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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Frühjahr 1939 - der Sieg General Francos zeichnete sich ab

Nach dem Einzug der Italiener in Addis Abeba am 5. Mai 1936 ließ das Interesse der großen Mächte am Mittelmeerraum nach. Im Frühjahr 1939 näherte sich der Spanische Bürgerkrieg seinem Ende, der Sieg Francos zeichnete sich ab.

Übrig blieb eine französisch-italienische Rivalität in Nordafrika, das viele italienische Auswanderer aufgenommen hatte. Die britische Herrschaft über Ägypten lockerte sich. Der Pax Britannica im Nahen Osten setzten allein die Palästina-Araber zu.

Ich soll wieder in den "Vorderen Orient" gehen

Im Anschluß an die Tschechenkrise legte mir der Scherl-Verlag nahe, mich der Lage im Vorderen Orient anzunehmen. Die Pille wurde mir in einer Verpackung gereicht, die als typisch für die Form gelten konnte, mit der Journalisten damals domestiziert wurden:

»Bei der Suche nach der geeigneten Persönlichkeit, die die Problematik dieses Kampfes [im Nahen Osten] beherrscht und auch Erfahrung auf dem Gebiet der Auslandsreportage besitzt, ist die Wahl auf Sie gefallen. Wir dürfen annehmen, daß Ihnen dieser Auftrag, der Sie vielleicht aus der festen Tätigkeit in London für immer entführen wird, Freude bereitet.«

Das Gegenteil war der Fall. Ich hatte mich gerade zum zweitenmal verheiratet und verspürte keinerlei Neigung, auch den neuen Ehestand durch ein Wanderleben zu gefährden.

  • Anmerkung : Wie bei den Fernsehleuten der Neuzeit (ab 1970) gingen durch die langen Abwesenheiten vom Partner bei den Auslandskorrspondenten die Ehen der Reihe nach kaputt.

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Es gab keine Alternative

Aus meiner Ablehnung keinen Hehl machend, wurde ich am 8. November 1938 gebeten, mir die Sache nochmals zu überlegen. Da mir keine andere Verwendung in Aussidit gestellt wurde, willigte ich schließlich ein und begab mich in den ersten Tagen des Jahres 1939 auf eine Reise, die mich erst wenige Wochen vor Kriegsausbruch nach Berlin zurückführen sollte.

Von Sizilien nach Tunis

In Trapani auf Sizilien ging ich an Bord der »Garibaldi« und schiffte mich am anderen Morgen in Tunis aus, um mich dem französischen Ministerpräsidenten Daladier anzuschließen, der mich eingeladen hatte, ihn auf einer Tour zu begleiten, die Frankreichs Präsenz in Nordafrika unterstreichen sollte.

Wir gerieten mitten in die fieberhaften Vorbereitungen, mit denen sich die Hauptstadt des Protektorats auf den unerwarteten Besuch aus Paris rüstete. Fahnen und Girlanden mit elektrischen Birnen wurden aufgezogen, Balkone mit farbigen Tüdiern drapiert und Plakate geklebt, auf denen der »Maire« die Bevölkerung aufrief, »dem Bürger Daladier, der so viel für Frankreich getan hat«, ihre Verehrung zu bezeigen.

Als Mitarchitekt des Münchener Abkommens durfte der französisdie Regierungsdief hier noch einmal den Lorbeer ernten, der in Paris schon verwelkt war. »La Depeche Tunisienne« ging so weit, Daladier mit Ludwig XIV., mit Danton und Napoleon zu vergleichen und Deutschland als Kronzeugen für die militärischen Tugenden Frankreichs anzurufen, die Italien die Unabhängigkeit erkämpften, aber in Neapel, Mailand und Rom nicht gewürdigt würden.

Wenn der äußere Schein trügt

Im Palast des französischen Residenten, Botschafter Labonne, wohnten wir am Abend vor der Ankunft Daladiers einem Bankett bei, auf dem sich »La France d'outre mer« mit tunesischen Notabeln ein Stelldichein gab.

Das einträchtige Bild dieses Galaabends trog jedoch: Als wir mit Daladier nach Biserta übersetzen, kreuzen den Kurs der Autofähre Fischerboote, auf denen Demonstranten Spruchbänder entrollen, die den Abzug Frankreichs und der Italiener fordern. Der Ministerpräsident, ein freundlicher Kleinbürger, nimmt diesen Auftritt so ungerührt zur Kenntnis wie Sprechchöre vor dem Hotel Majestic, die die Unabhängigkeit von Tunesien und die Freilassung des »Des-tour«-Führers Habib Bourghiba verlangen.

Die Mehrzahl der Demonstranten sind Frauen, von denen die Polizei zwölf in Gewahrsam nimmt, unter ihnen eine 78-jährige und eine 14-jährige.

Eine verwirrende Verwaltung

Anders als in Britisch-Indien, wo die Administration bei den Engländern liegt, koexistieren in Tunis zwei Verwaltungen, eine dem "Bey" als »Possesseur du Pays« unterstehende, in 36 Laidats und 600 Scheikats aufgeteilte arabische Bürokratie, die von einem französischen »Contröleur Civil« beaufsichtigt wird, und eine dem Generalresidenten verantwortliche französische Hierarchie.

Bourghiba, dem es bestimmt ist, (später) als erster Präsident eines unabhängigen Tunesien in die Geschichte einzugehen, sprach in der »L'Action Tunisienne« vom 23. Dezember 1936 von einem »System der politischen Unterdrückung und wirtschaftlichen Ausbeutung, das seit einem halben Jahrhundert die Beziehungen zwischen Frankreich und Tunesien vergiftet«.

3 Stunden tunesische Folklore "geniessen"

Wir begleiten Daladier in den Süden des Landes, wo er die Befestigungen an der Grenze zu Libyen inspiziert. Französische Korporale mit rotblonden Vollbärten defilieren an der Spitze von Mannschaften aus dem Niger und Kongo. Kamelreiter traben vorbei.

Wie die Araber lenken französische Unteroffiziere ihre Tiere mit nackten Füßen. Daladier nimmt die Front ab. Tausend Augenpaare aus kohlrabenschwarzen Puppengesichtern folgen jedem Schritt des unscheinbaren kleinen Mannes, dem jede Attitüde eines kolonialen Herrschers abgeht.

Abends sind wir Gäste auf einer »Soiree Arabe«, deren Monotonie uns strapaziert. Drei volle Stunden müssen wir bei alkoholfreien Getränken zusehen, wie eingeborene Greise in Nachthemden sich im Rhythmus einer klagenden Musik wiegen und unsere Hoffnungen auf Bauchtänzerinnen zuschanden machen.

Bis jetzt nur leichte journalistische Kost zu melden

Stoff für Feuilletons bietet sich reichlich an. Politisch scheint der Schluß erlaubt, daß Frankreich fest im Sattel sitzt und einen neuen punischen Krieg nicht zu bestehen haben wird.

Dem Luftmarschall Italo Balbo, Mussolinis Statthalter in Libyen, reise ich in dem Vehikel entgegen, das der berühmte Flieger in der Vollendung beherrscht, einem Savoia-Marchetti-Flugboot. Mit ihm hatte Balbo seine aufsehenerregenden Geschwaderfiüge nach Amerika durchgeführt.

Der Marschall, dem ich anläßlich der Landung des Zeppelins in Rom vorgestellt worden war, empfängt mich im Schloß von Tripolis, seinem vizeköniglichen Amtssitz.

Mit jugendlicher Lebhaftigkeit springt er hinter einem riesigen Renaissancetisch auf, schüttelt mir die Hände, drückt mich in einen Sessel und sagt in fast fehlerfreiem Deutsch:

»Nun, Studnitz, was führt Sie nach Tripolis, wie geht es Ihnen, wo kommen Sie überhaupt her?«

Marschall Balbo spricht fast fehlerfreies Deutsch

Dann machen wir uns an ein Interview, das ganz anders verläuft, als ich dies gewohnt bin.

Immer wieder hilft Balbo meinem mangelhaften Italienisch auf die Beine und nimmt Antworten vorweg, bevor ich Fragen stellen kann.

Insistiere ich zu sehr, so weicht er aus und erinnert mich listig daran, daß die große Politik in Rom gemacht werde und er nur ein ausführendes Organ des Duce sei.

Als ich wissen will, warum Italien 20.000 Einwanderer in Libyen ansiedle, wo es doch gerade erst Äthiopien in Besitz genommen habe, erwidert Balbo: »Libyen betrachten wir nicht als einen Teil Afrikas. Es hat Mittelmeerklima und liegt geographisch im Lebensraum des italienischen Volkes, ja es gehört fast zu Europa. Es beherbergte einstmals eine Anzahl der blühendsten römischen Städte.«

Er rät mir zum Besuch von Leptis Magna und Sabratha, dort würde ich den Zeugen der römischen Weltherrschaft begegnen. »Un uomo pieno di attivita«, bemerkt der mich an den Wagen begleitende Adjutant des Marschalls. Nur ein Jahr später soll Italo Balbo in Tobruk abstürzen, getroffen von der eigenen Flak, ein Meteor am Himmel des Faschismus.

Von Benghasi im Flugzeug nach Kairo

In Benghasi nehme ich einen Tiefdecker der »Ala Littoria«, der mich vier Stunden später in Kairo absetzt. Unterwegs studiere ich Pressestimmen, die sich mit der Zusammenkunft Chamberlains und Mussolinis befassen.

»Wir wissen nicht, was Italien verlangt hat«, schreibt der Kairoer »Balagh«, »aber es genügt uns zu wissen, daß das Mittelmeer zum Schlachtfeld zwischen Italien einerseits, Frankreich und England andererseits zu werden droht.

1936 war das britische Protektorat am Nil erloschen

Ägyptens Sicherheit liegt in der Erhaltung des Status quo.« Die der ägyptischen Wafd-Partei nahestehende Zeitung »El Masri« fragt: »Was soll aus uns werden, wenn England geschlagen wird? Wir laufen Gefahr, zwischen Hammer und Amboß zu geraten.«

Die Stimmung, die ich in Kairo vorfinde, ist damit charakterisiert. Auch im politischen Bewußtsein Ägyptens hatte München seine Spuren hinterlassen.

Formal war das britische Protektorat am Nil erloschen, König Fuad die Unabhängigkeit seines Landes zugestanden worden. An die Stelle der britischen Herrschaft trat am 26. August 1936 ein Bündnisvertrag, unter dem sich der britische Hochkommissar in einen Botschafter verwandelte, der freilich den Rang vor den Vertretern anderer Mächte beanspruchte, eine protokollarische Nichtigkeit, an der sich anläßlich der Vermählung des iranischen Thronerben mit Prinzessin Fawzia, der Schwester König Faruks, ein Streit entzündete.

Die persische Regierung mußte sich verpflichten, die Dienstzeit ihres Vertreters am ägyptischen Hof jeweils so einzurichten, daß die Anciennität des Engländers nicht gefährdet wurde.

Ägyptens Hoffnungen - König Faruk und Ali Mäher Pascha

Ägyptens Hoffnungen verkörperten sich damals in zwei Persönlichkeiten, dem am 28. April 1936 auf den Thron gelangten neunzehnjährigen König Faruk und seinem Ratgeber Ali Mäher Pascha, der 1936 vorübergehend die Geschicke des Landes geleitet hatte und dessen Wiederbetrauung erwartet und am 18. August 1939 vollzogen wurde.

Der junge Faruk gewann sich durch selbstbewußtes Auftreten gegenüber den Engländern und Leutseligkeit im Umgang mit den Fellachen viele Anhänger. Er hatte sich noch nicht der »Dolce vita« verschrieben, und nichts deutete darauf hin, daß der Sohn König Fuads dereinst seinen politischen Ehrgeiz als Gargantua in der Gesellschaft leichter Mädchen begraben würde.

Den Bey von Tunis, einen französischen Schattenkönig, hatte ich nicht zu sehen gewünscht, Faruk interessierte mich. Ich nahm die Vermittlung des deutschen Gesandten Baron Ow-Wachendorf in Anspruch, der zwar nicht um eine Audienz für mich einkommen wollte, mir aber den Tip gab, mich nach Assuan zu begeben, wo ich den König anläßlich einer vor den Engländern geheimzuhaltenden Vorführung eines deutschen Kampfflugzeuges treffen könne.

Warten auf einem Rollfeld in Oberägypten

Ich nahm den Schlafwagen nach Oberägypten und fand mich zu der angegebenen Zeit auf dem Rollfeld ein, auf dem sich unter Führung von Mahmud Pascha das ägyptische Kabinett bereits versammelt hatte.

Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, löste sich aus einer Staubwolke das königliche Automobil, dem der in Khaki gekleidete Monarch entstieg, um die Mitglieder seiner Regierung zu begrüßen, die sich in ihren schwarzen Gehröcken auf dem wüstenähnlichen Gelände recht verloren ausnahmen.

Ein Probeflug des Königs mit dem Messerschmittjäger

Der deutsche Gesandte hatte kaum Zeit, die Besatzung des Messerschmittjägers vorzustellen, als die ägyptische Majestät schon darauf drängte, einen Probeflug zu unternehmen.

Faruk wurde auf dem Sitz des Kopiloten angeschnallt, und der Jäger zog steil in die Höhe. In den nächsten Minuten packte Regierung und Gesandten das nackte Entsetzen. Sie mußten mit ansehen, wie die Messerschmitt die waghalsigsten Figuren ausführte.

Der junge Luftwaffenhauptmann am Steuerknüppel wollte zeigen, was die Maschine hergab. Als ginge es um eine Vorführung auf dem Pariser Aerosalon, jagte er ohne jede Rücksicht auf seinen erlauchten Passagier von einer Kurve in die andere, vollführte Loopings, trudelte, setzte zum Sturzflug an und fing die Messerschmitt erst wenige hundert Meter über dem Erdboden ab.

Während die Paschas erregt protestierten, rollte die Maschine aus, und der auf seine fliegerischen Künste stolze Offizier lud einen leicht geschockten, im übrigen aber gefaßten Pharao aus.

Des etwas bleichen jungen Königs Rache an seinen anwesenden Exzellenzen

Während Faruk sich über die Flugeigenschaften des Jägers anerkennend äußerte, glomm in seinem Jungengesicht ein tückisches Lächeln auf.

Am Rande des Flugplatzes hatte der König eine Junkersmaschine der Deutschen Lufthansa erspäht, die auf dem Fluge von Dschiddah nach Kairo hier zwischengelandet war. Er begehrte nun auch diesen Vogel einer Lufterprobung zu unterziehen und forderte die anwesenden Exzellenzen auf, ihn bei diesem Test zu begleiten.

Der Bevollmächtigte der Lufthansa, Herr v. Winterfeld, komplimentierte einen Würdenträger nach dem anderen an Bord, während Faruk sich an der Angst der Minister weidete, von denen die meisten noch nie geflogen waren.

Es kam aber noch viel schlimmer

Die Junkers kreiste eben über dem Assuandamm, als der Kriegsminister seine Sprache wiederfand und aufgebracht darauf hinwies, daß die Überfliegung einer militärischen Sperrzone nicht gestattet sei.

Doch Schlimmeres folgte. Winterfeld und das Kabinenpersonal machten sich Faruks gute Laune zunutze und baten den Monarchen um sein Autogramm. Der Flugzeugführer, der im Rückspiegel die Szene beobachtet hatte, ließ sich nicht lumpen, übergab die Kontrollen dem Kopiloten und näherte sich der Majestät mit dem gleichen Anliegen.

Die Paschas, die den zweiten Piloten nicht sehen konnten und von einem Autopiloten noch nie gehört hatten, wähnten das Cockpit unbesetzt und sich - zum Entzücken des Königs - in größter Lebensgefahr. Baron Ow, der sich gerade erst von der Peinlichkeit der Messerschmitt-Vorführung erholt hatte, scheuchte Personal und Piloten wieder auf ihre Plätze.

Faruk lachte aus vollem Halse. Während wir im Gleitflug dem Ende des Abenteuers zustrebten, tauschte ich einige Sätze mit dem Herrscher - über die Schönheit des Niltales!

Eine der großen Karawansereien im britischen Empire

In Kairo war ich im »Semiramis« abgestiegen, das dem benachbarten »Shepheard«, einer der großen Karawansereien im britischen Empire, den Rang abgelaufen hatte, bis nach dem Zweiten Weltkrieg beide vom amerikanischen »Hilton« überflügelt wurden.

Man begegnete dort vielen interessanten Leuten. Eines Mittags erstarrten Kellner und Pagen zu Salzsäulen.

Barbara Hutton - die reichste Frau der Welt

In den Speisesaal schwebte ein "weibliches Wesen", dessen fragile Gestalt ein Breitschwanzmantel, so fein und so dünn wie Seide, umhüllte. "Es" nahm am Nebentisch Platz, und ich erkannte in ihm Barbara Hutton, die damals als die reichste Frau der Welt galt.

Noch während der Maitre d'hötel ihr die Honneurs machte, füllten sich die Tische mit den Teilnehmern einer anglo-arabischen Konferenz.

Ich sah den Prinzen Feisal, der seinem Bruder auf den Thron von Saudiarabien folgen sollte, den Emir Seif el Islam, Kronprinz des Jemen, Nuri el Said Pascha, der vierzehnmal Ministerpräsident des Irak wurde, bis er am 14. Juli 1958 Mördern zum Opfer fiel.

Abgesandte des Mufti von Jerusalem trafen sich im »Semiramis« mit Scheichs aus den Emiraten am Persischen Golf, Riesengestalten, die in malerischen Trachten, sandalenbehaftet über die tiefen Teppiche des Luxushotels schlurften und sich würdevoll in Klubsesseln niederließen.

Das Thema : die Zukunft der Palästinaflüchtlinge

Die Verständigung mit ihnen war nicht ganz einfach, weil nur wenige Englisch oder Französisch beherrschten und es an Dolmetschern fehlte. Das Thema, das sie im Frühjahr 1939 zusammenführte, war das gleiche, das 1974 den Vorderen Orient in Spannung hielt: die Zukunft der Palästinaflüchtlinge.

15 Jahre später in 1954

Als ich im Mai 1954 Ägypten wieder besuchte, fand ich eine gründlich veränderte Szene vor. Der entthronte König Faruk lebte im römischen Exil, sein Nachfolger General Nagib hatte am 18. April 1954 seine Ämter an einen von Oberstleutnant Gamal Abdel Nasser präsidierten Revolutionsrat abgeben müssen.

Meine Reise auf einem Tanker von Kairo nach Kuweit

Ich befand mich auf einer abenteuerlichen Reise, die ich auf Einladung des griechischen Reeders Stavros Niarchos mit seinem in Kiel erbauten Tanker »World Gratitude« nach Kuweit unternommen hatte. Auf dem Riesenschiff war ich der einzige Passagier gewesen.

In der Eignerkabine, die aus einer Staatszimmerflucht bestand, lebte ich wie ein Vogel im goldenen Käfig. Mir standen zwei Schlafzimmer, zwei Bäder, ein mit Kopien von Canaletto und antiken Möbeln ausgestatteter »sitting room« und ein Speisezimmer zur Verfügung.

Die Reise hätte ein Vergnügen werden können, wäre ich in der Lage gewesen, mich mit der griechischen Besatzung zu verständigen. Außer dem Kapitän und dem Funker, die ein paar Brocken Englisch konnten, hatte ich keinerlei Ansprache.

Im Suezkanal lief der Tanker aus dem Ruder und bohrte sich in die Böschung. Mit Hilfe arabischer Bootsleute, die am gegenübergelegenen Ufer Taue befestigten, zog sich der 30.000-Tonner mit eigener Kraft wieder in die Fahrtrinne. Das Manöver nahm eine ganze Nacht in Anspruch und blockierte den Verkehr. In unserem Kielwasser stauten sich Dutzende von Schiffen, die als Konvoi die Fahrt ins Rote Meer fortsetzten, sobald die »World Gratitude« die Passage freigegeben hatte.

Noch bevor wir den Persischen Golf erreichten, breitete sich an Bord eine Lebensmittelvergiftung aus, die unter der Besatzung zu panikähnlichen Erscheinungen führte und die Stimmung auf den Nullpunkt sinken ließ.

Aus dem Leben der Tankermatrosen

Tankermatrosen, das erfuhr ich auf dieser Fahrt, sind ohnehin nicht auf Rosen gebettet. Die Liegezeiten beschränken sich auf wenige Stunden, dazu in Ölhäfen, die keinerlei Attraktionen bieten.

Auf der Heimreise liegt über dem Schiff eine Wolke faulig riechender Ölgase, die aus den Abzugsventilen der Tanks aufsteigen und so feuergefährlich sind, daß Rauchen an Deck bestraft wird. Ist die Ladung gelöscht, so müssen die Tanks gereinigt werden, was Arbeit unter gesundheitsschädlichen Bedingungen bedeutet. Ihre meist auf den griechischen Inseln beheimateten Familien bekommen die auf Tankern anheuernden Seeleute nur alle Jubeljahre zu sehen.

Wieder zurück in Kairo

Ich war froh, die Heimreise in Suez abbrechen und mit Hilfe von Niarchos Agenten Papadimitriou mich nach Kairo begeben zu können und mich die Direktion des überfüllten »Semiramis« auf der vor dem Hotel im Nil vertäuten Privatjacht König Faruks unterbrachte. Ich entbehrte dort keines Komforts. Die afrikanische Sonne, die ihre glühenden Strahlen auf die Decks sandte, erzeugte jedoch in meiner mit grünem Damast ausgeschlagenen Kammer eine solche Hitze, daß ich nachts wie ein Bratapfel schmorte und kein Auge zutat.

Ich wollte Nasser interviewen

Nasser zu sehen war so schwierig wie 15 Jahre vorher, Faruk zu treffen. Das »Ministry of National Guidance« vertröstete mich von einem Tag auf den anderen. Wenn immer ich dort erschien, wurde ich mit großer Liebenswürdigkeit gefragt, ob ich einen Kaffee genießen wolle.

Bejahte ich, so verschwand der Beamte, um das Getränk zu bestellen, und kehrte nicht mehr zurück. Begab ich mich in das Nebenzimmer, um mein Anliegen bei seinem Nachbarn vorzubringen, so wiederholte sich das Spiel.

Nachdem ich im Laufe von zwei Stunden ein Dutzend Referenten mobilisiert hatte, die sich samt und sonders verdrückten, bat ich einen Diener, mich in die Küche zu führen. Dort traf ich sie alle Kaffee trinkend wieder. Wir lachten, und am anderen Tage bekam ich tatsächlich meinen Termin.

Dann eine Tour im Nil-Delta auf Einladung von Nasser

Der Rais (Führer) bestimmte, daß ich ihn auf einer Tour durch das Delta begleiten sollte, da er Reden halten und Land verteilen wollte. Die Expedition nahm den ganzen Tag und den Abend in Anspruch. Nasser, der leidlich Englisch sprach, forderte mich hin und wieder auf, im Wagen oder bei Konferenzen mit örtlichen Würdenträgern und den sich anschließenden Banketts an seiner Seite Platz zu nehmen.

Sein Auftritt war gründlich vorbereitet. Auf Handzetteln in englischer und arabischer Sprache wurde der Bevölkerung mitgeteilt:

  • »Al-Gomhuria - Premier Lt. Colonel Gamal Abdel Nasser, accompanied by some members of the Revolution Command Council, will proceed to the estates belonging to former Crown Prince Mohammed Aly at Beitage, Abshit and Sandabis on Sunday, to distribute 3530 feddans in small holdings among landless peasants in these localities.
  • The following is the menu of the lunch given in honour of Premier Abdel Nasser and party to be prepared by the fellahin themselves:
    Tahreer (Liberation Pie)
    Riz a la Revolution Agrarian Reform Cheese
    Beans a la Gamal Abdel Nasser«

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übersetzt in etwa :
»Al-Gomhuria - Der Regierungschef Oberstleutnant Gamal Abdel Nasser, begleitet von Mitgliedern des Revolutionsrates, wird sich am Sonntag auf die Güter des früheren Kronprinzen Mohammed Aly in Beitage, Abshit und Sandabis begeben, um 3.530 Feddan Land in kleinen Parzellen an landlose Bauern in diesen Orten zu verteilen. Zu Ehren von Abdel Nasser und seiner Begleitung findet ein Mittagessen statt, das von den Bauern selbst zubereitet wurde. Das Menü setzt sich zusammen aus Tahreer (Befreiungspudding), Reis nach Art der Revolution, Landrelorm-Käse und dicken Bohnen ä la Gamal Abdel Nasser.«
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Meine Eindrücke von Nasser und seinen Ägyptern

Serviert wurden ungeheure Portionen von Hammelfleisch mit Reis und dicken Bohnen, denen Berge von Früchten und Kaffee folgten.

Die Ägypter zeigten sich als Gourmands, die, kaum daß sie eine Mahlzeit bewältigt hatten, im nächsten Dorf schon wieder in der Lage waren, sich den Wanst vollzuschlagen.

Wo immer Nasser auftauchte, umbrandete ihn Jubel, der auch nicht nachließ, wenn sich der Rais in das Innere eines Rat- oder Gasthauses zurückzog.

Zwei Wesen lebten in diesem Mann und drückten sich in seiner Physiognomie aus. Von vorn beeindruckten die hohe Stirn, die leuchtenden, zuweilen fanatischen Augen, die kühne Nase, der energische Mund.

Das Profil überzeugte weniger. Von der Seite gesehen, wirkte Nasser stur, um nicht zu sagen stumpf. Saß man neben ihm, so mochte man sich fragen, ob dieser Mann der gleiche zündende Volksredner war, dem man eben noch zugehört hatte.

Nasser ist oft und nicht zu Unrecht mit Hitler verglichen worden. Er hatte mit ihm nicht nur das Charisma gemein, das die arabische Welt immer tiefer in irrationale Gedankenwege verstrickte. Auch seine revolutionäre Ideologie trug Hitler-verwandte Züge.
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Nassers Grundideen verglichen mit denen von Hitler

So schrieb Nasser:
»I thought of assassinating many, whom I regarded as obstacles between our country and its future.« (»Ich dachte daran, viele von denen zu ermorden, die der Zukunft unseres Landes im Wege standen.«)

Von seiner Sturm- und Drangzeit sagte er:
»I had within me a feeling of distruction which was a mixture of com-plex and intermingled factors: of patriotism, religion, compas-sion, cruelty, faith, suspicion, knowledge and ignorance.«
(»In mir glühte eine Zerstörungslust, die aus sehr verschiedenen Komplexen rührte: aus Patriotismus, Religion, Leidenschaft, Grausamkeit, Glaube, Verdacht, Bildung und Unwissenheit.«)

Mit Hitler und Gadhafi, der sich als Vollstrecker des Nasserschen Erbes sieht, teilte Nasser die Xenophobie.

Nasser haßte die ägyptische Oberschicht, die kosmopolitisch eingestellt war und sich aus den Nachkommen von Türken, Griechen, Juden, Levantinern und Italienern zusammensetzt. Ihr verdankt Ägypten seine internationale Stellung. Wie Hitler von einem germanischen, so träumte Nasser von einem arabischen Großreich.

Hitlers Antisemitismus entsprach Nassers Antizionismus. Beide führten in die Isolierung von der übrigen Welt. Büßte Deutschland für den Exodus der Juden, so Ägypten für die Austreibung und Enteignung seiner Oberschicht.

Als ich mich 1958 abermals in Ägypten aufhielt, wurde diese Parallele ganz deutlich. Die einstmals führenden Kreise hatten sich den neuen Machthabern entfremdet, gegen deren Gewalt sie wenig auszurichten vermochten. Wie einst im Dritten Reich suchten sie Anschluß an die ausländischen Botschaften und Betäubung in einer gesellschaftlichen Aktivität, die dem Tanz auf dem Vulkan glich. Wer keine Werte ins Ausland geschafft hatte, ging der Verarmung entgegen. Eine der reichsten Kulturen am Mittelmeer trieb dem Untergang zu.

Abd el Krim, einer der Helden meiner Jugend

1954 versäumte ich nicht, Abd el Krim, der in Heliopolis seinen Lebensabend verbrachte, einen Besuch abzustatten. Er hatte zu den Helden meiner Jugend gehört, an dessen Taten wir uns in den dunklen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg begeisterten. Eine ihm durch einen spanischen Offizier zugefügte Beleidigung erwiderte der Kabylenführer mit einem Aufstand gegen die spanische Herrschaft in Marokko, der das Rifgebiet in Flammen setzte.

1921 schlug er eine von General M. F. Silvestre befehligte Armee und verfolgte die Spanier bis in die Vorstädte von Melilla.

1925 traten unter dem Marschall Petain auch die Franzosen gegen Abd el Krim an. Im Mai 1926 kapitulierte er vor der Übermacht und wurde auf der französisdien Insel Reunion festgesetzt.

1947 gestattete ihm die Pariser Regierung die Übersiedlung nach Südfrankreich. Während der Fahrt durch den Suezkanal gelang es Abd el Krim, sich abzusetzen und nach Kairo zu fliehen, wo ihm König Faruk Asyl bot.

Ein Blick in die Geschichte - wie es dazu kam

Wir sprachen lange miteinander. Den Vorgängen in Ägypten stand der Berberfürst mit Skepsis gegenüber. Von der militärischen Qualität der ägyptischen Streitkräfte, bei denen Söhne von ihm dienten, hielt er nicht allzuviel, eine Auffassung, die der Leiter einer am Nil tätigen deutschen Militärkommission mir bestätigte.

Im Frühjahr 1939 wurde Palästina von den Spannungen zwischen Engländern und Arabern, Engländern und Juden sowie Arabern und Juden beherrscht.

Die für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung verantwortliche britische Mandatsregierung befand sich in einer schwierigen Lage. Juden und Araber mißtrauten ihr gleichermaßen.

Die Araber, von den Engländern vermeintlich betrogen

Die ersteren sahen sich um die Erfüllung des Versprechens gebracht, das ihnen der britische Außenminister Lord Balfour am 2. November 1917 gegeben hatte, als er ihnen die Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina verhieß.

Die Araber hatten auf die Abtrennung Jordaniens, das die Engländer unter ein eigenes Mandat stellten, feindselig reagiert. Sie empfanden diese Manöver als Verrat an den Zusicherungen, die ihnen während des Ersten Weltkrieges von den Engländern für ihren »Aufstand in der Wüste« gegen die Türken gemacht worden waren.

Juli 1937 - der »Peel-Report«

Der »Peel-Report« vom 8. Juli 1937, der die Aufhebung des britischen Palästina-Mandats und die Teilung des Landes unter Juden und Arabern vorschlug, von den Parteien aber nicht angenommen wurde, hatte ihre Verbitterung gesteigert; das im Mai 1939 veröffentlichte britische Weißbuch, das die Errichtung eines jüdischen Staates gegen den Willen der Araber ablehnte, vermochte sie nicht abzubauen.

So fingen die Araber einen Guerillakrieg an, der sich sowohl gegen die Juden wie gegen die britische Mandatsmacht richtete.

Für mich war die Berichterstattung eine kaum zu lösende Aufgabe

Einem deutschen Journalisten, dem im Frühjahr 1939 aufgetragen wurde, über diese verworrenen Verhältnisse zu berichten, präsentierte sich eine kaum zu lösende Aufgabe. Um sich im Lande bewegen zu können, bedurfte er der Unterstützung der Mandatsregierung.

Die Rücksicht auf die Engländer verbot aber enge Kontakte mit den Arabern. Angesichts des sich in Deutschland ausbreitenden Antisemitismus konnte der deutsche Journalist mit jüdischen Sympathien nicht rechnen.

Anstelle der versiegelten Informationsquellen mußte der Augenschein treten. Schon in El Kantara (der Ort El Qantara - die Brücke - am Suez-Kanal) wurde mir klar, daß ich im Begriffe stand, mich in einen Hexenkessel zu begeben.

Die Fähre über den Suez-Kanal (die Eisenbahn Drehbrücke am Fähr-Ort "El Kantara" wurde erst 1942 fertig) war vollgestopft mit britischen Soldaten, die vom Urlaub in Alexandria und Kairo zurückkehrten. Vom Sinai blies ein unfreundlicher Wind durch die kalte, sternklare Nacht, gegen die sich die Scheinwerfer von Port Said abzeichneten. Geldwechsler, Schuhputzer und Kuchenverkäufer bedrängen uns.
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Ich durfte nichts schreiben und nichts interpretieren

Ich schied (später) aus dem Heiligen Land mit tiefem Unbehagen. Was ich gesehen hatte, durfte ich nicht interpretieren. Eine wertfreie Darstellung des jüdischen Experiments verbot sich ebenso wie eine objektive Darstellung der arabischen Tragödie. Ich mußte mich auf die Schilderung optischer Eindrücke beschränken, was für einen politisch engagierten Publizisten eine mißliche Sache ist.

Aber lesen Sie selbst . . . . .
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