Die Lebensbiografie von Akio Morita (aus 1986), dem berühmten SONY Mitbegründer - Er war "Mister Japan"
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Als meine Leidenschaft überhand nahm
Sehr bald beschäftigte mich die Elektronik so sehr, daß ich darüber meine Schularbeiten vergaß. Ich opferte meinem neuen Hobby fast meine gesamte Freizeit und baute die in den Büchern und Zeitschriften beschriebenen Teile und Baugruppen nach.
Ich träumte von einem selbstgebastelten Plattenspieler und machte mit zunehmender Erfahrung mit der neuen Technologie immer umfangreichere Experimente. Ich mußte mir alle Kenntnisse selbst aneignen; denn der Stoff, der mich wirklich interessierte, wurde damals an meiner Schule nicht gelehrt.
Dennoch gelang es mir, einen Radioempfänger und einen primitiven Plattenspieler zu basteln. Ich besprach eine Platte, so daß ich mir nun gar den Klang meiner Stimme anhören konnte.
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So wäre ich beinahe von der Schule geflogen
Meine elektronischen Basteleien nahmen mich so in Anspruch, daß ich in der Tat beinahe von der Schule gewiesen worden wäre. Meine Mutter wurde des öfteren in die Schule bestellt, um sich Klagen über meine dürftigen Leistungen im Unterricht anzuhören.
Der Direktor war über mein mangelndes Interesse an konventionellem Wissen ebenso besorgt wie verärgert. Zu meinem Jahrgang gehörten, glaube ich, zweihundertfünfzig Schüler, aufgeteilt in fünf gleichstarke Klassen. Die Sitzordnung im Unterricht entsprach der Benotung. Der Klassenprimus und die besten Schüler bekamen die hintersten Plätze zugewiesen, ganz vorn saßen die schwächsten.
Wenngleich die Rangordnung sich von Jahr zu Jahr änderte, mußte ich stets ganz vorn bei den schwerfälligen Schülern unter dem wachsamen Auge des Lehrers sitzen.
Um mit mir nicht allzu hart ins Gericht zu gehen, will ich zugeben, daß meine Leistungen in Mathematik, Physik und Chemie gut waren. Aber in Geographie, Geschichte und Japanisch lagen meine Zensuren regelmäßig unter dem Durchschnitt.
Deswegen mußte ich oft im Zimmer des Direktors erscheinen und mir Vorhaltungen über meine ungeregelte Arbeitsweise anhören. Wenn es ganz schlimm wurde, schalten mich meine Eltern, und ich mußte meine elektronischen Spielereien für eine Weile lassen. Aber sobald meine Zensuren wieder etwas besser geworden waren, wandte ich mich wieder den Dingen zu, die mir am meisten lagen.
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Eine erste Sternstunde in meinem Leben
Ich war noch in der Mittelschule, als ich in der Zeitschrift "Wireless
and Experiment" etwas über magnetische Tonaufzeichnungen las.
Zu der Zeit besaßen erst wenige Japaner elektrische Plattenspieler. Beinahe alle spielten ausschließlich unzulänglich gefertigte Schellack- oder Aluminiumplatten ab; die Stahlnadeln des Tonabnehmersystems verschlissen die Platten sehr schnell und gestatteten nur eine sehr schlechte Tonqualität.
Doch dann importierte die NHK, die Japanische Rundfunkgesellschaft, aus Deutschland ein Stahlbandgerät (das kam von Stille), das soeben auf den Markt gekommen war. Tonträger des Gerätes war ein Metallstreifen oder ein Metallband. Die Klangtreue war der von elektrischen Apparaten, wie unseres neuen Victor (Plattenspielers), weit überlegen.
Etwa zur gleichen Zeit war der Presse zu entnehmen, daß ein Dr. Kenzo Nagai von der Tohoku-Universität ein Drahtmagnetophon entwickelt hatte.
Neuentwicklungen auf diesem Gebiet, die damals stets in der Presse besprochen wurden, interessierten mich sehr. Da mich der Einfall, meine eigene Stimme aufzunehmen, sofort faszinierte, beschloß ich, ein Drahttongerät zu bauen.
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Die unbekümmerte Begeisterungsfähigkeit der Jugend
Ich hatte praktisch nicht die geringste Ahnung, besaß aber die unbekümmerte Begeisterungsfähigkeit der Jugend. Also beschaffte ich mir eine Klaviersaite und machte mich an die Arbeit.
Die erste, zumindest aber schwerste Herausforderung lag in der Konstruktion und Fertigung eines Aufnahmekopfes. Ich arbeitete ein ganzes Jahr daran, probierte dieses und jenes, aber nichts gelang.
Später erfuhr ich, weswegen mir der Erfolg versagt blieb: der »Kopfspalt«, d. h. die Stelle, von der Ton in Gestalt eines elektronischen Signals auf den Träger (den Draht) gebracht wird, war zu breit, so daß das Signal sich verlor, ehe es aufgefangen werden konnte.
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Es lag an dem gehimnisvollen Vormagnetisierungsstrom
Ich kannte weder das von Dr. Nagai perfektionierte Prinzip des Vormagnetisierungsstroms, noch wußte ich, wie man den dazu erforderlichen Strom erzeugte. Den mir seinerzeit zugänglichen Büchern und Zeitschriften war darüber nichts zu entnehmen, und mein eigener Kenntnisstand reichte nicht aus.
Ohne also mehr als ein paar einfache Grundkenntnisse zu besitzen und wenige einfache praktische Anwendungsmöglichkeiten zu kennen, wurstelte ich weiter. Meine Fehlschläge waren enttäuschend, aber sie entmutigten mich nicht.
Von der Mittelschule zur höheren Schule
Mit Beginn des letzten Mittelschuljahrs ließ ich meine Eltern und Lehrer wissen, daß ich mich zur Aufnahmeprüfung in die Studienstufe der 8. höheren Schule anmelden wollte.
Die Lehrpläne der japanischen Schulen entsprachen seinerzeit schon modernen Standards; das Lehrstoffangebot einer höheren Schule deckte sich mit dem eines zweijährigen Kurses eines amerikanischen College.
Mein Entschluß überraschte alle; denn trotz guter Leistungen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern war meine Gesamtnote doch recht erbärmlich.
Man erinnerte mich daran, daß ein paar schwere Prüfungen in den von mir vernachlässigten Fächern auf mich zukommen würden. Das wußte ich selbst, aber mein Entschluß stand fest.
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Ich wurde ein >ronin< - früher ein Samurai
Und so wurde ich ein >ronin<. Darunter verstand man früher einen Samurai, der keinen Lehnsherrn hatte beziehungsweise seines Lehens verlustig gegangen war.
Zu meiner Zeit und heute noch ist >ronin<, wer den falschen Weg einschlägt und sich daher unter zusätzlichem Zeitaufwand auf die Zulassungsprüfung vor einem weiterführenden Bildungsgang vorbereiten muß. Ein ganzes Jahr lang setzte ich mich hin und lernte eifriger als je zuvor.
In Englisch, höherer Mathematik und bei den japanischen und chinesischen Klassikern nahm ich Nachhilfeunterricht. Ich habe das ganze Schuljahr über buchstäblich nur gelernt und gelernt. Und ich bestand die Prüfung.
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Viel gelernt und dennoch kein Klassenprimus geworden
Gern hätte ich jetzt behauptet, daß ich auf Grund meiner gewaltigen Anstrengungen Klassenprimus geworden wäre, aber dem war nicht so. Dafür zeichnete ich mich aber auf andere Weise aus: nach dem Notendurchschnitt der hundertachtzigste meines Jahrgangs, war ich der schlechteste Schulabgänger, der je auf dem wissenschaftlichen Zweig der 8. Oberschule zugelassen worden war. Das verdankte ich einem Jahr harter, erfolgreicher Arbeit und meiner Entschlossenheit.
Die höhere Schule war natürlich kein Honigschlecken; außerdem mußte ich feststellen, daß zum Lehrplan der Studierstufe Fächer gehörten - etwa Mineralogie, Botanik und dergleichen -, die mich langweilten und nicht im geringsten interessierten.
Eine Zeitlang befürchtete ich daher schon ein erneutes Versagen; aber im dritten Jahr, als wir uns endlich spezialisieren durften, wählte ich Physik und schrieb glatte Einser. Endlich hatte ich meine wahre Liebe gefunden; meine Dozenten verehrte ich sehr.
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Das Jahr 1940 - die Welt brannte lichterloh
Man schrieb das Jahr 1940, und trotz meines Optimismus und meiner Begeisterung hätten die Zukunftsaussichten gar nicht trüber sein können. Die Welt brannte lichterloh.
Auf dem europäischen Kriegsschauplatz hatte Frankreich vor der deutschen Wehrmacht die Waffen gestreckt; die Luftwaffe flog Bombenangriffe gegen England, und Winston Churchill konnte seinen Landsleuten lediglich >Blut, Schweiß und Tränen< versprechen.
Japan war auf dem Weg in die Katastrophe, wenngleich der Zensur wegen alle Lageberichte und Meldungen positiv ausfielen. Wir Schüler kümmerten uns nicht besonders um Weltprobleme, nicht einmal um die Innenpolitik; aber die Militärregierung hatte im Jahre 1938 ein Mobilisierungsgesetz verkündet.
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Japan war die dominierende Macht Asiens
Als ich im selben Jahr auf die Studienstufe überwechselte, war Japan bereits die dominierende Macht Asiens. Zu Hause waren die traditionellen politischen Parteien allesamt aufgelöst worden.
Als die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten den wirtschaftlichen Druck auf Japan verstärkten und ein Abreißen der Rohstoff- und Ölzufuhr drohte, beschloß Japan, Amerika mit Krieg zu überziehen, falls die Sicherung der nationalen Existenz und der Kontrolle über die Staaten, die von Japan in den sogenannten "Großostasiatischen Wirtschaftsraum" gepreßt worden waren, kampflos nicht möglich sein sollte. Große geschichtliche Ereignisse bahnten sich an, mich aber interessierte ausschließlich die Physik.
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Gakujun Hattori, einer meiner Lieblingslehrer
Einer meiner Lieblingslehrer, Gakujun Hattori, verfolgte meine Leistungen mit großer Befriedigung. Da er wußte, daß ich nach der höheren Schule Physik studieren wollte, wandte ich mich zu gegebener Zeit an ihn, um mich in Fragen der Universitätswahl beraten zu lassen.
Professor Hattori kannte einige Dozenten der Kaiserlichen Universität Osaka, darunter berühmte Forscher wie Hidetsugu Yagi, Erfinder der Yagi-Antenne, die bei der Entwicklung der modernen Radartechnik eine entscheidende Rolle spielte.
Zum Lehrkörper gehörte auch Professor K. Okabe, der das Magnetron erfand, mit dem sich erstmals Mikrowellenenergie erzeugen ließ.
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Wollen Sie Tsunesaburo Asada kennenlernen ?
»Morita«, sagte Professor Hattori eines Tages zu mir, »Tsunesaburo Asada, einer meiner Klassenkameraden, lehrt jetzt in Tokio und Osaka. Er gilt als der herausragende Wissenschaftler auf dem Gebiet der angewandten Physik.
Falls Sie Physik studieren wollen, dann müssen Sie ihn unbedingt kennenlernen. Wollen Sie ihn während der Sommerferien nicht einmal aufsuchen? Ich könnte das für Sie arrangieren.«
Das war eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Gleich nach Ferienbeginn eilte ich nach Osaka zu Professor Asada.
Er gefiel mir bereits, kaum daß ich den Fuß in sein unordentliches Büro gesetzt hatte. Der Professor, ein kleiner, rundlicher Mann mit vergnügt blitzenden Augen, hatte die in Osaka übliche harte, nasale Aussprache.
Es war offenkundig, daß er gern einen Witz hörte oder erzählte, und obwohl Asada ein hervorragender Fachmann war, spielte er sich nicht als gestrenge oder herablassende Magnifizenz auf. Er war ein Original.
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Professor Asada war anders als die anderen Professoren
In Japan bringt man Lehrern Respekt, sogar Ehrfurcht entgegen, und die Herren nehmen ihre privilegierte Position für gewöhnlich sehr ernst.
Professor Asada jedoch schien sein besonderer Status nichts zu bedeuten. Wir kamen von Anfang an hervorragend miteinander aus. Die Bekanntschaft dieses wunderbaren Mannes war ausschlaggebend für meinen Entschluß, in Osaka zu studieren, obwohl die Universitäten Tokios oder Kiotos weitaus berühmter waren.
Tokio wie Kioto hatten gute naturwissenschaftliche Fakultäten; die Lehrstuhlinhaber für Physik genossen zwar einen landesweiten Ruf, galten aber als doktrinär oder altmodisch. Zumindest in meinen Augen.
Professor Asada zeigte mir sein Laboratorium und unterzog mich einer Art mündlicher Prüfung - er wollte wissen, was ich wußte, welche Experimente ich gemacht, welche Geräte ich schon gebaut hatte, wofür ich mich interessierte.
Und dann erzählte er mir, woran in seinem Labor gearbeitet wurde. Daraufhin stand mein Entschluß fest. Professor Asada, der mir seine Projekte in aller Offenheit schilderte, arbeitete unter anderem an drahtloser Telefonie mit Hilfe von Hochdruck-Quecksilberlampen. Er demonstrierte mir, wie sich ein hochenergetischer Lichtstrahl durch Niederfrequenzen modulieren läßt.
Wie gesagt, mein Entschluß stand fest. Bei diesem hervorragenden, selbstsicheren, erstaunlich lockeren und umgänglichen Wissenschaftler wollte ich studieren.
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Osaka wurde zum Mekka aller wißbegierigen Studenten
Auf dem Gebiet der modernen Physik wurde Osaka zum Mekka aller wißbegierigen Studenten und Experimentatoren. Osaka hatte von allen japanischen Universitäten die jüngste naturwissenschaftliche Fakultät und verfügte daher über die modernsten Einrichtungen.
Da auch die Universität selbst noch jung war, zählten viele Professoren und Dozenten zur jüngeren Generation. Die meisten von ihnen waren weder engstirnig, noch hielten sie an überholten Vorstellungen fest.
Daß ich mich nicht für ein wirtschaftswissenschaftliches, sondern für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden hatte, enttäuschte meinen Vater. Seiner Auffassung nach hätte ich, wenn es schon die Naturwissenschaften sein mußten, wenigstens Lebensmittelchemie studieren sollen, ein Fach, das mit dem Braugewerbe zumindest ein paar Berührungspunkte aufwies.
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Physik, die elementarste aller Naturwissenschaften
Für mich jedoch kam nur die Physik, die elementarste aller Naturwissenschaften, in Betracht. Mein Vater versuchte nicht, mich umzustimmen, aber ich bin überzeugt, daß er nach wie vor hoffte, ich würde zu gegebener Zeit die mir zugedachte Rolle im Familienunternehmen übernehmen.
Er glaubte wohl, daß ich in der Physik letztlich nicht mehr als ein Hobby sehen würde, und so manches Mal befürchtete ich dasselbe.
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Inzwischen hatte der Krieg mit Amerika begonnen
Als ich das Universitätsstudium aufnahm, befand sich Japan bereits im Krieg; Professor Asadas Laboratorium wurde zu einem Forschungsinstitut der Kriegsmarine gemacht. Ich experimentierte weiter, schwänzte aber möglichst viele Vorlesungen, um mehr Zeit fürs Labor zu gewinnen.
Da die Vorlesungen der meisten Professoren langweilig waren, sie allesamt aber Bücher und Schriften publiziert hatten, konnte ich alles, was mir im Hörsaal entging, jederzeit nachlesen.
Auf diese Weise blieb mir mehr Zeit fürs Labor als den übrigen Studenten. Professor Asada unterwies mich gründlich, und nach einiger Zeit konnte ich ihm bereits bei kleineren Arbeiten für die Marine zur Hand gehen.
Meistens hatten wir es dabei mit Elektronik zu tun, kamen daher der wahren Physik also näher, als wenn wir mit den alten elektrischen oder elektro-mechanischen Schaltungen hätten arbeiten müssen.
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Professor Asada galt als die Koryphäe der angewandten Physik
An der Universität galt Professor Asada als die Koryphäe der angewandten Physik; auch die Presse bat ihn oft, fachbezogene Leseranfragen zu beantworten. Schließlich schrieb er eine wöchentliche Kolumne über den letzten Stand der Forschung und Technologie, soweit er nicht der Geheimhaltung unterlag.
Viele Leser baten ihn daraufhin um seine Beurteilung ihrer Vorstellungen vom wissenschaftlich Machbaren. Die Kolumne wurde sehr beliebt und fand ein reges Echo.
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Ich half Professor Asada nicht nur oft bei seinen Forschungsarbeiten; manchmal durfte ich, wenn er überlastet war, seine Kolumne selbst verfassen.
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Meine Kolumne über die Theorie der atomaren Energie
Ich erinnere mich, bei der Gelegenheit das Problem der Atomenergie behandelt zu haben: »Wenn man atomare Energie entsprechend einsetzt, könnte man sie zu einer extrem schlagkräftigen Waffe machen«, hatte ich geschrieben.
Der Gedanke an Atomkraft oder eine Atomwaffe schien damals sehr weit hergeholt. In Japan gab es seinerzeit zwei Zyklotrone; Fortschritte bei der Erzeugung einer atomaren Reaktion kamen nur sehr langsam voran.
Soweit ich wußte, ließen sich in Japan nur wenige Milligramm U-235 pro Tag separieren. Nach meiner Hochrechnung brauchte man zwanzig Jahre, um das für den Bau einer Bombe nötige Material zu sammeln. Natürlich wußte ich nicht, wie weit die Wissenschaft in den Vereinigten Staaten und Deutschland bereits vorangekommen war. Kein Japaner hatte je etwas vom Manhattan-Projekt gehört.
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Kontakte zu Marineoffizieren vom Luftfahrttechnischen Zentralamt
Da Dr. Asada, wie erwähnt, teilweise auch im Auftrage der Kaiserlich Japanischen Marine forschte, kam ich als sein Helfer auch mit mehreren Marineoffizieren vom Luftfahrttechnischen Zentralamt in Yokosaka bei Yokohama in Berührung.
Mein Studienabschluß stand bevor, ohne daß mich bislang ein Einberufungsbescheid erreicht hätte. Von einem der Offiziere erfuhr ich, daß sich diplomierte Physiker als Zeitsoldaten bewerben könnten und nach Bestehen einer Prüfung zu technischen Offizieren befördert würden.
Der Gedanke, Marineoffizier zu werden, reizte mich überhaupt nicht. Trotzdem sagte ich mir, daß es wohl vernünftiger sei, sich freiwillig zu melden und sich die Verwendung aussuchen zu können, als willkürlich zum Heer oder zur Marine eingezogen zu werden.
Kurz darauf erfuhr ich von einem anderen Offizier, einem Kapitän zur See, daß es noch eine dritte Möglichkeit gab. Junge Männer im zweiten Studienjahr konnten sich um ein Offizierspatent bewerben und, sobald sie als Bewerber akzeptiert waren, Berufssoldaten der Marine werden.
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Die Alternative zum Offiziersberuf
Letzteres fand ich an sich höchst unerfreulich - ich hatte nicht die geringste Neigung zum Offiziersberuf-, aber mein Interesse wurde sehr schnell wach, als mir die Alternative geschildert wurde. Zeitoffiziere mit Physikerausbildung, so sagte der Kapitän, bekämen sofort ein Bordkommando als Techniker und würden an den gerade eingeführten Funkmeßgeräten eingesetzt. Das hieß also Fronteinsatz und bedeutete wahrscheinlich das Ende meiner Studien, wenn nicht gar meines Lebens.
Demgegenüber stand die Gepflogenheit der Marine, Berufsoffiziersbewerber bis zum Ende ihrer Studienzeit auf den Universitäten zu belassen. Ich hatte also die Wahl zwischen zwangsweiser Rekrutierung, frontdiensttuendem Zeitoffizier und Fortsetzung des Studiums als Berufssoldat.
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Ich konnte an der UNI und im Labor bleiben
Der Kapitän empfahl, die Aufnahmeprüfung für die Berufsoffizierslaufbahn auf wissenschaftlichem Gebiet abzulegen, so daß ich im Labor bleiben und meinen Grad erwerben könnte.
Seiner Meinung nach wäre es schade, wenn hingebungsvolle Forscher wie ich an die Front geschickt würden; doch glaubte er fest daran, daß ich nach Eignungsprüfung und kurzer militärischer Grundausbildung wieder ans Institut zurückgeschickt würde. »Das ist die sicherste Möglichkeit«, sagte er. »Sie bleiben bei Ihren Forschungsarbeiten, und wir haben weiterhin den Nutzen davon.«
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Zur damaligen Zeit sprach manches für eine lebenslange Verpflichtungszeit. Ich stellte mich also der Prüfung und bestand, bekam einen goldfarbenen Anker als Kragenabzeichen und wurde von der Kriegsmarine bei einem Monatssold von dreißig Yen an die Universität mit dem Auftrag abkommandiert, mein Physikstudium fortzusetzen.
Doch dabei blieb es nicht lange.
In meinem dritten Universitätsjahr wurden die Kriegsanstrengungen größer; die Physikstudenten wurden, wie alle anderen Japaner, unmittelbarer militärischer Befehlsgewalt unterstellt. Für mich bedeutete das Anfang 1945 die Abkommandierung zum Amt für Flugtechnik in Yokosuka.
Man quartierte mich dort in einem Arbeiterwohnheim ein und schickte mich am nächsten Morgen nicht etwa, wie erwartet, in ein Laboratorium; statt dessen marschierte ich mit den dienstverpflichteten Arbeitern in eine Fabrik.
Jemand drückte mir eine Feile in die Hand und teilte mich für die Reparaturwerkstatt ein. Dort schuftete ich tagaus, tagein und feilte an Maschinenteilen herum. Bereits nach wenigen Tagen war mir klar, daß es mich zum Wahnsinn treiben würde, wenn sich nicht bald etwas änderte.
In ganz Japan wurden die jungen Leute von der Schule gerissen und wie alle Arbeiter, die keine lebenswichtigen Tätigkeiten ausübten, in die Kriegswirtschaft gesteckt. Nun bildeten offenbar auch die Studenten keine Ausnahme mehr.
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Yoshiko Kamei, meine spätere Frau ....
Yoshiko Kamei, meine spätere Frau, war ebenfalls von der Schulbank weg in eine Fabrik geschickt worden, wo sie hölzerne Tragflächenteile für Schulflugzeuge vom Typ >Rote Libelle< herstellte.
Yoshiko weiß daher noch heute mit Tischlerwerkzeug umzugehen. Als die Flugzeugteilefabrik zerbombt wurde, mußte sie in einer anderen Fabrik Lazarettkleidung für verwundete Soldaten nähen. Später kam Yoshiko in eine Druckerei, die für die Militärverwaltung der besetzten Gebiete arbeitete.
In den letzten Stadien des Krieges wurde an den meisten Schulen nur noch an einem Wochentag unterrichtet; manche Schulen wurden sogar ganz geschlossen.
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Da fast alle jungen Männer Militärdienst leisteten, mußten ihre Arbeitsplätze von Schülern und Studenten besetzt werden. Yoshiko und ich lernten uns erst 1951 kennen und heirateten im selben Jahr.
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Professor Jiro Tsuji vom Forschungsinstitut in Tokio
Nach etlichen Wochen Plackerei in der Fabrik mußte jemand gemerkt haben, daß ich fehl am Platze war, denn ohne nähere Erklärung wurde ich dem optischen Labor zugewiesen. Dort fand ich langsam in die mir vertraute Arbeitswelt zurück.
Die Mitarbeiter waren teils Offiziere, teils Absolventen der Hochschulen für Fotografie. Da ich als einziger Physik als Schwerpunkt fach studierte, schob man mir alle schwierigen technischen Probleme zu.
Mein erster Auftrag lautete, festzustellen, wie sich jene durch statische Elektrizität verursachten störenden gezackten Streifen vermeiden ließen, die bei Luftbildaufnahmen aus großer Höhe entstehen.
Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, brauchte ich Zugang zu einer guten Bibliothek. Das brachte mich auf eine gewagte Idee. Unter dem Vorwand, im Auftrage der Marine zu handeln, rief ich Jiro Tsuji, einen berühmten Professor am Physikalisch-Chemischen Forschungsinstitut in Tokio, an und bat um Erlaubnis, in der wissenschaftlichen Bibliothek des Instituts arbeiten zu dürfen. Der Professor sagte mir seine volle Unterstützung zu.
Zeitweiser Umzug nach Tokio
Dann beantragte ich bei meiner Stammeinheit, zu Forschungszwecken täglich nach Tokio fahren zu dürfen. Meine Begründung muß sehr überzeugend gewesen sein, denn die Erlaubnis wurde mir unverzüglich erteilt. Aber das Pendeln zwischen Yokohama und Tokio war sehr mühsam; die Fahrt mit den überfüllten Bummelzügen der Kriegszeit dauerte jeweils weit mehr als eine Stunde. Daher zog ich ins Haus eines engen Freundes und Klassenkameraden aus meiner Volksschulzeit, der vor seiner Einberufung zur Marine in Tokio Rechtswissenschaften studiert hatte.
Nachdem ich wochentags im Forschungsinstitut gearbeitet hatte, kehrte ich samstags ins Arbeiterwohnheim zurück und verbrachte das Wochenende mit meinen Arbeitskollegen. Nach und nach gewöhnte ich mir im Umgang mit dem Militär eine gewisse Gerissenheit an.
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Die statische Elektrizität bei Luftaufnahmen - ein Problem
Aber darüber vergaß ich meine Aufgabe nicht. Ich forschte diesem eigenartigen und sehr interessanten Phänomen weiter nach. Bei Luftaufnahmen entlud sich die statische Elektrizität in den in der Kartographie seinerzeit benutzten Rollfilmkameras in Form von Funken, die die Emulsion aktivierten und als gezackte helle Streifen auf dem Negativ erschienen.
Das Phänomen war seit langem bekannt, doch niemand wußte es zu beseitigen. Nach vielem Lesen und Experimentieren konkretisierten sich meine Vorstellungen. Ich beschaffte mir aus der Dunkelkammer unbelichtetes Filmmaterial und versuchte, die Funken im Labor zu erzeugen.
Ich arbeitete mit verschiedenen Spannungen zwischen Kamera und Filmebene und wechselnder Polarität. Nach kurzer Zeit schon kam ich der Simulation des Phänomens unter Laborbedingungen sehr nahe.
In meinem ersten Bericht schrieb ich, wenngleich mir die Simulation bis zu einem gewissen Grade schon gelungen sei, so müsse ich doch noch die Ursachen des Phänomens finden und auf Abhilfe sinnen.
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Ich wollte zurück in Professor Asadas Laboratorium
Wegen mangelnder Einrichtungen könne ich meine Experimente jedoch nicht fortführen. Da Professor Asadas Laboratorium für diese Zwecke natürlich am besten ausgestattet war, bat ich um vorübergehende Abkommandierung dorthin.
Um meinen Vorgesetzten die Entscheidung etwas zu erleichtern, sagte ich, die Reisekosten wolle ich selbst tragen, und da das Labor zu meiner alten Universität gehöre, wüßte ich, wo ich kostenlos Unterkunft finden könne.
Ich bäte also um nichts als die reine Erlaubnis, dort arbeiten zu dürfen. Allerdings müsse man mir große Mengen Filmmaterial zur Verfügung stellen, das ich der kriegsbedingten Knappheit wegen nicht selbst beschaffen könne.
Ich hoffte, meinen Auftrag erfüllen zu können, wenn mir das modern ausgestattete Universitätslaboratorium zur Verfügung stand.
Gleichzeitig spekulierte ich darauf, daß mein offizieller Forschungsbericht für die Kriegsmarine als Diplomarbeit anerkannt würde.
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Ein ganzer Rucksack voller Filmmaterial
Meine Vorgesetzten schlossen sich meinen Überlegungen an. Mit einem Rucksack voller Filmmaterial kehrte ich an meine Universität zurück.
Während anderen das Leben schwergemacht wurde, wohnte ich ein paar Monate lang in meinem alten Zimmer, das meine Familie mir seinerzeit als Studentenbude angemietet hatte, und holte mir bei Professor Asada wertvolle Ratschläge und Anregungen.
Ich brauchte meiner Dienststelle lediglich einmal wöchentlich einen Bericht über meine Forschungsarbeit einzureichen. Es gefiel mir sehr, daß ich mein Arbeitstempo nach Gutdünken einrichten konnte. Selbstverständlich nahm ich die Gelegenheit wahr, weiterhin von Professor Asada zu lernen.
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1985 - Rückblick nach 40 Jahren
Vierzig Jahre später, 1985, kam ich bei einem Treffen der ehemaligen Angehörigen des Optischen Labors in einer kleinen Rede auf meine damaligen Beweggründe zu sprechen.
Ich erklärte, ich hätte das Labor aus egoistischen Motiven verlassen und bat um Entschuldigung für alle Unannehmlichkeiten, die den Mitarbeitern durch meine Eigensucht entstanden seien.
Alle applaudierten, und mein ehemaliger vorgesetzter Offizier erhob sich und erklärte, er habe ebenfalls ein Geständnis zu machen. Er sagte, an dem Tage, als ich mit meinem Rucksack voller Filme nach Osaka in die Freiheit aufgebrochen sei, habe er seinem Vorgesetzten, einem Admiral, darüber Meldung gemacht: »Der Admiral wurde sehr wütend.
Er schimpfte mich fürchterlich aus und nannte mein Verhalten beispiellos.« Volle zwei Stunden lang habe der Admiral getobt, und mein ehemaliger Chef bekam schließlich den Befehl, nach Osaka zu fahren und mich zurückzuholen. Als er sich am nächsten Morgen befehlsgemäß beim Admiral abmelden wollte, winkte dieser ungeduldig ab und wies ihn an, das Ganze zu vergessen.
Also durfte ich in Osaka bleiben. Nur hatte ich vierzig Jahre lang gar nicht gewußt, welchen Verdruß ich verursacht hatte. Daher glaubte ich, sofort noch einmal um Entschuldigung bitten zu müssen. Gleichzeitig mußten wir alle aber doch von Herzen lachen.
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So wurde ich automatisch Berufsoffizier der Marine
Mit erfolgreichem Studienabschluß wurde ich automatisch Berufsoffizier der Marine, was bedeutete, daß ich mich nunmehr einer echten militärischen Ausbildung unterziehen mußte.
Unweit Nagoyas, in Hamamatsu, absolvierte ich in einer Kaserne der Marineinfanterie den üblichen viermonatigen Offizierslehrgang. Die körperlichen Anforderungen waren hoch, aber es war eine befriedigende Erkenntnis, auch dem gewachsen zu sein.
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Mein Bruder Kazuaki und andere Kommilitonen
Zu jener Zeit konnten sich nur Studenten der Naturwissenschaften für eine Weile der Einberufung entziehen. Mein Bruder Kazuaki, der an der Waseda-Universität Wirtschaftswissenschaften studierte, kam für einen Aufschub also nicht in Betracht.
Er wurde zur Marine gezogen und auf zweimotorigen Bombern zum Flugzeugführer ausgebildet. Als ich nach meiner Graduierung nach Hamamatsu kam, diente er ganz in der Nähe auf dem Marinefliegerhorst Toyohashi und flog bei seinen Übungseinsätzen jeden Tag über meine Kaserne.
Glücklicherweise dauerte die Ausbildung zum Nachtbomberpiloten sehr lange - der Krieg war aus, noch ehe er sie abschließen konnte. Einige seiner Klassenkameraden wurden - nach weitaus kürzerer Ausbildungszeit - Jagdflieger, und noch andere flogen als Kamikaze-Piloten gegen den Feind und kehrten selbstverständlich nie wieder zurück.
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Mein jüngerer Bruder Masaaki
Masaaki, der jüngere meiner Brüder, war noch auf der Mittelschule, als das Militär die jungen Leute zur freiwilligen Meldung aufrief. Ganze Schulklassen meldeten sich geschlossen.
Die Stimmung in Japan war seinerzeit so kriegslüstern, daß sich auch junge Männer, die eigentlich gar nicht die Absicht hatten, freiwillig meldeten, um nicht geächtet zu werden.
Masaaki war erst vierzehn oder fünfzehn, als seine Mittelschulklasse beschloß, sich zur Marine zu melden. Meine Eltern waren entsetzt und wollten ihn nicht gehenlassen, aber Masaaki ließ sich nicht beirren.
Ich erinnere mich, daß meine Mutter ihn nur unter Tränen ziehen ließ. Als ich ihn zum Zug brachte und abfahren sah, erging es mir nicht anders. Masaaki wurde zum Marineflieger ausgebildet, aber glücklicherweise war auch in seinem Fall der Krieg eher als die Ausbildung beendet.
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Wir drei Brüder haben überlebt - eine seltene Geschichte
So fügte es sich, daß sich alle drei Morita-Brüder von Zeit zu Zeit in Maschinen der Marine in der Luft wiederfanden, denn im Zuge meiner Experimente mit thermischen Suchköpfen mußte ich zur Waffenerprobung bei vielen Nachtflügen dabeisein.
Meine Mutter glaubte nicht daran, daß einer von uns den Krieg überleben würde, aber glücklicherweise kamen wir alle drei unversehrt nach Hause.
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