamen wir Industrielle zu der Einsicht, daß sie mit Geld allein nicht zu motivieren sind. Man muß sie zu einer Familie zusammenfügen, in der jeder als geachtetes Mitglied behandelt wird.
Zugegeben: In unserem ethnisch homogenen Lande fällt dies leichter als andernorts; trotzdem ist dieses Prinzip bei einem gewissen Bildungsstand der Bevölkerung überall anwendbar.
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Die Bildung war und ist uns enorm wichtig
Für Bildung interessiert sich die breite Masse seit Beginn der Tokugawa-Ära. Damals, gleich zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, zog sich Japan in die fast totale Isolation zurück (nur in einem Teil Nagasakis durften Ausländer Handel treiben).
Fast dreihundert Jahre lang lebte die Nation im tiefsten inneren und äußeren Frieden (wenn auch der Film >Shogun< eher das Gegenteil erkennen läßt). Diese lange Friedensperiode dürfte auf der ganzen Welt einzigartig sein.
Zu meinem Erstaunen las ich neulich, daß in der überlieferten europäischen Geschichte die vier konfliktlosen Jahrzehnte seit Ende des Zweiten Weltkriegs (April 1945) als längste Friedensperiode gelten.
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250 Jahre Frieden - oder besser : kein Krieg
In diesem Zusammenhang ist sicher interessant, daß Japan von 1603 - dem Jahr der Machtübernahme durch Ieyasu, dem ersten Tokugawa-Shogun *) - bis wenige Jahre vor der Übergabe der politischen Macht an den Kaiser (1868) zweihundertfünfzig Jahre lang in keinen bewaffneten Konflikt verwickelt war **). Wir selbst nennen diese Ära die > Lange Friedenszeit <.
*) Yoritomo Minamoto entmachtete 1192 den Kaiser und errichtete als Shogun (>Reichsfeldherr<) eine Militärdiktatur. Ieyasu Tokugawa machte das Shogunat 1603 in seiner Familie erblich. (A. d. Ü.)
**) Die USA ließen 1853 ein Kampfgeschwader vor Tokio kreuzen und erzwangen so den Abschluß eines Freundschafts- und Handelsvertrages. Damit begann die - durch spätere Beschießung japanischer Häfen und Festungen durch englische und andere Kriegsschiffe nachhaltig durchgesetzte - Öffnung des Landes. (A. d. Ü.)
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Vier Stände : Samurai, Bauern, Handwerker und Händler
Die Samurai trugen zwar Schwerter, aber die meisten von ihnen wußten gar nicht mehr damit umzugehen. Die Gesellschaft war in vier Stände gegliedert: Samurai, Bauern, Handwerker und Händler.
Der Stand der Samurai war in sich noch mehrfach geschichtet. So undurchlässig die Standesgrenzen auch waren, es gab einen Weg nach oben: indem man Gelehrter oder Künstler wurde.
Die Kunst wurde seinerzeit sehr gefördert, besonders auf dem Gebiet der Literatur, Malerei, Töpferei, der No-Spiele und des Kabuki *), der Teezeremonie und der Kalligraphie. Besonders geschätzt wurden Kenner der klassischen Literatur Japans und Chinas.
*) Aus dem 17. Jahrhundert stammende dramatische Kunstform, in der volkstümliche Situationen ausschließlich von Männern, hauptsächlich durch Pantomime, Tanz und Gesang dargestellt werden. Beim No-Theater dagegen werden vorgeschriebene lyrisch-dramatische Komplexe unter Chor- und Orchesterbegleitung behandelt. Die mit sparsamen, stilisierten Gesten agierenden Schauspieler treten zum Teil maskiert auf. (A. d. Ü.)
Der Gelehrte oder Künstler wurde ungeachtet seiner Herkunft (wie übrigens auch Ärzte und Priester) dem Stand der Samurai zugerechnet. Wer also Bauer, Handwerker oder Händler war, bemühte sich eifrig um Bildung, um so die Anerkennung seiner Umgebung zu finden und wenigstens innerhalb seiner Klasse aufzusteigen. Alle Eltern wollten ihren Kindern den Schulbesuch ermöglichen; es kam daher zu zahlreichen privaten Schulgründungen.
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Die aufgeklärte Regierung unter Kaiser Mutsuhito 1868
Als Kaiser Mutsuhito 1868 seine Regierungszeit unter das Motto >Meiji< (>aufgeklärte Regierung<) stellte, gab es bei einer Bevölkerung von etwa 30 Millionen ungefähr 10.000 Schulen. Natürlich wurde jede Schule von nur wenigen Schülern besucht, so daß wir von der absoluten Zahl her keinen Vergleich zu heute ziehen können.
Gegenwärtig gibt es eine neunjährige allgemeine Schulpflicht; 94% der Schüler besuchen weiterführende Schulen, 37% der Abgänger wechseln auf ein College über.
Bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen verfügt Japan über insgesamt etwa 45.000 Elementar- und Sekundärschulen für 6- bis 17jährige. Dennoch blieb die Anzahl der Schulen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung seit Beginn der Meiji-Ära praktisch unverändert.
Gleichzeitig ist daraus zu ersehen, daß selbst Ungebildete bei Mutsuhitos Regierungsübernahme den Wert der Bildung erkannten und ihre begabten Kinder, wenn möglich, auf eine Schule schickten.
Als Meiji Tenno die Häfen öffnete und die abendländische Kultur nicht länger aussperrte, war die lerneifrige Bevölkerung sofort aufnahmebereit. Mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurde das Analphabetentum rasch zurückgedrängt.
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In Japan möglich : vom Arbeiter zum Präsidenten
Das allgemein hohe Bildungsniveau in Japan erklärt übrigens, weshalb bei uns manchmal ein Arbeiter oder selbst ein örtlicher Gewerkschaftsfunktionär zum Präsidenten einer Aktiengesellschaft berufen wird.
Kenichi Yamamoto, von Beruf Ingenieur, trat bei der Toyo Kogyo Co. (inzwischen in Mazda Motor Corporation umbenannt) als Vorarbeiter ein und stieg zum ersten Mann des Unternehmens auf.
Als Mazda 1985 in den USA einen Produktionsbetrieb eröffnen wollte, setzte er sich persönlich mit den Funktionären der Vereinigten Automobilarbeitergewerkschaft an einen Tisch und arbeitete mit ihnen einen Manteltarifvertrag aus.
Dazu war er nur deswegen imstande, weil er sein Geschäft auch von der anderen Seite her kennengelernt hatte, denn er war Jahre zuvor einmal Vorsitzender der Mazda-Betriebsgewerkschaft gewesen und beherrschte den Funktionärsjargon.
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Gleichberechtigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
Bei uns ist das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Gleichberechtigung gegründet; eine Auffassung, die nirgends sonst anzutreffen ist.
Bei Sony sieht man keinen nennenswerten Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten. Hat ein Mann oder eine Frau als Gewerkschaftsführer Erfolg, dann horchen wir schnell auf: redegewandte Menschen, die andere mitreißen können, brauchen wir in den Reihen des Managements.
Unternehmensführung ist nicht mit Diktatur gleichzusetzen. Die obersten Entscheidungsträger müssen ihren Mitarbeitern beweisen, daß sie führen können.
Wir sind ständig auf der Suche nach Mitarbeitern, die diese Fähigkeiten besitzen. Es wäre also kurzsichtig, von Mitarbeitern keine Notiz zu nehmen, nur weil sie vielleicht keine bestimmte Schulausbildung haben oder an dieser oder jener Stelle im Unternehmen tätig sind.
In unseren Unternehmen gibt es sehr wenig Oppositionsgeist. Von Opposition allein kann bei uns niemand leben.
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Streik in der Toyota Motor Company in 1950 und weiter
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, als seien die Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft in Japan grundsätzlich ungetrübt, weil dies nicht immer zutrifft.
Die Toyota Motor Company zum Beispiel wurde 1950 so lange bestreikt, bis die Unternehmensleitung zurücktrat. Seit Kriegsende gab es hier und da immer wieder größere, wenngleich nur kurze Streiks. Auch heute wird in Japan praktisch jeden Tag irgendwo gestreikt.
Man geht zwar sehr schnell wieder an die Arbeit, doch der Unternehmer kann aus dieser Demonstration des Unwillens wertvolle Schlüsse ziehen. 1974, nach dem Öl-Embargo, erreichte Japan mit 9.663.000 verlorenen Arbeitstagen einen neuen Höchststand (in Amerika waren es damals 47.991.000 Arbeitstage gegenüber 14.750.000 in Großbritannien).
Seither ist die Zahl der durch Arbeitskämpfe verlorenen Arbeitstage rückläufig; 1984 waren es bei uns nur 354.000 Tage, während in den USA immerhin noch 8.348.000 Tage verloren gingen; in Großbritannien dagegen stieg die Zahl auf 26.564.000 Tage. Der Trend bei uns ist also relativ erfreulicher als in der amerikanischen Industrie.
15 Jahe SONY und bei uns wurde gestreikt .....
Eigene Erfahrungen mit Streikenden machte ich nur 1961, ausgerechnet zur Feier des 15. Firmengeburtstags, und das kam so:
Die Gewerkschaft, der unsere Mitarbeiter zunächst angehörten, war fest in der Hand der Linken, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, just in jenem Jahr bei Sony die Zwangsmitgliedschaft durchzusetzen.
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Ziel war die Zwangsmitgliedschaft aller Mitarbeiter
Doch genau das wollte ich mir nicht gefallenlassen. Ich nahm daher die Herausforderung an. »Die Zwangsmitgliedschaft bedeutet die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte«, erklärte ich. »Wenn jemand zum Beispiel eine andere Gewerkschaft gründen will, so ist das sein gutes Recht. Denn das ist Freiheit; das ist Demokratie.«
Ich verstand durchaus, daß die Gewerkschaftsführer auf Grund ihrer zunehmenden Stärke die Auseinandersetzung dramatisieren wollten. Ich selbst wollte dies ja auch.
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Am 7. Mai, dem Tag der Firmengründung von SONY
Die Gewerkschaftsführer wußten, daß wir den 7. Mai, den Tag der Firmengründung, feiern wollten, und nahmen wahrscheinlich an, sie könnten uns zum Einlenken bewegen, sobald sie für den Festtag mit Streik drohten.
Es war nämlich kein Geheimnis, daß wir sehr viel Wert auf eine harmonische Feier legten. Ich jedoch sah die Dinge in einem etwas anderen Licht. Mir war bekannt, daß viele unserer Angestellten, die ich größtenteils persönlich kannte, genügend gesunden Menschenverstand besaßen, einen gewerkschaftsfreien Betrieb vorzuziehen.
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Meine Meinung über das Ziel dieser Gewerkschaft
Nicht weniger bekannt war mir, wie viele von ihnen der politisierten Gewerkschaft gern den Rücken gekehrt und sich einer verantwortungsbewußteren Arbeitnehmervertretung angeschlossen hätten. Im vollen Vertrauen auf unser gutes Verhältnis zu unseren Beschäftigten meinte ich nicht zulassen zu dürfen, daß gutwillige, dem Unternehmen gefühlsmäßig verbundene Mitarbeiter von einigen wenigen maßlosen Radikalen gesteuert würden.
Also zeigte ich unnachgiebige Härte. Die Gewerkschaftsführer glaubten an einen Bluff. Sie waren überzeugt, daß ich im Interesse einer ungetrübten Jubiläumsfeier im letzten Augenblick nachgeben würde.
Wir gedachten die Feierstunde übrigens in der Hauptverwaltung abzuhalten und hatten dazu bereits zahlreiche Persönlichkeiten, unter anderem auch Ministerpräsident Hayato Ikeda, eingeladen. Wir führten mit der Gewerkschaft zahlreiche Gespräche, aber je näher der Festtag rückte, um so halsstarriger gaben sich die Herren.
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Diesen verhandlungs-Hickhack nennt man auch Pokern
Es war beinahe so, als ob ihnen an einer Einigung gar nicht gelegen wäre. Sie glaubten wohl, uns zum Nachgeben zwingen zu können, denn wir würden ja das Gesicht verlieren, wenn wir versuchten, trotz der Streikposten in den Straßen das Firmenjubiläum zu feiern.
Ich ließ sie im Dunkeln tappen und hielt noch am Abend vor dem Festtag bis zum letzten Augenblick an meiner Verhandlungsposition fest. Schließlich stürmten die Gewerkschaftsführer voller Wut aus dem Verhandlungssaal. Am nächsten Morgen waren rings um unser Verwaltungsgebäude zahlreiche Streikposten aufgezogen.
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Streikwillige unserer Gewerkschaft und andere, die man zur Verstärkung herangeschafft hatte, verstopften die Straßen. Manche trugen Transparente; die Kritik verschonte Ikeda ebensowenig wie Sony.
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Hunderte loyaler Sony-Mitarbeiter demonstrierten dagegen
Nun hatten aber einige unserer Ingenieure die Gründung einer eigenen Gewerkschaft geplant und waren mit Fahnen und Transparenten, die nun allerdings den Standpunkt der Geschäftsleitung vertraten, ebenfalls in großer Zahl aufmarschiert. Hinter ihnen scharten sich Hunderte loyaler Sony-Mitarbeiter.
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In Japan immer noch schlim, sein Gesicht zu verlieren
Als ich, zur Feier gerüstet, mich an einem Fenster meines Büros zeigte, Ikeda und die übrigen Gäste jedoch vor fuhren, glaubten die Streikenden, sie hätten uns eine Verschiebung des Festakts aufzwingen können. Sie mußten bald erkennen, daß sie sich getäuscht hatten.
Unsere Verhandlungsdelegation, die während der gesamten Auseinandersetzung im Gebäude der Hauptverwaltung übernachtet hatte, rief nach dem Auszug der Gewerkschaftsführer alle 300 geladenen Gäste an und informierte sie, daß die Feier am nächsten Vormittag im nahegelegenen Prince-Hotel stattfinden würde.
Der Premierminister und alle anderen trafen dort unbehelligt ein; die Party selbst wurde ein großer Erfolg (Ibuka hatte die Begrüßung der Gäste übernommen).
Als die Streikenden bemerkten, daß wir sie überlistet hatten, waren sie es, die das Gesicht verloren hatten. Ich selbst verließ das Gebäude durch eine Hintertür und erreichte das Hotel noch vor Ende der Party. Man empfing mich mit Beifall.
Ministerpräsident Ikeda meinte, es sei dankens- und anerkennenswert, daß und wie Sony den Radikalen getrotzt habe.
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Die Gewerkschaft blies den Streik ab.
Es wurde, wie schon angedeutet, eine neue Arbeitnehmervertretung gegründet. So gibt es im Sony-Stammunternehmen jetzt zwei Gewerkschaften - mit der alten ist bisweilen nur sehr schwer zu verhandeln -, aber die Mehrheit unserer Mitarbeiter ist trotzdem nicht organisiert. Auf unser Verhältnis zur Belegschaft hat weder das eine noch das andere Einfluß.
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