H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens
Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.
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Herbst 1937 - Meine Fahrt von Indien zurück Nachhause
Das Schiff, die "Potsdam", das ich in Colombo für die Rückfahrt nach Europa bestieg, trug den Namen meines Geburtsortes. Aber sowenig wie aus Lateinamerika oder den Vereinigten Staaten führte aus Indien ein Weg zurück nach "Potsdam".
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- Anmerkung : In der ganzen Zeit in Indien und davor in Spanien fällt kein Wort über seine (erste) Ehefrau und wie sie mit der monatelangen Abwesenheit umgegangen war. Erst viel viel später erfährt der Leser, daß es nacheinander drei Ehefrauen im Leben der Herrn von Studnitz gab.
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Der späte Lohn der ganzen Mühen - keine einzige Absage
Ich hatte in Indien viele Freunde gewonnen. Als ich ein halbes Jahr später den Indienbesuch des Prinzenpaares Louis Ferdinand von Preußen vorbereitete, bekam ich nicht eine Absage.
Gouverneure und Generäle, einheimische Prinzen und indische Politiker gaben sich die größte Mühe, dem Kaiserenkel und seiner großfürstlichen Gemahlin die Gastfreundschaft zu gewähren, um die ich sie gebeten hatte.
Unter dem 14.11.1938 schrieb mir der Prinz: »Es waren unbeschreiblich schöne Wochen und wir möchten Dir noch einmal von ganzem Herzen für Deine Bemühungen danken. Überall sprach man von Dir mit großer Begeisterung. [Lord] Erskine [Gouverneur von Madras] sagte mir, daß er Deine Abhandlungen über Indien seinen >Intelligence Service< Leuten zur Bildung über indische Verhältisse gegeben hätte.«
Nochmal zurück zum August 1937 - ein Brief aus Bern
Noch während ich mich in Simla aufhielt, erreichte mich ein vom 23. 8. 1937 datierter Brief des Chefredakteurs des »Berner Lokalanzeigers«, Fritz Lücke, in dem er mir mitteilte, daß Werner Crome, der Londoner Korrespondent des Scherl-Konzerns, von den englischen Behörden ausgewiesen worden sei und ich mir Gedanken machen solle, ob ich nach meiner Rückkehr aus Asien seine Nachfolge antreten wolle.
Als die »Potsdam« an einem Dezembermorgen in die vereiste Unterweser einlief, stand mein Entschluß fest, zum zweitenmal einen Posten zu übernehmen, auf dem andere gescheitert waren.
Die Situation in London 1938
Im Januar 1938 fand ich in London eine politische Situation vor, die vieles offen ließ. Dem deutsch-britischen Flottenabkommen vom 18. Juli 1935, das die Stärke der deutschen Kriegsmarine gegenüber der Gesamtflottenstärke Großbritanniens und der Mitglieder des Commonwealth auf 35:100 festgelegt hatte, war eine Periode gefolgt, in der die beiden Mächte eine abwartende Haltung einnahmen.
Als Ribbentrop sich im November 1936 nach seiner Ernennung zum deutschen Botschafter in London von Hitler verabschiedete, hat dieser ihm die Mahnung mit auf den Weg gegeben: »Ribbentrop, bringen Sie mir das englische Bündnis.«
Ribbentrop (der RAM) wird Reichsaußenminister
Am 5. Februar 1938 trat Ribbentrop, der auch während seiner Londoner Mission Hitler als Berater in allgemeinen Fragen der Außenpolitik nahegeblieben war, die Nachfolge des Reichsaußenministers Freiherrn von Neurath an.
In Voraussicht dieser Berufung hatte er am 2. Januar 1938 in einer persönlichen Notiz für Hitler das Ergebnis seines Londoner Auftrages zurückhaltend beurteilt:
»Ich habe seit Jahren für eine Freundschaft mit England gearbeitet und wäre über nichts froher, als wenn sie herzustellen wäre. Als ich den Führer bat, mich nach London zu schicken, war ich skeptisch, ob es gehen würde, aber im Hinblick auf Eduard VIII. schien ein letzter Versuch geboten. Heute glaube ich nicht mehr an die Verständigung. England will kein übermächtiges Deutschland in seiner Nähe, das eine ständige Bedrohung seiner Inseln wäre.«
Eduard VIII, Prinz von Wales war deutschfreundlich
Obgleich sich Ribbentrop darüber Rechenschaft ablegte, daß »ein englischer Souverän normalerweise wenig Einfluß auf die Politik seiner Regierung besitzt«, verrät diese Notiz doch, daß der Monarch, dessen Regnum von kurzer Dauer (20.1. bis 10. 12. 1936) sein sollte, in den Überlegungen der deutschen Englandpolitik eine Rolle gespielt hatte.
Ribbentrop war ebenso wie sein Vorgänger auf der Londoner Botschaft, Leopold v. Hoesch, an Kontakten mit dem als deutschfreundlich geltenden Souverän und seiner Freundin Mrs. Wally Simpson gelegen.
Eduard VIII. besaß die nicht alltägliche Gabe, Hoffnungen zu erwecken. Als Prinz von Wales verstand er es, für Großbritannien zu werben wie kein Botschafter seines Landes. Wohin in der Welt er auch reiste, flogen ihm die Herzen zu.
Nocheinmal ein Treffen 28 Jahre später
Ich durfte ihn nach dem Kriege, am 27. August 1966, in einer Tischrede in Friedrichsruh, an der das Herzogspaar von Windsor als Gäste des Fürsten und der Fürstin Bismarck an einem Fest teilnahm, daran erinnern, wie sehr er ein Idol unserer Jugend gewesen war, nicht nur der »Jeunesse doree«, die sich an seinem modischen Vorbild ausrichtete, sondern einer jungen Generation von Europäern, die sich seiner Führung in eine bessere Zeit anzuvertrauen bereit war.
Noch im Alter ging von diesem Fürsten, der einer Frau zuliebe den Thron mit lebenslänglicher Verbannung vertauscht hatte, eine starke Wirkung aus. Freilich hatte die Nutzlosigkeit seines Daseins seiner Erscheinung so tiefe Spuren aufgeprägt wie die Nostalgie nach der Rolle, die ihm die Geschichte zugedacht hatte und der sich entzogen zu haben er sich vorwerfen mußte.
Ribbentrops Analyse der Londoner Vorgänge
Der Rücktritt des Königs blieb für das deutsch-englische Verhältnis ohne unmittelbare Folgen, aber die deutsche Politik wurde um eine Hoffnung ärmer.
In seinem Rechenschaftsbericht vom 2. Januar 1938 zog Ribbentrop die Konsequenz, daß Großbritannien, mit seinen Rüstungen im Rückstand, auf Zeitgewinn spiele, sein Bündnis mit den Vereinigten Staaten zu erweitern suche und die Visite, die Lord Halifax im November 1937 unserer Reichshauptstadt gemacht hatte, mehr der Erkundung als dem Werben um Deutschlands Freundschaft diente.
Als Ribbentrops Analyse tiefes Schweigen folgte
Ich traf gerade noch rechtzeitig in London ein, um der Verabschiedung des neuen Reichsaußenministers von den in London tätigen deutschen Pressekorrespondenten beizuwohnen.
Der Analyse, der Ribbentrop bei diesem Anlaß die deutsche Außenpolitik unterwarf, folgte tiefes Schweigen. Es löste sich erst, als der Vertreter der »Deutschen Allgemeinen Zeitung«, Graf Carlos Pückler, den Minister fragte, ob er nicht fürchte, daß die von ihm umrissene politische Linie zum Kriege führen werde.
Ribbentrop selbst mag ähnliches gedacht haben, denn seinen »Schlußfolgerungen« vom 2. Januar 1938 hatte er die Erkenntnis vorangestellt, daß »Deutschland sich an den Status quo in Europa nicht binden will und eine kriegerische Auseinandersetzung in Europa früher oder später möglich ist«.
Daß Pückler zu ähnlichen Konsequenzen gelangte, war ihm jedoch unangenehm. So ging der Reichsaußenminister auf die Frage nicht näher ein und schloß die Konferenz.
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In London hatte ich mehrere deutsche Kollegen
Die deutsche Presse verfügte in London über eine Reihe ausgezeichneter Beobachter. Der mit einer Schwägerin Anthony Edens verheiratete Kurt v. Stutterheim schrieb für das »Berliner Tageblatt«, Wolf v. Dewall für die »Frankfurter Zeitung«, Karl Heinz Abshagen, Helmut Lindemann, Wolfgang Sträde unterrichteten Provinzblätter.
Agenturen wie Transocean und DNB lagen bei Roland Köster und Baron Wilhelm v. Hahn in bewährten Händen. Abshagen, Dewall, Stutterheim und Pückler waren auch mit Büchern über England hervorgetreten.
Mai 1938 - Herbert v. Dirksen neuer deutscher Botschafter
Als Deutscher Botschafter folgte auf Ribbentrop am 2. Mai 1938 Herbert v. Dirksen, der das Reich in Moskau und Tokio vertreten hatte. Bis er verfügbar wurde, lag die Führung der Geschäfte bei dem mit einer Amerikanerin verheirateten Herrn v. Selzam, der dann durch Theo Kordt abgelöst wurde, einen Mann von klassischer Bildung mit einem klaren Kopf und ruhigem Temperament.
Die Botschaft war auf der Carlton-Terrace an der Mall gelegen, in einem Palais, das Friedrich Wilhelm III. für seine Gesandtschaft am Hofe von St. James erworben, das Reich durch Hinzukauf von Nachbarhäusern vergrößert und Ribbentrop nicht gerade glücklich umgebaut und neu möbliert hatte.
Mein Domizil war das Appartementhaus Mayfair-Court
Ich kam im Mayfair-Court unter, einem nichtssagenden Appartementhaus in dem gleichnamigen Stadtteil. Später übersiedelte ich nach Ebury Mews unweit des Belgrave Square in ein möbliertes Puppenhaus, zu dem eine Garage gehörte.
Die Einrichtung war in winzigen, der Enge der Räume entsprechenden Proportionen gehalten, eine Kunst, die die Engländer meisterhaft beherrschten. Ich kam mir zwar vor wie Gulliver unter den Zwergen, stieß mich an allen Ecken und Enden, entbehrte aber nichts an Gemütlichkeit.
Ebury Mews war eine Stallgasse, die parallel zur Ebury Street lief und einst die Pferde, Kutschen und Grooms der Familien aufgenommen hatte, die in Ebury Street ihre Residenzen hatten.
In einem »Mewsflat« zu leben galt damals als letzter Schick, von dem freilich nur Junggesellen Gebrauch machen konnten. Meine Nachbarn waren fast ausnahmslos Chauffeure, die in noch nicht verfremdeten »Mews« hausten und in den früheren Stallungen die gigantischen Fahrzeuge ihrer Herrschaften pflegten.
Ihre von kräftigen Flüchen durchsetzten Unterhaltungen, der Lärm der beim Anlassen hechgequälten Motoren und der blaue Dunst der Abgase gehörten zu meiner Wohnidylle. Schärfer peinigte mich der Kohlenstaub, der die Londoner Luft schwängerte und mir Heuschnupfen eintrug.
Auf einmal brauchte ich ein Brille
Auch die winzigen Lettern der großen englischen Zeitungen setzten mir zu und zwangen mich zur Anschaffung von Augengläsern, die mir ein Spezialist in Harlechstreet gegen eine hohe Gebühr verordnete. Am Ende gewöhnte ich mich an das "Augenpulver" in der Presse rascher als an die Brille, die ich einmal und nie wieder benutzte.
Ein enger konzentrierter Tagesablauf
Mein Tag begann sehr früh und endete sehr spät. Um 7.00 Uhr meldete sich Berlin am Telefon, um meine Auswertung der Morgenpresse aufzunehmen. Um 9.00 und um 11.00 Uhr wurde ich abermals von der Scherl-Zentrale angerufen.
Um 12.00 Uhr fand ich mich auf der täglichen Pressebesprechung im »Foreign Office« ein, bei der wenig herauskam, die aber für den Kontakt mit den Kollegen wichtig war.
Wenigstens zweimal in der Woche suchte ich das Unterhaus auf, um Debatten beizuwohnen oder Abgeordnete zu sprechen.
Von Winston Churchill freundlich "einbestellt"
Eines Morgens bestellte mich Winston Churchill, der als Führer der gegen die »Appeasement«-Politik Neville Chamberlains opponierenden konservativen Fronde eine Rolle spielte, auf sein Büro, um die heraufziehende Tschechenkrise mit mir zu erörtern.
Ihm lag daran zu erfahren, ob Hitlers Sudetenpolitik in Deutschland mit der gleichen Zustimmung rechnen konnte wie der Anschluß Österreichs. Ungeachtet der frühen Tageszeit hatte Churchill eine Flasche schweren Burgunders auffahren lassen.
Während ich kaum ein Glas schaffte, leerte er den Rest der »bouteille« im Lauf einer halben Stunde. Dann entließ er mich knurrend, denn ich hatte mich gehütet, ihm auf seine Frage eine konkrete Antwort zu geben. Solange ich in London tätig war, blieb Churchill ein Außenseiter, dem selbst seine politischen Freunde nur für den Fall einer »emergency« die Chance einräumten, an die Regierung zu kommen.
März 1938 - Der österreichische Anschluß an das Reich erfolgte
Der am 13. März 1938 erfolgte österreichische Anschluß an das Reich löste in London eine Mischung von Erleichterung und Unbehagen aus. Englische Journalisten wie Sefton Delmer und Ward Price, die den Aufstieg Hitlers publizistisch begleitet hatten, begannen Mißtrauen in seine weiteren Absichten zu äußern.
Die Dynamik des NS-Regimes ließ selbst die in England lebenden früheren österreichischen Staatsangehörigen nicht aus. Nach dem Anschluß war das österreichische Volk aufgerufen worden, der Verbindung mit dem Reich seine Zustimmung zu erteilen.
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Ein (letzter) KDF Dampfer auf der Themes
Auf der Themse erschien ein großer Passagierdampfer der KdF (eine Deutsche Einrichtung : Kraft Durch Freude), um den in England ansässigen Österreichern die Gelegenheit zur Abgabe ihres Votums zu verschaffen.
Mit etwa dreitausend Stimmberechtigten an Bord begab sich das Schiff in die Nordsee, weshalb somit außerhalb der Drei-Meilen-Zone abgestimmt wurde. Für das Auswärtige Amt beaufsichtigte der Legationsrat Wolfgang Gans zu Putlitz das Unternehmen, an dem vor allem in England tätige österreichische Hausangestellte sich beteiligten.
- Anmerkung aus dem Mai 2018 : Das wäre doch ein Vorschlag für die bei uns lebenden Türken, wenn der türkische Präsident Erdogan unbedingt hier eine Rede halten wollte.
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Dem Charme von Putlitz als lächelnder Urnenvater widerstand so leicht keine der Köchinnen und Kammerkätzchen aus dem Donauland, so daß zur Zufriedenheit des NSDAP-Landesgruppenleiters Kariowa, eines früheren Marineoffiziers, der Prozentsatz der Ja-Stimmen hinter dem in Österreich erzielten kaum zurückblieb.
Den Engländern erschien der Stimmenfang auf See ein unheimliches Manöver und neuer Beweis für das Organisationsvermögen eines politischen Systems, mit dem sie keine Erfahrung hatten.
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Der tschechische Gesandte in London - Jan Masaryk
Eine der amüsantesten Erscheinungen im diplomatischen Leben Londons war der tschechische Gesandte Jan Masaryk, der Sohn des Staatsgründers. Witz und Weitläufigkeit hatten ihm eine gesicherte Position in der hauptstädtischen Gesellschaft verschafft.
Ich lernte ihn als einen intelligenten und treffsicheren Beobachter englischer Verhältnisse und der europäischen Situation kennen. Bei der Regelung einer familiären Angelegenheit, die tschechische Behörden einbezog, half er mir in großzügiger Weise. Daß nach berüchtigtem Vorbild ein Fenstersturz in Prag seinem Leben ein Ende setzen würde, lag außerhalb unserer Vorstellungen.
Der amerikanische Botschafter Joseph Kennedy
Auch zu dem amerikanischen Botschafter Joseph Kennedy, dem Vater des späteren Präsidenten, trat ich in Beziehung. Er hatte sich den Zorn der Boulevardpresse zugezogen, als er sich weigerte, dreihundert Debütantinnen aus den Vereinigten Staaten am Hof von St. James vorzustellen.
Die Absage bedeutete den Bruch mit einer geheiligten Tradition. Dem Senator Henry Cabot Lodge, der sich für den Herzenstraum so vieler Backfische seines Landes einsetzte, antwortete Kennedy: »Diese Praxis erscheint mir wenig demokratisch. Es ist unmöglich, eine gerechte Auswahl der Vorzustellenden zu treffen. Enttäuschungen scheinen unvermeidlich. Ich bedaure, Ihrem Gesuch nicht stattgeben zu können, zumal die Vorstellung von Amerikanerinnen am hiesigen Hof keinem irgendwie nützlichen Zweck dient.«
Während 20 junge Mädchen, die sich schon in London aufhielten, unverrichteter Sache heimkehren mußten, versäumte Kennedy nicht, seine eigenen Töchter Rosemary und Kathleen im Buckingham Palace zu präsentieren.
Die Klatschspalten der Londoner Klatschkolumnisten
Vorkommnisse dieser Art ernährten die Londoner Klatschkolumnisten, die ständig einer »human story« nachjagten. Ihre Spalten gehörten zu den meistgelesenen in der Londoner Presse.
Die Gesetze journalistischer Diskretion wurden jedoch nicht überschritten. Eines Tages bot ein Erpresser einem Massenblatt ein Paket mit Briefen an, die ein Mitglied der königlichen Familie auf das schwerste bloßstellten. Die Zeitung zahlte dafür einen vierstelligen Betrag und übergab das Paket ungeöffnet dem Hofmarschallamt, das für seine Vernichtung sorgte.
Als ein mit der »Royal Family« verwandter deutscher Prinz in einen Scheidungsskandal verwickelt wurde und vor Gericht erscheinen mußte, blieb sein Name unerwähnt. Die Sensationsblätter bezogen sich nur auf einen »gentleman near the throne«.
Auch das muß man können - Schweigen lernen
Damals wußten Journalisten noch zu schweigen. Karl von Wiegand, der Senior der amerikanischen Auslandskorrespondenten, hatte mich früh auf die Bedeutung dieser Kunst verwiesen.
Er erzählte mir, daß er sich am Abend nach dem Verlust der Marneschlacht im Hauptquartier des deutschen Kronprinzen befunden habe. Nach dem Essen, zu dem Wiegand als Vertreter einer amerikanischen Zeitungsgruppe zugezogen wurde, nahm ihn der Kronprinz beiseite und sagte ihm, daß Deutschland an diesem Tage nicht nur eine Schlacht, sondern den Krieg verloren habe.
Wiegand schwankte nur einen Augenblick, ob er seiner Zentrale diese sensationelle Äußerung kabeln sollte. »Vierundzwanzig Stunden lang wäre ich der größte Journalist aller Zeiten gewesen, um dann niemals mehr von einer hochgestellten Persönlichkeit empfangen zu werden.«
So entschloß er sich, die Prophezeiung für sich zu behalten. Der Verzicht wog schwer, aber er half, den Ruf Wiegands als eines Zeitungsmannes zu begründen, an dessen Seriosität keine Zweifel erlaubt waren.
Und dann - die Feuerprobe bestanden
Proben solcher Art galt es 1938 immer wieder zu bestehen. Auf einem Diner geriet ich mit dem Luftmarschall und Stabschef der RAF, Sir Cyrill Newall, in einen Disput über die Stärken der britischen und der deutschen Luftwaffe. Ein Wort gab das andere.
Zu Hause brachte ich den Inhalt des Gespräches zu Papier und entdeckte, daß dem britischen Offizier in der Hitze des Wortgefechtes sensationelle Angaben entschlüpft waren. Hätte ich sie in Berlin publiziert, so wären sie in London dementiert und ich ausgewiesen worden.
Ich schwieg und erhielt mir gesellschaftliche Stellung und journalistische Reputation, auf die es bei der zunehmenden Spannung der deutsch-englischen Beziehungen mehr denn je ankam.