Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945
Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.
Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.
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Dienstag, den 7. Dezember 1943 -
Der Bombenhumor treibt seltsame Blüten. Kindern wird folgendes »Abendgebet« empfohlen :
»Abendgebet«
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- Müde bin ich, geh zur Ruh
- Bomben fallen immerzu
- Flak, o lass die Augen Dein
- Über unserem Städtchen sein
- Was der Tommy hat getan
- Sieh es, lieber Gott, nicht an
- Deine Hand und unser Mut
- Machen allen Schaden gut
- Allen die uns sind bekannt
- Ist die Wohnung ausgebrannt
- Darum haben groß und klein
- Nur noch Trümmer und kein Heim
- Mündchen halten, Köpfchen senken
- Immer an den Endsieg denken
- Hilf dem Meier, lieber Gott
- Jetzt in seiner großen Not
- Gib ihm seinen richtigen Geist
- Daß er wieder Göring heißt
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Ein »Tischgebet« lautet :
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- Komm, Herr Ley, sei unser Gast
- Und gibt uns die Hälfte, die Du uns versprochen hast
- Nicht Pellkartoffeln und salzigen Hering
- Nein, was Du ißt und Hermann Göring
- Jüppchen darf davon nichts wissen
- Sonst werden wir noch mehr beschissen
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Schließlich reimt man:
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- Keine Butter in der Dose
- Keinen Hintern in der Hose
- Auf dem Klo nicht mal Papier
- Aber dennoch, Führer - wir folgen Dir!
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Andere Verse befassen sich mit dem totalen Krieg:
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Ach, wie ist das Leben schön
Oder wollt Ihr's schöner haben
Bunkerlaufen, Schlangestehen
Nach 'nem Weißkohl voller Maden
Straßenbahn gerammelt voll
Drängeln, Meckern, Pöbeln,
Johlen Butterdose immer leer
Und im Keller keine Kohlen
Wo Du hinschaust nur Ruinen
Baum entwurzelt, Siel verstopft
Brandkanister, Gangsterminen
Sind vom Himmel hier getropft
Wohnung ohne Tür und Fenster
Durch die Dächer regnet's rein
Menschen mager wie Gespenster
Die Klamotten kurz und klein
Kommst Du nach getaner Arbeit
Abends im Galopp nach Haus
Draußen gießt es dann in Strömen
Nässe, Dunkelheit und Graus
Mami, dieses gute Wesen
Hat das Essen auf dem Tisch
Wußte kaum noch was zu kochen
Doch heut war sie dran mit Fisch
Und Du setzt Dich voll Behagen
Und verschlingst mit großer Gier
Stundenlang knurrt schon der Magen
Führer mein, wir danken Dir
Auf leicht angebombter Chaise
streckst Du Dich dann rauchend
aus des Kartoffelkrautes Düfte
ziehen wunderbar durchs Haus
Da - und schon jault durch den Abend
lieblich der Sirene Schall
»Jung, de Schiet ward mi bald krupen
kümmt de Aas um sechs jetzt all?«
Mami steht schon luftschutzmäßig
Mit Gepäck bei Fuß und so
»Hein, komm schnell mit nach'n Bunker
büschen dalli, mak doch to«
Rein in Schale, Koffer schnappen
Schnell den Schirm noch untern Arm
Kinder weinen, Türen klappen
Rums - da gibt's schon Vollalarm
Vor dem Bunker drängeln, fluchen
Doch mit einmal biste drin
Und nach langem Plätzesuchen
setzte Dich dann endlich hin
Nun ertönt aus einer Ecke
Das Geplauder eines Herrn
Baldrian, auch Staatsrat Ahrens
Alle hören wir ihn gern
»Sechs Minuten Warnung« - sagt er
»Deutsche Bucht steht ein Verband
Und es folgt ein ziemlich starker
Auch noch über Helgoland«
»Einzelne, so etwa achtzig,
Ja, auch hundert können's sein
fliegen südlich und quadratisch
In das Stadtgebiet hinein«
Dumpf beginnt die Flak zu schießen
Und der Bunker schaukelt sacht
Rumsch - nun sitzen wir im Finstern
Nahebei 'ne Mine kracht
Und so geht's noch eine Weile
Bis Entwarnung dann ertönt
Heimwärts geht's dann ohne Eile
Denn man hat sich dran gewöhnt
Fenster, Türe, alles heil
Gott sei Dank, der Spuk ist
aus Doch man hat schon seinen Teil
Und man geht getrost ins Haus
Einst am Ende, liebe Leute
Leuchtet strahlend unser Sieg
Die Parole »Härter werden«
Überschrift: »Totaler Krieg«
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Gegenmaßnahmen des Promi
Das Regime sucht solchen Stimmungen so gut es geht, entgegenzuwirken. Das neueste ist eine Sechs-Pfennig-Postkarte mit dem Aufdruck:
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- Der Führer kennt nur Kampf,
- Arbeit und Sorge
- Wir wollen ihm den Teil abnehmen
- den wir ihm abnehmen können -
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Mittwoch, den 8. Dezember 1943 - Cianos ist im Gefängnis
Laux, aus Italien zurück, zeigte mir ein von ihm gemachtes Photo Cianos im Gefängnis, eine journalistische Meisterleistung. Man erblickt Ciano in der Zelle, durch deren Fenster das Rohr eines Kanonenofens ins Freie führt.
Im Vordergrund links steht ein Tisch mit einer angebrochenen Flasche Mineralwasser und Papieren. Ciano, mit einer Zeitung in der Hand, ist in Zivil, sein Gesicht scheint völlig verändert, die Haare hängen ihm in die Stirn, doch läßt das Bild erkennen, daß er rasiert ist. Er sieht älter aus als früher.
Die Arbeit funktioniert nicht mehr
Vorgestern wurde ich nachts aus dem Bett geklingelt, um eine »Diplo« zur Teheran-Konferenz der Alliierten zu verfassen. Ich arbeitete bis zwei Uhr früh an der Formulierung mit dem Ergebnis, daß die »Diplo« bis heute nicht freigegeben und damit für die Presse unbrauchbar geworden ist. Wie soll man unter solchen Umständen Sprachregelungen verfassen, die »ankommen«!
Seite 178 - Mein Luftschutzdienst im Amt
Der Luftschutzdienst im Amt beginnt jetzt um 18 Uhr und endet Morgens um 8 Uhr. Als ich die Brandwache IIa bezog, entdeckte ich, daß die meisten Bodenräume gar nicht mehr existieren und der unter dem Dach eingebaute Brandwachenstand mit Telephonverbindung zur Befehlsstelle im Keller verschwunden ist.
Der Löschwasserbehälter auf dem Boden war zugefroren, so daß ich mit einem Hammer die Eisdecke aufschlagen mußte. Sandsäcke waren nicht vorhanden, und der Drahtfunk außer Betrieb, weil das Amt nicht mehr an die zentralen Warnstellen angeschlossen ist. Da die Sirene nicht bis in den Keller dringt, hört man nicht, wenn Alarm gegeben wird.
In dem zu zwei Dritteln zerstörten Haus erscheint der Luftschutzdienst recht überflüssig. Bei meinem Friseur Becker in der Neuen Wilhelmstraße arbeitet die Wasserleitung nicht mehr, so daß einem wie in alten Zeiten bei der Haarwäsche aus einem Kochtopf das Wasser über den Kopf gegossen wird.
Donnerstag, den 17. Dezember 1943 - 5 Liter Benzin und ein Luftangriff
Gestern gelang es mir, gegen einen Gutschein über fünf Liter Benzin einen Spediteur zu bewegen, meine Sachen von Potsdam nach Neu-Westend zu schaffen. Meine Köchin Klara wurde auf einer Couch im Möbelwagen verstaut. In Neu-Westend bin ich bei Hermann Abs untergekommen, der mich zum Essen einlud.
Kaum saßen wir bei Tisch, als stärkere Verbände in Richtung Berlin gemeldet wurden. Wir begaben uns in den gedeckten Splittergraben, den Abs gemeinsam mit Nachbarn hatte errichten lassen. Die Familie des Nachbarn, eines Herrn Schmitz, hatte in Korbstühlen schon Platz genommen, darunter eine seit sechs Jahren an Schlafgrippe erkrankte Tochter.
Die dritte Ansage des Drahtfunks, der sich vom Gefechtsstand der ersten Flakdivision meldete, war gerade beendet, als die Luft von schweren Einschlägen erdröhnte.
Im Laufe von zwanzig Minuten zählten wir zwanzig Detonationen in unserer allernächsten Nähe, die den tief in die Erde gebauten Schutzraum in wellenähnliche Bewegungen versetzten.
Familie Schmitz begann laut zu beten, was jedermann half, die Fassung zu bewahren. Nachdem sich der Lärm etwas gelegt hatte, stiegen wir an die Oberfläche und fanden die ganze Umgebung brennend. Zwei Meter vor dem Haus von Abs flackerte eine Brandbombe im Gras. Der Wiederausbombung bin ich nur um Haaresbreite entgangen.
Seite 179 - Montag, den 20. Dezember 1943 - jetzt in Frankfurt
Bei Lily Schnitzler in Frankfurt am Main. Der Bahnhof, das Westend und der größte Teil der Innenstadt sind noch unversehrt, die Altstadt angeschlagen, der Osten der City stark mitgenommen. Abends kam Professor Rousselle, ehemaliger Leiter des Frankfurter China-Instituts, der auf Grund von Parteiintrigen abgesetzt wurde. Er hat eine Übersetzung von Laotse im Inselverlag herausgebracht.
Immer mehr Etablissements gehen dazu über, den Verlust ihrer Lokalitäten durch Bombenangriffe wie Todesanzeigen bekanntzumachen. Der Berliner Tennis Club »Rot-Weiß« teilt seinen Mitgliedern mit:
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- »Leider ist unser geliebter »Rot-Weiß« Club am Donnerstag, dem 16. Dezember 1943, durch Feindeinwirkung restlos zerstört worden. Es sind hierbei nur einige wichtige Unterlagen, die zur Weiterführung des Klubs dringend notwendig sind, gerettet worden. Die Klubleitung ist hierdurch in der Lage, in Kürze in einem behelfsmäßigen Büro ihre Tätigkeit wiederaufzunehmen und mit Tatkraft an die Wiederherstellungsarbeiten heranzugehen. Wir werden unsere Mitglieder über die weiteren Klubpläne auf dem laufenden halten. Die Vereinsanschrift bleibt zunächst unverändert. - Da neben dem Klubhaus, dem Sekretariat, der Schattenseite der großen Tribüne, auch die beiden Garderoben dem Feuer zum Opfer gefallen sind, bitten wir unsere Mitglieder, ihre hierbei evtl. entstandenen Schäden auf beiliegender Postkarte anzugeben, damit wir diese geschlossen der zuständigen Kriegsschäden stelle weiterleiten können. - Es wäre uns sehr angenehm, wenn wir durch unsere Mitglieder die Anschriften unserer Feldgrauen erfahren könnten, da unsere Feldpostkartei vernichtet worden ist. Wir bitten alle Mitglieder, uns ihre neue Anschrift mitzuteilen.
Heil Hitler!«
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Dienstag, den 11. Januar 1944 - ein neues Jahr bricht an
Ein Jahr voller Rückschläge liegt hinter uns, Stalingrad, Sturz des Faschismus, Abfall Italiens, Rückzug im Osten, Untergang der »Scharnhorst«, zunehmende Zerstörung der deutschen Großstädte.
Das Jahr 1943 hat unsere Überlegenheit zu Lande beseitigt, unsere Unterlegenheit in der Luft demonstriert, unser Vorhaben, die Engländer durch das U-Boot kleinzukriegen, ad absurdum geführt.
Der Haß in den besetzten Ländern ist größer, die Sympathie in den befreundeten Ländern schwächer, die Haltung der Neutralen feindlicher geworden.
Von der Ostfront kommende Offiziere geben zu, daß die höhere Führung der Russen ausgezeichnet geworden ist. Zu unserem Glück trifft dies für die mittlere und untere Führung nicht zu. Noch steht der russischen Strategie keine gleichwertige Taktik zur Seite.
Bei uns ist es umgekehrt. Untere und mittlere Führung, zumal bei den Divisionen, gelten als gut. Dagegen werden der höheren Führung heute die Talente abgesprochen, die sie in den ersten Kriegsjahren auszeichneten.