H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens
Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.
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1926 - Wechsel nach Buenos Aires
Im Frühjahr 1926 übersiedelte ich nach Buenos Aires, dort hate ich durch Vermittlung meines Großvaters bei A.M. Delfino & Cia. eine Anstellung erhalten. Starker Schneefall blockierte die Santiago de Chile mit Mendoza verbindende Andenbahn, so daß die Reise in Etappen vor sich ging. In Juncal, auf der Höhe des Gebirges, mußte eine Übernachtung eingelegt werden.
Ich teilte das Zimmer mit einem Mönch, der sich nach dem Ablegen seiner Kutte in schwarz-weiß-karierten Reithosen und hohen Lackstiefeln präsentierte und mehr einem Zirkusdirektor als einem Geistlichen glich. Im Schlafwagen nach Buenos Aires wurde ein italienischer Geschäftsmann mein Abteilgenose.
Während die Pampa horizontlos vorüberglitt, unterhielt er mich mit der Freude des Südländers an Details über die Vorzüge seiner in Sizilien zurückgelassenen Gemahlin. Die Einzelheiten dieser Schilderung hätten sich mir besser eingeprägt, wäre ich nicht in Buenos Aires sogleich Räubern in die Hände gefallen.
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Nachts unter die Räuber gekommen
In Erwartung eines Freundes, der mich versetzte, erwischte ich am Bahnhof das letzte Taxi in die mitternächtliche Stadt. Es entführte mich in eine Gegend, die ich nie mehr wiedergefunden habe. Wir hielten in einer dunklen Straße vor einem nicht erleuchteten Haus, aus dem vermummte Gestalten stürzten, um sich meines Gepäcks zu bemächtigen. Hilferufe wären ohne Wirkung verhallt. So blieb ich im Wagen sitzen, nahm mein ungeladenes Jagdgewehr und führte seine Mündung an das Genick des Chauffeurs, der seinen Platz vor mir nicht verlassen hatte. Ich befahl ihm, meine Koffer wieder herbeizuschaffen, was er durch Anruf seiner Komplicen auch bewerkstelligte. Das Gewehr im Anschlag, zwang ich den zitternden Mann, mich in das Hotel zu fahren, das ich ihm angegeben hatte.
Argentinien - fast völlig ein Teil des britischen Weltreiches
Mitte der zwanziger Jahre war Argentinien ein Teil des schweigenden britischen Weltreiches. Ohne englischer Hoheit zu unterstehen, war es dem Einfluß Londons stärker unterworfen als manche Kolonie. Es gab keinen Geschäftszweig, in dem die Engländer nicht dominierten. Bahnen, Banken, Schlachthöfe waren in ihrer Hand. In Patagonien weideten schottische Schafzüchter ihre Herden. An britischen Nationalfeiertagen hatten die meisten bonarenser Geschäfte geschlossen und die Trambahnen fuhren mit dem Union Jack an der Stromgabel.
Die großen Warenhäuser in der Calle Florida waren Ableger Londoner Department Stores, der Uhrturm auf dem Platz vor den Kopfbahnhöfen der drei großen englischen Schienennetze ein Geschenk der britischen Kolonie. Englisches Blut hatte sich mit spanischem und italienischem Erbe vermischt und einen Menschenschlag von außergewöhnlicher Schönheit erzeugt.
Ein ganz anderer Menschenschlag - die Oberschicht
Die jungen Argentinier waren die elegantesten Dandys der damaligen Zeit. Sie ließen in Buenos Aires bei Schneidern arbeiten, die sich mit den Meistern ihres Faches an der Themse, in Rom und Prag messen konnten. Es gab Krawattenläden, die keinen Binder zweimal verkauften. Im Mittelstand waren die Italiener maßgebend. In Anlehnung an das britische Kapital hatten sie zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes Bedeutendes beigetragen.
Als ich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an den La Plata kam, stellte ich fest, daß nicht einmal der Peronismus den Italo-Argentiniern das Arbeiten abgewöhnt hatte. Ihr unaufhaltsamer sozialer Aufstieg hatte sie selbst in die oberen Ränge des Militärs geführt.
Meine Brotherren Delfino von der Vertretung der »Hamburg-Süd«
Italienischer Abkunft waren auch meine Brotherren Delfino, in deren Händen die Vertretung der »Hamburg-Süd« und der Navigazione Generale Italiana lag. Während des Ersten Weltkrieges hatten sie der deutschen Sache einen unschätzbaren Dienst erwiesen, indem sie die am La Plata festgehaltenen Hamburger Schiffe unter argentinisches Register brachten und damit dem Zugriff der Alliierten entzogen.
Sie retteten damit einen Teil der Substanz, auf die der Wiederaufbau der deutschen Überseeschiffahrt nach dem Kriege gegründet werden konnte.
Meine Passion für die Seefahrt fand nun ihre Erfüllung. Statt mit Schecks und Wechseln ging ich mit Ladelisten und Passagen um.
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Wir und die Franzosen und die Italiener
Wir buchten für die »Cap«-Dampfer der Hamburg-Süd, darunter für die »Cap Arcona«, den schönsten Musikdampfer der deutschen Handelsflotte, deren Ausstattung auch von den Lloyd-Dampfern »Bremen« und »Europa« auf dem Nordatlantik nicht übertroffen wurde.
Unsere Konkurrenz waren die »Massilia« und »Lutetia«, zwei ältere Schnelldampfer der französischen "Cie. Generale Transatiantique", die, von Pariser Ballett-Truppen bevorzugt, bei südamerikanischen Junggesellen sehr beliebt waren und aus eben diesem Grunde von reisenden Familien gemieden wurden.
Die Italiener operierten die »Giulio Cesare« und die »Dulio« auf dem Südatlantik, zwei Schwesternschiffe moderner Bauart, die jedoch mit der Erinnerung an den Untergang der »Principessa Mafalda« der gleichen Reederei belastet waren.
Luxusreisen ohne offene Wünsche . . .
Unsere Hauptkundschaft bildeten reiche Estancieros und wohlhabende Kaufleute, die mit ihren zahlreichen Familienangehörigen jedes Jahr nach Europa reisten. Sie belegten schon Monate vor der Abfahrt ihre Kabinen, wobei die teuren Staatszimmerfluchten immer zuerst weggingen. Es gab keinen Wunsch, der diesen Luxusreisenden nicht erfüllt worden wäre.
Viele bestanden darauf, jahrein, jahraus von den gleichen Stewards bedient zu werden. Andere nahmen eine eigene Kuh mit nach Europa, um ihre Babies nicht mit fremder Milch nähren zu müssen. Der Service auf den Hamburg-Süd-Schiffen stand in so hohem Ansehen, daß Delfinos darangehen konnte, Kreuzfahrten in die Kanäle des an der Südspitze des Kontinents gelegenen Feuerlandes zu organisieren.
Mit gedrosselten Maschinen glitten die großen Passagierschiffe tagelang durch eine überwältigend schöne, von Gletschern und Urwäldern bedeckte vorarktische Landschaft. Von Ushuaia, dem Sitz einer Sträflingskolonie, wurde Kurs auf die Gewässer um das Kap Hörn genommen. Die Fahrten wurden erst eingestellt, als ein Touristenschiff auf ein Riff lief und verlorenging.
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Wir Hamburger mieteten ein ganzes Haus
Ein Spiritus rector dieser Unternehmen war Herbert Amsinck, der begabte »Kronprinz« der Hamburg-Süd, deren Management seit Generationen in den Händen seiner Familie lag. Er verband Eleganz und Weltgewandtheit des Hanseaten, den klaren Blick für das praktisch Durchsetzbare mit der Freude am sportlichen Einsatz. Mit ihm und anderen Hamburgern mietete ich ein Haus, in welchem wir von einer Spanierin, einer Italienerin und einer paraguayischen Indianerin betreut wurden.
Für Polo, den argentinischen Nationalsport, fehlten uns die Mittel. Durch Gründung einer Hockey-Mannschaft sorgte Amsinck für unsere Bewegung.
Die argentinische Gesellschaft war wieder anders als die Chilenen
Die argentinische Gesellschaft war womöglich noch exklusiver als die chilenische. Familien wie die Anchorena, Alvear, Martinez de Hoz und Santamaria residierten in riesigen Palais, die, im Stil Napoleons III. aufgeführt, gegen die Straße durch Lanzengitter abgeschirmt wurden. Man begegnete ihnen allenfalls im Jockey-Club, auf der Rennbahn und im Teatro Colon, in welchem sie Opernaufführungen Glanz verliehen.
Unter den in Argentinien ansässigen Deutschen spielten die Staudts die erste Geige. Sie unterhielten auch in der Berliner Tiergartenstraße ein großes Haus, das später die Argentinische Botschaft aufnahm. In den Vororten Belgrano, Palermo und San Isidro gab es eine Anzahl deutscher Familien, die in Landhäusern eine großzügige Geselligkeit entfalteten.
Das verdorbene bonarenser Nachtleben
Eine Sehenswürdigkeit bildete das bonarenser Nachtleben. Schon damals führten Kleinbühnen dort Stücke auf, die selbst in Paris Anstoß erregt hätten. Buenos Aires war ein Zentrum des internationalen Mädchenhandels, dem der französische Schriftsteller Albert Londres in seinem Werk »Le chemin ä Buenos Aires« ein literarisches Denkmal setzte.
Londres, der bei einer Schiffskatastrophe im Roten Meer ums Leben kam, forderte die argentinische Regierung auf, der französischen Kokotte ein Standbild zu errichten. Als Ort schlug er den Platz vor der Hauptpost in Buenos Aires vor, der als einziger nicht mit dem Monument eines Reitergenerals geschmückt war. Um die Entwicklung des Landes, so begründete Londres sein Anliegen, habe sich die französische Kurtisane verdienter gemacht als alle Militärs zusammen.
Freudenhäuser mit deutscher Zucht und Ordnung
Eine andere Eigenart argentinischen Gesellschahslebens war die »despedida del soltero«, bei der Hochzeiter ihren Abschied vom Junggesellenleben feierten. Einem von den Freunden des Bräutigams gegebenen Bankett folgte der gemeinsame Besuch eines Puffs. Hermann Keyserlingk schrieb darüber: »In Südamerikas Freudenhäusern herrscht nicht gellende Unzucht, sondern die Stille konzentrierter Prokreation, im Ursinn des deutschen Wortes Zucht und in den Pausen Feierabendstimmung.«
Die Atmosphäre eines solchen Instituts, in dem Männer des »beamteten Geistes« und der Politik dem baltischen Philosophen ein Souper gaben, nannte Keyserlingk »gemütlich häuslich wie die des Heimes eines viehzüchtenden Bauern«.
Hier nur der este Teil einer Geschichte
So mancher, der als »gringo« (greenhorn) nach Südamerika kam, erlag solchen Versuchungen. Eines Tages rief mich ein deutscher Bankdirektor an, um mir Grüße aus der Heimat auszurichten und sich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen. Wir aßen zusammen zu Abend und besuchten anschließend einen Nightclub. Als ich nach Erledigung eines Telefonats an unseren Tisch zurückkehrte, war der Gast aus Deutschland verschwunden. Ich erfuhr, daß er den Reizen einer »hostess« nachgegeben und mit ihr das Lokal verlassen hatte.
Um sicherzugehen, daß er nicht verschleppt wurde, ließ ich mir die Adresse des "Maison de rendezvous" geben, in das sich das Paar vermutlich begeben hatte. Nachdem ich feststellen konnte, daß der Bankier sich dort aufhielt - vor einer Zimmertür des Stundenhotels standen in deutscher Ordnung seine ausgetretenen Schuhe zum Putzen -, fuhr ich beruhigt nach Hause.
Sommer 1927 - zum ersten Mal ernsthaft krank
Im Sommer 1927 wurde ich mit Scharlach in das Deutsche Hospital eingeliefert und sogleich wieder an die Luft gesetzt. Das Krankenhaus verfügte über keinen Pavillon für Infektionskrankheiten. Mit vieler Mühe gelang es, meine Aufnahme in einem Kloster zu erwirken, wo ich von Nonnen gesundgepflegt wurde.
In meiner Isolierzelle, deren Grabesluft durch eine Schale mit brennendem Spiritus erwärmt wurde, hatte ich hinreichend Muße, die Bilanz meiner südamerikanischen Lehrjahre zu ziehen. Sie war nicht unbedingt positiv. Ich hatte mich mit den Eigenheiten lateinischer Kultur und eines Kontinents vertraut gemacht, der Terra incognita für mich bedeutet hatte. Aber mein Sitzfleisch war nicht fester geworden. Ich drängte in noch unbekanntere Fernen. Erste Zweifel, ob ich überhaupt für das kommerzielle Leben taugte, stellten sich ein.
Und wieder wurden neue Träume geweckt
Genesen, trat ich auf einem Flußdampfer eine wochenlange Reise an, die mich den Parana hinauf nach Misiones und Paraguay führte. Im Katarakthotel an den Wasserfällen von Iguazü stieß ich im Fremdenbuch auf eine Eintragung, die mich faszinierte:
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- Ich stand am Niagara
- Ich stand am Iguazü
- Jetzt fehlt mir noch der Größte
- Victoria dazu.
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Mir fehlten sogar zwei dieser großen Naturwunder, und ich beschloß, das Versäumte nachzuholen, was mir im ersten Fall zwei Jahre, im anderen 46 Jahre später glückte.
Ein Zeitsprung ins Jahr 1956 und danach
Ich habe Südamerika erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter sehr veränderten Umständen wiedergesehen. 1956 ging ich nach Brasilien und Argentinien, um in meiner Eigenschaft als Public-Relations-Direktor der Deutschen Lufthansa die Eröffnung ihrer Strecken dorthin vorzubereiten. 1958 führte mich die gleiche Aufgabe nach Chile. 1967 reiste ich, inzwischen wieder als Journalist, noch einmal nach Brasilien, Argentinien und Chile.
In Buenos Aires und in Santiago sah ich die Präsidenten der Republik, Carlos Ongania und Eduardo Frei, mit denen ich lange Gespräche führte. Sie verkörperten politische Prinzipien, die nicht verschiedener hätten sein können.
Ein Staatsstreich jagte den nächsten
Der Generalleutnant Ongania, ein Argentinier italienischer Abkunft, hatte am 27. Juni 1966 die Regierung Illia beseitigt, hinter der etwa ein Viertel der Wahlstimmen standen. Er setzte die Verfassung nicht formell außer Kraft, sondern beschränkte sie durch »Vorschalten« einer Revolutionsakte, die ihm weitgehende Vollmachten sicherte.
Die Vorhersage, daß der Staatsstreich nicht mehr bewirken werde als die Ablösung der »Schildkröte Illia« durch die »gepanzerte Schildkröte Ongania«, bewahrheitete sich nicht. Innerhalb eines Jahres gelang Ongania eine weitgehende Sanierung der Staatsfinanzen und eine Gesundung der Wirtschaft. Die Neuordnung des politischen Lebens ließ auf sich warten.
Trotz gutem Willens, die Armen hatten nichts davon
Ongania, das einzige Polo spielende Staatsoberhaupt der Welt, empfing mich in Räumen, die von großer Einfachheit zeugten. Kruzifix, gekreuzte Degen, Uniformbilder bildeten den einzigen Schmuck. Der Präsident zeigte sich als Pragmatiker. Illusionslos bezeichnete er es als seine schwierigste Aufgabe, die Heißsporne in der Armee im Zaum zu halten. Sie sollten ihm nur vier Jahre Zeit lassen, genug, um seine Tüchtigkeit zu beweisen, zuwenig, um das in Angriff genommene Werk zu vollenden.
Von einer Bodenreform wollte Ongania nichts wissen. Die Erbteilung besorge die Zerschlagung der Latifundien, ohne Reibungen zu erzeugen. Im übrigen hänge die landwirtschaftliche Leistung Argentiniens von Großbetrieben ab, ohne die man auf den Weltmärkten nicht konkurrieren könne. Ongania erschien mir als der Typ eines politischen Moderators, wie sie nicht zufällig aus den Armeen Südamerikas immer wieder hervorgehen.
Wie in den meisten Entwicklungsländern ist die integrierende Kraft der Armee in Argentinien (neben den peronisrischen Gewerkschaften) zu einem politischen Faktor geworden, der nicht übersehen werden kann. In ihm drückt sich der Wille der Massen präziser aus als durch Advokaten und Oligarchen, die in den »Volks«-Vertretungen den Ton angeben.
Der Päsident Eduardo Frei
Eine Figur von ganz anderem Zuschnitt war Eduardo Frei, der von seinen Gegnern schon damals mit Kerenski verglichen wurde. Ein sympathischer Idealist von hohem Gedankenflug, entdeckte er sich mir als ein Bewunderer Adenauers, mit dem er als Politiker nicht das geringste gemein hatte.
Mit seiner unauffälligen Eleganz, seiner leisen Art zu sprechen und seinen liebenswürdigen Manieren glich Frei eher dem Vorsitzenden eines Bankdirektoriums als einem südamerikanischen Caudillo. Sein ganzes Wesen drückte Gläubigkeit und Optimismus aus, beide von Melancholie beschattet.
Daß dieser Mann das Beste wollte, stand außer Zweifel. Ob er ein so schwieriges Volk wie die Chilenen regieren konnte und der Einflüsse Herr werden würde, die Chile in ein zweites Kuba verwandeln wollten, war eine Frage, die ich mir schon damals vorlegte.
Ich schrieb :
»Mit Eduardo Frei schienen die Weichen für eine ruhige Fortentwicklung des Landes gestellt. Die seinem Regime zuerkannte günstige Prognose hat sich jedoch nicht erfüllt. Während das Land auf sozialem Gebiet große Fortschritte machte, das Schulwesen verbessert und die Kaufkraft der unteren Volksschichten gehoben wurde, sank die Arbeitsmoral, wurde die Staatsbürokratie aufgebläht, nahm die Geldentwertung beängstigende Formen an.
Chile ist heute (1967) an den Rand des Staatssozialismus geraten. Niemand weiß, wohin die Reise unter einem Präsidenten gehen wird, der einmal als Kennedy Lateinamerikas begrüßt worden war.«
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Nach Allende kam dann das Chaos
Die Reise ging zu Allende und 1973 in das Chaos, dem rechtzeitig zu wehren, Freis Sache nicht war. Als wir über Ongania sprachen, meinte Frei seufzend: »Mir fehlen 500.000 Italiener in diesem Lande.« Wenn man den Anhängern Allendes glauben durfte, so scheiterte dieser Sozialist auch an den »multinationalen« amerikanischen Gesellschaften im Land wie der ITT und den Kennecot- Kupfer-Interessen. Weniger bekannt ist die Bedrohung, der sich der Christdemokrat Frei durch amerikanische Linksintellektuelle ausgesetzt sah.
So finanzierte die Ford-Foundation über die »Universidad de Chile« marxistische Wandertheater, während viele der bei den Niederlassungen der FAO, UNESCO, CEPAL, PEACE CORPS in Santiago tätigen Nordamerikaner marxistisches Gedankengut vertraten und sich chilenischen Politikern als »progresistas« empfahlen.
Frei erwies sich als guter Kenner chilenischer Mentalität: »Der Chilene gleicht dem Arbeiter, der mit einem monatlichen Einkommen von 200 Mark vollkommen glücklich war. Dann setzen die Lohnerhöhungen ihn in die Lage, sich neue Möbel, ein Fernsehgerät und bessere Kleider anzuschaffen.
Anstatt darüber froh zu sein, zeigt er eine steigende Unzufriedenheit mit sich und der Welt und beschwert sich immer lauter über die Dinge, die er noch nicht hat erwerben können.« Eine Einstellung, die nicht nur für Chilenen gilt.
Die Erfahrungen Südamerikas haben mir die Augen geöffnet
Die Latinität Südamerikas hat mich nachhaltig beeinflußt und mir früh die Augen für den großartigen Beitrag geöffnet, den die moderne Welt den iberischen Völkern verdankt. Eigenwilliger als Asien und Afrika, hat sich Lateinamerika der Uniformierung durch das Angelsachsentum zu entziehen vermocht, obschon es aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten gewaltige Impulse für sein Wirtschaftsleben empfing. Das »no tener ganas« - das keine Lust zu gar nichts haben -, das den Lebensstil Lateinamerikas mitgeprägt hat, läßt sich mit dem Tempo von New York und Chicago, von Detroit und Los Angeles nicht in Einklang bringen.
Die Hindernisse, die sich zwischen den beiden Hälften der westlichen Hemisphäre auftürmten, sind denn auch mehr psychologischen als materiellen Ursprungs.
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