60 Jahre Berichterstattung über Film und Fernsehen
Norbert Bolewskis gesammelte Rückblicke von 1947 bis 2007
1994 - neuer digital-serielle Studiostandard DSC 270 beim SDR
Anfang April 1994 wurde die erste Sendung aus dem neuen Produktionskomplex des Süddeutschen Rundfunks abgewickelt. Erstmals kam dabei in einem Produktionskomplex dieser Art der neue digital-serielle Studiostandard DSC 270 zum Einsatz. Alle technischen Einrichtungen gruppierten sich um eine große digital-serielle Videokreuzschiene. Nicht mehr der Bildspeicher, sondern diese Kreuzschiene war der Mittelpunkt des Konzepts (Bild 207).
Reinhard Börner vom Heinrich-Hertz-Institut in Berlin beschäftigte sich über viele Jahre mit autostereoskopischen Rückprojektions- und Flachbildschirmen für 3D-Verfahren. So entwickelte er 1994 ein Linsenraster für einen großen Elektrolumineszenz-Flachbildschirm und beschrieb die Anforderungen und Prinzipien (Bild 208).
Die Vorbereitung und die dadurch notwendige Vorproduktion sowohl auf 16:9 im PALplus-Verfahren, bei 16:9-Digital-TV als auch später auf HDTV belebte immer wieder eine kontroverse Diskussion um die mögliche oder notwendige Aufzeichnung auf Film. Die Vorteile solcher Aufzeichnung insbesondere auf 35-mm-Film sind bekannt. Aus ökologischen Gründen wird aber oft eine Aufzeichnung auf Super 16 für ausreichend angesehen. Es wurde deshalb analysiert, welche Parameter der Aufzeichnung wichtig sind.
Man kam zu dem Ergebnis, dass bei HDTV-Aufnahmen Super 16 aus rein ökonomischen Gründen eine akzeptierbare Nischenfunktion bilden könnte, dass aber die Meinung, das Format sei für 16:9/625-Zeilen-Sendungen ausreichend, nicht bedingungslos zu übernehmen wäre. Beendet wurde das Jahr 1994 in der FKT mit einem dreiteiligen großen Bericht über das neue Fernsehproduktionsstudio des Bayerischen Rundfunks in München-Unterföhring, bei dem damals die neuesten Konzeptionen und Techniken berücksichtigt wurden (Bild 209).
Das "Virtuelle Studio" oder auch "Bluescreen-Studio"
m Herbst 1994 begann in Europa auf der IBC in Amsterdam mit dem "Virtuellen Studio", dessen eigentlicher Motor die deutsche Firma VAP war, eine neue Ära des Studio-Designs. Die Idee des virtuellen Studios wurde bei der EU-Kommission bereits 1989 eingereicht und unter der Bezeichnung ELSet (Electronic Set Creation) registriert. Im Januar 1992 wurde das Mona-Lisa-Konsortium zusammen mit vielen Partnern und Großunternehmen ins Leben gerufen. Und nach knapp drei Jahren Entwicklung, in der rund 160 Experten zusammenwirkten, wurde das System ELSet auf der IBC 1994 vorgestellt.
Wir berichteten 1995 ausführlich über das Verfahren (Bild 210). Das Thema des Virtuellen Studios wurde in den folgenden Jahren von einer Reihe von anderen Firmen aufgegriffen, wobei sich insbesondere für die Methode der Kamera- Standortbestimmung im "Bluescreen-Studio" recht unterschiedliche Lösungen fanden.
Überlegungen zum Interaktiven Fernsehen (Service on Demand) und Pilotprojekte gab es inzwischen auf der Basis unterschiedlicher technischer Implementierungen, die meist aber nicht kommerziell bzw. kostendeckend kalkuliert waren. Dr. Breide, damals noch bei der Telekom tätig, zeigte auf, dass auch die Deutsche Telekom als Netzbetreiber ein hohes Interesse an derartigen Techniken und den zukünftigen Märkten hatte. Konkret dargestellt wurden die Aktivitäten zum Thema IVS - Interactive Video Services.
Über Server-Technik im Broadcast-Studio wurde zwar nachgedacht, doch erst 1995 sollte eine erste Fernsehstation durchgängig mit dieser Technik ausgestattet werden. Es war gewissermaßen weltweit "das Schlüsselprojekt". Die Grass Valley Group machte das Rennen. Der private schwedische Fernsehsender TV 4 war der Auftraggeber und die Fachwelt blickte gespannt auf die dort zu machenden Erfahrungen und Probleme.
Die Zukunft mit Tapeless Production & Broadcasting
Tapeless Production & Broadcasting war der Titel einer zweitägigen Fachtagung der FKTG, die Prof. Hartz im FB Medientechnik der FH Druck in Stuttgart organisierte. Die Resonanz und die Teilnehmerzahl waren überwältigend und das gesamte Heft 6/1995 der FKT bestand aus deren wichtigsten Vorträgen. Random-Acces-Speicher im Broadcastbereich, Struktur von Videoservern, Erfahrungen mit der Servertechnik bei RTL2, Datenreduktion, Kaskadierung datenreduzierter Videosignale, Verteilung digitaler Videodaten im Studio - das sind alles Beitragstitel aus diesem Heft. Und es waren auch die Themen, die unsere Branche am meisten interessierte.
Die folgende Doppelausgabe 7-8/1995 der FKT war ebenfalls eine Themenausgabe - hier zum Thema "PALplus", und als Chairman fungierte der damalige Technische Leiter des ZDF, Dr. Albrecht Ziemer. PALplus - ein neuer Sendestandard, die 16:9-Fernsehproduktion beim ZDF, Contribution von 16:9-Signalen, PALplus vom Studio zum Teilnehmer, Wide- Screen-Signalisierung mit einer wundervollen tabellarischen Darstellung der verschiedenen Wiedergaben von 16:9-Bildern auf 4:3-Röhren und umgekehrt in allen, auch verzerrenden Varianten - präsentierten sich als Themen, letztere sollten heute vielleicht erneut dem Fachhandel dargeboten werden, wenngleich PALplus heute keine Relevanz mehr hat. Die Thematik 4:3 und 16:9 wird uns aber noch Jahre verfolgen.
Das Cineon-System - videotechnische Bearbeitung von Filmen
Die videotechnische Bearbeitung von Filmen, also das Bearbeiten der Bilder und Bildszenen auf digitaler Basis nach dem Einscannen und die Rückübertragung auf Film, stand 1995 noch am Anfang der technisch zufriedenstellenden Realisierbarkeit. Ging es anfangs nur um Effekte, so bietet diese Art der elektronischen Bearbeitung eine große Vielfalt an Bearbeitungsmöglichkeiten (Bild 211), die erst sehr langsam in das Bewusstsein der Filmschaffenden drangen. C.B. Hunt von Kodak berichtete erstmals anhand von Bildbeispielen über die sich abzeichnende Evolution bei der damals noch videotechnisch genannten Bearbeitung, die man heute eher als datenmäßige bezeichnen würde. Im Mittelpunkt stand das Cineon-System als Vorreiter für die kommenden technischen Weiterentwicklungen vieler andere Anbieter.
Und zum Abschluss des Jahres noch einen kleinen Schlenker: "Zeitversatzmessung im digitalen Studio" war der Titel eines besonders interessanten Beitrags. Während in analogen Studios mit Laufzeitunterschieden von einigen Zeilen gerechnet werden musste, waren (und sind) in Studios mit kompletter digitaler Signalverarbeitung Verzögerungszeiten von einigen Vollbildern zwischen Video und Audio keine Seltenheit. Über Methoden und Geräte zur Messung informierte deshalb dieser Beitrag. Zugegeben ist die Messung solcher Laufzeitunterschiede inzwischen gelöst, das Problem verfolgt uns aber bis zum heutigen Tag.