Leitartikel aus Heft 24 - Der Transfokator
aus Heft 24 im Dezember 1936 von Herrn Obering. H. J. Gramatzki
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Kinematographie des imaginären Bildes.
Zum Vortrag des Herrn Obering. H. J. Gramatzki, in der Sitzung der D.K.G. vom 5. Oktober 1936
Der „Transfokator" ist ein optisches Instrument deutscher Erzeugung (Astro G.m.b.H., Berlin), das dem Kameramann gestattet, bei feststehender Kamera den Bildmaßstab zu verändern, so daß die gleiche Bildwirkung eintritt, als nähere oder entferne sich die Kamera dem Objekt während der Aufnahme.
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- Anmerkung : Wir nennen das heute eine Gummilinse oder ein Zoomobjektiv, wobei das jetzt aber integrierte Objektive sind und keine Objektiv-Vorsätze mehr.
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Die große Bedeutung liegt nicht darin, daß der „Kamerawagen" damit überflüssig wird, sondern daß sich der angestrebte Effekt auch dann erzielen läßt, wenn die räumlichen Verhältnisse das Vor- oder Zurückfahren mit der Kamera ausschließen.
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Über die "Vielheit der Probleme"
Das Prinzip derartiger optischer Systeme und die "Vielheit der Probleme", die bei der Konstruktion zu berücksichtigen sind, wurden unseren Lesern bereits in früheren Abhandlungen *1), *2), *3) dargeboten; die Ausführungen des Vortragenden, die im Nachstehenden referiert werden, beziehen sich nicht auf konstruktive Einzelheiten, sondern geben einen Einblick in die Gedankenwelt des Konstrukteurs, der sich vor ein derart schwieriges Problem gestellt sieht, und dürften daher ganz besonderem Interesse begegnen. - Die Schriftltg.
*1) Objektiv mit veränderlicher Brennweite „Varo". Kinotechnik 1932, Heft 5, S. 103, und Heft 21, S. 382.
*2) Das Durholz-Objektiv mit veränderlicher Brennweite. Kinotechnik 1932, Heft 8, S. 158.
*3) Naumann, Dr.-Ing. H., Kino-Objektive mit veränderlicher Brennweite. Kinotechnik 1933, Heft 19, S. 307.
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Das „Objektiv mit veränderlicher Brennweite"
Die Schwierigkeit der Lösung eines Problems liegt nicht zum geringen Teil begründet in der Art der Problemstellung. Ein Problem kann so gestellt werden, daß seine Lösung nach menschlichem Ermessen unmöglich erscheint, während eine andere Formulierung der gleichen Aufgabe bereits in der Art der Fragestellung die Wege zur Lösung des Problems andeutet.
Zu einem solchen Gebiet schwieriger Art gehört das Problem des sogenannten „Objektivs veränderlicher Brennweite". In dieser Bezeichnung liegt bereits eine starre Formulierung des Problems und ihr ist es wohl zuzuschreiben, daß den optischen Konstrukteur mit Recht ein Grauen vor der Verwirklichung der entsprechenden Konstruktion packte.
Unter einem Objektiv versteht der optische Konstrukteur ein System von Linsen, deren Krümmungsradien, Dicken und Abstände in mühsamer Rechenarbeit auf jene Beträge gebracht worden sind, die das beste Kompromiß zwischen all den auftretenden optischen Fehlern darstellen.
- Anmerkung : Die Optik-Firma Schneider Kreuznach hatte erst etwa 1968 den ersten großen IBM Computer (einen IBM 1130) für mehrere Millionen DM angeschafft, damit das Berechnen der Linsen-Radien einfacher wurde.
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Ein Beispiel ......
Nicht unähnlich ist diese Arbeit des Rechners (hier noch des rechnenden Menschen) dem Bemühen, einen großen Tisch mit einer zu kleinen Decke möglichst vollkommen bedecken zu wollen, so daß dessen Fehler und schadhafte Stellen möglichst wenig zum Vorschein kommen.
Erscheint der eine Fehler zu groß, und zieht man die Decke nach dieser Richtung, so treten an anderer Stelle vorher nicht sichtbare Fehler auf und das Probieren beginnt von neuem. Jedenfalls ist bei einem Objektiv der Kernpunkt die Ermittlung jener, um keinen Preis zu verändernder Größen, welche die Gewähr für den besten Ausgleich der vorhandenen optischen Fehler geben.
Da mit diesen Größen auch die Brennweite des Objektivs bestimmt ist, die Krümmungen sich naturgemäß nicht verändern lassen, ebenso wenig die Dicken der Linsen, so bedeutet das Wort „veränderlich" in diesem Falle nichts weniger, als daß die Abstände der Linsen sich ändern müssen.
Da man aber bei der Veränderung der Brennweite außerdem noch die Forderung stellen muß, daß das Öffnungsverhältnis konstant bleibt, damit die Lichtstärke sich nicht ändert, so muß außerdem noch eine Blende gesteuert werden, während diese Veränderung der Abstände vor sich geht.
Diese Forderungen bedeuten also schlechthin nichts anderes, als die vollkommene Aufgabe des Gedankens, einen Ausgleich der Bildfehler auf bestimmte Größen zu beschränken.
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Eine fast nicht lösbare Aufgabe
Damit wird der Konstrukteur vor eine Aufgabe gestellt, die man getrost als ungeheuerlich bezeichnen kann. Die erste praktische Lösung des Problems auf dieser Grundlage ist das Varo-Objektiv der Firma Bell & Howell und man kann dieses Instrument kaum noch ein Objektiv nennen, es ist bereits eine komplizierte optische Maschine.
Der Vortragende, dem als optischen Konstrukteur diese Aufgabe auch bereits vor vielen Jahren vorgelegt wurde, legte sich aus diesen Gründen die Frage vor, ob nicht ein großer Teil der Schwierigkeit dadurch beseitigt werden könnte, daß man das ganze Problem von anderer Seite in Angriff nimmt. Mit anderen Worten, ob man dem Problem nicht von Grund auf eine andere Form geben könne.
Die Frage lautete also zunächst nicht: was ist eigentlich die Brennweite eines Objektivs, sondern: was bedeutet die Verschiedenheit von Brennweiten bei der Aufnahme von einem einzigen Standort aus?
Die Antwort lautet: von einem Standort aus aufgenommen unterscheiden sich Aufnahmen mit verschiedener Brennweite nur durch den Maßstab der Abbildung. Damit konnte dem Problem eine neue Form gegeben werden und es lautete jetzt:
Die jetzt korrigierte Fragestellung lautet
Läßt sich eine Optik konstruieren, die weder in der Lage ist, ein Bild auf dem Film zu erzeugen, noch eine sogenannte Lichtstärke besitzt und ebensowenig im strengen Sinn eine Brennweite, die hingegen den Maßstab der wirklichen Welt verändert, d. h. ein "imaginäres Bild" der Umwelt erzeugt, dessen Maßstab in unserer Gewalt liegt.
Dann würde man ein ganz normales Objektiv für die Aufnahme verwenden können, denn man nimmt ein imaginäres Bild genau so gut auf, wie ein reelles Objekt, das imaginäre Bild, das nur seinen Maßstab ändert, bleibt immer gleich hell, ebenso wie das verkleinerte Bild, das wir durch die Brille eines Kurzsichtigen sehen können, genau so hell ist, wie die Wirklichkeit selbst, abgesehen von den geringen Verlusten in der Linse.
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Die Kinematographie des Imaginären
Dies bedeutete die Lösung des Problems veränderlicher Brennweite durch die Kinematographie des Imaginären. Die Lösung war der Transfokator, der also eine Optik ist, die ein imaginäres, maßstäblich veränderbares Bild der Wirklichkeit erzeugt, das man durch ein Objektiv ebenso aufnimmt, wie sonst die Wirklichkeit selbst.
In jahrelanger Rechenarbeit, der langwierige mathematische Untersuchungen vorausgehen mußten, wurde, man kann sagen eine Welt solcher imaginärer Abbildungssysteme zunächst rein mathematisch „entdeckt" und es begann anschließend daran die Übersetzung der mathematischen Formeln in die technische Wirklichkeit.
Das erste Ergebnis war der Schmalfilm-Transfokator, der jetzt an der Siemens-Kamera verwendet wird. Ihm folgte der Normalfilm-Transfokator, bei dem nicht eine, sondern zwei Linsen steuerbar sind.
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Die Verbindung des Objektivs mit dem Transfokator
Die Verbindung des Objektivs mit dem Transfokator stellte wieder ganz neue Aufgaben, und zwar war es das Problem der Einstellung auf die Objekte der Wirklichkeit durch den Transfokator hindurch, denn der Transfokator ändert nicht nur den Maßstab der Abbildung, sondern die Entfernungen werden ebenfalls modifiziert bzw. gesetzmäßig geändert.
Würde man das Objektiv z. B. auf ein 8m entferntes Objekt nach der Skala einstellen, während der Transfokator eingeschaltet ist, so würde man sehr bald merken, daß dies falsch ist, das Bild ist unscharf, denn es ist in der Tat falsch eingestellt.
Das in Wirklichkeit 8m entfernte Objekt hat im imaginären Bilde eine ganz andere Entfernung. Diese Schwierigkeit wurde aber zum Ausgangspunkt einer neuen erheblichen technischen Verbesserung, sie wirkte also nicht negativ, sondern positiv. Es wurde nämlich die zunächst etwas beängstigend wirkende Forderung gestellt, daß man die Transfokatoraufnahme mit der Fahraufnahme kombinieren müsse.
Da hieß es wiederum grundsätzlich andere Wege gehen und so wurde beim Transfokator die Einstellung des Objektivs überhaupt ausgeschaltet. Es wird das Einstellen ebenfalls dem Transfokator übertragen und dies hat zur Folge, daß die anfangs sehr schwer erscheinende Forderung, bei jeder beliebigen während des Fahrens eingestellten Entfernung ohne Schärfenverlust auch die Brennweite ändern zu können nicht nur erfüllt, sondern auch noch über das ursprünglich Gewollte hinaus eine Vereinfachung erzielt werden konnte.
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Verwendung von Zylinderlinsen
Durch Verwendung von Zylinderlinsen läßt sich der Transfokator in einer Form konstruieren, welche die groteske Wirkung hat, daß der Maßstab im Raume nur in einer bestimmten Richtung geändert wird, während er in der anderen Richtung unverändert bleibt. Ja es läßt sich sogar die Lage dieser Richtung im Räume drehen. Man kann also aus Quadraten Rechtecke machen, aus Kreisen Ellipsen und durch Drehen dieser Maßstabslinie würden Quadrate zu Rauten und Kreise zu Ellipsen, deren große Achsen sich drehen.
Der Transfokator wird zur Zeit in Verbindung mit dem Pantachar 50mm für eine Brennweitenveränderung von 36 bis 72mm gebaut, also für eine Maßstabsveränderung linear 1:2 in der Fläche 1:4.
Die mathematischen Grundlagen für den Transfokator 1:3 linear, also flächenmäßig 1:9 liegen bereits fest und der Vortragende hofft, daß dies neue Instrument in etwa zwei Jahren in den deutschen Ateliers stehen wird.
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