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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Wenn die Russen ein Verfahren an die Amerikaner abtreten

Aus der Fülle der Nürnberger Verfahren hob sich der »Einsatzgruppen«-Prozeß, der als »Fall IX« vor den Militärgerichtshof Nr. II kam, durch die Person des Angeklagten, die des Richters und durch den Gegenstand der Verhandlung ab.

In ihm wurde dem General der Waffen-SS Otto Ohlendorf der Tod von 90.000 Menschen angelastet. Jahrgang 1907, hatte Ohlendorf Jura, Staatswissenschaften und Volkswirtschaft studiert, war 1925 der NSDAP beigetreten und nach einer Laufbahn im SD und in der SS im Juni 1941 zum Leiter der Einsatzgruppe »D« ernannt und in Südrußland mit »politischen Sicherheitsaufgaben« betraut worden.

Die Verantwortung für das ihm zugeschriebene Delikt hatte er am 3. Januar 1946 zugegeben. Obwohl es sich um Vorgänge in ihrem Land handelte, besaßen die Sowjets offenbar Grund, das Verfahren an die Amerikaner abzutreten.

Tief beeindruckende Schlußwort-Formulierungen

Diese hatten den Richter Musmano eingesetzt, einen Juristen von hohem menschlichem Rang, der die Verhandlung mit großer Fairneß führte und vor Bewegung kaum sprechen konnte, als er Ohlendorf für schuldig erkennen und zum Tode verurteilen mußte. Auch Ohlendorf hatte sich während der Verhandlung als ein Mann von ungewöhnlichem Format gezeigt.

Vertreter einer Generation, die als Achtzehnjährige zu Hitler gestoßen, von ihm geformt und politisch verführt worden waren, hatte er, des Galgens gewiß, in seinem Schlußwort Formulierungen gefunden, die das Gericht tief beeindruckten:

»Die Jugend meiner Generation fand, als sie zum Bewußtsein der gesellschaftlichen Zustände erwachte, die breiten Auswirkungen eines geistig-religiösen und politisch-gesellschaftlichen Zerfalls vor. Ihr konnten keine Werte genannt werden, die nicht von anderen Gruppen auf das schärfste bekämpft und bestritten wurden...
Ihre soziale Zukunft war ohne Hoffnung. Es ist verständlich, daß diese Jugend unter diesen Voraussetzungen nicht in dem Erwerb materieller Werte ihr Ziel fand... Sie sehnte sich nach einem geistigen Halt... Wir haben im Nationalsozialismus diese Idee und diese Grundlage einer neuen Ordnung gesehen.

Und wenn vom tausendjährigen Reich die Rede war, dann war uns das nicht ein frivoler Ausdruck eines tausendjährigen Herrschaftsanspruchs, sondern das Wissen, daß große Menschheitsentwicklungen Jahrhunderte und Jahrtausende brauchen, bis sie sich ausformen... Auch die Beendigung des Zweiten Weltkrieges und die Niederlage des Nationalsozialismus in ihm haben die geistig-religiöse und politischgesellschaftliche Krise nicht gelöst...

Nichts darf darüber hinwegtäuschen, daß das auf Gott bezogene Christentum und der Individualismus als Ausdruck des menschlichen Standortes im Kosmos sich unversöhnt gegenüberstehen... Wenn versucht wird, die Idee und den Begriffsinhalt der Demokratie als Wertmaßstab für die Beurteilung der vergangenen Geschichtsperiode gelten zu lassen, dann darf nicht vergessen werden, daß diese Idee der Demokratie kein Ersatz ist für die verlorengegangene metaphysische Verbindlichkeit der christlichen Idee oder einer religiösen Idee überhaupt...

Und so ist meine Bitte, daß auch das Gericht in seinen Erwägungen bei der Urteilsfindung unterstellen möchte, daß die hier Angeklagten in geschichtliche Entwicklungen einbezogen waren, die sie nicht primär verursachten und die sich unabhängig von ihrem Willen vollzogen. Keiner von ihnen hat sich den Standort in dem Ablauf dieser geschichtlichen Entwicklung ausgesucht, der ihn hier auf die Anklagebank gebracht hat. Auf sie wirkten Impulse ein, die sie unabhängig von ihren eigenen Zielsetzungen zu ihrem Tun ver-anlaßten. Und sie traten an ihre Aufgabe heran mit dem festen Glauben, daß hinter ihnen ein echter berechtigter Wille stünde... Sie mußten die Mittel des Krieges und die "Befehle in diesem Krieg für sich hinnehmen wie die Soldaten in allen Ländern...«

Ein todgeweihter Zeuge wird "benutzt"

Ein düsteres Nachspiel im Fall Ohlendorf

Dem Fall Ohlendorf, über den im Januar/Februar 1948 in Nürnberg verhandelt worden war, folgte ein düsteres Nachspiel, als am 4. August 1948 der zum Tode verurteilte SS-Führer im OKW-Prozeß von der Anklage in den Zeugenstand gerufen wurde, um gegen die Generäle auszusagen.

Die Befragung Ohlendorfs durch den Verteidiger des Feldmarschalls v. Leeb ergab, daß die Anklage die Verhandlungsprotokolle aus dem OKW-Prozeß regelmäßig in die Todeszelle geliefert hatte und daß Ohlendorf sich schließlich bereit erklärte, nicht nur die Antworten, sondern auch die Fragen für sein Verhör am 4. August 1948 auszuarbeiten.

In ihm ging es der Anklage darum, die Verantwortlichkeit des Heeres für die Tätigkeit der Einsatzgruppen im rückwärtigen Operationsgebiet des Ostfeldzuges festzunageln.
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Ohlendorf bezeugte, was die Anklage hören wollte.

Ich kommentierte in der »Zeit« vom 19.8.1948:

  • »... von der Klärung des Sachverhalts unabhängig bleibt bestehen die nicht zu überbietende Amoralität eines Verfahrens, das sich eines zum Tode Verurteilten bemächtigt, um ihn als Kronzeugen zu benutzen...«


Ohlendorfs Anwalt, Dr. Rudolf Aschenauer, den ich wegen seines Mutes besonders schätzte, nahm meinen Kommentar zum Anlaß, um sich in Briefen (vom 26.2. und 4.5.1949) an den evangelischen Landesbischof Hans Lilje gegen die Unterstellung zu verwahren, daß Ohlendorf die Wehrmacht verraten habe.

Nach ihm stand Ohlendorf vor einem inneren Konflikt:

  • »Auf der einen Seite war er sich völlig bewußt, welches Odium er auf sich nehmen müsse, wenn er als Deutscher in einem Prozeß einer Besatzungsmacht gegen Deutsche die Rolle eines Anklagezeugen spielen und über innerdeutsche Verhältnisse aussagen würde. Auf der anderen Seite war im Laufe der Zeit die Unausweichlichkeit dieses Schrittes immer klarer geworden. Seine fortgesetzten Versuche, mit der Verteidigung der Wehrmacht zu einer Absprache zu kommen, die dem wahren Verhältnis der Einsatzgruppen einigermaßen gerecht geworden wäre, waren gescheitert... Hinzu kam, daß durch die Art, in der sich die Generäle verteidigten, bzw. verteidigt wurden, ein großer Personenkreis, praktisch die gesamte SS, bedenkenlos auch von deutscher Seite in den Verruf gebracht wurde, sich aus gemeinen Verbrechern zusammenzusetzen. Die Erwägung, ob unter diesen Umständen nicht ein Vertreter der SS die Pflicht habe, diese Verdrehung richtigzustellen, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet, lag daher nahe...«


Dem Schlußwort des Angeklagten Ohlendorf, das in der Presse unterdrückt wurde, hatte ich seinerzeit (in »Christ und Welt«) Publizität verschafft. Ohlendorfs Haltung als Zeuge konnte ich nicht billigen.

Ich schrieb (am 24.3.1949) seinem Anwalt Dr. Aschenauer:

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  • »Ohlendorf ist nicht ein Irgendwer, nicht irgendein namenloser oder zufällig angeklagter SS-Mann. Er hat sich vorgestellt, und diese Vorstellung ist von seiner Verteidigung unterstützt worden, als ein Elite-Typus, als ein Exponent jener zahlenmäßig kleinen Gruppe, die aus reinem Idealismus zum Nationalsozialismus stieß und deren Tragik es wurde, daß die Reinheit ihres Wollens an der Zwiespältigkeit und Dämonie Hitlers scheiterte bzw. von diesem verraten wurde. Gerade wenn dies der Fall war, hätte Ohlendorf die höheren Gesichtspunkte der Nürnberger Gesamtverteidigung erkennen und seine Haltung danach ausrichten müssen.«

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Nachtrag zum Ohlendorf Prozess

In den vorangegangenen Absätzen erläutert von Studnitz, wie der Angeklagte Otto Ohlendorf trotz 90.000 Toter Opfer um sein eigenes Leben gekämpft hatte.

Darum hier noch zwei Links aus 2018 :
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  1. www.landsberger-zeitgeschichte.de
  2. www.sueddeutsche.de (aus März 2011)

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Es gab noch mehr unerschrockene Deutsche in Nürnberg

Unter den unerschrockenen Deutschen, denen ich in Nürnberg begegnete, befanden sich zwei Frauen-Nina Gräfin Faber-Castell und Lily von Schnitzler. Gräfin Faber-Castell, von Geburt Schweizerin, verheiratet mit dem Nürnberger Bleistiftkönig, setzte ihre ganze Kraft, ihren weiblichen Charme und ihre erheblichen Mittel ein, um das Los der Gefangenen und Zeugen in Nürnberg zu mildern.

An der Seite ihres Gatten, eines Mannes von hoher Noblesse der Gesinnung, öffnete sie ihr großes Haus in Dürrenhembach bei Nürnberg und gewährte vielen der in die Nürnberger Verfahren Verwickelten Gastfreundschaft und Trost.

Ihre Beziehungen reichten bis in die Reihen der Ankläger, die in Nina Faber-Castell eine Wahldeutsche kennenlernten, die sich in den Tagen der tiefsten Erniedrigung rückhaltlos zu der Nation ihres Mannes bekannte.

Neben Nina Gräfin Faber-Castell gab es Lily von Schnitzler

Lily von Schnitzler aus der bekannten Familie Mallinckrodt war die Frau Georg v. Schnitzlers, Vorstandsmitgliedes und Außenministers des Farbenkonzerns, der als »Kriegsverbrecher« auf der Anklagebank im IG-Prozeß saß, für schuldig erklärt und zu längerer Haft in Landsberg verurteilt wurde.

Seine Frau kämpfte wie eine Löwin um das Schicksal ihres Mannes. Aus großen Verhältnissen kommend, war sie der Verfügung über ihr Vermögen beraubt und verdiente sich ihren Unterhalt mit dem Vertrieb von Kunstfolien. Jede freie Minute verbrachte sie in Nürnberg, wo sie im Bunkerhotel unter dem Bahnhofsplatz eine stickige Kabine bewohnte, von der aus sie Vorstöße ins Herz der Anklagebehörde unternahm.

Wurde Nina Faber-Castell zum Engel vieler der Angeklagten, so wurde Lily von Schnitzler zum Alpdruck der Verfolger im IG-Prozeß. Nach einem ihrer Besuche entfuhr einem der Hauptankläger der Stoßseufzer:

  • »Ein Glück für die Vereinigten Staaten, daß wir nicht Frau v. Schnitzler zur Verantwortung ziehen müssen, wir hätten kaum eine Chance, einen Prozeß gegen sie zu bestehen.«

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Rudolf Diels, bis zum März 1934 Chef der "GESTAPO"

Unter den freien deutschen Zeugen war Rudolf Diels, der bis zum März 1934 die "Geheime Staatspolizei" geleitet hatte, um dieses Amt dann an Heydrich abzutreten, die interessanteste Figur.

  • Anmerkung : Die GeStaPo der NS-Machthaber war in etwas das, das nach dem 2.Weltkrieg die STASI in der sowjetisch besetzten Zone war. Nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Zone (DDR) sind auch die mehreren hunderttausend Mitarbeiter der STASI genaus "verschwunden" wie die der GeStaPo.


Sohn armer Bergbauern, mit bemerkenswerter Intelligenz ausgestattet, unterstand ihm mit vierundzwanzig Jahren im preußischen Innenministerium das Referat zur Überwachung der Kommunistischen Partei, eine Parallelstellung zu der von Kempner verwalteten, der die Rechtsradikalen beobachtet hatte.

So lästig den Nazis Kempners Informationen waren, so unschätzbar erschien ihnen das Wissen von Diels, der zu den intimen Kennern der KP und ihrer östlichen geheimen Verbindungen gehörte.
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Diels, aufstrebend mit wechselndem Erfolg

Während Kempner sich damals aus dem Staube machen mußte, avancierte Diels, über den Göring auch dann seine schützende Hand hielt, als er sich mit Himmler und Heydrich entzweite.

So wurde er nacheinander Regierungspräsident in Köln und in Hannover. Am 30. Juni 1934 entging er um Haaresbreite dem Tode, später auch einem Giftmordanschlag, wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, in ein KZ gebracht und lebend von den Alliierten befreit.

Eine Broschüre über die Hintergründe der Affäre Otto John

In Nürnberg widerlegte er den Anklagezeugen Gisevius und erwies sich als souveräner »Connaisseur« (eigentlich ein Kenner im künstlerischen oder kulinarischen Bereich) aller Interna des Dritten Reiches. Ein amerikanisches Angebot, sich ihrer Abwehr zur Verfügung zu stellen, lehnte Diels ab, nachdem er die Ermittlungsmethoden dieser Organisation einem Test unterzogen hatte, der negativ ausfiel, weil er die Abwehrarbeit von Jahrzehnten in einer Nacht zunichte machte.

Als der Präsident des Verfassungsschutzamtes Otto John in die Zone übertrat, nannte Diels in einer Broschüre die Hintergründe dieser Affäre bei ihrem Namen, was in Bonn (Anmerkung: im Bonn der alten Männer) einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Als die echten "Ratten" noch im Bonner Bundestag saßen

Im Bundestag erklärte ein Regierungsmitglied, "die Ratten kröchen wieder aus ihren Löchern". Als Diels mit dem Entzug seiner Pension gedroht wurde, erschien er auf der Bonner Bühne.

Mit Hilfe eines hohen Geistlichen ließ Diels seinem alten Kölner Bekannten Konrad Adenauer einen Wink zukommen, den dieser sofort verstand. Adenauer selbst war es, der für das Ende der Hetze sorgte.

Vier Jahre vor dem John-Skandal hatte Diels ein sensationelles Buch erscheinen lassen, dem er ein Geleitwort voranstellte, in dem es hieß:

  • »Ich habe nicht den Ehrgeiz, in die Reihen der Opfer des Faschismus einzutreten. Der Toten unter ihnen bin ich nicht würdig, der Mehrzahl der Lebenden will ich nicht würdig sein.«


Diels starb, wie er gelebt hatte. Im November 1957 fiel er, nur siebenundfünfzig Jahre alt, einem Jagdunfall zum Opfer. Sein Grab in Berghausen im Unterlahnkreis nahm die Überreste eines Mannes auf, der wie ein Renaissance-Mensch gelebt hatte, der das Spiel mit den Frauen liebte, dem die Gefahr Lebensgefährte war und der zuviel Temperament besaß, um sich in der Rolle eines Fouche halten zu können. Ich habe ihn oft gesehen und ihm zugehört.
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"Der Studnitz" fiel auch den Besatzungsmächten auf

Über meine Nürnberger Berichterstattung urteilte Richard Tüngel, der Chefredakteur der Wochenzeitung »Die Zeit«, der mich mit seiner ganzen Autorität gedeckt hatte:

»Wir waren glaube ich - dank Studnitz - die einzige Zeitung, die über die damaligen Nürnberger Prozesse ungehindert frei und kritisch schreiben konnte.«

Das fiel auch den Besatzungsmächten auf. Kaum war der "Strauß" (Anmerkung: heute würden wir das als Scharmützel bezeichnen) mit dem amerikanischen Hauptankläger wegen meines Gauß-Artikels in der »Zeit« bestanden, als die britische Militärregierung der in Hamburg erscheinenden »Zeit« einen Verweis wegen meines in diesem Blatt veröffentlichten Kommentars zum Krupp-Prozeß »Rehabilitierung und Rache« erteilte.

Auch das »Flensburger Tageblatt«, das am 18. September 1948 meinen Aufsatz »Wie kam es zum Unternehmen Weserübung?« gebracht hatte, geriet unter Beschuß, nachdem die norwegische Regierung an seinem Inhalt Anstoß genommen und beim britischen Kontrollkommissar in Berlin »action« gegen mich beantragt hatte. Sie unterblieb.

Es sollte eine Strafe sein, das Gegenteil kam dabei heraus

Aber unter Berufung auf diese Publikationen und meine Tätigkeit im Kriege verweigerte die »Information Service Division« der britischen »Control-Commission for Germany« am 11. Oktober 1948 und dann nochmals am 11. Dezember 1948 meine Teilnahme an der Australien-Neuseelandreise des britischen Königspaares, für die mich immerhin acht deutsche Zeitungen nominiert hatten.

Auf die Ablehnung dieses Antrages ließ ich die »Information Service Division« unter dem 6. November 1948 u. a. folgendes wissen:

»Finally I may be allowed to State, that the action against the two newspapers and myself is rising a grave issue. I did believe and many of my colleagues do believe that the Western German Military Govemments are aiming to reestablish in their zone the freedom of opinion as being expressed in a free press. Pressure as beeing exercised in the above matters will hardly encourage German editors in the struggle for the essential qualities of democratic life. In the very contrary it will bring back to them unpleasant memories and frighten them in the fulfilling of their duties toward the public. Morever it will advise them to give preference to journalists who do not mind to be tools and who put their conscience and freedom of thought behind their desire to be regarded persona grata by the authorities. The result will be that newspapers as organs of public opinion will lose even that small amount of confidence which some of them by the untiring efforts of a few independant and courageous writers have heen able to accumulate in the recent past.«

(»Schließlich erlaube ich mir zu bemerken, daß die Maßregelung der beiden Zeitungen und meiner Person ein ernstes Problem aufwerfen. Ich war der von vielen meiner Kollegen geteilten Ansicht, daß die Militärregierungen in Westdeutschland in ihren Gebieten die Meinungs- und Pressefreiheit wiederherstellen wollen. Druck, wie er in der fraglichen Angelegenheit ausgeübt worden ist, trägt kaum dazu bei, deutsche Redakteure in ihrem Streben nach praktischer Demokratie zu ermutigen. Ganz im Gegenteil wird er in ihnen unliebsame Erinnerungen beleben und sie einschüchtern, ihre Pflicht gegenüber dem Publikum zu erfüllen. Er wird es ihnen ratsam erscheinen lassen, solchen Mitarbeitern Vorzug zu gewähren, die nichts dabei finden, sich zu Werkzeugen einer solchen Politik zu erniedrigen, und die bereit sind, Gewissen und Gedankenfreiheit dem Wunsch unterzuordnen, bei den Behörden als persona grata zu gelten. Im Ergebnis werden die Zeitungen als Organe der öffentlichen Meinung selbst das bescheidene Vertrauenskapital verwirtschaften, das einige von ihnen auf Grund der unermüdlichen Anstrengungen von ein paar unabhängigen und furchtlosen Publizisten in letzter Zeit haben ansammeln können.«

Zähmung des widerspenstigen Kritikers durch Nachsitzen

Die Engländer verfielen nun auf ein anderes Mittel, um mich zu zähmen. Durch den »Chief Education Control-Officer, Land Schleswig-Holstein« wurde ich aufgefordert, mich am 17. September 1948 zu einem Kursus in Wilton Park einzufinden. Diese eine Stunde von London in der Ortschaft Beaconsfield gelegene Institution verdankte ihre Entstehung einem Deutschen, Dr. Heinz Köppler, der 1922 in Oxford studiert hatte, sich in England naturalisieren ließ und während des Krieges eine führende Rolle in der »British Political Warfare Executive« einnahm.

Er hatte in Wilton Park ein »training-center« aufgebaut, das ursprünglich der Umerziehung von Kriegsgefangenen diente und dann Deutsche aus öffentlichen Berufen, vornehmlich Beamte, Lehrer, Gewerkschaftler und Journalisten, der »re-education« unterwarf.

Köppler stand Wilton Park im Auftrage des Foreign Office als »warden« vor. Die Engländer gingen davon aus, daß eine Wurzel des deutschen Übels das deutsche Bildungswesen sei, ohne dessen Richtlinien Hitler nicht aufgekommen, Wilhelm II sich nicht hätte auswirken, der Erste Weltkrieg vielleicht, der Zweite mit Sicherheit hätte vermieden werden können.

Wilton Park suchte den Dialog mit den Besiegten, wollte sie in englisches Denken einführen und zu Anhängern des »british way of life« machen.

Über die "Gehirnwäsche " von Wilton Park

Zweifellos ließ sich das Unternehmen, das in gewandelter Form heute an anderem Ort besteht, als Gehirnwäsche im Sinne der Schrenck-Notzingschen Untersuchung6 einstufen.

Aber der Prozeß wurde auf einer hohen Ebene geführt und stellte Ansprüche, denen viele der Teilnehmer kaum gewachsen waren. Sobald nationale Katastrophen eintreten, pflegen sich deutsche Intellektuelle aus der Besserwisserei in die Meinungslosigkeit zurückzuziehen.

Verschüchtert und befangen werden sie in der Hand von Umerziehern zu einem Klumpen Ton, aus dem sich angelsächsische Demokraten ebenso formen lassen wie Kommunisten leninistischer oder maoistischer Prägung. Diese Erscheinung habe ich immer wieder beobachten können.

Viel später : Herman Kahn und der moderne Guerillakrieg

Jahre später nahm ich in Hamburg-Rissen an einem strategischen Seminar teil, auf dem vor einem Auditorium von Bundeswehrgenerälen und Wissenschaftlern der amerikanische Futurologe Herman Kahn sich über die Methoden im modernen Guerillakrieg verbreitete.

Auf einer Schiefertafel stellte er mit Kreide drei Maximen für den Sieg auf.

  • Erstens solle man den Willen zum Sieg haben,
  • zweitens müsse man fest daran glauben, daß der Gegner verlieren würde, und
  • drittens dürfe man jede Gelegenheit zum Sieg ausnützen.


Obschon sich Kahn über seine Zuhörer lustig machte, nickten diese devot Zustimmung und starrten den Spaßvogel wie ein höheres Wesen an. Ich begriff damals, was Wilhelm II. gemeint hatte, als er an den Bericht eines Botschafters die Marginalie schrieb: »Das Denken sollen die Schafsköpfe gefälligst mir überlassen.«

Der Engländer Lord Pakenham und seine Gebete ... usw.

So fand der spätere Minister für Zivilluftfahrt Lord Pakenham in Wilton Park ein dankbares Publikum, als er uns aufforderte, uns für die Auseinandersetzung mit den Sowjets durch das Gebet zu stärken.

Lord Lindsay, Master des Oxforder Baillol-College, erntete Beifall, als er unter Anerkennung des wissenschaftlichen Ranges der deutschen Hochschulen die Auffassung vertrat, daß sie volksfremd seien und ein schädliches Spezialistentum züchteten.

Das meiste von dem, was Lindsay seinen deutschen Hörern empfahl, ist inzwischen verwirklicht worden - mit dem Ergebnis, daß das internationale Ansehen der deutschen Bildungsstätten auf unabsehbare Zeit ruiniert wurde.

Die alliierten Umerziehungsversuche - eine Krux

Über der Frage, wie Bismarck in die deutsche Geschichte einzuordnen sei, kam es zu einem Disput zwischen dem englischen Bismarckianer Prof. Gooch und Prof. Demuth.

Während der Diskussion zeigte sich der Pferdefuß, der bei alliierten Umerziehungsversuchen immer wieder hervortrat - die These, daß die politische Ahnenreihe der Deutschen bei Martin Luther beginnt, sich über Friedrich den Großen und Bismarck fortsetzt, um mit Wilhelm II und Adolf Hitler auszulaufen.

Wie eine Schafsherde, die selbst der sauersten Wiese Halme abrupft, ließen sich die Hörer mit derlei haarsträubendem Unsinn widerspruchslos füttern. Es liegt in der Logik solcher Lehrgänge, ihren Alumnen zu bescheinigen, daß sie etwas gelernt haben.

Inwieweit sich Dr. Köppler über die Problematik im klaren war, die mit Korrekturen an der geistigen Struktur fremder Länder verknüpft ist, habe ich nicht herausfinden können.

3 Jahre nach dem Krieg - wieder in England

Wichtiger als Wilton Park war mir das Wiedersehen mit England nur drei Jahre nach dem Kriege. Ich fand die britische Szene sehr verändert.

Die Verwüstungen, die deutsche Bomben im Weichbild Londons anrichteten, waren gering, verglichen mit den Wunden, die das englische Wesen davongetragen hatte.

Eine angeschlagene Nation, mit gebrochenem imperialen Willen

Entsprach schon die Etappe der britischen Rheinarmee in Norddeutschland nicht den Vorstellungen, die ich über den Krieg hinaus von den Engländern bewahrt hatte, so stieß ich im Mutterland auf eine Nation, deren Selbstbewußtsein angeschlagen, deren imperialer Wille gebrochen und dem Feilschen um die Annehmlichkeiten eines Rentnerdaseins gewichen war.

Die Riesengestalt Churchills konnte mich nicht darüber täuschen, daß die politische Auflösung des britischen Weltreiches durch einen Prozeß begleitet wurde, der an den Grundlagen der englischen Gesellschaft nagte.

Ich schied aus Wilton Park mit dem beklemmenden Gefühl, daß für die deutsche Gesundung aus Großbritannien allenfalls homöopathische Mittel bezogen werden konnten.

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