Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945
Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.
Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.
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Mittwoch, den 20. September 1944 - zurück aus Ostpreußen
Schmidt kam heute aus dem Hauptquartier zurück, geladen mit neuer Zuversicht. Es komme darauf an, bis zum Frühjahr durchzuhalten, wozu im Osten die Voraussetzungen schon geschaffen seien, während sie im Westen noch hergestellt werden müssen.
Bis zum Frühjahr sollen im Osten wie im Westen mit modernsten Waffen ausgerüstete Stoßarmeen bereitstehen, die man gegen die Flanken des Gegners einsetzen will. Unsere Vorräte an Kriegsrohstoffen sollen eine solche Planung gestatten.
Die Niederlagen im Osten und Westen werden mit Verrat, Sabotage und Unfähigkeit der leitenden Heerführer erklärt. An der Räumung Frankreichs, dem Durchbruch von Avranches soll Kluge die Schuld tragen, worüber zu gegebener Zeit offiziell etwas gesagt werden würde.
Alleine mir fehlte der Glaube
Wenn sich die Dinge nur so verhielten, wie man sie Schmidt dargestellt hat!
Ausblicke dieser Art sind seit Stalingrad immer wieder gegeben worden. Viele Termine wurden genannt, die eine Besserung oder Wendung versprachen.
Nichts ist davon eingetreten. Meine skeptische Beurteilung der Lage vermag ich daher nicht zu ändern. Immerhin ergeben sich einige Gesichtspunkte für Gespräche mit Ausländern. Anderen Mut einzuflößen, gehört schließlich zu unseren Aufgaben.
Jedes Telefongespräch wird abgehört
Heute früh rief ich Marietti in Reelkirchen an. Das Gespräch wurde privat nicht angenommen, daher ließ ich es dienstlich laufen. Als ich anfing zu sprechen, bemerkte ich, daß der Abhörapparat zu arbeiten anfing. Dann schaltete sich die Telephonzentrale ein und erklärte, sie habe das Gespräch überhört und festgestellt, daß es keinen dienstlichen Charakter trüge. Ich wurde aufmerksam gemacht, daß dies nicht zulässig sei.
Ermittlungen ergaben, daß seit einigen Tagen im Amt ein Stab aus einem Gesandten, einem Oberregierungsrat und drei Telephonistinnen eingesetzt worden ist, um festzustellen, von welchen Anschlüssen Privatferngespräche geführt werden.
Es wird immer noch nach Rang und Stellung unterschieden
Die Regelung gilt nur für Ränge vom Legationsrat abwärts und für Nichtbeamte wie mich, was für den sozialen Geist eines "nationalsozialistischen" Ministeriums typisch ist.
In die gleiche Kategorie gehört es, daß 250 höhere Beamte vom Luftschutz befreit wurden, während den nicht befreiten kleinen Leuten nach zwanzig, Frauen schon nach fünfzehn Luftschutznächten ein Stück im Ausland requirierter Seife überreicht wird.
Botschafter, Gesandte, Geheimräte und Generalkonsuln sind im Luftschutzdienst so schwer zu finden, wie eine Stecknadel im Heuhaufen.
Dafür wurde der Betriebsluftschutzleiter verpflichtet, sie unter ihren Privatnummern anzurufen, sobald Gefahr im Verzuge ist! Den unteren Chargen sind selbst Anfragen über die Luftlage verboten worden.
Die Briefkästen werden immer weniger
Neuerdings werden Briefkästen eingezogen, um Benzin zu sparen! Daß sich Millionen von Menschen nun ihre nicht mehr ersetzbaren Stiefelsohlen ablaufen müssen, um ihre Briefe aufs Postamt zu tragen, bedenkt niemand.
Donnerstag; den 21. September 1944 - irgend etwas tut sich
Seit gestern früh ist der Zugverkehr nach dem Westen unterbrochen, angeblich, weil Soest schwer bombardiert wurde und feindliche Fallschirmjäger in der Gegend von Osnabrück niedergegangen sind.
Frühstück mit Eberhard Oppenheim im »Adlon«. Er soll vierzehn Tage gesessen haben, sagte aber kein Wort darüber. Wie gewöhnlich hatte er einen Koffer mit Wein und Lebensmitteln bei sich, die er ungeniert im Speisesaal auspackte.
Als er den Wein reklamierte, antwortete ihm der Ober majestätisch: »Wissen Sie, daß wir im Kriege sind?« Darauf Oppenheim: »Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der Weg vom Weinkeller ins Restaurant im Kriege keinen Meter länger ist als im Frieden!«
Abends bei Dicki Wrede, die sich in der Ruine des Albertschen Hauses in der Rauchstraße ein Kellerloch als Wohnung hergerichtet hat. Die oberen Stockwerke sind bis auf die Veranda ausgebrannt, in der wir bei Kerzenlicht aßen. Ein phantastisches Milieu, Zwischending von Höhlen- und Portierswohnung.
Montag, den 25. September 1944 - bittere Wahrheiten
Wochenende bei Ette Kottwitz in Reinersdorf (Schlesien). Wie wohltuend ist die reine Atmosphäre des Landes gegenüber der Welt des Grauens, in der wir uns eingerichtet haben. Eine Stunde Waldfahrt, und alle Schrecken verblassen.
Ein Frankreich-Urlauber, Hauptmann von Portatius von den Panzern in Sagan, erzählte, daß das Offizierskorps seines Regiments im Laufe dieses Krieges dreimal gefallen sei.
Die meisten Panzeroffiziere fielen während des Beobachtern aus der Kuppel durch Kopfschüsse. Sonntagabend wurde die ländliche Stille durch eine heftige Kanonade unterbrochen. Auf der Rückfahrt passierten wir in Cottbus einen Zug mit Flüchtlingen.
Wie in den ersten Kriegs tagen waren die Wagen mit Kreideaufschriften bedeckt. Auf einem stand »Heil und Sieg, Schluß mit diesem Krieg«. Genau wie 1918.
Es gab sie noch, die deutsche Kolonialpolitik
Besuch von Helene Biron. Sie war in Paris für eine deutsche Dienststeile tätig, die sich mitten im Kriege mit Kolonialproblemen befaßte. Friedrich Sieburg bemerkte darüber: »Die deutsche Kolonialpolitik besteht aus Helene Biron und einer Schere!«
Militärisch sind der Verlust des Balkans, der Einzug der Russen in Reval, ihr Vormarsch auf Riga und Kämpfe bei Arnheim zu verzeichnen, die in der neutralen Presse als eine der großen Entscheidungsschlachten des Krieges bezeichnet werden. Gelingt es uns, die Verbindung der von Eindhoven anrückenden britischen Landarmee mit den bei Arnheim abgesetzten Luftlandetruppen zu verhindern, so hätten wir die erste Phase der Schlacht um Holland bestanden.
Donnerstag, den 28. September 1944 - Die Schuld wird verteilt
Dieckhoff (Madrid) und Hüne (Lissabon), die sich seit einigen Wochen hier befinden, sollen nicht auf ihre Posten zurückkehren. Man gibt ihnen die Schuld an der Einstellung der Wolfram-Exporte und anderen Erschwerungen, die im Handelsverkehr mit den iberischen Ländern eingetreten sind.
Dabei ist der alliierte Druck auf Spanien und Portugal so stark, daß auch andere Leute nichts hätten ausrichten können.
Politisch wäre die Abberufung der beiden Missionschefs in diesem Augenblick ein Fehler, der die Fortsetzung unserer diplomatischen Beziehungen zu den iberischen Ländern in Frage stellen könnte. Wir müssen damit rechnen, daß Spanien und Portugal, von den Engländern aufgestachelt, neuen Botschaftern das Agrement verweigern.
Ein Schreiben vom "Promi"
Dr. Schmidt-Leonhardt vom Promi hat im Auftrag des Bevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ein Schreiben an das Auswärtige Amt gerichtet, das sich mit der Doppelarbeit verschiedener Abteilungen in beiden Ministerien befaßt.
Das Promi verlangt die Schließung der Kulturpolitischen, der Rundfunk- sowie der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, wobei es sich auf einen Führererlaß aus dem Jahre 1933 beruft, der dem Außenminister zwar Direktiven in der Auslandspropaganda zugesteht, dem Promi aber die Durchführung übrig läßt.
Polizeiliche Kontrollen in der Straßenbahn an der Haiensee-Brücke. Alle Fahrzeuge, die ihren Weg in den Grunewald nehmen, werden nach entlaufenen englischen Kriegsgefangenen durchsucht. Reisen von Mitgliedern des Auswärtigen Amtes ins neutrale Ausland unterliegen ab sofort der persönlichen Erlaubnis des RAM. Bisher genügte hierfür eine Genehmigung des Abteilungsleiters mit Gegenzeichnung der Personalabteilung. Nur diplomatische Kuriere bleiben von dieser Regelung ausgenommen.
Dienstag, den 3. Oktober 1944 - nur noch unwirklicher Schein
Die französische Exilregierung in Sigmaringen hat eine Kundgebung erlassen, die Petain als einzigen Inhaber der französischen Legalität bezeichnet.
Die Verbringung Petains und Lavais nach Deutschland ist einer jener Schachzüge unserer »politischen Kriegsführung«, deren Sinn sich dem gesunden Menschenverstand entzieht.
Eine »politische Kriegsführung«, die diesen Namen verdient, hätte Petain in Frankreich belassen und Laval die Flucht nach Spanien oder Portugal ermöglicht.
De Gaulle wäre dann genötigt worden, sich im eigenen Land mit Petain auseinanderzusetzen. Von diesen Schwierigkeiten haben wir ihn befreit. Ebenso wäre die Person Lavais im neutralen Ausland zu einem Zankapfel mit den Alliierten geworden.
Für die Fassade einer französischen Exilregierung in Deutschland genügen auch Doriot, Darnand und Deat. Ein deutscher »Nervenkrieg« besteht nur in der Phantasie des Feindes. In Wirklichkeit geschieht nichts Brauchbares in dieser Richtung.
Im Ausland wird gemeldet, Papen sei in Madrid. Tatsächlich ist er nicht dort. Papen in Madrid und Schulenburg in Stockholm brauchten dort nichts zu tun, als sich ein paarmal öffentlich zu zeigen. Papen in Madrid wäre für die Russen, Schulenburg in Stockholm für die Westalliierten - ein Cauchemar (schrecklicher Albtraum).
Statt dessen sperrt man den alten Schulenburg ein, weil er auf irgendeiner Liste als künftiger Außenminister geführt wurde, und legt Papen hier auf Eis.
Die Bombensaison ist am Freitag, dem 6. Oktober, mit einem Tagesangriff auf Berlin Spandau, Tegel und Charlottenburg wieder angelaufen. Um vier Uhr heute früh erschienen Moskitos.
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Samstag, den 7. Oktober 1944 - Das »Schwarze Korps«
Das »Schwarze Korps« (die SS Zeitung) veröffentlicht am 5. Oktober 1944 unter der Überschrift »Sie würden sich wundern« einen Leitartikel über den Plan eines Partisanenkrieges in Deutschland.
»Stockholms Tidningen« bemerkt dazu: »Natürlich ist dieser blutige Artikel zum großen Teil Propaganda und versucht, die Alliierten von einer Besetzung zurückzuschrecken und friedliche Deutsche von künftiger Zusammenarbeit abzuhalten.«
Meine Beurteilung eines deutschen Partisanenkrieges
Der Zweck dieser Veröffentlichung dürfte damit richtig charakterisiert sein.
Daß er ein Ergebnis im gewünschten Sinne haben wird, muß man bezweifeln. Ein Partisanenkrieg läßt sich nicht wie eine Opernvorstellung ankündigen.
Bestehen Absichten dazu, so ist es militärisch ein Unfug, den Feind darauf aufmerksam zu machen. Wäre die deutsche Führung vor einer Partisanenbewegung in Rußland gewarnt worden, so hätte man die Etappe vermutlich besser gesichert.
Das Fehlen von Vorkehrungsmaßnahmen hat sich sehr nachteilig für uns ausgewirkt. Die Behauptung, daß ein deutscher Partisanenkrieg der gefährlichste von allen sein würde, weil hinter ihm die gegenwärtige deutsche Führung stände, entbehrt der Überzeugungskraft.
Wenn es zur Besetzung Deutschlands und zum Partisanenkrieg kommt, so ist dies gleichbedeutend mit dem Verlust des Krieges. In keinem der Länder, in denen Partisanenbewegungen entstanden, in Frankreich, Jugoslawien, Italien und Griechenland, wurde der Partisanenkampf von der Regierung entfesselt und geführt, die den Krieg verloren hatte.
Die einzige Ausnahme ist die Sowjetunion. Aber die Sowjetregierung hatte den Krieg noch nicht verloren, sondern nur Niederlagen eingesteckt, die sich als nicht kriegsentscheidend herausstellten. Allenfalls könnte unser Regime einen Partisanenkrieg links des Rheins organisieren.
Völlige Fehleinschärtzung von Hitlers Kraft und Autorität
Wird dagegen ein großer Teil Deutschlands besetzt, so kann man sich nicht vorstellen, daß Hitler Kraft und Autorität zum Organisieren einer Partisanenbewegung verbleibt.
Der im Aufsatz des »Schwarzen Korps« angedeutete Terror gegen die eigene Bevölkerung wäre dann wirkungslos. Das deutsche Individuum wird den Krieg, den seine Regierung verloren hat, nicht als Privatkrieg fortsetzen wollen.
Der Artikel des »Schwarzen Korps« leistet uns einen Bärendienst, weil er dazu beiträgt, den Blick für die Notwendigkeiten von morgen zu trüben. Neben Gerüchten über die Wirkung kommender Wunderwaffen werden Prophezeiungen lanciert, um die Stimmung zu stimulieren.
Die neueste lautet:
- »Anfang November 1944 werden die Alliierten ihre größte Niederlage erleben. Eine neue deutsche Waffe wird England in ein Chaos stürzen, aus dem es ohne Hilfe Deutschlands nicht wieder herauskommen kann.
- Im April 1945 wird die gesamte deutsche Schlagkraft im Osten einsetzen. Binnen fünfzehn Monaten wird Rußland in deutscher Hand sein. Der Kommunismus wird ausgerottet und die Juden aus Rußland vertrieben werden.
- Im Sommer 1946 werden deutsche U-Boote mit einer neuen Waffe den Rest der englischen und amerikanischen Flotte vernichten.
- Im September 1946 wird Japan seine Herrschaft über China, Australien und den Südosten Indiens erringen. Europa wird unter Deutschlands Führung sich zu einer neuen ungeahnten Blüte entfalten.«
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Donnerstag, den 12. Oktober 1944 - Auflösung überall
Während die Westfront gegenwärtig hält, ist im Osten die baltische Armee abgeschnitten worden. In Südungarn überschwemmen die Russen mit Panzergeschwadern und Kosakenbrigaden die Tiefebene. Kosaken sind sechzig Kilometer vor Budapest gemeldet worden. Veesenmeyer scheint die innerpolitsche Entwicklung in Ungarn so wenig zu übersehen wie vordem Killinger in Rumänien und Beckerle in Bulgarien. Er löst Teile seiner Gesandtschaft auf, was ihm bei seinen eigenen Leute und von den Ungarn als Mangel an Zuversicht ausgelegt wird.
In kritischen Lagen verlieren unsere Gesandten gewöhnlich den Kopf. Etiel in Teheran, Killinger in Bukarest und Beckerle in Sofia ließen es geschehen, daß ihr Personal und die deutsche Kolonie in die Hände des Feindes fiel. Keiner kam auf den Gedanken, eine Autokolonne bereitzuhalten, mit der man aus einem Stadtende herausfährt, sobald der Gegner ins andere Ende eindringt. Bisher hat das nur Rahn in Tunis fertig bekommen.
Freitag, den 20. Oktober 1944 - Indiens "Auslandsregierung"
Einjähriges Jubliäum von Boses Regierung »Freies Indien« im »Esplanade«. Habibur Rahman, der Präsident der hiesigen indischen Vereinigung, begrüßte die Anwesenden, unter ihnen Oshima, Six und Lorenz.
Auffallend stark war die SS vertreten, die die indische Legion in corpore übernommen hat. Die Legion zählt jetzt 3.000 Mann, die einen abenteuerlichen Marsch von der Biskaya ins Elsaß hinter sich haben.
Im Unterschied zu vielen deutschen Truppenteilen, die sich ohne Ausrüstung nach Deutschland absetzen, haben die Inder alle leichten Waffen mitgebracht. Ihre Bewährung unter schwierigsten Umständen, die Treue, die sie ihren deutschen Offizieren trotz feindlicher Flugblatt-Propaganda bewahren, ist eine angenehme Überraschung, da niemand den Wert dieser Truppe hoch eingeschätzt hatte.
Im übrigen glich der indische Empfang einer spritistischen Seance. So sprach Erdmannsdorf für das Auswärtige Amt die Erwartung aus, die Feier im nächsten Jahr in Indien selbst begehen zu können! Nachdem der Feind an den Reichsgrenzen steht, in Deutschland der Volkssturm aufgerufen wird, die Japaner Schlag auf Schlag einstecken müssen und die Amerikaner auf den Philippinen gelandet sind, erscheinen die Aussichten einer »Befreiung Indiens« einigermaßen dürftig.
Den Anwesenden schien das Peinliche dieser Situation kaum gegenwärtig. Es war, als ob sich die Kleider eines Leichnams, den man am Morgen bestattet hatte, zur Tafel setzen.
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Die Treibjagd der Adligen in Jahnsfelde
Ein ähnliches Gefühl von Unwirklichkeit überkam mich bei einer Treibjagd in Jahnsfelde.
Alle Jäger waren Adlige, obwohl die Ausrottung des Adels seit dem 20. Juli im vollen Gange ist. Alle Treiber waren französische Kriegsgefangene, obwohl sich auf französischem Boden kaum noch ein deutscher Soldat befindet.
Auf dem Gutshof sah man russische Kriegsgefangene beim Arbeiten, obschon die Rote Armee bald an den Reichsgrenzen stehen wird.
Am Jagddiner nahmen Spanier, Rumänen und Bulgaren teil, Diplomaten, deren Länder sich von uns distanzieren oder abgefallen sind, Geschossen wurde ein Keiler, der ebenfalls aus einer anderen Welt zu stammen schien, so gewaltig waren seine Ausmaße.
Die Schützen konnten sich vor Erstaunen nicht fassen, fünfzig Kilometer vor Berlin ein solches Prachtexemplar aufgespürt zu haben. Das war aber auch das einzige, über das sie Verwunderung zeigten, über das andere dachte niemand nach.
Vier Tage in Reelkirchen ud dann zurück nach Berlin
Es war am Sonntag, der 15. Oktober, als ein Tieffliegerangriff auf Hörn fünfzehn Tote forderte. Über Reelkirchen kreisten zwanzig Maschinen, die die ganze Gegend unter Feuer nahmen und den kleinen Bahnknotenpunkt Schieder schwer trafen.
Auf der Rückreise Alarm in Hannover. Im Bahnhofsbunker Szenen wie in Gerkis >Nachtasyl<. Viele Ohnmächtige. An den Bunkereingängen Panik, weil die Leute fürchteten, Hannover wurde in dieser Nacht dem Erdboden gleichgemacht.
Ankunft in Berlin um drei Uhr morgens. Der Bahnhof Zoo mit Flüchtlingen und Obdachlösen überfüllt, die dort - ob Alarm oder nicht - die Nächte zubringen. Spuren der Entnervung, unaussprechlicher Kummer, Grauen, Bitterkeit, Fatalismus auf den Gesichtern.
Umsturz in Ungarn.
Der Abfall Horthys kam so wenig überraschend, wie der mit unserer Hilfe inszenierte Staatsstreich des Pfeilkreuzler Führers Szalasy.
Daß Horthy einen Geheimsender betrieb, war lange bekannt. Um so unbegreiflicher ist es, daß Horthys Bitte um Waffenstillstand und seinem Befehl an die ungarischen Truppen, den Kampf einzustellen, nicht vorgebeugt wurde.
In letzter Minute wurde Rahn nach Budapest entsandt; gemeinsam mit Veesenmayer brachte er Horthy dazu, seine Erklärung zu widerrufen und abzudanken.
Die Aussichten der neuen Regierung in Ungarn hängen von der militärischen Lage ab. Erreichen die Russen Budapest, wird Wien kaum zu schützen sein.
Dienstag, den 24, Oktober 1944 - Die Wolfsschanze wird aufgelöst
Im Laufe der letzten Woche fielen Belgrad, Aachen und Debrecen. In Ostpreußen rollt eine neue russische Offensive. Die Verlegung des Hauptquartiers aus Ostpreußen erweist sich als notwendig.
Der kriegsgefangene amerikanische Journalist Beattie, der von Strempel und Schmidt verhört wurde, glaubt, daß Verhandlungsmöglichkeiten zwischen den angelsächsischen Mächten und uns noch immer bestehen, eine Auffassung, die ich nicht teile.
Im Hotel »Adlon« verbreiten französische Emigranten Trostlosigkeit und Geschäftigkeit. Viele von ihnen laufen in deutschen Uniformen herum, zum Teil mit hohen Rangabzeichen.
Auch Leon Degrelle ruht in der Halle des »Adlon« aus. Eine andere »Adlon«-Figur ist der Kroate de Monti, ehemaliger Diplomat, Tennismeister, Filmregisseur und politischer Agent, angeblich auch Graf, der ein englisches Film-Automobil von riesigen Ausmaßen fährt und großartig auftritt. Woher er das Benzin nimmt und die nahrhaften Geschenke, mit denen er seine Freunde bedenkt, bleibt sein wohlgehütetes Geheimnis.
Der Enkel von Bismarck wird nicht hingerichtet
Gottfried Bismarck, der im Zusammenhang mit dem 20. Juli vor dem Volksgerichtshof stand, ist gestern freigesprochen worden. Ob er auch freikommt, ist ungewiß. Der Freispruch erspart dem Regime das makabre Schauspiel der Hinrichtung eines Enkels von Bismarck. Dagegen hört man nicht, daß anderen Verschworenen Pardon gewährt worden ist.
Mittwoch, den 25. Oktober 1944 - Mussolinis Wahrheiten
Der Londonere »YA«-Korrespondent gibt Erklärungen wieder, die Mussolini nach seiner Gefangennahme durch Badoglio dem Admiral Franco Maugeri gemacht hat.
Mussolini soll erklärt haben, daß die Deutschen niemals die Bedeutung des Mittelmeerproblems begriffen hätten, und daß seine Bemühungen, den Führer in diesem Punkte zu überzeugen, immer wieder gescheitert seien.
Der große Fehler Hitlers habe darin bestanden, Rußland den Krieg zu erklären, bevor er seine Position im Mittelmeer festigen konnte.
Statt den Nahen Osten und Afrika auf dem Landwege militärisch zu verbinden, statt Ägypten zu erobern, habe Hitler in Rußland eine weitere Front geschaffen und seinen diplomatischen Sieg vom September 1939 annulliert.
Nach der Niederlage Frankreichs habe Italien in den Krieg eintreten müssen, wenn es nicht auf alle seine Ansprüche hätte verzichten wollen. Er, Mussolini, habe als bestimmt angenommen, daß die Deutschen in England landen würden. Nach Stalingrad habe er Hitler zugeredet, sich mit Stalin zu verständigen, auch wenn dies den Verzicht auf alle eroberten russischen Gebiete bedeuten sollte.