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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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April 1939 - die Spannungen in Europa hatten sich herumgesprochen

Als ich am 1. April 1939 von Georg II schied, verfolgte er mit größter Sorge die rasche Verschlechterung der deutsch-englischen Beziehungen, von zwei Ländern, denen er sich gleichermaßen verbunden fühlte.

Hatte der König beim 1. Garderegiment gedient, so empfing sein Ministerpräsident Johannes Metaxas seine militärischen Weihen im 2. Garderegiment. Er hatte die Berliner Kriegsakademie mit einem Examen abgeschlossen, das von Wilhelm II als das beste des Jahres belobigt worden war, und seine preußische Dienstzeit bei den Fürstenwalder Ulanen und den Gardefüsilieren, im Volksmund »Maikäfer« genannt, beendet.

Der Ministerpräsident sprach ein fehlerfreies Deutsch

Wie Georg II sprach Metaxas ein fehlerfreies Deutsch. Nach dem Tode seiner Vorgänger Tsaldaris, Papanastasiu, Kondylis, Venizelos und Pangalos, die innerhalb kurzer Zeit gestorben waren, galt der Siebzigjährige als der erfahrenste der griechischen Politiker.

Seit dem 13. April 1936 Ministerpräsident, ersparte ihm sein Tod am 29. Januar 1941 zu erleben, daß die nach ihm benannte Verteidigungslinie an der griechischen Nordgrenze von der 12. deutschen Armee durchbrochen, Saloniki am 9. April 1941 erobert wurde und sein Nachfolger Alexander Koryzis sich am 18. April 1941, drei Tage vor der Kapitulation der griechischen Streitkräfte, das Leben nahm.

Metaxas sieht den Krieg kommen . . . .

Als mich Metaxas durch seine scharfen Augengläser mustert und mir seine kleine feste Hand reicht, trennen uns von diesen dramatischen Ereignissen kaum zwei Jahre.

Im Unterschied zum König, der sich einer gewissen Euphorie befleißigte, gibt sich der Regierungschef als Pessimist. Metaxas ist zu alt und hat zuviel gesehen und erlebt, um die europäische Malaise nicht zu erkennen.

Er sieht den Krieg kommen. Früher, so meint er nostalgisch, habe man immer gesagt: Bleibt der Balkan ruhig? Heute müsse man diese Frage an die großen Mächte richten.

Im Kriegsfalle werde Griechenland eine bewaffnete Neutralität einnehmen, aber jeden Angriff auf seine Grenzen, gleichgültig von welcher Seite, abwehren.

Die früher guten Beziehungen zu Rom sind zerstört

Seitdem Italien sich Korfus und des Dodekanes bemächtigt hat, sieht Metaxas die früher guten Beziehungen zu Rom zerstört.

Seine Regierung könne die Presse im Zaum halten, aber nicht den achttausend von den Italienern auf das griechische Festland Vertriebenen den Mund verbieten.

Bulgariens Aspirationen auf Griechisch-Thessalien lehnt Metaxas mit Schärfe ab. Er will von mir wissen, wann Hitler Danzig zu nehmen gedenke. Der Einmarsch in Böhmen habe die Griechen zutiefst erschreckt.

Später habe man sich zu der Auffassung durchgerungen, daß ein Volk, in dem nicht ein einziger Soldat und Offizier sich zum bewaffneten Widerstand bereit finde, kein anderes Los verdiene.

Wie Griechenland verändert wird

Als die Säulen seines Regimes bezeichnet Metaxas die Arbeiterschaft, die zum erstenmal eine Sozialgesetzgebung erhalte, die Bauern, deren Entschuldung er in Angriff genommen habe, die Armee, die nun lerne, sich auf militärische Aufgaben zu konzentrieren, und die Jugend, die er an den Staat heranzuführen suche.

Das von ihm in Griechenland errichtete System lasse sich am ehesten mit dem Salazars in Portugal vergleichen. Der Parlamentarismus alten Stils habe in Griechenland keine Chance mehr.

Eine Fahrt mit dem Bürgermeister von Athen

Die beiden preußischen Offiziere an der Spitze des griechischen Staates haben ihre Meriten. An Popularität können es weder der König noch der Ministerpräsident mit dem Bürgermeister der Hauptstadt, Staatsminister KostiasKodzias, aufnehmen.

Das moderne Athen ist sein Werk. Als er mir die Stadt zeigt, kommen wir kaum vorwärts. Wo immer wir aussteigen, belagern das Stadtoberhaupt Volksmassen, die nach seiner Hand greifen und ihm Küsse zuwerfen.

Bürgermeister KostiasKodzias - echter Volkstribun

Der riesige Mann mit der feuerroten Nelke im Knopfloch, dem Rhönrad in seinem Arbeitszimmer ist ein echter Volkstribun. Für jeden hat er ein Wort, kein Bettler verläßt ihn ohne Geschenk.

Er hat 350.000 Straßenbäume gesetzt, die täglich bewässert werden, Fußballstadien und Kinderspielplätze geschaffen, Volksparks eingerichtet und mit Ziergeflügel besetzt.

Auch er ein begeisterter Deutschenfreund, der jährlich ins Reich reist, mit seinen Kindern Deutsch spricht und deutsche Sender hört.

Von Athen über Larissa nach Belgrad

Auf dem Wege nach Belgrad will ich zwei Tage in Larissa
unterbrechen, um einen Ausflug zu den Meteoritenklöstern zu machen, die auf unzugänglichen Felsen kleben und sich durch Seilzüge versorgen.

In dem einzigen größeren Gasthof Larissas weist man mir ein noch nicht aufgeräumtes Zimmer an. Reste eines feinen Parfüms nisten in den Polstern, vergessene Koffertücher, Babywindeln und Puderdosen zeugen von einem hastigen Aufbruch.

Ich erfahre, daß der Raum nur wenige Stunden vor meiner Ankunft von der Königin Geraldine von Albanien verlassen wurde, die auf der Flucht von Tirana nach England hier übernachtet hat. Am 5. April war die junge Fürstin mit dem Thronerben - Skander - niedergekommen. Zwei Tage später landeten die Italiener in Albanien und vertrieben König Achmed Zogu, ihren Gatten, aus seiner Hauptstadt.

Wie recht doch Metaxas hatte:

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Der Balkan blieb ruhig, aber die großen Mächte eröffneten das Feuer - auf dem Balkan.
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Jugoslawien, wo der Okzident auf den Orient stößt

Meine letzte Station war Jugoslawien, wo der Okzident auf den Orient stößt, der Balkan beginnt und der Nahe Osten endet, das katholische Europa sich jahrhundertelang mit dem Islam berührte.

Sarajewo hatte den Ersten Weltkrieg entzündet, über Serbien war das zaristische Rußland mit dem kaiserlichen Deutschland in einen Konflikt geraten, der beide verschlang.

Als ich in den letzten Apriltagen des Jahres 1939 den Orientexpreß in Belgrad verließ, stand die jugoslawische Hauptstadt im Schatten der albanischen Ereignisse.

König Alexander II. war am 9. Oktober 1934 in Marseille einem Attentat kroatischer Verschwörer zum Opfer gefallen; für seinen damals sechzehnjährigen Sohn Peter führte der mit einer griechischen Prinzessin vermählte anglophile Prinz Paul die Regentschaft.

Prinz und Premier durften ich nicht empfangen

Der als deutschfreundlich geltende Ministerpräsident Milan Stojadinowitsch war im Februar 1939 durch Dragischa Zwetkowitsch abgelöst worden. Prinz und Premier steuerten einen vorsichtigen Kurs, der es ihnen nicht angeraten erscheinen ließ, einen bekannten deutschen Journalisten zu empfangen.

So sah ich keinen von beiden. Daß Zwetkowitsch am 25. März 1941 Jugoslawiens Beitritt zum Dreierpakt vollziehen, zwei Tage darauf in Belgrad stürzen und am 6. April mit einem Luftangriff Hitlers Strafgericht über Jugoslawien hereinbrechen würde, war nicht einmal andeutungsweise vorstellbar.

Einblicke in die serbische Mentalität

Blieben mir offizielle Kontakte versagt, so hatte ich doch Gelegenheit, Einblicke in die serbische Mentalität zu gewinnen.

Ich entdeckte, daß Belgrad die letzte Hauptstadt war, in der 22 Jahre nach der russischen Oktoberrevolution noch immer ein Gesandter des Zaren aller Reußen sein Amt versah.

In einem langgestreckten Palais in der Kralja Milano gegenüber dem Schloß residierte der Baron Strandmann und genoß alle Privilegien, die diplomatischen Vertretern fremder Mächte zustanden. Der offizielle Almanach führte seinen Namen, freilich ohne die Bezeichnung des Landes, das er repräsentierte.

Jugoslawien hatte die Sowjetregierung nicht anerkannt

Außer der Schweiz und den Niederlanden war Jugoslawien der einzige Staat, der sich weigerte, die Sowjetregierung anzuerkennen.

Zu Rußland, ohne dessen Kriegseintritt Serbien zerbrochen, die Donaumonarchie nicht zerschlagen und Jugoslawien niemals entstanden wäre, bestanden keinerlei Beziehungen.

Während die britische Regierung ein Regime anerkannte, das Nikolaus II, den Vetter des Königs von Großbritannien, in Jekaterinenburg hinrichtete, weigerte sich der zum Zarenhaus in viel entfernteren Beziehungen stehende König Alexander von Jugoslawien, diplomatische Kontakte mit Moskau aufzunehmen.

Das Gebäude aber, in dem die Petersburger Depeschen dechiffriert worden waren, die der serbischen Regierung rieten, das österreichische Ultimatum abzulehnen, Telegramme, die Ereignisse einleiteten, die zum Untergang der Romanows führten, beherbergte den einzigen noch amtierenden Repräsentanten des russischen Selbstherrschers.

Baron Strandmann, Gesandter des Zaren und Weissrusslands

Der Baron Strandmann war nicht nur Gesandter des Zaren. Auch der weißrussische Admiral Koltschak hatte ihn mit der Wahrnehmung seiner Interessen in Jugoslawien betraut.

Endlich fungierte er als Delegierter von 60.000 russischen Emigranten, die sich vor dem Bolschewismus nach Jugoslawien gerettet hatten. Er war der Vertrauensmann von 200 zaristischen Offizieren, die in der Armee des Südslawenstaates dienten, der Patron unzähliger Kirchen, Krankenhäuser, Schulen und Kadettenanstalten, die Weißrussen in Jugoslawien ins Leben gerufen hatten.

In Baron Strandmanns Residenz

Ich mache Strandmann einen Besuch, und werde in einen Salon komplimentiert, in dem sich seit 1914 nichts verändert hat.

Porträts der Zaren Alexander II und Nikolaus II blicken auf den Hausherrn herab. Vergilbte Photos mit den Offizierskorps zaristischer Garderegimenter stehen in silbernen Rahmen auf den Kommoden.

Hünenhafte Gestalten mit breiten Backenknochen und wäßrigen Augen posieren auf ihnen, in lässiger Haltung, auf krumme Säbel gestützt, sich um einen Großfürsten scharend. Eine Kapelle des Palais hat Erinnerungen an die kaiserliche Familie aufgenommen.

Ein riesiges Gemälde zeigt Nikolaus II in der Uniform des brandenburgischen Kürassierregiments Kaiser Nikolaus von Rußland. Der Regimentsverein hat es Herrn v. Strandmann übergeben.

In einer Vitrine sind zwei mit dem kaiserlichen Wappen gezierte Speisekarten ausgestellt. Das eine zeigt die Speisenfolge, die anläßlich der Krönung Nikolaus' II serviert wurde, das andere verzeichnet die Gerichte der Henkersmahlzeit, die man dem Zaren vor seiner Erschießung verabreichte.

Erinnerungen an die Wrangelarmee

Niemand vermag anzugeben, wie sie hierhergelangt sind. Manche Erinnerungsstücke haben Soldaten der Wrangelarmee mitgebracht, darunter ein großes Bild ihres Heerführers.

Aus einer hochgeschlagenen, grauen Offizierspelerine mit rotem Kragen hebt sich Baron Pjotr Nikolajewitsch Wrangels kühner Kopf, die zwingenden Augen in die Ferne gerichtet, als suchten sie die Bewegungen des übermächtigen Gegners, gegen den dieser Sproß aus altem deutschem Geschlecht seinen aussichtslosen Kampf wagte.

Wrangel starb in Brüssel, von wo sein Leichnam in die russische Kirche nach Belgrad überführt wurde. Zu allen Tageszeiten halten sich Andächtige hier auf. Alles kennt sich untereinander.

Nachrichten und Todesanzeigen kleben die Emigranten an die Holzmasten der an dem Kirchlein vorbeiführenden Telegrafenleitung, eine Form der Kommunikation, die sich in den Jahren der Katastrophe bewährt hat.

Erinerungen an König Alexander II

Von dem Manne, der den aus Rußland Entkommenen Asyl gewährte, zeugen Räume im Belgrader Kriegsmuseum. Alles, was der ermordete König Alexander II getragen und gebraucht hat, wird hier aufbewahrt und wie ein Heiligtum gepflegt: seine Orden und Uniformen, seine Jagdwaffen und Bergschuhe, seine Sportanzüge, seine Bleistifte, Federhalter, Petschafte, ein Kalender mit den letzten Notizen von seiner Hand. In einem nur von Kerzen erhellten Gemach liegt auf einem Katafalk der Interimsrock ausgebreitet, den der Monarch im Augenblick seines Todes trug.

Man hat ihn so gelassen, wie man ihn dem Leichnam abzog, mit dem weißen, blutbespritzten Stehkragen, der blutbesudelten Jacke, den in Blut getränkten Beinkleidern. Ein Glassturz schützt Alexanders Armbanduhr, seine Handschuhe, die Taschentücher, mit denen man dem Sterbenden die Stirn kühlte, die Totenmaske und die Abdrücke seiner Hände.

Die Waffen, die sein Leben auslöschten, ein halbes Dutzend Pistolen mit vollen Magazinen, die auf den König abgefeuert werden sollten, falls der erste Anschlag mißlang. Das Auto, in dem Alexander an der Seite des französischen Außenministers Barthou durch Marseille fuhr und das beiden zum Sarg wurde.

Ein Mausoleum, in dem nur der Tote abwesend ist, eine Exposition, die zum Haß erziehen soll gegen alle, die gegen den Einiger der Südslawen die Hand erhoben, ein schauerliches Mahnmal am Eingang einer Zeit, die voller Schrecken sein wird.

Das kaum gekannte Europa aus der Zeit vor 1914

In Baron von Strandmann trat mir ein Europa entgegen, das ich kaum gekannt habe, das Europa der Jahre vor 1914. Als ich mich von ihm verabschiede, ahne ich nicht, daß sich der Vorhang der Geschichte schon über die Länder senkte, die ich im Frühjahr 1939 besuchte.
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Das Jahr 1939 veränderte die gesamte Welt - gründlich

Den Monarchien in Italien, Griechenland, Albanien, Jugoslawien, Ägypten und im Irak war der Untergang bestimmt. Die britische Herrschaft über die Länder am Nil und am Jordan kam zum Erliegen.

Frankreich räumte Syrien, den Libanon, Hatay und Tunesien, Italien verlor Libyen. Mittelmeer und Naher Osten veränderten ihr politisches Gesicht.

Die Männer, mit denen ich sprach, wurden gestürzt und ermordet. Nur wenige starben eines natürlichen Todes. Noch einmal hatte mich der fliegende Teppich über eine Welt getragen, die nie schöner war als in dem Jahr, das ihre Zerstörung einleitete.
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