Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945
Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.
Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.
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Mittwoch, den 24, November 1943 - ein Weltuntergangserlebnis
Unbeschreibliche Stunden liegen hinter uns. Wir haben einen Weltuntergang überlebt. Auf der Rückreise von Puddiger in Pommern, dort hatten wir bei Blumenthals ein geruhsames Wochenende verlebt, erreichen wir gegen 20 Uhr Stettin, als die Lichter verlöschen und jemand »Luftgefahr« ruft.
Der Zug fährt aus der Bahnhofshalle und bleibt einige Kilometer weiter auf offener Strecke liegen. Durch die Nacht dringt Geschützfeuer. Im Süden zeichnet sich ein fahler Schein gegen den dunklen Himmel. Nach einstündiger Pause setzt sich der Zug wieder in Bewegung.
Gegen 22 Uhr sind wir in Angermünde, um 23 Uhr in Eberswalde, dort heißt es, ein großer Angriff habe die Strecke beschädigt. Wir kommen nur langsam voran und finden uns gegen ein Uhr früh in Bernau (nordöstlich von Berlin), wo wir zum Verlassen des Zuges und zur Weiterfahrt mit der S-Bahn aufgefordert werden, weil der Stettiner Bahnhof in Berlin unbenutzbar geworden ist.
Das Umsteigen bereitet Schwierigkeiten, da der S-Bahn-Zug die vielen Reisenden aus dem Fernzug nicht fassen kann. Obendrein sind wir außer dem Gepäck mit zwei Kreaturen belastet, die wir in Pommern erstanden haben, einem jungen Dackel für Gini und einem Vorweihnachtsbraten in Gestalt eines Truthahns.
Enorme Zerstörungen in Berlin
In Buch erblicken wir erste Zerstörungen. Um 2.15 Uhr ist auch die S-Bahn-Reise zu Ende. In Pankow-Schönhausen werden wir herausgeholt und wissen nicht, wie wir weiterkommen sollen. Die Luft ist von beißendem Qualm erfüllt.
Wir geben uns der Illusion hin, daß der Angriff dem Osten der Stadt gegolten hat, und machen uns so gut es geht mit unseren Sachen zu Fuß auf, um über die Schönhauser Allee der Stadt näher zu kommen. Das Gepäck lassen wir in einem Notspital, in dem ständig Verletzte eingeliefert werden. Hund und Truthahn nehmen wir mit.
Den Versuch, den Alexanderplatz zu erreichen, geben wir nach einer Stunde auf. Die von Brandgeruch und ausströmendem Leuchtgas geschwängerte Luft wird so unerträglich, die Finsternis so undurchdringlich, der Regenschauer vor sich her jagende Sturm so stark, daß unsere Kräfte erlahmen.
Dazu versperren umgestürzte Bäume und Leitungsmasten, zerrissene Hochspannungskabel, verkohlte Straßenbahnwagen, Trichter, Gesteinstrümmer und Glasscherben den Weg. Alle Augenblicke reißt der Wind von den Ruinen Fensterrahmen, Dachziegel und Regenrinnen auf die Straße.
Um vier Uhr früh taucht ein Licht auf. Wir treten in ein Lokal, in dem sich Zeitungsfrauen zur Entgegennahme der Frühausgaben versammelt haben.
Von ihnen erfahren wir, daß die Katastrophe sich nicht auf die östlichen Stadtteile beschränkt, sondern auch Zentrum und Westen schwer getroffen hat. Die Haltung der Austrägerinnen nötigt uns Bewunderung ab. Jede von ihnen ist ausgebombt oder hat in dieser Nacht irgendeinen schweren Schaden erlitten. Keine macht ein Aufheben davon. Alle finden sich zur gewohnten Stunde ein, ruhig, tapfer, gefaßt, um die Bevölkerung mit den Morgenzeitungen zu versorgen.
Berlin brennt lichterloh
Gegen fünf Uhr früh bringt uns eine Zeitungsfrau auf den Weg nach dem U-Bahnhof Rosenthaler Platz. Die Straßen dorhin säumen ausgeglühte Geschäftshäuser. Zwischen zuckenden Flammen, eingehüllt in Glut, Rauch und Funkenflug, erreichen wir den U-Bahnschacht mit Mühe.
Auf den Bahnsteigen unter der Erde haben sich Hunderte von Ausgebombten mit dem Rest ihrer Habe niedergelassen. Mit Wunden, Verbänden und rußverschmierten Gesichtern hocken sie apathisch auf ihrem Bettzeug und anderem geretteten Hausrat. Der U-Bahn-Zug bringt uns bis zum U-Bahnhof Alexanderplatz, an dem der Schienenverkehr zu Ende ist.
Wir steigen empor in die brennende Hölle Berlins, der schaurige Morgen des 23. November bricht an. Um den zerstörten S-Bahnhof Alexanderplatz brennen die großen Warenhäuser lichterloh.
Weiter stadtwärts steht Schlüters herrliches Schloß, die einstige Residenz der Hohenzollern, inmitten eines Orkans von Rauch und Funken. Aus einem Flügel schlagen riesige Flammen.
Wir überqueren die Spree und sehen das Bankenviertel brennen. Zeughaus, Universität, Hedwigskirche, Kommode und Nationalbibliothek sind bereits eingeäschert. Rauchwolken verdecken den Blick von den Linden in die Friedrich- und Wilhelmstraße. Auf dem Pariser Platz steht der Geschäftsbau der IG Farben in Flammen.
Das gegenüberliegende »Adlon« scheint unversehrt. Die französische Botschaft, das Palais Friedländer, das Schautenkasino, die von Schinkel erbauten, das Brandenburger Tor flankierenden Eckhäuser zeigen gegen den feurigen Hintergrund zum letzten Mal die feinen Profile ihrer Architektur.
Der Tiergarten erinnert an Verdun nach dem 1. Weltkrieg
Jenseits des Tores gleicht der Tiergarten einer Waldlandschaft aus dem ersten Weltkrieg. Zwischen Bataillonen gefällter Parkbäume ragen die Stümpfe ihrer Kronen beraubter Eichen und Buchen.
Die Charlottenburger Chaussee bedecken zerrissene Tarnnetze, versackte Autos, ausgebrannte Lastzüge, zwischen denen eine Völkerwanderung von Obdachlosen verstört dem Großen Stern zustolpert, über dem sich, unangerührt von dem Schrecken der Nacht, die Siegessäule wie das Schwert des Jüngsten Gerichts erhebt.
Rings um das gewaltige Denkmal blicken die Bronzebüsten Moltkes und der Paladine aus dem (achtzehnhundert) Siebziger Krieg auf den trüben Spiegel eines in der Nacht durch den Bruch des Hauptwasserrohres entstandenen künstlichen Sees.
Dann stehen wir in der Händelallee und vor unserer Wohnung. Auch dort ist der Park von Bomben zerpflügt, die Kaiser-Friedrich-Kirche durch einen Volltreffer zur Ruine geworden, die vierstöckigen Etagenhäuser eine Zeile erloschener Fassaden.
Unser Haus Händelallee 12 hat den Angriff überstanden und ist erst durch den Brand der Nachbarbauten der Zerstörung anheimgefallen. Von 33 Häusern in der Straße haben nur 3 die Nacht überlebt. Das unsere steht als letztes in Flammen.
Wir werfen einen Blick auf die Fenster der zweiten Etage, hinter denen es schauerlich leuchtet und züngelt. Einer sechsarmigen Fackel gleich schwebt der Empirekronleuchter in unserem Salon als letztes erkennbares Stück des Interieurs im Räume und stürzt dann durch die ausgebrannten Decken der unteren Stockwerke einer Sternschnuppe gleich in den Keller.
Im matten Licht des aufziehenden Tages entdecken wir am Rand des Tiergartens etwas Wäsche und ein paar Kleider, die unsere Köchin Klara den tobenden Elementen hat entreißen können. Alles andere ist unwiederbringlich dahin, Lebensmittelvorräte, die wir Jahre hindurch aufgebaut haben, 300 Flaschen Wein, alle Möbel.
Klara hat Übermenschliches geleistet. Niemand konnte ihr helfen zu bergen, weil alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Der Ausfall von Strom und Wasser hat die Rettungsarbeiten über die Maßen erschwert.
Bevor der Brand das Haus ergriff, hat der Luftdruck der in der Nachbarschaft detonierenden Sprengbomben ein Chaos angerichtet, Bilder von den Wänden gerissen, die Bibliothek umgestürzt, Spiegel und Lüster zerschmettert. Anwesend, hätten wir vieles retten können. So blieben uns die Stunden im schlecht abgestützten Luftschutzkeller erspart, in dem die Hausgenossen Gott anriefen, weil sie ihr Ende nahe glaubten.
Der Überlebenden bemächtigte sich am anderen Morgen bacchantische Verwirrung. Vor den brennenden Ruinen umtanzen sie einander, umarmen sich und führen Szenen auf, die sich keine Phantasie vorzustellen vermag.
Der zweite Angriff am 25. November 1943
Was der erste Angriff übriggelassen hat, nimmt der zweite in der folgenden Nacht mit. Wer beide erlebt hat, hält ihn für den schlimmeren, weil noch mehr Sprengbomben geworfen wurden. Den Angreifern bietet die brennende Stadt ein weithin sichtbares Ziel.
Als wir Berlin zwei Stunden vor dem neuen Alarm mit dem italienischen Botschafter Anfuso verlassen, sind die Straßen vom Schein der noch schwelenden Feuersbrünste taghell erleuchtet. Zwischen den Bahnhöfen Charlottenburg und Alexanderplatz ist fast alles vernichtet.
Nur in der Kant- und in der Rankestraße sowie am Kurfürstendamm ist der eine oder andere Häuserblock wie eine Insel im Ruinenmeer stehen geblieben. Um die Gedächtniskirche starren Ruinen, der Zoo ist verbrannt, das Aquarium und Eden-Hotel demoliert, der alte Westen von der Budapester Straße bis zur Potsdamer Brücke verschwunden, die Tiergartenstraße und der nördliche Rand des Tiergartens sind ausgelöscht.
Im Zoo wurden die meisten wilden Tiere durch Sprengstücke, Feuer oder die novemberliche Witterung getötet. Phantastische Geschichten machen die Runde. Entlaufene Krokodile und Riesenschlangen sollen an den Böschungen des Landwehrkanals gesichtet worden sein. Ein entsprungener Tiger drang in die Ruinen des Cafe Josty ein, verschlang ein liegengebliebenes Stück Bienenstich - und verendete nach seinem Genuß.
Ein Witzbold, der an diese Begebenheit Folgerungen über die Qualität des Jostyschen Kuchens schloß, wurde vom Pächter der Konditorei wegen Verleumdung verklagt. Das Gericht ordnete die Obduzierung der toten Bestie an und zur Genugtuung des Konditors stellte man fest, daß in den Magen des Tigers gelangte Glassplitter seinen Tod verursacht hatten - So die Fama!
Botschaften und Gesandtschaften hat es ebenfalls getroffen
Von den Hotels stehen nur das »Esplanade« und das »Adlon« und ein Teil des »Kaiserhof«. Fast alle Ministerien, fast alle Banken, die alte Reichskanzlei, das Palais Wilhelms I., das Charlottenburger Schloß, das Lützowplatzviertel liegen in Trümmern.
Die Botschaften und Gesandtschaften wurden mit wenigen Ausnahmen eingeäschert. Die italienische und japanische Botschaft haben schwer gelitten. Im Palais Ribbentrop ist der Dachstuhl ausgebrannt, im Haus Wilhelmstraße Nr. 74 die oberen Etagen. Alle Ausweich» und Sammelpläne sind durch den Umfang der Katastrophe über den Haufen geworfen.
Nur einer war verschont geblieben: Freddy Horstmann
Tausende von Lastwagen verstopfen die Straßen, ein Heer von Soldaten, Gefangenen, Sträflingen löscht, fährt Möbel, bringt Leute weg. Die Bevölkerung hält sich fabelhaft. Von unseren Freunden haben fast alle alles verloren, darunter Doernbergs, Lutis, Oyarzabals, Tino Soldati, Sieburg, Fries, Spretis, Achim Stein und Laroches. Nur einer ist - als Ausgleich für die Katastrophe in Kerzendorf - verschont geblieben: Freddy Horstmann. In seiner Wohnung am Steinplatz hatten der Dachstuhl und das oberste Stockwerk Feuer gefangen, das von Marine (?? wer oder was ist das ?) eingedämmt werden konnte, die ein benachbartes Büro von Dönitz schützten.
Freddys Möbel waren schon auf der Straße, als sich der Lift im Haus löste und auf die Decke der Vorhalle seiner Wohnung stürzte, die wunderbarerweise hielt. Freddy, dem Dutzende von Ausweichquartieren zur Verfügung stehen, gibt nicht auf. Am nächsten Morgen wurde alles wieder so eingeräumt, als wenn nichts gewesen wäre. Selbst die Teppiche wurden wieder auseinandergerollt.
Während der ersten Angriffsnacht befand sich seine Familie in der Wohnung, da Lally Geburtstag hatte, in der zweiten hat der alte Herr allein ausgehalten, um sein Haus zu verteidigen. Freddy, der, schwer herzkrank, dies alles freiwillig durchsteht, wurde nie mehr bewundert als in diesen Tagen.
Nur ganz wenige hatten soviel Glück
Richard Kühlmanns Haus am Tiergarten und Eberhard Oppenheims Wohnung in der Graf-Spee-Straße sind nicht mehr. Paul Schmidt fiel beim Löschen des Auslandspresseklubs ein Balken auf den Kopf. Helmut Fries' Dienstboten sind verschüttet. Die Köchin eines unserer Freunde vermißt ihren Mann, der unter einem eingestürzten Haus begraben wurde.
Nach 24 Stunden wurde er lebend geborgen. In seinem Rucksack fand man ein halbes Dutzend bei unserem Freund gestohlener Hemden und ihm auf »rätselhafte« Weise abhanden gekommenen Schmuck. Um seine Bedienerin nicht zu verlieren, sah unser Freund von einer Anzeige ab. Die Antiquare, mit Ausnahme von Grosse im »Esplanade«, haben alles verloren.
Fernzüge fahren vom Schlesischen Bahnhof, von Potsdam und von Bernau. Der Stettiner Bahnhof ist zerstört, der Potsdamer Bahnhof nicht mehr benutzbar. Die S-Bahn verkehrt erst ab Pankow und ab Potsdamer Platz.
Für uns von jetzt an kein Zuhause mehr
Wir sind zunächst bei meiner Mutter in Potsdam untergekommen. Heute holten wir unsere Fahrräder nach, die wir schieben mußten, da die Reifen durch Glasscheiben zerlöchert worden waren. Ein paar gerettete Kleinigkeiten habe ich im Auswärtigen Amt abgestellt, weil die Leute alles stehlen, was nicht dauernd bewacht wird.
Schlimmer als der Verlust der Sachen schmerzt es, kein Zuhause mehr zu haben, keinen Ort, an dem man tun und lassen kann, was man will, und an dem man die Leute sehen darf, die man gern hat. Die Aussichtslosigkeit, die persönliche Welt wiederherzustellen, wiegt am schwersten.
Meine Directoire-Bibliothek, eine Regence-Kommode und der russische Empirelüster gehören zu den Dingen, die es nie wieder geben wird. Nur eine Woche vor der Katastrophe war ich so vermessen, mir eine Louis-Seize- Standuhr zu kaufen und aufzustellen.
Aber so haben viele von uns, Freddy an der Spitze, gehandelt. Jetzt sind wir mit fliegenden Fahnen untergegangen, erfüllt von der Genugtuung, bis zuletzt so gelebt zu haben, wie wir es liebten, ohne Konzessionen an den barbarischen Geist der Zeit.
Das ist nun aus, Jetzt wird man von anderen Leuten abhängen, wird man jahrelang nur als Gast oder »eingewiesen« leben müssen, zigeunern, nicht im Sinne eines freien Mannes, sondern als Obdachloser.
Dienstag, den 30. November 1943 - ein dritter Großangriff
Ein dritter Großangriff auf Berlin erfolgte in der Nacht vom Freitag, den 26., auf Samstag, den 27. November. Er traf Spandau, Siemensstadt und Tegel. Die letzten Nächte waren alarmfrei.
Die englische Presse triumphiert. Luftmarschall Harris erklärte, daß bereits 12.000 Tonnen Bomben auf Berlin abgeworfen wurden oder 2.000 Tonnen mehr als auf Hamburg. Er kündigte an, daß 60.000 Tonnen abgeworfen werden sollen, um Berlin zu »hamburgisieren«. Wir haben also noch 48.000 Tonnen abzustottern!
Die Haltung der Bevölkerung ist großartig. Wenn sich einzelne grauenhafte Szenen abgespielt haben, so ist es doch nirgendwo zu einer Panik gekommen. Die Abtransporte der Bombengeschädigten und ihre Versorgung funktionieren jetzt besser, die Zugverbindungen wurden überraschend schnell wiederaufgenommen.
Soldaten und Kriegsgefangene sind mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Schon am dritten Tag nach der Katastrophe waren die Hauptverkehrsadern gesäubert, so daß die lästigen Reifenpannen aufgehört haben. An den Häuserwänden kleben Plakate, auf denen die Adressen der Sammel- und Kartenstellen mitgeteilt werden.
Rote Zettel in deutscher, französischer, russischer und polnischer Sprache warnen Plünderer. Viele Straßen bleiben gesperrt. Aus den oberen Etagen von Ministerien und öffentlichen Gebäuden werden Schutt und Trümmerreste nach unten geworfen.
Im Auswärtigen Amt klappt fast nichts
Am Auswärtigen Amt ist man damit beschäftigt, den Torso der dritten, zweiten und ersten Etage im ausgebrannten Haus Nr. 74 auf die Wilhelmstraße zu befördern.
Um die Ingangsetzung der Zentralheizung kümmert sich dagegen niemand. Das Auswärtige Amt bewältigt »seine« Katastrophe nicht gerade glücklich.
Obwohl seit Monaten Ausweichpläne festgelegt, obwohl Richtlinien über Richtlinien und Rundschreiben über Rundschreiben zu diesem Thema erlassen, obwohl ein eigener Staatssekretär (Keppler) beauftragt wurde, die Evakuierung und andere Katastrophenmaßnahmen vorzubereiten, klappt nichts.
Während einige Abteilungen alle zur Arbeit aufrufen, hat die Personalabteilung den Bombengeschädigten bis zum 9. Dezember Urlaub erteilt.
Volle fünf Tage wurde verhandelt, ob das Amt nach Krummhübel verlegt werden solle. Jetzt endlich geht ein Vorkommando von 300 Mann ins Riesengebirge, um in Krummhübel Quartiere vorzubereiten. Wie man sich die Fortsetzung der praktischen Arbeit denkt, steht in den Sternen.
Aus der Presseabteilung werden das hier dringend benötigte Archiv und die Länderreferate nach Krummhübel ausgelagert. Zum Durcheinander trägt bei, daß Schmidt von seiner Gehirnerschütterung noch nicht genesen ist.
Die Katastrophe wäre eine gute Gelegenheit, um den Personalbestand des Auswärtigen Amtes radikal abzubauen. In diesen Tagen zeigt es sich, wie groß der Leerlauf in dieser Behörde ist. Der Krieg geht weiter, ohne daß sich der Ausfall des Auswärtigen Amtes bemerkbar macht.
Allen kriegslähmenden Bürokratien sollte man jetzt den Garaus machen. Typisch ist, daß der Vertreter des OKW, der uns über die militärische Lage auf dem laufenden zu halten hat, entweder überhaupt nicht oder stundenlang verspätet erscheint, mit der Begründung, ihm stünde kein Wagen zur Verfügung! Daß er zu Fuß von der Bendlerstraße in die Wilhelmstraße nur zehn Minuten benötigt, ist ihm noch nicht eingefallen.
Die Deutschen und die unvorhergesehenen Situationen
Mit unvorhergesehenen Situationen fertig zu werden, liegt den Deutschen nicht. Berlin ist ein einziges großes Ruinenfeld geworden. Eine der wenigen Oasen bildet das Hotel »Adlon«, in welchem man mittags leidlich essen kann und viele Bekannte trifft.
Gestern begegnete ich dort Scapini, Dorothee Sieburg, Carl Clemm, Ulrich Doertenbach, Konstantin Oesterreich, Alfred Chapeaurouge, Helga Nehring, Hasso Etzdorf, Aga Fürstenberg, Edgar Üxküll, heute Hans Henckel, Wendla Langen, Klaus Kieckebusch, Anka Fries. Alle tragen ihre Verluste mit Fassung. Die Katastrophe ist so allgemein, daß keiner ein Aufheben von dem zu machen wünscht, was er persönlich eingebüßt hat.
Nur auf den öffentlichen Verkehrsmitteln verliert das Publikum gelegentlich seine Nerven. Dort spielen sich Drängelszenen und Schimpfereien ab.
Keine Informationen über die Zahl der Toten
Erni Studnitz, der in der Landgrafenstraße eine mit feinstem Geschmack eingerichtete Etage bewohnt, ist qualvoll gestorben. Man hatte ihn gegen seinen Willen auf einer Bahre in den Luftschutzkeller geschafft. Als der Aufenthalt dort wegen der Hitze in dem darüber brennenden Haus unerträglich wurde und die Leute herausstürzten, vergaßen sie ihn mitzunehmen. Kries wird heute beerdigt. Über die Zahl der Toten laufen verschiedene Versionen um, die Zahl der Obdachlosen wird mit 400.000 bis 500 .000 angegeben.
Montag, den 6. Dezember 1943 - Treffen im Adlon
Heute traf ich im »Adlon« den Eichenlaubträger Wittgenstein, der in der Angriffsnacht vom Donnerstag, den 18., auf Freitag, den 19. November bei uns wohnte und einer Nacht-Jagd-Division in Holstein angehörte. Er sieht blaß und elend aus, wie die meisten jungen Flieger, übernervös, schläft nur mit starken Mittein, wacht alle anderthalb Stunden auf.
Wittgenstein nimmt an, daß ab morgen zehn Tage lang wegen der Mondverhältnisse keine größeren Einflüge zu erwarten sind. Der Angriff auf Leipzig, an dem 500 Flugzeuge teilnahmen, wird als der bislang schwerste Einzelangriff des Krieges angesehen.
Der RAM ist noch immer in Berlin. Den ausländischen Diplomaten, die aufs Land auswichen, würde sich zum ersten Mal in den Kriegsjahren die Gelegenheit bieten, den Außenminister an seinem Amtssitz zu sehen.
Ausgerechnet jetzt sind sie nicht da! Bei einigen Diplomaten haben die Terrorangriffe auf Berlin eine deutschfeindliche Stimmung erzielt. Die Leute machen uns für die Unbequemlichkeiten verantwortlich, die ihnen entstanden sind.
Es heißt, daß der RAM so lange in Berlin bleiben will, wie Goebbels hier ist, dessen Ministerium im Gegensatz zum Auswärtigen Amt intakt blieb.
Seit zwei Wochen nun arbeiten wir in ungeheizten, zum Teil nicht einmal beleuchteten Räumen. Obendrein wird verlangt, daß man Luftschutz macht.
Das Leben ohne Wohnung wird jeden Tag drückender. Man hat kein Schneckenhaus mehr zum zurückziehen. Noch immer ist die Hälfte unserer Fern- und Hellschreiber (Anmerkung : das sind frühe Faxgeräte) ins Ausland lahmgelegt.
Die Evakuierung des auswärtigen Amtes - Unfug erster Ordnung
Die Evakuierung des Amtes nach Krummhübel stellt sich als Unfug erster Ordnung heraus, weil es dorthin weder gute Bahnanschlüsse, nur eine Telephonverbindung und keine Bunker gibt. Das Richtige wäre gewesen, für das Auswärtige Amt so rechtzeitig wie für das OKW Ausweichquartiere in der Umgebung Berlins vorzubereiten.
Auf mehrere Dörfer und Güter verteilt, hätte das Amt durch eine Katastrophe wie die am 23. November kaum getroffen werden können. In Krummhübel kann sie sich jeden Tag wiederholen.
Merkwürdige Gedanken über einen "Wiederaufbau"
Wenn man durch die zerstörten Straßen Berlins geht, macht man sich unwillkürlich Gedanken über die Möglichkeit des Wiederaufbaus.
Wird ein schöneres Berlin entstehen, und wann wird es dazu kommen? Wenn der Krieg beendet ist, dürfte das Bedürfnis, schnell Räumlichkeiten für Wohn-und Bürozwecke zu schaffen, alle anderen Erwägungen überschatten. So werden schlechte Bauten wie Pilze aus der Erde schießen.
Wohnungen, die mehr als drei Zimmer umfassen, wird man kaum erstellen, erst recht nicht Wohnungen mit hohen Räumen. Wahrscheinlich werden die neuen Wohnbauten Bienenkörben gleichen, in denen die Menschen wie in Waben leben.
Die im Tiergartenviertel angefangenen Diplomatenbunker stehen nun halb vollendet neben den ausgebrannten Botschaften und Gesandtschaften, ein aufreizender Anblick! Während an den Bunkern für wenige Privilegierte Tausende von In- und Ausländern schafften, ist der Bau von Schutzräumen für die Bevölkerung kaum vorangekommen.