Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945
Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.
Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.
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Mittwoch, den 29. November 1944 - Eindrücke aus Wien
Ein Versuch, in Wien eine Fühlungnahme mit den Exilregierungen Zankoff, Horia Sima und Neditsch herzustellen, mißlingt. Neditsch hat sich nach Kitzbühel abgesetzt, Horia Sima nach Berlin, von Zankoff sah man nur die sehr zahlreiche Familie im Luftschutzbunker. Im übrigen wimmelt die Stadt von Balkanbewohnern, die sich dem politischen Klatsch und dem Schleichhandel widmen.
Die Anlagen am Karlsplatz, das Automatenrestaurant neben Meindl in der Kärntner Straße, die großen Hotelhallen sind von Gestalten bevölkert, die mit Lebensmittelkarten, Zigaretten und Seife hausieren.
Die Lebensmittelkupons werden in rheinischen Städten von korrupten Beamten unterschlagen und nach Wien verschoben. Eine schwarze Monatsfleischkarte kostet RM 80,-. Einer der Hauptschleichhändler hat sich als Bräutigam verkleidet und geht in Zylinder, Frack und mit einem Blumenstrauß, in dem er die Lebensmittelkarten verborgen hält, seinen Geschäften nach.
Herumstreunende Ausländer und Tausende von faulenzenden Ungarn
Im »Grandhotel« unterband die Gestapo die Versteigerung eines Damenkostüms. Seitdem sind die Hotelhallen für den Publikumsverkehr bis mittags geschlossen. Die herumstreunenden Ausländer werden weder zum Volkssturm noch zum Arbeitsdienst noch zu Aufräumungsarbeiten herangezogen. Dafür hat man alle Wiener Mädchen für die Rüstung eingesetzt.
Missi Wassiltschikoff und Antoinette Croy mußten Leichen vom letzten Luftangriff mit ausgraben helfen. Während unsere Truppen Budapest verteidigen, faulenzen in Wien Tausende von Ungarn.
In Florisdorf passieren wir einen Zug ungarischer Juden, die von Budapest zu Fuß getreckt waren, beladen mit Bettzeug, die Frauen in Hosen, an den
Händen spindeldürre kleine Kinder, alle mit riesigen Judensternen behaftet. Ein erschütternder Anblick.
Auf dem Wege nach Preßburg werden wir mehrmals umgeleitet, weil die Chaussee von Bombenkratern zerrissen ist. Die slowakische Hauptstadt sieht ziemlich unverändert aus. Der Sliwowitz fließt noch immer in Strömen, aber vor meinem Hotel warnt eine Tafel: »Hier ist keine Etappe!«
Für die deutsche Gesandtschaft ist ein großer Bunker gerade fertiggestellt worden. Jedesmal, wenn ein Bomberverband über Ungarn auftaucht, um nach Oberschlesien zu fliegen, wird in Preßburg Alarm gegeben und erst entwarnt, wenn der letzte Bomber auf dem Rückweg von Schlesien wieder über Ungarn verschwunden ist. Das Leben der Stadt wird dadurch paralysiert. Auf Preßburg selbst sind bisher kaum Bomben gefallen.
Der Aufstand in der Slowakei ist niedergeschlagen
Dienstag vormittag besuche ich Tido Gaspar, der, wie die meisten Slowaken, einen gedrückten Eindruck macht. Der Aufstand ist niedergeschlagen, aber er hat gezeigt, auf welch schwachen Fundamenten der slowakische Staat ruht.
Obwohl es der Slowakei mindestens so gut geht wie Dänemark, obwohl das Land wirtschaftlich zur Oase in Hitlers Europa geworden ist, gibt es viele Unzufriedene. In der Aufstandsbewegung trafen sich eine russisch-kommunistische und eine tschechich-bürgerliche Strömung.
Die politischen Verhältnisse können sich nur bessern, wenn wir wieder militärische Erfolge erzielen. Für eine Kommission in der Schweiz gibt es Hunderte von Bewerbern.
Stellen, die im slowakischen Staatsapparat ausgeschrieben werden, finden dagegen keine Interessenten. Die allgemeine Haltung wird durch Attentismus, Korruption und Disziplinlosigkeit gekennzeichnet.
Petreas, der Pressechef im slowakischen Außenamt, beklagt sich über slowakische Presseattaches im Ausland, die Artikel gegen den slowakischen Staat lancieren und von niemand zur Verantwortung gezogen werden. Wie in Ungarn, so gewinnt in der Slowakei die Auffassung an Boden, daß die Russen nicht so schlimm sind, wie die deutsche Propaganda sie macht, und daß die Deutschen Greueltaten begehen, die die Grausamkeiten der Russen in den Schatten stellen.
So haben die Sowjets angeblich in verschiedenen slowakischen Städten das Eigentum der Einwohner nicht angetastet. In Ungarn soll die Rote Armee einen Sohn des verstorbenen Ministerpräsidenten Grafen Telecki zum Obergespan eingesetzt haben.
Einem Grafen Tisza erlaubten sie angeblich, in sein Schloß zurückzukehren und seine Familie aus Budapest zu holen. Die Eszterhazys sollen in Galantha einen Familientag abgehalten und beschlossen haben, nicht zu fliehen, wenn die Russen kommen. Solche Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt niemand überprüfen kann, geben der antideutschen Flüsterpropaganda Auftrieb.
Die Rückreise von Wien nach Berlin
Für die Rückreise nach Berlin gelingt es nach einem Tag vergeblicher Bemühungen, für RM 50,- ein Taxi zu heuern, das mich aus dem Zentrum von Wien nach Stadlau, jenseits der Donau, schafft, in dem der Zug abgehen sollte. Unterwegs tanken wir Gas.
Vierzig Autos halten vor uns, und ich muß jeden der vierzig Fahrer mit einer Zigarette bestechen und die Autorität eines Wachmannes in Anspruch nehmen, um bedient zu werden.
Auf der Donaubrücke wird unser Taxi von zwei hysterischen Weibern gestürmt, die sich mit wahnsinnigem Geschrei und einem Haufen von Paketen und Einholnetzen auf mich wälzen. Als wir um 18 Uhr in Stadlau anlangen, wo der Schlafwagenzug um 19.36 Uhr abgefertigt werden soll, ist der Zug noch nicht einmal angekommen.
Er hatte sich zuletzt mt dreieinhalb Stunden Verspätung aus Oppein gemeldet und war seitdem in der Slowakei verschollen. Gegen 23 Uhr trifft ein anderer Zug aus Berlin ein, der auch einen Schlafwagen führt.
Wir belegen in einem Personenabteil Plätze, die Kircher hütet, während ich dem Schlafwagenschaffner auflauere, um Betten zu ergattern. Dreißig andere Reisende, unter ihnen Czoernig, haben die gleiche Idee.
Nach zwei Stunden vergeblichen Wartens erfahren wir, daß der Schlafwagen-Schaffner auf der Herfahrt in Marchegg abhanden gekommen ist, als er auf der Station heißes Wasser holen wollte. So greifen wir zur Selbsthilfe, okkupieren ein Coupe und legen uns in die schmutzige Wäsche der ungemachten Betten, bis jemand den Einfall hat, aus dem Wäscheschrank des Schaffners frisches Bettzeug auszugeben.
Ein anderer entdeckt im Dienstabteil einen Kasten Bier und einen Brotvorrat. Dann bringen wir die Heizung des Schlafwagens wieder in Gang.
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Der Schlafwagen-Schaffner taucht wieder auf
In Marchegg steigt der vermißte Schaffner zu, der sich über unsere Eigenmächtigkeit aufs höchste aufgebracht zeigt. Am nächsten Morgen serviert er Tee, den er in einem Suppenkessel aufgesetzt hat und der so nach Fett und Bouillonwürze schmeckt, daß Czoernig ihn mit Schnaps genießbar machen muß. Den Teesatz brüht der Schaffner noch fünf Mal auf und verkauft das Glas zu RM 2,-.
Wieder zurück in Berlin
Langes Gespräch mit Anfuso, Rogeri und Torso. Warum beschäftigen wir nur italienische Straßenarbeiter und keine italienischen Diplomaten?
Der Unbegabteste von ihnen ist für diesen Job immer noch besser geeignet, als viele für gescheit geltende Deutsche. Friedrich der Große wußte dies und verwandte vorwiegend italienische Diplomaten, deren Verschlagenheit, Phantasie und Erfahrung er schätzte.
Mittags habe ich auf einem Frühstück Graf Monoto zum Nachbarn, den neuen japanischen Botschaftsrat, der aus Vichy kommt und das beste Französisch spricht, das ich von einem Asiaten gehört habe. Sein Deutsch ist nicht weniger perfekt, obwohl er nie in unserem Lande gelebt hat.
Fast sämtliche Missionschefs sind zu dem Frühstück erschienen. Steengracht präsidiert, von der Reichsregierung sind Meißner und der Chef des SD, Kaltenbrunner, anwesend. Über die Umbildung der Regierung Bonomi bemerkt Anfuso, daß man die Gräber der Via Appia geöffnet habe, um Regierungsmitglieder zu finden, womit er auf das hohe Alter von Orlando, Sforza und anderer anspielt.
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Donnerstag, den 30. November 1944 - Schildbürgerstreiche oder "den Verstand verloren"
Die Presse berichtet über eine Neuregelung der Stellung von Hauspersonal. In einer Zeit, wo die Anstellung von Hausgehilfinnen generell verboten ist und Ausnahmen nur in genau zu begründenden Fällen zugelassen werden, kommt ein Gesetz heraus, das die Arbeits- und Ruhezeit, den Ausgang und die Mahlzeiten, die Kündigungsfristen und das gegenseitige »Treueverhältnis« mit »Köchinnen und Stubenmädchen, Kindergärtnerinnen, Säuglingsschwestern, Hausdamen, Sekretärinnen, Hauslehrern, Chauffeuren und Gärtnern« bis in die letzten Einzelheiten festlegt.
Mit der deutschen Vorliebe für Banalitäten wird der Begriff der »Hausgemeinschaft« genau umrissen. Die Dienstboten sollen zehn Stunden arbeiten und müssen wenigsten neun Stunden schlafen, die Nachtruhe von achtzehnjährigen Dienstmädchen darf nicht durch den Hausherrn gestört werden, die Freizeit von zwei Nachmittagen kann zu einem Tag zusammengelegt werden und anderes mehr.
Während Beamten mit dreißig Jahren Dienstzeit kriegsbedingt kein Anspruch auf Urlaub mehr zusteht, wird angeordnet, daß die Hausgehilfinnen im ersten Jahr acht Tage, vom dritten Jahr ab zehn Tage und vom vierten Jahr ab fünfzehn Urlaubstage nehmen müssen.
Mitunter sieht es so aus, als ob unseren Behörden der letzte Rest von Verstand abhanden gekommen ist. Ebenso gut könnte man neue Bestimmungen über die sozialen Rechte von Mondanbetern, Zentauren und Baseball-Spielern erlassen.
Zwistigkeiten innerhalb der Ministerien
Vorgestern gaben Außenminister Günther und Premierminister Hansson im schwedischen Reichstag eine Darlegung der deutsch-schwedischen Verhandlungen über die Evakuierung von Flüchtlingen aus Norwegen. Bis heute mittag war der Text der von der Rechtsabteilung verfaßten deutschen Note, auf die sich die schwedischen Staatsmänner beziehen, den Abteilungsleitern im Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden!
Dienstag, den 12. Dezember 1944 - Bekleidungsvorschrift für den Volkssturm
Für den Volkssturm, das letzte Aufgebot unserer Landesverteidigung, ist eine Bekleidungsvorschrift »ausgearbeitet« worden, die an die Etikette für einen »Ball bei Hofe« erinnert. Das Schwulstdeutsch wird um ein neues Wort »Einsatzbraun« bereichert. Ich zitiere aus dem »Neuen Wiener Tageblatt«:
»Beim Volkssturm sind Bekleidung und Ausrüstung an sich eigene Sache jeden Mannes. Im sechsten Kriegsjahr aber und im Zeichen des Bombenterrors muß überwiegend sehr haushälterisch mit der Zivilkleidung umgegangen werden. Daher sind in den Gauen mancherlei zusätzliche Hilfsmaßnahmen in Gang gekommen mit der Auswirkung, daß schon ganze Volkssturmeinheiten einheitlich ausgerüstet sind. Der Reichsführer-SS hat aus seinem Bereich, soweit es der Vorrang anderen Stellen erlaubt, auch unmittelbar gewisse Lücken schließen können. Die Bestände aus den Kammern der SA, des NSKK und der allgemeinen SS können, soweit der Reichsschatzminister der NSDAP die entsprechenden Anweisungen erläßt, ebenfalls für Zwecke des Volkssturms dienstbar werden.
Sowenig es auf die Einheitlichkeit in der Kleidung des Volkssturms ankommt, so notwendig erscheint die Berücksichtigung der Tarnung. Volkssturmdienst in heller Kleidung ist nicht zweckmäßig. Daher ist die Umfärbung zum Beispiel der hellen Parteiuniform oder entsprechender heller Gliederungsbekleidungen in das sogenannte >Einsatzbraun< vorgesehen. Umfärbung von Zivilkleidung kommt dagegen nur in Betracht, wenn sich der Anzug in der bisherigen Farbe durchaus nicht zum Einsatz eignet und wenn der Volkssturmmann diesen Anzug auch nach der Umfärbung noch weiter für seine zivilen Zwecke tragen kann.
weiter dem »Neuen Wiener Tageblatt«
Eine Schädigung des Kleiderbestandes des Volkssturmmannes soll vermieden werden. In Fällen besonderer Notlage besteht die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine der erwähnten Stellen. In allen diesen Bekleidungsfragen kommt es nicht darauf an, eine Einheitlichkeit innerhalb der Kompanien oder Bataillone zu erreichen, sondern darauf, die vorhandenen, beziehungsweise zur Verfügung gestellten Bekleidungsstücke so zu verteilen, daß jeder Angehörige der Einheit in der Lage ist, wirklich am Dienst teilzunehmen.
Die Ausstattung der Bombengeschädigten steht hierbei im Vordergrund. Die Einheitlichkeit des Volkssturms, die ihn auch formal als Kombattanten kennzeichnet und damit dem Soldaten im Einsatz nach den internationalen Vereinbarungen über den Landkrieg gleichstellt, wird anders gewährleistet. So durch Armbinde, die nach behelfsmäßiger Ausgabe in Weiß und Gelb jetzt durch eine reichseinheitliche Armbinde mit der Aufschrift >Deutscher Volkssturm - Wehrmacht< auf dunklem Grund ersetzt wird.
Dazu kommt das Soldbuch, dessen Ausgabe gegenwärtig im Gange ist. Schließlich ist vorgesehen, den Volkssturm-Mann auch mit einer Erkennungsmarke auszustatten, wenn auch naturgemäß das alles nicht überall gleich schnell verwirklicht werden wird. Die
Dienstgradabzeichen für den Volkssturm bestehen aus silbernen Sternen, von denen der Gruppenführer einen, der Zugführer zwei, der Kompanieführer drei und der Bataillonsführer vier auf Rockaufschlag oder Kragenspiegel trägt. Andere Dienstgradabzeichen werden beim Volkssturmdienst nicht getragen, das Hoheitsabzeichen bleibt aber auf der Uniform, falls es vorher getragen wurde.
Auf eine besonders zu schaffende neue Volkssturmfahne wurde verzichtet. Statt dessen wird auf einer vorhandenen Fahne der Ortsgruppe der NSDAP oder einer Gliederung der Umwandlung in eine Volkssturmbataillonsfahne durch Anbringung einer schwarzen Gösch vollzogen, die in arabischen Ziffern die Bezeichnung der Volkssturmeinheit trägt.«
16. Dezember 1944 - Samstag mit Freddy Horstmann nach Buckow
Der Gesandte von Mandschukuo, ein Japaner, der uns um 17 Uhr vom Steinplatz abholen soll, erscheint erst um 20.15 Uhr und entschuldigt seine Verspätung mit einem Frühstück, das der japanische Botschafter anläßlich des Jahrestages von Pearl Habor veranstaltete und das bis 18 Uhr dauerte.
Während der Fahrt nach Buckow hören wir im Autoradio die Luftlage ab. Jedesmal, wenn eine kritische Meldung durchkommt, läßt der Gesandte den Wagen halten, steigt aus und verschwindet in einem Gebüsch. Als wir endlich um 22 Uhr in Buckow eintreffen, gibt es sofort Vollalarm.
Der kroatischen Gesandtschaft sind Alfred Rukawina und Geza Pejacsevich zugeteilt worden, die beide als Österreicher erzogen wurden.
Eine seltene Erwähnung - der Garbo-Film »Ninotschka«
Im APC wohnen wir einer Vorführung des Garbo-Films »Ninotschka« bei, der nur noch in »geschlossener Gesellschaft« gezeigt werden darf - offensichtlich weil die darin glossierten »russischen Zustände« nun auch bei uns eingekehrt sind.
Aus den letzten Nummern der amerikanischen »Vogue« und von »Harpers Bazar« geht hervor, daß die amerikanische Mode durch das Ausbleiben des Pariser Einflusses einen Zug ins Spießige bekommen hat.
In der Mode wird Frankreich seine Stellung am schnellsten wiedererobern. Der Abschluß des Paktes mit Moskau ist für de Gaulle ein großer Erfolg und ein Beispiel dafür, daß sich Beharrlichkeit politisch auszahlen kann.
Churchills Unterhausrede zur griechischen Frage gehört zu den interessantesten Kundgebungen der britischen Politik in den letzten Jahren. Zum ersten Mal macht Großbritannien gegen seinen russischen Verbündeten Front.
Dienstag, den 5. Dezember 1944 - schwerer Luftangriif auf Berlin
Seit dem 26. Juni hatten wir heute zum ersten Mal wieder einen schweren Tagesangriff, bei dem Spandau, Siemensstadt, Wittenau, Oranienburg, Hermsdorf, Schöneweide, Rosenthal, Pankow und Weißensee getroffen wurden. Die Innenstadt blieb diesmal verschont.
Die Kriegslage ist sehr ernst. Die Vogesenlinie wurde aufgegeben. Der Fall von Budapest wird täglich erwartet. Aus Ostpreußen werden von großen Truppen- und Materialansammlungen des Feindes berichtet. Der Ring um uns schließt sich mehr und mehr. Es wird verdächtig viel Fleisch ausgeteilt. Es soll sich um Fluchtvieh handeln, das abgeschlachtet werden muß.
Donnerstag, den 14. Dezember 1944 - Konferenz der britischen Labour-Partei
Auf der Konferenz der britischen Labour-Partei brach die einzige Lanze für Deutschland der jüdische Abgeordnete Strauß, der sich auf das entschiedenste gegen Pläne wandte, die darauf abzielen, aus Deutschland ein reines Agrarland zu machen.
Er sagte: »Europa kann nicht glücklich sein, und wir in England können nicht glücklich sein, wenn das industrielle Herz Deutschlands nicht gedeiht. Alle diese Vorschläge dienen nur dazu, Unzufriedenheit, Bitterkeit, Haß und Unruhe zu schaffen, die zwangsläufig zu dem Aufstieg neuer faschistischer Parteien und zu neuen Kriegen führen müssen.«
Mittwoch, den 20. Dezember 1944 - die Ardennenoffensive
Zeitungen mit Nachrichten über unsere am Samstag im Westen eingeleitete Offensive werden den Verkäufern druckfeucht aus den Händen gerissen.
Wohl zum ersten Mal in diesem Kriege ist es gelungen, eine größere militärische Aktion vollkommen geheim zu halten und den Gegner zu überraschen. Da beiderseits Nachrichtensperre besteht, weiß man nicht, ob die Offensive als Entlastung angelegt ist oder ein weiter gestecktes Ziel, wie etwa die Rückeroberung Antwerpens, verfolgt.
In einem Aufruf Models an die Truppe ist die Rede vom »Vergeltungsschwert« und vom »Geist von Leuthen«.
Doch noch eine Weihnachtsfeier im APC im Dez. 1944
Auf einer Weihnachtsfeier im APC, an der Angehörige der Presseabteilung, des Promi, der SS, der Wehrmacht und ausländische Jornalisten teilnehmen, sang Frau de Kowa, geborene Mitchiko Tanaga.
Ihr Gatte trug Gedichte von Wilhelm Busch und Christian Morgenstern vor. Schmidt hielt eine halb weihnachtliche, halb politische Rede, an der ich nur auszusetzen hatte, daß etwas zu viel von der Sonnenwende darin vorkam. Zu den Albernheiten dieser Zeit gehört es, daß man Weihnachten nicht bei Namen nennen darf!
Nichts als leeres Stroh auf dem Journalistenkongreß in Wien
In Wien tagt der »internationale« Journalistenkongreß, auf dem nichts als leeres Stroh gedroschen wurde. Eine Rede von Dietrich mußte in der deutschen Presse »aufgemacht« werden.
Man fragt sich, warum diese Zusammenkunft abgehalten wurde, nachdem das Promi alle Tagungen für überflüssig erklärt hat.
Nachstehendes Urteil von H. G. Wells in der sozialistischen »Tribüne« über Churchill illustriert den Grad der in England herrschenden Meinungsfreiheit:
»Churchills Gedankengut, welches er in seiner Garnisonszeit in Indien, auf den Felsenriffen Südafrikas, in seiner Heimat und bei Unterhaltungen in wohlhabenden konservativen Häusern aufsammelt, ist ein erbärmlicher Wirrwarr zusammenhanglosen Unsinns. Ein Pfadfinder-Junge ist gebildeter.
Irgendwelche Anzeichen tiefgründigen Denkens oder wissenschaftlicher oder literarischer Fähigkeiten sind bei Churchill nie zutage getreten. Seine Unkenntnis zeitgenössischer sozialer und physikalischer Wissenschaften ist auffallend. Er hat seine Sendung erfüllt, und es ist höchste Zeit, daß er sich zurückzieht, ehe wir vergessen, was wir ihm schuldig sind. Wir wollen, daß er geht, - und zwar sofort - um seiner selbst und um unseretwillen, ehe er uns weiter Schande macht, und wenn er alle Könige der Welt mitnimmt, um so besser für die hoffende Menschheit. In dieser Sache ist Eile geboten.«
Montag, den 8. Januar 1945 - Die Offensive ist gescheitert
Die an die Offensive im Westen geknüpften Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Daß es nach beachtlichen Anfangserfolgen zu keiner Entscheidung kam, wird dem Wetter zugeschrieben, das sich plötzlich besserte und dem Feind die Möglichkeit zur Entfaltung seiner starken Luftmacht gab, gegen die Model nur 1000 Flugzeuge aufbieten konnte.
Zweifellos hat die Offensive dem Gegner, der uns schon am Boden sah, einen Schock versetzt, auf den er aber so reagiert, wie es der angelsächsischen Mentalität entspricht.
In England werden 350.000 neue Rekruten ausgehoben. Amerika bereitet die Einführung einer nationalen Dienstpflicht vor. Die gegenwärtige Ausbuchtung der Front werden wir kaum halten können, wenn es zu Angriffen auf unsere Flanken kommt. So entsteht der Eindruck, daß ein kühn angelegtes Manöver am Mangel an Reserven vorzeitig scheitert.