von Gert Redlich in 2015 - Es geht hier weniger um "Kinder", als eher um die halb erwachsenen Jungen und Mädchen, aber vor allem um die damals jungen Frauen und jungen Männer, die die Zeiten des 2. Weltkrieges (das waren 6 lange Jahre) und dann die Katastrophe am Ende leibhaftig miterlebt hatten.

Und die - aus unserer Sicht, also den nach 1945 Geborenen, wir sind ja deren Kinder - viele "unsichtbare psychische Schäden" behalten hatten und haben. Teilweise sind es ganz herbe Dellen oder gar Löcher in der Psyche, teils scheinen sie harmlos, teils sind sie fast schon gefährlich. Und es betraf so gut wie alle Überlebenden dieser Jahrgänge.

Bei den jüngeren "Kriegskindern" von 1936 bis 1945 (Bild rechts) war es ganz eklatant, weil diese Generation ja komplett in der suggestiven NS-Propaganda des 3. Reiches aufgewachsen waren und weil sie nichts Anderes kannten als Tag und Nacht nur : "Ein Volk, ein Reich, ein Führer".

Bei den etwas älteren Jahrgängen, etwa die Geburtsjahre 1915 bis 1920, war vielfach noch ein Rest Beurteilungsvermögen übrig geblieben. Doch auch dort regierte ab 1936/37 die Angst, etwas "Falsches" zu denken und das vielleicht "der oder dem Falschen" zu sagen und dafür bitterste Konsequenzen zu erwarten.
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In der Zeitzeugen-Historie unseres Vaters Gerhard Redlich habe ich einen Teil schon erzählt, wie Ende 1945 (und sogar bis 1955) die jungen Soldaten aus den entferntesten Ecken der Welt in das nahezu völlig zerstörte Hamburg oder Berlin zurück "gebracht" wurden und erstmal zutiefst geschockt und fast gelähmt und apathisch bis teilnahmslos vor den gigantischen Trümmerwüsten gestanden hatten.

Etwa 50 Jahre später tauchen aus den USA private (und eigentlich verbotene) Bilder (historische Fotos) auf, von jungen amerikanischen Soldaten aus dem Berlin von 1945, die beim Anblick der Trümmer richtige Tränen in den Augen hatten - soetwas - wie hier in Berlin gesehen - sprengte sogar bei den verwöhnten Amerikanern jede Vorstellungskraft.
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• Einer dieser amerikanischen "Teenager", ein Soldat von vielleicht 20 Jahren, schrieb auf die Rückseite des Fotos aus dem Berlin vom Herbst 1945 : "Mam, I have seen the hell." - Auf Deutsch : "Mama, ich habe die Hölle gesehen." Und die meisten der Amerikaner waren damals bereits - wie auch heute immer noch - sehr (evangelisch protestantisch) religiös.

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Unsere Mutter Valeria Redlich wurde 1919 in Berlin geboren. Unsere (Groß-)Eltern - die 28 Jahre alte Helene Therese Urban (Berlin März 1892 - 11-1972 †) und der 39 Jahre alte Eduard Schandl (Pilsen März 1880 - Berlin Buch 03-1960 †) lebten bereits in einer kleinen Berliner Wohnung (unverheiratet !) zusammen, ein absolutes Unding zu damaligen verlogenen "keuschen" Zeiten. (Vergleiche mit der Story der beiden ZDF Trilogien "Ku'damm 56" und "Ku'damm 59" sind durchaus angebracht - und wirklich absolut sehenswert.)

In der Großstadt Berlin fiel das zu jener Zeit nicht sofort auf. Sie heirateten noch schnell - also kurz vor der Geburt der Tochter Valeria - und zogen dann nach Berlin-Mitte (N4) in die Tieckstrasse Nr. 7 - in eine ganz normale damals noch bezahlbare etwas größere Arbeiterwohnung im 2. Stock.

Die frühe Jugend verlief eigentlich unspektakulär, außer daß bei dem selbständigen Schneidermeister - Papa Eduard Schandl - das Geld immer sehr sehr knapp war.
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In der Berliner Tieckstrasse und in den vielen Neben- strassen lebten jüdische Ärzte, Anwälte, Selbständige, Arbeiter und auch Angestellte - eine Mittelschicht quer durch fast alle Berufe. Laut unserer Mutter Valeria (roter Pfeil im Bild) war es nie der Rede wert, wer welcher Religion angehörte und wer seinem Stammbaum nach jüdische Wurzeln hatte - also von den strammen Behörden "dorthin" irgendwie zugeordnet wurde.

Doch mit 17 Jahren so um 1936/37 wurde es für die junge Valeria merkwürdig komisch, als die erste Freundin sich ganz traurig unter Tränen verabschiedete - sie würden umgesiedelt - und daß dann nie wieder ein Lebenszeichen aus dem neuen Domizil kam.
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Na, ja, vielleicht sollte es so sein. Als dann die zweite und dann die dritte Freundin mitsamt der Eltern über Nacht "verschwand" und die Wohnungen offen leer standen, wurde Valeria hellhörig und fragte bei den Nachbarn und ihrer Mutter nach. Warum haben die nicht mal Tschüss gesagt ? Sie war(en) doch meine Freundin(nen).

"Kind" frag nicht, der Führer weiß schon, was er tut. Und unsere Oma Helene war mit Sicherheit kein "Führer"-Fan. Unsere Oma Helene konnte nämlich schreiende Männer mit sich überschlagenden Stimmen nicht leiden. - Aha, da passierte also etwas sehr Merkwürdiges, erzählte mir meine Mutter fast 40 Jahre später, etwas, das sie damals nicht verstand. Und fragen durfte und sollte sie niemanden, "Kind - um Gottes Willen - halt den Mund ! Papa bekommt Probleme.".
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• An dieser Stelle muß ich etwas Wichtiges zum Verständnis einfügen :
  Der Vater unserer Mutter (Opa Eduard Schandl) kam noch vor 1913 aus Pilsen (Tschechoslowakei) nach Berlin und hatte einen tschechischen Paß. Das war extrem "hilfreich" im 1.Weltkrieg, weil er nicht zur deutschen Armee eingezogen werden konnte. Er war ja nirgendwo in den Verzeichnissen der deutschen Bürger aufgeführt. In der Tschechoslowakei war er aber auch nirgendwo aufzufinden, die konnten ihn also auch nicht zum Militär einziehen. In der Familie Schandl in Pilsen wurde neben Tschechisch auch Deutsch gesprochen.
  
  
• Seinen Paß behielt er - obwohl ab 1919 mit einer Deutschen verheiratet - auch weiterhin, sodaß er auch in der NAZI-Zeit (mit viel Glück) durch alle Raster gefallen war. Und unsere Oma hatte Angst, daß bei weiterem bohrenden Nachfragen der Tochter nach verschwundenen jüdischen Familien "schlafende Hunde" bei der Gestapo geweckt würden.
  
  
• Die Haus-"warte", Block-"warte" und Gau-"warte" der NSDAP waren in der Regel besonders überzeugte und stramme akribische Nazis, also keine Mitläufer, sondern bösartige Denunzianten höchsten Grades und oft auch noch die Dümmsten in der ganzen Strasse. Und die "Wände" hatten fast überall "Ohren", die allen Juden und deren Freunden hinterherspührten. Im Prinzip hatten fast alle Volksgenossen, Reichsbürger bzw. Einwohner Angst.

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Die junge Dame ganz rechts außen - ich kenne nicht mal ihren Namen - hat es dann am 9. Juni 1937 drauf geschrieben, als wenn sie es geahnt hatte, sie alle und ihre Familien kamen nie wieder zurück.
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• "Meine erste Tätigkeit belief sich 1936 auf ein paar Wochen bei der Radio-Firma Alex v. Prohaska, Berlin Gleimstraße 20 (Prenzlauer Berg) als Kontoristin und Stenotypistin. Danach beschäftigte mich die Firma Grass & Worff (Grawor), Berlin SW68 als Stenotypistin und Kontoristin.
  
  Da mir die Firma zu klein war, ging ich zum 1.10.1937 zur "Universum Film AG". Berlin. In der Tochtergesell- schaft der UFA, in der UFA-Handelsgesellschaft Berlin SW 19 Krausenstrasse Nr. 38/39 fand ich einen schönen und guten Arbeitsplatz - in den ersten 3 Jahren als Stenotypistin und in den letzten Jahren bis April 1945 (Kriegsende) als Korrespondentin und Sachbearbeiterin für die gesamte reichsdeutsche Kinobranche."

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Unsere Mutter Valeria konnte sich nicht mehr erinnern, ob die Reichskristallnacht vor oder nach der Deportation ihrer Freundinnen und deren Eltern statt fand. Am Ende war der Metzger weg, dann der Zahnarzt, der praktisch Arzt, der Apotheker, der Goldschmied und auch einige Lehrer fehlten auf einmal.

Von den allermeisten wußte fast niemand, daß die jüdischen Glaubens oder von jüdischer Herkunft gewesen sein sollten. Und auf Anordnung der Eltern sollte man darüber auf gar keinen Fall mit irgend jemandem reden, das würde dem Vater, Papa Schandl (er kam ja aus Pilsen aus der Tschechoslowakei und hatte seinen tschechischen Paß behalten - also aus dem späteren Protektorat Böhmen) große Probleme bereiten.

Sie sollte das (Gesehene und Gehörte) alles für sich behalten. Doch die Aufmerksamkeit war angefacht. Was tat sich noch alles an Merkwürdigkeiten ?

So ab Mitte 1938 gab es ganz langsam keine Butter mehr zu kaufen, in ganz Berlin! Gut, Butter war eh ein teures Privileg für Sonntags gewesen. Und auch elegante dünne Frauenstrümpfe - Nylons - (für Mutters hübsche und schlanke Beine) waren extrem rar geworden. An Parfum oder Schminke oder Lippenstift oder Seidenschals und andere Wohlstandsgüter wurde sowieso schon lange nicht mehr gedacht, also nicht mal mehr davon geträumt..

Schneidermeister Papa Schandl hatte Probleme, guten Stoff für seine Anzüge - also für die Anzüge seiner Kunden - einzukaufen. Anfang Winter 1938 wurden auch noch ganz normale Wolldecken rar, es gab auf einmal keine mehr.

Dennoch - so richtig unangenehm oder gefährlich wurde es nicht, nur überall ein wenig "sonderbar" - Tendenz steigend.
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Inzwischen hatte die sehr hübsche 18jährige Valeria eine Anstellung in der Vertriebs-Zentrale der großen - aber dem Göbbels-Ministerium (dem "Promi") untergeordnet - Berliner Film- und Kino- Firma UFA Handel im Sekretariat der Kino- Verwaltung in der Krausenstrasse bekommen.

Sie hatte bei der Stenographie-Prüfung alle Wettbewerberinnen ausgestochen, sie war die Schnellste. Und dort bei der großen UFA gab es anfänglich (vor Kriegsausbruch) noch eine ganze Menge attraktiver junger Männer.
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• Anmerkung : Lesen Sie dazu auch die Biographie des UFA Mitarbeiters Heinz Frick - "Mein Gloria Plast - das Kino vom Kurfürstendamm"

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Anscheinend gab es - wie heute bei uns immer noch, von zurückgezogen und fleißig bis hin zu gestylten Sunnyboys und Lebemännern - eine große Auswahl - es war eben alles vertreten. Vor allem die Kino- Verkäufer klopften Sprüche über Sprüche und hatten bereits am 20. des Monats kein Geld mehr und mußten die soliden Kollegen anpumpen.

Es ging auch 1939 (scheinbar) immer noch "aufwärts" und in Deutschland wurden ohne Ende Kinos gebaut (wie weiter oben gesagt, die UFA war eigentlich Teil des Göbbels-Ministeriums) - und das Geschäft der UFA- Handel florierte prächtig.
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Bereits im Juni 1940 passierte etwas völlig Unvorstellbares. In der Hauptstadt des siegreichen Deutschland fielen vier oder sechs einsame englische Bomben aus dem Himmel. Im August 1940 sollen dann nochmals ein paar englische Bomben auf Berlin gefallen sein. Die Tieckstrasse 7 lag ja genau in Berlin Mitte und auf einmal wurden merkwürdige Gänge und Durch- brüche von Haus zu Haus gegraben und überall Eisenplatten vor die Kellerfenster geschraubt.

So langsam ging die Angst um (eigentlich wurde die sowieso schon vorhandene Angst nur noch weiter gesteigert) und der viel zu fett gewordene Reichsminister Herrmann Göring wollte nun doch nicht mehr "Müller" heißen, wenn nur ein einziges feindliches Flugzeug über das Reichsgebiet fliegen würde.

Doch die Angriffe wurde häufiger und die Ungewissheit nagte Tag und Nacht an den Nerven, wann "sie" - die feindlichen Engländer - denn nun wieder kommen würden. Und unsere Mutter samt Oma und Opa mußten immer öfter - am Tage und auch Mitten in der Nacht - runter in den Keller.

Im Januar 1943 ging es dann richtig los - mit der Hölle, mit dem täglichen Luftalarm- Sirenengeheul und großen lang andauernden Bombenangriffen und dem "runter in den Keller", und wieder "raus aus dem Keller".

Das Haus Tieckstrasse Nr.7 hatte 5 oder 6 Stockwerke - wie fast alle Wohnhäuser in dem ganzen Block - und wenn solch ein Haus getroffen wurde und zusammen brach, waren die im Keller befindlichen Bewohner stundenlang eingeschlossen. Es entwickelte sich fast immer panische Hysterie. Unsere Mutter versuchte, mir zu erklären, was sich da unten in den schnell hergreichteten "Luftschutz"- kellern und in den Gedanken der Wartenden abspielte.

Wenn also oben drüber oder in einem der Nachbarhäuser eine richtige dicke Bombe (Landmine) rein krachte, erzitterte der ganze Keller minutenlang, während das Haus zusammenbrach und aus allen Ritzen rieselte der Staub runter, das Licht flackerte und ging dann für einige Sekunden lang oder für immer aus. Und dann kam oft die Panik. Ich konnte es dennoch nicht verstehen oder nachfühlen, offensichtlich muß man soetwas selbst real erlebt haben.
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Anmerkung dazu : Selbst im fast größten Wiesbadener Kino im Arkaden am Ring mit der 6 x 1.200 Watt THX Anlage (mit gewaltigen 8 Stück 48cm Bässen vorne unter der Bühne) und dem aktuellen James Bond 007 (im Jahr 2014) fehlt die reale wirkliche Angst, nicht mehr rechzeitig aus dem Kino raus zu kommen (falls der Saal einstürzt).

Es ist bzw. war ja alles nur fiktive Angst-Mache, also ein virtuelles Spaß-Erlebnis und ein "Gaudi" - mit (gewöhnlich) gutem Ausgang. James Bond hatte immer gewonnen. Nur waren die überlebenden Deutschen im April 1945 nicht auf der Seite "des Siegers", sie waren die 12 Jahre lang indoktrinierten und haushohen Verlierer.
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Ihre verbliebenen (arischen) Freundinnen und ihre jungen weiblichen Verwandten fingen an, sich plötzlich - und oft unverhofft - zu verloben und wie verrrückt irgend einen "Freund" zu heiraten.

Auch die 23-jährige Valeria heiratete im Herbst 1943 ihren UFA- Kollegen "Gerhard" Redlich während seines Fronturlaubes (einen Kollegen, den sie aber bereits etwas länger kannte).

Ihr ebenfalls sehr sympatischer UFA Kollege und vorheriger Freund "Gerd" kam bereits Anfang 1942 mit nur einem Arm von der Front zurück - als blutjunger Krüppel - zurück zum UFA Innendienst.

Und wieder war bei einem jungen Mann ein Traum geplatzt.

Auf der Rückseite der beiden Fotos (sie liegen hier vor mir) schreibt er dennoch verträumt :

• 1943 - Es sollte wohl nicht sein - Dein Gerd
• 1944 - im Dezember - Nimm mich so, wie ich bin - in ganzer Liebe - Dein Gerd

Ob er wußte, daß unsere Mutter Valeria bereits seit Herbst 1943 verheiratet war ?

Ab Mitte /Ende 1943 (also nach dem Desaster von Stalingrad im Februar 1943) wurde es bitter ernst. Die Allermeisten - also die Bewohner der Städte und die nicht ganz Verblendeten - hatten es inzwischen realistisch erkannt. Wie wir heutzutage aus den überlieferten Akten wissen, wußten die deutschen Generäle seit März 1943, daß dieser 2.Welt-Krieg jetzt (auch) bereits verloren war. Mit dem Ende von Stalingrad im Februar 1943 hatte sich der Siegeswind fürchterlich in einen Gegenwind, ja einen fürchterlichen feindlichen Sturm, gedreht. Die Amerikaner waren jetzt mit im Boot - aber im anderen Boot.

• Anmerkung : Aus den beiden Büchern (aus der "nach der Wende" Zeit) von Gerhard Ronneberger ("Deckname Saale" 1998) und von Alexander Schalck Golodkowski wissen wir inzwischen, daß die greisen alten ostzonalen Partei-Bonzen im Politbüro und im Zentralkommitee der SED in Ost-Berlin im Jahr 1980 auch bereits darüber diskutiert hatten, das daß "System DDR" komplett pleite war und nur von denen noch keiner wußte, wann es richtig knallen und ins Chaos abrutschen würde.

Im 3. Reich nach 1939 galt : Aber um Gottes willen nur den Mund halten, sich nur nichts anmerken lassen, auch wenn Papa Schandl Nachts mit Hilfe der BBC die echten "Frontbegradigungen" mit den deutschen Führerhauptquartier- Meldungen verglich. An den Wochenenden ging es ab Ende 1943 immer ganz weit raus aus dem Zentrum - nach Berlin- Karow (in Berlin Nord-Ost noch hinter Pankow und Blankenburg kurz vor Buch) - in die ungemütliche zugige kalte Gartenlaube, aber das war inzwischen "sicherer".
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Inzwischen war fast alles verboten, insbesondere Wasser oder Elektrizität zu "verschwenden", Radio aus der ganzen Welt zu hören, Juden die Hand zu geben, über Politik zu diskutieren (Feind hört mit), sich mit Kolleginnen (die Männer waren jetzt fast alle an der Front) nach der Arbeit über die Arbeit zu unterhalten und was noch alles. Auch das Sprechen über die Wahrheit oder gar das Schreiben darüber war höchst gefährlich. (siehe die Postkarte rechts)

Die allermeisten Kolleginnen waren bereits durch die anhaltende Schlaflosigkeit leicht agressiv, wegen der extrem vielen Fliegeralarme genervt und überreizt und damit natürlich anfällig für das sogenannte "falsche" Wort. Besonders aggressiv und unnahbar waren die jungen mit ihrem Schiksal hadernden Krieger-Witwen und derer gab es ja immer mehr.

Die Männer waren in den entferntesten Ecken der Welt, sofern sie überhaupt noch lebten. Valerias Ehemann - unser Vater Gerhard Redlich - war ganz ganz oben in Finnland am Ende der Welt. Der Ehemann der Cousine Hildegard - Walter Zolldan - war zuletzt als Hauptmann an der Ostfront bis kurz vor Moskau angkommen und irgendwann zum Ende 1942 wurde er plötzlich vermißt - für immer. Die kleine Tochter Annegret war bereits 1 Jahr alt und hat den Vater nie gesehen.

Das resultierte in einem bestimmt 10 Jahre langen Heulen, Weinen, Hoffen und Bangen. - Doch, er kam nie wieder. Für die Männer an der Font wurden von der Heeresleitung verrufene Front-Bordelle eingrichtet - und was war mit den ebensolchen Bedürfnissen der vielen einsamen Frauen Zuhause im "Großdeutschen Trümmer-Reich" ?
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Bis dahin (März 1945) kam "das Grauen" nur von oben, doch jetzt kamen die "Tiere", hungrig auf hübsche deutsche Frauen (und auch auf weniger hübsche) - wie gierige Wölfe. So hatte es die Nazi- Propaganda "zur Rettung des Endsieges" an die Wände gemalt - und es stimmte wirklich.

Als nämlich das angeblich so streng geheime "Unternehmen Barabarossa" 1941 startete, hatten die Russen (aufgrund einer Vorahnung oder aufgrund von Verrat) fast 5 Millionen Männer, beileibe nicht alles ausgebildete Soldaten, hinter der rusisch polnischen Grenze vorsorglich positioniert. Die Deutschen hatten etwa 3 Millionen gut ausgebildete Soldaten dorthin zum Einmarsch geschickt. Von den jungen Russen blieben dort 1941 nicht viele übrig - und die anderen - also die überlebenden Russen - hatten das Gemetzel nicht vergessen. Überliefert ist, daß die Wehrmacht in einem Kessel fast 650.000 Russen gefangen hatte und die als Kriegsgefangene nach Deutschland verbracht wurden - als sogenannte Fremdarbeiter.

Unsere Mutter hatte sich zwar im Berliner Vorort Karow im Keller des Gartenhäuschens verkrochen, doch die Russen haben sie gefunden und ihrem Vater Papa Schandel die Kalaschnikow an den Kopf gehalten. Und sie kamen über Monate in Scharen, beinahe täglich, bis ein russischer Offizier im Nachbarhaus direkt nebenan einen rusischen Soldaten inflagranti erwischte und auf der Stelle sofort erschoß (das hatte mir unsere Berliner Oma erst viel viel später erzählt, als ich bereits 19 Jahre alt war). Dann trat endlich "Ruhe" ein.

Das alles habe ich erst erfahren, als unsere Mutter 1988/89 mit fortgeschrittenem Knochen-Krebs (bereits im austerapierten Endstadíum ) im Krankenhaus in der Palliativ-Abteilung lag und so langsam anfing, die lange unterdrückten Erlebnisse aus ihrem Leben zu erzählen.

Am Ende hatte sie 1945 zwei unerwünschte Schwangerschaften (sogenante Russen-Bastarde, so nannte man das damals) abgetrieben und das sogar überlebt, und das ohne äußerlich erkennbare (und damit unsichtbare) Wunden - mit gerade mal 26 Jahren.
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. . . . und im Juni 1949 kam ich zur Welt. Wir wurden in eine scheinbar neue heile Welt hinein geboren. Und bei Oma Helene und Opa Eduard in Berlin Karow in der Gartenlaube (Bild rechts) war die Welt noch (oder wieder) in Ordnung - jedenfalls scheinbar.

Von dem erlebten Grauen in den Köpfen und in den Herzen unserer Eltern (und natürlich auch unserer Großeltern) ahnten wir Kinder doch nichts (auch Jahre später als Heranwachsende nicht). Sie erzählten uns wenig davon

... und ... es war ja nichts zu sehen ..........

Meinem Bruder und mir ist über viele Jahre auch nicht aufgefallen, daß wir seltenst bei unserer Mutter auf dem Schoß sitzen und kuscheln, streicheln, schmusen oder schunkeln "durften".

• Schaun / klicken Sie mal auf das dritte Foto aus 1951 - zu Weihnachten - das war unsere kleine Familie - glücklich in unserer 45qm Neubau-Wohnung mit dem Weihnachtsbaum und den kleinen simplen Kinder-Geschenken, mit denen wir Kinder damals glücklich waren. Mehr war damals finanziell nicht drin. Solche Geschenke traut man sich heute gar nicht mehr zu verschenken, ohne die Beschenkten (meist deren Eltern und Großeltern) zu "irritieren".

Mein Gesprächspartner Wolfgang Hasselbach (Baujahr 1924 und Dipl. Physiker - später wurde er der in der Branche sehr bekannte Chefentwickler für Audio bei der nattürlich auch sehr bekannten BRAUN AG in Frankfurt) erzählte von seinem Einsatz auf dem Balkan, als dort 1945 die Russen mit Macht kamen und sie - die jungen 20jährigen Buben - mit ihrem Maschinengewehr in die anstürmenden Mengen der russischen Soldaten schossen - also einfach nur "reinhielten" -

und sie schossen und schossen und schossen - und daß dennoch immer neue Menschen-Mengen aus den Wäldern auf sie zu strömten.

Er würde heute noch von den Leichenbergen träumen, erzählte er mir in 2010. Er habe das nie vergessen können. Und dann seien sie selbst gerannt, als die letzte Munition - also ganze Kisten von MG-Gurten - verschossen war und immer noch weitere Mengen von Russen aus dem Wald über die teils einen Meter hohen Berge von Leichen stiegen und immer dichter heran kamen.

Wolfgang Hasselbach war da gerade mal 20 Jahre alt.
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Es waren alles "alte Leute", also genau solche Kriegs- kinder und sie hatten alle von traumatischen Erlebnissen erzählt. Sicher ist da überall inzwischen etwas Verklärung der Erinnerung dabei, doch noch kann ich mit Hilfe der Vergleiche der Erzählungen einiges rausfiltern und normalisieren. Auch kann ich inzwischen (wir haben Mai 2015) meine Fragen wesentlich gezielter stellen als vor 8 Jahren.

Als dann in 2014 in einem Gespräch im Fernsehen der Sohn des verstorbenen bei uns sehr bekannten Schauspielers und Moderators Hans Joachim Kulenkampff auch sehr zögernd von den wenigen Geschichten von seinem Vater und dessen Traumata erzählte, kam mir das bereits irgendwie sehr bekannt vor.

Wenn bei Kulenkampffs in geselliger Runde das Thema Krieg auf den Tisch kam, verschwand Vater Kulenkampff kommentarlos und schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein und kam den ganzen Abend nicht mehr raus. Erst ganz ganz spät hatte er seinem Sohn erzählt, daß er sich zwischen den aufgerichteten bereits gefrorenen Körpern seiner toten Kameraden sein mikriges Essen gewärmt hatte, während die Kugeln einschlugen - weit hinten in Russland, bei -55 Grad Kälte. Ein Erlebnis, daß er bis zu seinem Tod nie vergessen konnte. Und daß an seinen Füßen fast alle Zehen abgefroren waren, weshalb er ganz spezielle Schuhe brauchte, um richtig gehen zu können und daß er dennoch vor der Fernsehkamera lächeln konnte, wie Hans Rosenthal, dem hier in Deutschland sehr übel mitgespielt worden war.
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