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Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945

Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.

Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.

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Freitag, den 28. Mai 1943
Die Sterilität der deutsch-französischen Beziehungen

Aga Fürstenberg stellt mich dem Botschafter Scapini vor, der mit der Betreuung der französischen Kriegsgefangenen in Deutschland beauftragt ist. Als Kriegsblinder bewegt sich Scarpini mit erstaunlicher Sicherheit. Er hat ein Glasauge, während die andere Augenhöhle durch ein schwarzes Monokel verdeckt wird. Seine Sekretärin, Prinzessin Dadiani, ein russischer Flüchtling georgischen Ursprungs, der in Frankreich aufgewachsen, zwei liederliche mützenlose französische Chauffeure und ein brauner Teckel, von dem er sich niemals trennt, begleiten ihn.

Der Botschafter beklagte sich bitter über die Sterilität der deutsch-französischen Beziehungen. Die Stimmung in Frankreich sei sehr schlecht. Die Franzosen wüßten nicht, woran sie mit einem Deutschland seien, das sich nach wie vor weigere, den nun schon drei Jahre währenden Waffenstillstand in einen Frieden umzuwandeln.

Auf meinen Einwurf, daß auch unsere Situation nach dem ersten Weltkriege sehr hart gewesen sei, erwiderte Scapini, Deutschland habe wenigstens gewußt, woran es war. Frankreichs Lage sei ernst, ohne daß es dies wüßte. Das Abkommen, Kriegsgefangene gegen freiwillige Arbeiter auszutauschen, sei ein miserables Geschäft. Für jeden Gefangenen, der krank zurückkehre, müsse Frankreich vier gesunde Arbeiter stellen. Diese Arbeiter seien durchaus willig, für Deutschland zu arbeiten, aber sie verständen nicht, warum dies hier geschehen müsse, statt in französischen Fabriken, in denen eine wesentlich höhere Leistung erzielt werden könne. Die Klage der hiesigen französischen Arbeiter gehe dahin, daß sie infolge der umständlichen deutschen Produktionsmethoden zu wenig zu tun hätten.

Für die Arbeit, die ein intelligenter Mensch machen könne, würden hier vier bis acht Franzosen eingestellt. Dies nehme ihnen die Möglichkeit, mehr zu verdienen, woran sie interessiert seien. Völlig nutzlos seien die von Deutschland importierten französischen Arbeiterinnen. Es handelte sich größtenteils um Frauenzimmer, die an nichts dächten, als mit Männern zu schlafen, und die die Moral der deutschen wie der französischen Arbeiter gefährdeten.

Wertvolle Kräfte widersetzten sich mit allen Mitteln, nach Deutschland verschickt zu werden. Daß sich das eingeführte Urlaubssystem bewähren werde, bezweifle er trotz der sogenannten Auslandspolizei, die deutscherseits zur Überwachung des Urlauberverkehrs eingerichtet wurde. Es sei zu befürchten, daß ein großer Teil der Urlauber nicht aus Frankreich zurückkehre.

Kein deutsches Verständnis für Zusammenhänge

Er, Scapini, verstehe nicht, daß man in Deutschland so wenig die großen Zusammenhänge sehe, um die es gehe. Die Einigung Europas und die Konsolidierung der neuen Ordnung drohten an Kleinigkeiten zu scheitern. Die deutsche Okkupationsarmee in Frankreich müsse in eine Operationsarmee verwandelt werden.

Die Franzosen seien es gewöhnt, fremde Operationsarmeen auf ihrem Boden zu haben. Es sei für das französische Volk letzten Endes kein Unterschied, ob es von englischen, amerikanischen oder deutschen Truppen verteidigt werde. Die Lösung der Elsaß-Lothringen-Frage stellt sich Scapini als Kompromiß vor. Der gegenwärtige Schwebezustand trage dazu bei, die deutsch-französische Atmosphäre zu vergiften. An Italien könne Frankreich keine territorialen Konzessionen machen, weil es von Italien nicht besiegt worden sei.

Über Afrika ließe sich dagegen reden, wenn man Afrika als einen Besitz betrachte, der ganz Europa gehöre. Frankreich könne Tunis nicht an Italien geben, weil es dann auch Marokko an Spanien abtreten müsse. Wohl aber sei ein europäisches Kondominion über Französisch-Nordafrika denkbar. Für Nordafrika müsse, wie einst für China, das Prinzip der offenen Tür gelten.

Die Franzosen hätten dagegen um so weniger einzuwenden, als auf diese Weise ihre Interessen am besten gewahrt werden würden. Ein deutsch-französisch-italienisch-spanisches Kondominion über Afrika sei immer noch besser, als der Verlust dieser Gebiete an die angelsächsischen Mächte.

Die Franzosen in Afrika und die Franzosen in Frankreich

Als ich erwähnte, die verräterische Haltung der französischen Generäle in Nordafrika habe hier sehr enttäuscht und verbittert, erwidert Scapini, von diesen Generälen habe man nichts anderes erwarten können. Sie hätten ja nicht gewußt, wie das französische Mutterland zu Deutschland stehe. Die englische Propaganda habe es leicht gehabt. Überläufer zu gewinnen, indem sie die französischen Truppen in Nordafrika beschwor, nicht für ein Land zu kämpfen, das anderthalb Millionen ihrer Kameraden als Kriegsgefangene behandle.

Die Haltung der französischen Generäle sei nicht verräterisch, sondern vollkommen natürlich. Auch hier räche es sich, daß Deutschland keine klaren Verhältnisse geschaffen habe. Scapini erinnerte daran, daß Frankreich im Juli-August 1941 um ein Bündnis mit Deutschland nachgesucht und nicht bekommen habe. Damals wäre der Augenblick gewesen. Afrika gemeinsam zu verteidigen. Wenn man Frankreich seine Flotte und eine kleine Armee gelassen hätte, würden diese sich der Landung in Nordafrika aufs äußerste widersetzt haben. Das Beispiel einiger französischer Kriegsschiffe zeige, daß der Wille zum Widerstand dagewesen sei.

Als ich Scapini "frug", ob er seine Auffassung dem Führer oder dem RAM vorgetragen habe, verneinte er. Politisch sei er ein machtloser Mann. Er habe aber über den ganzen Komplex mit Marschall Petain gesprochen, der seine Auffassung teile.

Auf meine Frage nach der Zukunft Frankreichs sagte Scapini: »Es gibt keine französische Zukunft, die nicht gleichzeitig die Zukunft Europas ist. Einmal muß der deutschfranzösische Ausgleich kommen. Er wird spät kommen, aber es wird nicht zu spät sein. Wir sitzen alle in einem Boot, und wir können nur zu überleben hoffen, wenn wir eng aneinander rücken und zusammenhalten. Wenn wir das nicht tun, gehen wir alle unter.«

Aus der Niederlage eine Lehre für die Zukunft ziehen

Scapinis Denkweise ist typisch für die französischer Patrioten, die aus der Niederlage ihres Landes eine Lehre für die Zukunft ziehen möchten und denen dies durch die deutsche Politik über Gebühr erschwert wird.

Laval soll vor einiger Zeit dem Führer gesagt haben: »Machen Sie mich auf einige Jahre zu Ihrem Außenminister, und Sie werden erleben, daß Europa eine Wirklichkeit wird!«

Abetz gehört zu den wenigen, die der französischen Einstellung politisch Rechnung tragen möchten. Aber er setzt sich hier nicht durch und muß das Feld Leuten überlassen, die entweder Revanchisten oder Idioten sind. Hitler selbst ist in bezug auf Frankreich ein Attentist. Er möchte sich nicht festlegen, bevor er den Krieg als Ganzes gewonnen hat und übersieht, daß eine echte Aussöhnung mit Frankreich für ihn mehr wert wäre als eine Reihe gewonnener Schlachten in Rußland.

Einer schwedischen Zeitschrift zufolge hat König Boris von Bulgarien kürzlich geäußert: »Meine Frau ist für Italien, meine Minister für Deutschland, mein Volk für Rußland. Ich bin der einzige Neutrale in diesem Land.« In der Fassung, die ich zuerst hörte, erklärte er: »Und ich bin für England.«

Freitag, den 14. Mai 1943 - wenn der Deutschlandsender verstummt

Seit gestern ist Sommer. Die Kastanien haben Kerzen aufgesetzt, der Flieder verblüht bereits. Nie war eine todgeweihte Welt so schön. Abends ist die Luft wie Sammet. Sie erregt das Blut und macht die Herzen leicht und schwer zugleich.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht verstummte der Deutschlandsender, ein untrügliches Zeichen, daß feindliche Flugzeuge ins Reichsgebiet eingeflogen sind und östlichen Kurs nehmen. Wir waren gerade zu Bett gegangen, als die Sirenen heulten und es zu schießen begann. Der Alarm dauerte anderthalb Stunden.

Zweimal stiegen wir auf den Boden, um nach Brandbomben zu sehen. 150 Maschinen erreichten den Stadtrand, wo sie durch Flak vertrieben wurden, zwölf gelangten ins "Weichbild" und schmissen Bomben auf Lichtenrade und Steglitz. Im Berliner Westen war man erleichtert und tat so, als wenn Steglitz und Lichtenrade durch einen Ozean vom Kurfürstendamm getrennt sind.

Auf der Autobahn nach Pommern hatten wir Samstag vor Ostern eine Panne und mußten nach Stettin hinein, das vier Tage vorher bombardiert worden war und noch brannte. Ein Drittel der Häuser vernichtet, 40.000 Obdachlose auf den Straßen, 4.000 am Bahnhof, die auf den Abtransport warteten. Da nur Bombengeschädigte auf die Perrons gelassen wurden, bestand zunächst keine Möglichkeit, Fahrkarten zu kaufen. Erst mit Hilfe von Karl Salm, dem als Ritterkreuzträger alles Platz machte, gelangten wir in einen Zug.

Mittwoch, den 7. Juli 1943 - Wie dem Volk den Bombenkrieg verkaufen ?

Ich war drei Wochen verreist und finde die allgemeine Lage unverändert. Beim Tod Sikorskis scheint es sich um einen Unglücksfall zu handeln. Sikorski galt für den einzigen Polen, der eine Verständigung zwischen den polnischen Emigranten und der Sowjetregierung hätte herbeiführen können.

Unter den Papieren, die mich erwarteten, befinden sich Unterlagen über eine Kontroverse zwischen dem RAM und dem Promi über die propagandistische Behandlung des Bombenkrieges. Erstaunlicherweise tragen sie nur einen gewöhnlichen Geheimvermerk. Noch überraschender ist, daß sie auf einem Bürstenabzug (was war das ??) vervielfältigt wurden, was auf einen großen Verteiler deutet. Ich habe mich schon oft gewundert, daß Staatsgeheimnisse ohne Vorsichtsmaßnahmen in Umlauf gesetzt werden, während ganz unwichtige Akten Gheimhaltungsvermerke erhalten.

Der Gegensatz ist entstanden, weil nach Auffassung des RAM die publizistische Behandlung des Bombenterrors durch das Promi nachteilige Schlüsse auf die Kriegsmoral des deutschen Volkes zuläßt. Überdies vermittle die Nennung beschädigter Kulturdenkmäler dem Feinde Unterlagen über die Zielsicherheit seiner Abwürfe. Der RAM verlangt einerseits, daß dies künftig unterbleibt, wünscht aber andererseits eine Aufmachung des Bombenkrieges in den Zeitungen, die in der Bevölkerung vermehrten Haß gegen England erzeugt. Die vom RAM diktierte Auslassung soll mit dem Führer abgesprochen worden sein.

Berichte über den Bombenterror waren bislang untersagt

Reichspropagandaminister und Reichspressechef empfinden das Memorandum des RAM als Kritik an ihrer Führung der deutschen Presse. Sie haben den Zeitungen eine sich gegen Ribbentrop wendende vertrauliche Stellungnahme zugeleitet.

Der deutschen Presse war es schon frühzeitig untersagt worden, eingehende Schilderungen des Bombenterrors zu bringen. Auch Bilder von Zerstörungen werden nur ausnahmsweise, wie im Falle Lübeck, und dann nur für die Lokalblätter freigegeben.

Dagegen wurden der Auslandspresse Bildserien über die Zerstörung von Kulturdenkmälern übermittelt. Da jedoch die Sympathien der Neutralen zu neunzig Prozent bei unseren Gegnern liegen, erfolgen kaum Reproduktionen. Das ausländische Publikum hat daher keine Vorstellung von den Wirkungen des britischen Bombenkrieges. Um so mehr erinnert es sich an die Schäden, die deutsche Luftangriffe in England anrichteten.

Der Vertreter des OKW, Graf Bossi, zeigte mir erschütternde Bilder, die während der letzten britischen Angriffe auf Düsseldorf und Köln aufgenommen wurden. Daß die Veröffentlichung solcher Bilder die Kriegsmoral des deutschen Volkes mindern würde, kann ich nicht gelten lassen.

Wenn die Opfer der Bomben die furchtbare Wirklichkeit aushalten müssen, wird man von den verschont Gebliebenen verlangen können, daß sie nicht unter der Betrachtung von Photos zusammenbrechen.

Im Auswärtigen Amt wird mit zunehmender Dauer des Krieges immer mehr Gewicht auf Propaganda gelegt. Dabei ist der Krieg längst in ein Stadium getreten, in dem nur noch die militärischen Tatsachen Gewicht haben. Zu den Irrtümern der Nationalsozialisten gehört die Annahme, Propaganda sei wie vor der Machtübernahme die Voraussetzung für den Sieg.

Freitag, den 9. Juli 1943 - Im Osten gehts wieder los

Seit drei Tagen ist der Krieg im Osten wieder aufgelebt, und der Mund des OKW-Vertreters versiegelt. Der Wehrmachtsbericht gibt an, die Kämpfe seien durch deutsche Spähtruppunternehmen ausgelöst worden, die in einen russischen Aufmarsch stießen und die Lawine einer Offensive ins Rollen brachten.

Die Russen versichern das Gegenteil. Sie nennen phantastische Ziffern über unsere Verluste. Beide Parteien widsprechen sich. Keine will angefangen, jede die andere in ihren Vorbereitungen überrascht haben. In England wird das Wiederaufleben der Kämpfe stark beachtet.

Während meines Urlaubs las ich ein Buch von Eric Knight »This above all«, das vor anderthalb Jahren erschien, in England als eines der besten Kriegsbücher gilt und die Liebesgeschichte eines Soldaten aus den Slums mit der Tochter eines angesehenen Londoner Arztes schildert.

»Wofür kämpfen wir?«

Die Frage »Wofür kämpfen wir?« bildet den eigentlichen Inhalt. In Deutschland würde man das Buch als defätistisch (mutlos, pessimistisch, resignierend) verbieten. Da die Engländer keinen Defätismus kennen, schaden ihnen auch keine defätistischen Bücher, selbst dann nicht, wenn sie die Fahnenflucht eines Soldaten verherrlichen.

Dortmund ist ausgebrannt

Pfingsten verbrachten wir bei den Arenbergs in Westfalen. In Hamm wurden wir aus dem Schlafwagen geholt, weil die Züge infolge eines nächtlichen Luftangriffs auf Düsseldorf nicht über Dortmund geleitet werden konnten.

Dortmund ist ausgebrannt, schlimmer als Rotterdam, der Bahnhof zerstört, die Stationsbeamten in Papphäusern auf den Bahnsteigen untergebracht, von wo sie die Gleiswerke bedienen. Ich ergatterte das einzige Taxi, lud zwei Ostfronturlauber ein und fuhr nach Nordkirchen. Das Verdeck des Taxis war mit Leukoplast geflickt. Während des letzten Angriffs, als der Besitzer in seine Wohnung fahren wollte, war das Dach des Wagens von einer Brandbombe durchschlagen worden, die neben dem Chauffeur auf dem Sitz landete. Das alles hatte ihn kaum gerührt. Die Leute tragen hier einen gewissen Stoizismus zur Schau. Die beiden Urlauber, die man eigens von der Front geholt hatte, weil ihren Familien die Häuser verbrannten, machten sogar Witze darüber. Die meisten Dörfer in der Umgebung von Dortmund sind zerstört.

Auf der Rückreise am Pfingstmontag gerieten wieder alle Züge durcheinander, um Mitternacht erfolgte Vorwarnung. Da mein Schlafwagenzug verschollen blieb, nahm ich den ersten besten Lokalzug, um aus Dortmund herauszukommen. Kaum fuhren wir, als Luftgefahr angekündigt wurde.

In Hamm mußten wir in einen Bunker unter dem Bahnsteig. Die Bevölkerung hat sich so an die Angriffe gewöhnt, als wenn es sich um die natürlichste Sache der Welt handelt. Die Leute sprechen nur von »werfen«. Es klingt irgendwie harmlos und weniger aufregend. So riet man mir, den und den Zug zu nehmen, weil die Engländer gewöhnlich um die und die Zeit zu »werfen« anfingen und die Züge dann nicht mehr aus den Bahnhöfen hinauskämen.

Manche Leute haben schon vier oder fünf Mal alles verloren. Trotzdem arbeiten die Industrien, die offenbar schwerer zu treffen sind als Wohnviertel oder nicht mit der gleichen Intensität bombardiert werden.

Die Adligen und ihre Hobbys

Nordkirchen, das westfälische Versailles, erbaut vom Kardinal Graf Plettenberg, ein Schloß von riesigen Ausmaßen, erwarben die Arenbergs 1907 von einem Grafen Eszterhazy. Nach dem ersten Weltkrieg verwandelte der Herzog von Arenberg den Haupttrakt in eine Erholungsanstalt für Postbeamte. Das Erbprinzenpaar bewohnt einen Seitenflügel, der sehr schön ausgestattet ist. In einem Garten, der sich zwischen dem Schloß und dem Burggraben erstreckt, hausen in Volieren exotische Vögel. Ihr Winterquartier bildet ein kleiner Salon, dessen Wände mit einer kostbaren chinesischen Tapete bespannt sind. Der gegen die Reichsstraße durch einen Waldstreifen abgegrenzte Park wird von Eichenalleen durchzogen, die so breit sind, daß Viererzüge in ihnen wenden können. Orangerie und Stallungen sind im Palaisstil aufgeführt.

Wegen der Fliegergefahr waren die Kunstschätze, darunter schöne Gobelins und Clemenswerther Jagdporzellan, im Keller verstaut worden. Um mir eine Freude zu machen, hatte die Prinzessin einige Fayencen auspacken und im Speisezimmer aufstellen lassen, unter ihnen ein Truthahnpaar und zwei Fasanen, für die der Berliner Kunsthändler Lange 30.000,- RM geboten hat.

Der sehr tierliebende Erbprinz züchtet auch Wildpferde. Eines Nachmittags kutschierten wir mit einem Jagdwagen, der mit rassigen Stuten bespannt war, auf eine Koppel und wurden von einem Wildhengst angenommen, der ohne Scheu vor der Peitsche in die Deichsel sprang und nur mit größter Mühe wieder verscheucht werden konnte.

Der Vater der Erbprinzen, ein Bewunderer Wilhelms IL, soll die Absicht gehabt haben, sein Brüsseler Palais niederzureißen und in Charlottenburg wiederaufzubauen. Seine Sympathien für Deutschland kosteten ihn nach 1918 seinen belgischen Besitz. Sein ältester Sohn Engelbert (Enka) schloß eine vielbesprochene Heirat mit einer aus Ungarn stammenden geschiedenen Frau Wagner, die sich als die natürliche Tochter eines Holsteinschen Herzogs und nahe Verwandte des britischen Königshauses ausgibt und im Gotah als »Valerie zu Schleswig-Holstein« ohne fürstlichen Rang aufgeführt wird. Mit ihrer scharfen Intelligenz versteht sie es trefflich, dem etwas weltfremden Erbprinzen Beziehungen zu erschließen und seine ausgedehnten Liegenschaften durch die Zeitläufte zu steuern.

Joslowitz - Samstag, den 10. Juli 1943 - wilde Geschichten

Am 18. Juni ging ich auf Urlaub. Das erste Wochenende verbrachte ich in Ernstbrunn, wo sich wenig verändert hat. Die Familie Reuß trauert um den zweiten Sohn, der vor Stalingrad blieb. Die Bibliothek hat sich auf 40.000 Bände vermehrt. Als Alice Hoyos den Schloßherrn "frug", ob er dazu komme, alle diese Bücher zu lesen, gab er zu, mit dem Auspacken und Einordnen der Büchersendungen voll ausgelastet zu sein. Immerhin ist das Büchersammeln eine noble, im heutigen Adel nicht eben häufige Passion.

In Ernstbrunn erwischte ich einen Mietwagen, der mich in einer Dreiviertelstunde nach Joslowitz brachte, wodurch ich mir einen Tag auf der Bahn ersparte. Der Chauffeur des Taxis, dick und vollgefressen, wird von den Bauern der Gegend mit Wein und Speck traktiert, sobald er sich nur blicken läßt. Für eine Strecke von dreißig Kilometern berechnete er mir 40,- RM. Wie er sich Benzin beschafft, weiß niemand. Von den Reichsdeutschen sprach er nur als »Piefkes«, nicht ahnend, daß er einen beförderte! Dann gab er vor, einen Mann zu kennen, der dabei gewesen sei, als Goebbels von einer wütenden Volksmenge verhauen wurde! Auf dem Wiener Ostbahnhof habe er selbst beobachtet, wie eine Frau, die Kirschen in die Stadt brachte, von der hungrigen Menge totgetrampelt wurde. An allem ist natürlich kein wahres Wort.

Bombenflüchtlinge waren nicht willkommen

Joslowitz, ein weitläufiges um einen Hof gruppiertes, inmitten von Weinbergen auf einer Anhöhe über dem gleichnamigen Ort gelegenes Schloß, wurde für Kaiser Karl VI. erbaut, der es einer Geliebten überließ. Später kam es an die Grafen Hompesch, die im ersten Weltkrieg ausstarben und von diesen durch Erbvertrag an die Spees. Obwohl der Ertrag der Weinberge durch einen rheinischen Winzermeister bedeutend gesteigert werden konnte, reichen die Einnahmen kaum aus, um den riesigen Bau zu unterhalten. Die tschechische Bodenreform hat die Herrschaft Joslowitz ihrer wertvollen Gründe beraubt, so daß das Schloß für seine Besitzer eine große Last bedeutet.

Die Bevölkerung - typische Grenzer - ist halb kommunistisch. Im Dorf sind achtzig Bombenflüchtlinge aus Essen einquartiert, gegen die große Erbitterung herrscht. Die Flüchtlinge, die den Einheimischen vorwerfen, wie Grafen zu essen, aber wie »Schweine« zu wohnen, sitzen ständig im Wirtshaus oder schieben luxuriöse Kinderwagen durch die Dorfstraßen, was die Bauern ärgert.

Maritschi Spee, die in Abwesenheit ihres im Osten befindlichen Mannes den Besitz führt, hat kein leichtes Leben. Das Arbeitsamt in Znaim verweigert dem Gut die Leute, so daß viele Feldarbeiten nicht erledigt werden können. Sobald sich irgendwie beschaffte Ostarbeiterinnen eingelebt haben, werden sie vom Arbeitsamt wieder weggeholt.

Im Vergleich zu Österreich lebt man im Protektorat noch wie im Himmel. Die Behörden wissen das und unterbinden den kleinen Grenzverkehr nach Kräften. Sie wollen nicht, daß die Österreicher merken, daß es den Tschechen so viel besser geht. Die Lebensmittelrationen sind zwar geringer als im Reich, aber der Schwarzhandel bietet größere Möglichkeiten. Da die Männer nicht zum Militär einzurücken brauchen, gibt es auf den Schlössern genügend Diener.

Die Zukunft in Tschechien unter dem Damoklesschwert

Die Aristokraten, die für Deutschland optierten, leben auf ihren Besitzen unangetastet. Die Bevölkerung betrachtet sie als Mittler zu den deutschen Behörden, die in ihnen wiederum einen Rückhalt für das Deutschtum sehen.

Die Zukunft schwebt über ihnen wie ein Damoklesschwert. Geht der Krieg verloren, so wird keiner von ihnen seinen Besitz und nur wenige den Kopf behalten.

Einige Familien des Hochadels, darunter solche rein deutscher Provenienz, haben für die Tschechen optiert und werden seitens der deutschen Behörden Schikanen ausgesetzt, die bis zur Zwangsverwaltung und Enteignung gehen. Sie spekulieren auf eine deutsche Niederlage, was die Nazis ihnen im voraus heimzahlen.

Ob sie in einem solchen Fall ihren Besitz retten würden, darf man bezweifeln. Dankbarkeit gehört nicht zu den Tugenden der Tschechen. Unterwürfigkeit um so mehr. In keinem für uns arbeitenden Rüstungswerk ereignen sich weniger Sabotagefälle, als bei Skoda in Pilsen. Als »Hiwis« der Nationalsozialisten lassen sich die Tschechen von niemandem übertreffen. Sie kennen nur ein Ideal: zu überleben.

Seite 93 - Montag, den 11. Juli 1943 - »Dieser anonyme Krieg« in England

In der englischen Zeitschrift »The National Review« wird unter der Überschrift »Dieser anonyme Krieg« Klage über die Bevormundung der Presse geführt, die soweit gehe, daß, von Ausnahmen abgesehen und im Gegensatz zum ersten Weltkrieg, eine Popularisierung führender Persönlichkeiten unmöglich gemacht würde.

Der Krieg nehme dadurch immer mehr einen »anonymen«, die Öffentlichkeit vielfach nicht interessierenden Charakter an. Es heißt in dem Artikel: »Eine der Hauptmerkwürdigkeiten dieses Krieges ist die Art, wie Propaganda gemacht wird. Alle Presseleute sind an die »Anweisungen« gewöhnt, die bei Tag und Nacht auf sie niederprasseln und sowohl geringfügige als auch wichtige Fragen behandeln.

Folgendes bekommen wir zum Beispiel als »Geheimsache«: Auf Anordnung des Arztes ist Mr. Churchill dazu übergegangen, Pfeife zu rauchen. Darüber darf nicht berichtet werden, da es auf das an seine Zigarren gewöhnte Volk einen ungünstigen Eindruck machen könnte.

Oder: Eine bekannte rumänische Dame wird bald nach England kommen, um ihre Kinder dorthin zur Schule zu bringen. Darüber darf nicht berichtet werden, da man denken könnte, daß ihr Land kriegsmüde sei, und daß sie als Friedensbote kommt.

Solche Sachen bekommt der geplante Journalist täglich von morgens bis abends. Es muß Hunderte von Leuten geben, die die Aufgabe haben, einen derartigen Unsinn in die Welt zu setzen. Niemals wird ein Bild des Krieges oder der Männer, die ihn führen, gezeichnet, aber sensationelle Meldungen über kleine Politiker sind an der Tagesordnung, ihr Tageslauf wird stündlich genau aufgezeichnet, und zwar in einer so geheimnisvollen Weise, daß ihre Größe übersteigert wird.

Etwas mehr über die Englische Kriegspropaganda

Die Anweisungen, die die kämpfende Truppe betreffen, sind absolut negativ. Es darf nicht erwähnt werden, daß ein großer Admiral nach England gekommen ist, um seine Familie zu sehen, oder daß sich ein verdienter Soldat in England aufhält. Sie können sich unbemerkt im Schatten unserer herrlichen, klugen, wundervollen Politiker bewegen.

Wenn Admiral Cunningham oder General Alexander morgen im Dorchester-Hotel erscheinen würden, wer würde sie erkennen? Sehr wenige. Im letzten Kriege waren die Namen Lord Kitchener, Lord Haig, Admiral Jellicoe und Admiral Beatty in aller Munde. Bilder von ihnen konnte man überall finden. Aber der jetzige ist ein anonymer Krieg. Nur das Volk ist groß und natürlich Mr. Churchill.

Aber diejenigen, die für den Premierminister Propaganda machen, sollten sich darüber im klaren sein, daß die Bevölkerung dieses Landes, selbst wenn sie den Premierminister überaus bewundert, der Meinung ist, daß Kriege von Soldaten, Seeleuten und Fliegern gewonnen werden, und daß sie deshalb gern mehr über diese Helden wissen würde.

General Montgomery stellt sich selbst ins Licht

Der einzige Soldat, der aus dem über das Heer gebreiteten Nebelschleier hervorgetreten ist, ist General Montgomery, aber dafür sorgt er auch selber, daß man von ihm spricht. Die gesamte Tendenz der Kriegspropaganda geht dahin, daß keine Einzelperson lobend hervorgehoben werden soll, es sei denn, sie ist so unbekannt, daß man nie wieder etwas von ihr hören wird.

Wenn ein Mitarbeiter der BBC einen Flug in einem Bomber mitmacht oder ein Festungswerk an der Küste besichtigt, so muß das zur Beantwortung von Fragen ausgewählte Besatzungsmitglied ein Mann mit einer derartig mangelhaften Bildung sein, daß er sich nur undeutlich ausdrücken kann.

Man berichtet uns selten etwas über die wirklichen Führer, die Männer, die die Piloten der Bomber ausgebildet haben oder die den Soldaten in dem Festungswerk beibrachten, wie sie ihr Geschütz bedienen müssen.

Die allgemeine Schlußfolgerung ist die, daß der beste von allen, der Soldat Atkins, mit fliegenden Fahnen zum Heer ging und ein Held wurde, ohne daß von außen etwas dazu getan wurde. Das heißt, ohne jegliche Unterstützung außer der, die ihm von politischen Persönlichkeiten gewährt wurde.

Der Malta-Film - farblose Propaganda aus England

Ein besonders bezeichnendes Beispiel für das, was wir meinen, ist der Malta-Film. In ihm wird der Krieg völlig anonym und führerlos dargestellt. Keiner der Gouverneure, weder der tapfere Sir William Dobbie, noch der große Soldat Lord Gort wird erwähnt oder gezeigt.

Vom Heer wird kein Wort gesprochen, und die Flotte wird kaum erwähnt. Wir sehen einige startende Flugzeuge und ein paar feuernde Geschütze - das ist alles. Niemand soll für den Widerstand gelobt werden, den Malta geleistet hat, außer den dort ansässigen Zivilisten der untersten Schichten.

Man sagt uns, daß die Zeitung jeden Tag auf den Markt komme, und wir sehen ein Bild von dem zerstörten Verlagshaus, man sagt uns jedoch nicht, daß all das den Leistungen und dem Heldenmut von Miss Strickland zuzuschreiben ist, deren Tapferkeit und Einsatzbereitschaft über jedes Lob erhaben sind. Nein, die Zeitung wird ohne jegliche Führung herausgebracht. Das sollen wir glauben. Es ist ein gutes Beispiel für die Tendenz unserer Propaganda in diesem größten aller Kriege, in dem die Führung vielleicht mehr bedeutete als je zuvor. Bei den Gegnern geht es also nicht anders zu als bei uns!

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