Achtung: Artikel und Texte aus NS/Hitler-Deutschland 1933-45
Nach der Gleichschaltung der reichsdeutschen Medien direkt nach der Machtübernahme in Februar/März 1933 sind alle Artikel und Texte mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. Der anfänglich noch gemäßigte politisch neutrale „Ton" in den technischen Publikationen veränderte sich fließend. Im März 1943 ging Stalingrad verloren und von da an las man zwischen den Zeilen mehr und mehr die Wahrheit über das Ende des 3. Reiches - aber verklausuliert.
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Gedanken zum plastischen Film ....
aus KINOTECHNIK 1939 - Heft 1 / Januar - Zeitschrift für die Technik im Film
Von R. Thun
Bei Erörterungen über den plastischen Film wird das stereoskopische Sehen meist bevorzugt behandelt. Dieses ist jedoch nicht gerechtfertigt, wie ich in der Broschüre „Entwicklung der Kinotechnik“ bereits ausführte.
Nachstehend gebe ich den betreffenden Abschnitt nochmals wieder:
Unter plastischem Film ist jeder Film zu verstehen, der eine Tiefenwirkung vortäuscht. Der Tiefeneindruck der räumlichen Umwelt wird durch verschiedene Teilwerte des menschlichen Sehens hervorgerufen, die in zwei Gruppen unterteilt werden können:
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- a) Physiologische Teilwerte:
Änderung der Überschneidungen verschiedener Gegenstände bei Bewegung der Augen (Eisenbahnwirkung),
verschiedene Überdeckung derGegenständefür beide Augen, zweiäugiges oder stereoskopisches Sehen,
Änderung der Schiefstellung der Augenachsen für verschiedene Raumtiefe,
Änderung des Sehwinkels, unter dem ein Gegenstand in verschiedenen Entfernungen erscheint,
Scharfeinstellung der Augenlinse (Akkomodation). - b) Psychologische Teilwerte:
Scheinbare Größe und gegenseitige Lage der Dinge zueinander,
Verlauf der Begrenzungslinien (Perspektive),
Schattenfall,
Luftschleier (Helligkeitsumfang).
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Je größer die Entfernungen werden
Im gewöhnlichen Leben werden zur Beurteilung der Tiefenausdehnung bei kleinen Entfernungen, besonders bei Dingen in „Reichweite“ hauptsächlich die physiologischen Teilwerte herangezogen.
Je größer die Entfernungen werden, eine um so geringere Rolle spielen die physiologischen Teilwerte. Bereits bei Entfernungen von wenigen Metern werden sie nur aushilfsweise herangezogen, bei 20 bis 30m Entfernung und mehr werden sie im gewöhnlichen Fall überhaupt nicht mehr beachtet.
Bei allen Darstellungen in einer Fläche werden immer nur einige Teilwerte richtig wiedergegeben.
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Falsch wiedergegebenen Teilwerte
Für die falsch wiedergegebenen Teilwerte sind zwei Fälle zu unterscheiden. Wird der betr. Teilwert so falsch wiedergegeben, daß er das Zustandekommen einer Tiefenwirkung verhindert, so liegt der Fehler innerhalb des Störwertes.
Ist der Fehler in der Wiedergabe des Teilwertes jedoch so gering, daß er nur bei besonderer Aufmerksamkeit bemerkt werden kann, dann liegt er innerhalb des Merkwertes.
Der Störwert physiologischer Teilwerte liegt bei Tiefen von 1 bis 3m, d. h. nur bei Bildern, die aus geringerer Entfernung als 1 bis 3m betrachtet werden, kann die fehlerhafte Wiedergabe dieser physiologischen Teilwerte das Entstehen eines Tiefeneindrucks stören.
Der Merkwert liegt bei 20 bis 50m (nur bei besonders befähigten Menschen, Beobachtern an Entfernungsmessern, steigt der Merkwert auf 200 bis 400m), d. h. nur bei Bildern, die aus kleineren Entfernungen als 20 bis 50m betrachtet werden, kann die Wiedergabe der physiologischen Teilwerte bemerkt werden.
Nur für die Eisenbahnwirkung kann bei schneller Bewegung des Beobachters der Merkwert erheblich größer werden.
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Die Bedeutung des zweiäugigen Sehens
Die Bedeutung des zweiäugigen Sehens wird meist stark überschätzt. Nur bei der Betrachtung kleiner Bilder wird hier der Störwert der Entfernung stark unterschritten.
Die reizvolle Wirkung stereoskopischer Bilder beruht darauf, daß bei Bildern, die in einer Entfernung betrachtet werden, die kleiner als die Störentfernung des zweiäugigen Sehens ist, der Teilwert des zweiäugigen Sehens wiedergegeben wird. Je größer die Entfernung des Bildes vom Betrachter ist, um so geringer ist die Wirkung des zweiäugigen Sehens.
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Betrachten wir das Kino
Im Lichtspielhaus werden die Bilder von den meisten Plätzen aus einer Entfernung betrachtet, die größer als die Störentfernung ist, und die für die hinteren Plätze eines großen Lichtspielhauses bereits von der Größenordnung der Grenze der Merkentfernung liegt.
Die psychologischen Teilwerte können bereits mit den heutigen Mitteln alle richtig wiedergegeben werden. Von den physiologischen Teilwerten wird die Eisenbahnwirkung und die Änderung der Sehwinkel mit den Bewegungen der Objekte ebenfalls richtig wiedergegeben.
Das Fehlen der übrigen drei physiologischen Teilwerte kann das Zustandekommen eines Tiefeneindruckes nicht mehr erheblich stören.
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Der plastische Film
Für das Lichtspielhaus, besonders für das große Lichtspielhaus, haben wir heute bereits den plastischen Film. Jeder Film, bei dessen Aufnahme die psychologischen Teilwerte richtig berücksichtigt wurden, zeigt hier eine Plastik, die beispielsweise durch das Hinzukommen des stereoskopischen Teilwertes nicht mehr wesentlich gesteigert werden kann.
Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung sind die bisher gezeigten stereoskopischen Filme. Es werden hier hauptsächlich filmische Scherze gezeigt, beispielsweise einen sich scheinbar in die Zuschauermenge ergießenden Wasserstrahl, die Großaufnahme eines Posaunenbläsers, der sein Instrument scheinbar dem Zuschauer vor die Nase stößt, und ähnliches.
Für den Spielfilm kein ernsthafter Gewinn
Für den Spielfilm bedeutet das Hinzukommen des einen oder anderen, heute noch fehlenden physiologischen Teilwertes keinen Zuwachs an inhaltlichen oder stimmungsmäßigen Ausdrucksmöglichkeiten.
Eine Umwälzung, wie sie seinerzeit der Ton brachte, und wie sie in nächster Zeit vielleicht die Farbe bringt, ist hier nicht zu erwarten.
Anders liegen die Verhältnisse beim Lehrfilm. Soweit hier Dinge gezeigt werden, die man üblicherweise in Reichweite betrachtet, kann das Hinzukommen weiterer physiologischer Teilwerte eine Verbesserung bringen.
Bei wissenschaftlichen Aufnahmen kann namentlich bei Aufnahmen mit vergrößerter Basis die Stereoaufnahme einen wertvollen Gewinn bringen.
Auch beim Liebhaberfilm kann der stereoskopische Film Bedeutung gewinnen, da er noch Aufnahmen reizvoll erscheinen läßt, die bildmäßig mangelhaft sind.
Auch in der Stereo-Photographie gilt ja die Regel, daß man die Regeln der bildmäßigen Photographie möglichst grob verletzen soll, um überraschende Stereobilder zu erhalten.
Das Verletzen der bildmäßigen Regeln ist leichter als ihr Befolgen, und hier kann das Stereobild noch Aufgaben erfüllen.
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Auch ein Professor kann irren
Wenn Prof. Dr. Thorner in dem Aufsatz „Der stereoskopische Film“ (Kinotechnik 20 [1938] H. 9, S. 237) die Behauptung aufstellt, daß der Eisenbahneffekt nur dann voll zur Wirkung kommt, wenn beide Augen in Tätigkeit sind, so kann ich nach meinen Beobachtungen dieser Behauptung nicht zustimmen.
Die von mir oben gegebene Aufstellung bietet die Möglichkeit, die Bedingungen genauer zu umreißen, unter denen die Verbesserung einzelner Teilwerte des räumlichen Sehens eine merkbare Steigerung der Gesamtwirkung bringt.
Erörterungen des plastischen Films können genauer gefaßt werden, wenn die Bedeutung der übrigen Teilwerte kurz angegeben wird.
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