60 Jahre Berichterstattung über Film und Fernsehen
Norbert Bolewskis gesammelte Rückblicke von 1947 bis 2007
1954 - Das Fernsehen gewinnt an Boden
1954 war die Welt des Kinos eigentlich noch in Ordnung, was aber nicht bedeutete, dass nicht damals schon der Bestand der Filmindustrie in Grund und Boden geredet wurde. Vielleicht auch durch das Fernsehen bedingt, das immer mehr Kreise zu interessieren schien, machte man sich große Sorgen hinsichtlich des Bestands an Filmtheatern. Interessant in dem Zusammenhang ist vielleicht deshalb sich mal anzusehen, wie der Kinobesuch damals untergliedert war. Dabei bezog man sich auf 38 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik auf die Jahrgänge mit 16 Lebensjahren und darüber entfallen und von einer Meinungsbefragung von Emnid erfasst worden sind.
Damals sagten 27 Prozent aller Angestellten, dass sie mindestens dreimal im Monat ins Kino gingen, 46 Prozent von ihnen waren nur ein bis zweimal im Monat im Kino. Das war die Gruppe mit dem höchsten Filmtheaterbesuch, aber auch Arbeiter, Selbstständige, freie Berufe und sogar Landarbeiter und schließlich Beamte lagen mit ihrer Bewertung des Filmbesuchs ein bis zweimal im Monat sehr nahe beieinander. Nur bei Rentnern und Landwirten reduzierte sich die Zahl auf 29 Prozent ein bis zweimal und 75 Prozent von ihnen gingen gar nicht ins Kino. Vergleicht man diese Zahlen mit den heutigen so zeigt sich doch, dass der Filmtheaterbesuch damals einen sehr hohen Stellenwert hatte und wir heute weit von diesen Zahlen entfernt sind.
Es gab zu Anfang 1954 noch eine weitere Befragung, nämlich die der deutschen Fernseh- teilnehmer. Leider hat der Bericht einen wesentlichen Nachteil, es fehlt jeglicher Hinweis auf die Gesamtanzahl der damaligen Fernsehteilnehmer. Allerdings wurden auch Nicht-Fernseh- Teilnehmer befragt oder richtiger gesagt Menschen, die keinen Fernsehapparat hatten, aber durchaus bei Freunden und Nachbarn Fernsehen schauten. Und letztendlich gab es natürlich eine große Zahl von Rundfunkhörern, die man interviewte und von denen damals 29 Prozent erklärten, dass sie niemals Fernsehteilnehmer werden wollen. Bei den Befragten mit Volksschulbildung waren es 28 Prozent, mit Mittelschulbildung 31 Prozent und bei denen mit Abitur 40 Prozent. Bei den Akademikern steigerte sich die Ablehnung gar auf 42 Prozent. Je höher die Bildungsstufe, desto kritischer war die Einstellung zum Fernsehen.
Bei denjenigen, die tatsächlich ein Fernsehgerät besaßen, schauten 45 Prozent aller Teilnehmer das Programm täglich an. 35 Prozent von ihnen sahen nur unregelmäßig. Und 15 bis 20 Prozent schalteten ihr Gerät praktisch überhaupt nicht ein, obwohl sie zu Hause waren. Man wollte damit ganz einwandfrei den Verdacht einer "Fernseh- Hörigkeit" widerlegt haben. Und vor allem kam es darauf an klarzulegen, dass eine Beeinflussung des Kinobesuchs durch das Fernsehen nicht in Frage kam. Auch die Besitzer eines Fernsehgeräts gehen weiter ins Kino, besuchen Theater- und Sportveranstaltungen sowie ihre Freunde und Bekannte. Es scheint doch, als hat sich da in den vergangenen fünfzig Jahren einiges geändert.
1954 - Der Blimp und eine neue Farbentwicklungsmaschine
1954 kam auch ein neues Wort, das man sich in Filmkreisen merken musste. Der Blimp. Er entstand aus dem zahlreich geäußerten Wunsch, die weltbekannte Spiegelreflexkamera Arriflex 35 unter ungeschmälerter Beibehaltung ihrer Konstruktionsvorzüge auch für synchrone Bild-Ton-Aufnahmen geeignet zu machen. Man entwickelte deshalb eine Spezial-Schallschutzhaube, den Arriflex- Blimp (Bild 18). Jede Arriflex war in diesen Blimp einzusetzen. Erforderlich war es lediglich, den leicht abschraubbaren Handgriff mit dem Batteriemotor abzunehmen und die Kamera auf die Synchrongetriebeplatte im Blimp aufzusetzen und zu befestigen. Mit dieser Entwicklung erreichte es Arri, dass seine bereits für den Reportagebetrieb anerkannte Kamera auch starke Verwendung im Filmstudio fand.
Im Kopierwerk stellt jede Entwicklungsmaschine eine erhebliche Investition dar. Da überlegt man sich bei der Anschaffung sehr wohl, welche Ausführung man wählt. Die Konstruktion einer neuen Farbfilmentwicklungsmaschine der Union Tonfilm Maschinenbaugesellschaft war deshalb – man würde heute sagen – modular konzipiert, auch wenn dieser Begriff bei der Beschreibung dieser Entwicklungsmaschine nicht verwendet wird. Aber die Maschine besteht aus kompletten Bauelementen, die jeweils eine Teileinheit ergeben. Diese Einheiten sind selbsttragend und jederzeit erweiterungsfähig (Bild 19). Bei dieser Konstruktion wurde auch auf interessante Weise das Problem der Entwicklungszeitvariation gelöst.
Es konnten Entwicklungszeitveränderungen in weiten Grenzen durchgeführt werden, weil Durchlaufgeschwindigkeit und Schleifenlänge im Entwickler regelbar waren. Die Durchlaufgeschwindigkeit wird über ein für jede Seite getrenntes stufenlos regelbares Spezialgetriebe eingestellt. Zusätzlich war noch mit einer Genauigkeit von 5 Sekunden die durchlaufende Länge mithilfe einer Schleifenverstellung einstellbar. Diese Maschinen konnten je nach Farbfilmverfahren zusammengestellt beziehungsweise bestellt werden. Und diese modulare Bauweise hat natürlich auch die Kosten deutlich gegenüber anderen Herstellern reduziert. Es war praktisch die erste Universal-Maschine zur Farbfilmentwicklung.
Cinerama und CinemaScope und Vista Vision
Technisch gesehen gab es Nachholbedarf beim Verständnis des Cinemascope-Verfahrens, das ja gerade eingeführt wurde. da gab es viele Beiträge über die anamorphotische Optik als Grundlage für CinemaScope- Verfahren. Tatsächlich sind ja anamorphotische Objektive nicht erst seit den fünfziger Jahren bekannt, sondern entsprechende Entwicklungen gab es schon bei den Firmen Zeiss um 1915 und 1918 herum, ohne diese Verfahren damals in Zusammenhang mit der Kinematographie zu bringen.
Über das Cinerama Verfahren und das CinemaScope Verfahren wurde bereits in den vergangenen Jahren berichtet. 1954 kam neu das Vista-Vision-Bildverfahren, das die Paramount Pictures in Hollywood als ihr neues Widescreenverfahren vorstellten (Bild 20). Es war dies das erste seiner Art, das der Forderung für die Großbildprojektion voll entsprach, nämlich größere Bilder auf der Leinwand erfordern größere Bilder auf dem Negativ. Es war Paramount damit gelungen, unter Umgehung vieler Nachteile früherer Breitfilmverfahren auf 35-mm-Film eine größere Negativfläche für die Aufnahme nutzbar zu machen. Das Resultat waren schärfere und kornlosere Bilder.
Das Geheimnis, das dahinter steckt, ist, dass der Film nicht von oben nach unten sondern seitlich durch die Kamera läuft und deren Greiferwerk den Film horizontal über acht Perforationslöcher in einem Hub schaltet. Gleichzeitig ist das Bildfenster vergrößert, sodass die Aufnahmefilmfläche 37,4×25,3 mm zur Belichtung nutzbar wurde, also fast gleich oder genau gesagt etwas mehr als unser normaler Kleinbildfilm von den Abmessungen her. Das bedeutete eine Steigerung um etwa das Dreifache gegenüber dem bisherigen Tonbildfenster. Mit der vergrößerten Negativfläche wurde eine Reduktion des Korns erreicht, sodass sich auch bei der Wiedergabe auf dem relativ kornfreien Printfilm eine entsprechend hohe Abbildungsschärfe ergab.