H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens
Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.
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Ein Blick nach Afghanistan zurück in 1937 und seine Herrscher
1937 war Afghanistan ein dunkler Fleck auf der Landkarte Mittelasiens. Amanullah, der 1928 als erster König nach dem Sturz der Monarchie in Deutschland seinen Einzug in Berlin gehalten hatte, war noch während seiner Abwesenheit in Europa gestürzt worden. Er hatte Afghanistan von 1919 bis 1929 regiert.
Seine Nachfolge trat sein Oheim Nadir Shah an, der 1933 ermordet wurde. Seitdem herrschte Zahir Shah, die Regierung lag in den Händen Mohammed Hachims, eines älteren königlichen Prinzen.
Amanullah war gescheitert, weil er der Pufferstellung seines Landes zwischen dem sowjetischen und dem britischen Herrschaftsbereich nicht Rechnung trug, in Moskau, Berlin, Ankara und Rom Anlehnung suchte, sich die Briten zum Gegner machte und die Mullahs durch überstürzte innenpolitische Reformen gegen sich aufbrachte.
Afghanistan - nur eine kleine Figur auf dem Schachbrett der Welt
Auf dem Schachbrett der britischen Asienpolitik war der König von Afghanistan eine Figur, die sich für eine Rochade anbot. In den dynastischen Händeln der Afghanen erfahren, hielten die Engländer in Lahore Thronanwärter bereit, die sie oft jahrelang unterstützten, um sie im gegebenen Augenblick einsetzen zu können.
Amanullah kam über das Abendkleid seiner Gemahlin zu Fall, von dessen Dekollete die Engländer Photographien verbreiteten und damit die Lunte an das Pulverfaß religiösen Fanatismus legten.
Mohammed Hachim hatte aus diesen Erfahrungen gelernt. 1937 steuerte er innenpolitisch einen vorsichtigen Reformkurs und sah darauf, außenpolitisch nicht zwischen die Stühle der rivalisierenden Weltmächte zu geraten.
Ich wollte nach Afghanistan
In Gesellschaft von Captain Loretz, der mir bis zur Grenze das Geleit gab, war ich frühmorgens im Kraftwagen aus Peshawar aufgebrochen.
Im Fort zu Jamrud, das den Eingang zum Khyber blockiert, tragen wir uns ein. Ich muß mich verpflichten, den Paß bis zum Sonnenuntergang zu verlassen.
Neben der asphaltierten Straße läuft ein Karawanenweg. Beide werden von der bis auf den Kamm des Gebirges führenden Peshawarbahn gekreuzt.
Dem Verkehr mit Eseln, Kamelen und PKW dienen eigene Verkehrszeichen. Die Bauten zu seiten der Straße gleichen Festungen, selbst die Stationsgebäude haben noch das Aussehen von Forts.
Eine britische Garnison mit Aprikosen und Pfirsichbäumen
In Kotal ist in einem Geviert von Lehmbauten die stärkste britische Garnison untergebracht. Aprikosen und Pfirsichbäume, blühende Beete und kurzgeschnittene Grünflächen umgeben die Baracken. Beim politischen Residenten Mr. Searle laufen alle politischen Fäden der Gegend zusammen.
Wir überraschen ihn beim Kaffeemachen, den er in einer amerikanischen Glaskugel zubereitet. Aus seinem Arbeitszimmer führt eine Geheimtür in die Wildnis vor dem Fort. Durch sie treten nach Einbruch der Dämmerung die Führer der von Searle finanziell unterstützten Stämme ein.
Da die Ehre ihnen verbietet, britische Gelder ohne Gegenleistung anzunehmen, hat der Resident sie verpflichtet, den Paß zu sichern. So wird der Khyber zweimal bewacht: von den Engländern gegen die Afridis und von den Afridis gegen sich selbst!
Mit vielen Einzel-Erlebnissen auf dem Weg nach Kabul
An der Grenze steige ich in einen Autobus um, der, mit Menschen und Kleintieren überfüllt, mit kochendem Kühler und vielen Reifenpannen die Fahrt nach Kabul in einem Tag zurücklegt.
Ich nehme auf der deutschen Gesandtschaft Quartier, in der mich der Geschäftsträger, Herr v. Schweinitz, im Eheschlafzimmer seines in Europa befindlichen Chefs unterbringt.
Nachts auf eine Armee von Wanzen gestoßen
Das messingne Doppelbett des Gesandtenpaares soll mir zur Hölle werden. Kaum bin ich eingeschlafen, als mich brennendes Jucken wieder hochscheucht. Ich mache Licht und entdecke, daß sich auf der Innenseite des sich über mich spannenden Moskitonetzes eine Armee von Wanzen in Bewegung gesetzt hat.
Die Vorhut seilt sich bereits ab, die ersten Springer sind auf mich niedergegangen. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, und ich muß Schweinitz bitten, mir ein weniger feudales Gemach zuzuweisen.
Die neue halbfertige Haupstadt Dar al- Funam
Am anderen Tage tragen uns zwei Araberpferde nach Dar al-Funam, eine halbe Stunde von Kabul, dort solle Amanullah mit dem Bau eines Schlosses und eines Parlamentsgebäudes den Kern einer neuen Hauptstadt anlegen. In dem halbfertigen Palais preist sich das in Lapislazuli ausgeführte Bad der geflohenen Königin als die einzige Sehenswürdigkeit.
Der italienische Gesandte Pietro Quaroni in Kabul
Ich besuche den mit einer Russin verheirateten italienischen Gesandten Pietro Quaroni, der von Mussolini als Beobachter der russisch-englischen Beziehungen in Mittelasien nach Kabul gesetzt worden war.
Ich lerne in ihm einen ungewöhnlich gescheiten Mann kennen, der mir als Botschafter in Bonn und London wieder begegnen wird, Urheber unzähliger Bonmots wurde und die geistige Vaterschaft der Präambel zum EWG-Vertrag für sich in Anspruch nehmen durfte.
Ich mache dem Außenminister meine Aufwartung, der mich in den »Star-Club« zu einem Empfang für das diplomatische Korps lädt, auf dem Limonaden und Sachertorte serviert werden, der Gastgeber mit dem britischen Gesandten ein Tennismatch und mit dem Vertreter Italiens eine Partie Billard bestreitet.
Dann bei Minister Faiz Mohammed Khan
Der Minister Faiz Mohammed Khan fragt mich, was mir in Afghanistan am meisten gefalle; angesichts eines Aufenthaltes von erst 48 Stunden gerate ich in Verlegenheit und lobe die Schönheit der mir unterwegs begegneten Ziegenherden und der afghanischen Windhunde, die in Berlin die große Mode geworden sind. Der Minister schmunzelt.
Als die Gardenparty sich ihrem Ende nähert, nimmt er meinen Arm und erkundigt sich, ob es mir Freude machen würde, wenn mir die Regierung als Gastgeschenk zwei Ziegen und zwei Windhunde übersenden würde.
Ich erbleiche. Die Ablehnung der Gabe wäre eine grobe Unhöf-lichkeit gewesen, ihre Annahme hätte mich für die weitere Reise ungebührlich belastet. So nehme ich mit ausschweifenden Danksagungen unter dem Vorbehalt an, daß die Aushändigung der Tiere bis zu meiner Rückkehr nach Europa verschoben wird.
Mohammed Khan hat ein Einsehen. Ich verspreche zu telegraphieren, wann mir die Ziegen und Hunde in Berlin willkommen sind, und scheide in dem beruhigenden Gefühl, daß dem Austausch von Höflichkeiten Genüge getan worden ist.
Die Sprache aller gebildeten Afghanen ist Persisch
Ein paar Tage später habe ich eine zweite Probe zu bestehen. Der Ministerpräsident Prinz Mohammed Hachim empfängt mich in Gegenwart des Außenministers, der ihm als Dolmetscher dient. Ich stelle meine Fragen auf Englisch, das der Regierungschef sehr wohl versteht, aber nicht sprechen will. Er antwortet vielmehr auf Persisch, das damals die Sprache aller gebildeten Afghanen ist und das der Außenminister ins Englische überträgt.
Erweist sich die technische Seite des Interviews schon als schwierig, so kommen wir in der Sache überhaupt nicht voran. Der Prinz lauscht mir aufmerksam, wiegt sein Haupt und verweigert die Antwort. Er will über Politik nichts aussagen. So verfalle ich auf eine List und erkundige mich nach seinem Privatleben.
Ich erkläre, daß Seine Königliche Hoheit in den Augen des deutschen Volkes eine so einmalige Persönlichkeit seien, daß auch scheinbar Unwichtiges Bedeutung erhalte. Mohammed Hachim schüttelt den Kopf. Er könne sich nicht vorstellen, was den deutschen Leser an seinen Gewohnheiten interessiere.
Ich fühle, wie das Eis knackt, und erwidere: »Geht es Ew. Königlichen Hoheit doch ähnlich wie Kaiser Wilhelm II, den die Politik so in Spannung hielt, daß er oft keinen Schlaf finden konnte. Er entzündete dann die Lampe an seinem Bett und schrieb mit einem Bleistift politische Notizen auf die Marmorplatte seines Nachttisches. Der Sekretär las sie am anderen Morgen ab und brachte sie zu Papier.«
Der Vergleich mit dem letzten deutschen Kaiser - sehr erfolgreich
Ich weiß nicht mehr, von wem ich diese Geschichte hatte. Entscheidend war, daß sie mir in diesem Augenblick einfiel und die Brücke zu Mohammed Hachim schlug. Der Prinz zeigte sich entzückt.
Der Vergleich mit dem letzten deutschen Kaiser, der sich seit seinem Einzug in Jerusalem im Orient höchsten Ansehens erfreute, schmeichelte ihm sichtlich.
Während er nun auf seine Schlafsitten zu sprechen kam, gelang es mir, das Gespräch behutsam auf politische Fragen überzuleiten.
Der Prinz gab zu erkennen, daß Afghanistan auf gute Beziehungen mit der Sowjetunion bedacht sei, aber niemals eine »Gemeinschaft« mit religionslosen Völkern eingehen könne.
Dafür sorgten auch schon die Engländer, die im Vertrag von Rawalpindi die afghanische Regierung verpflichtet hatten, jede Reise sowjetischer Diplomaten in Gebiete südlich von Kabul der vizeköniglichen Regierung in Delhi anzuzeigen, und die sich konstant weigerten, russischen Staatsbürgern Ferien in Kashmir zu gestatten.
Dem Panislamismus maß der Ministerpräsident überhaupt keine Bedeutung zu, eine Bemerkung, an die ich nach dem Zweiten Weltkrieg denken mußte, als die Möglichkeit eines engeren Zusammengehens zwischen Afghanistan und Pakistan erörtert wurde.
Die Afghanen sahen als Eroberer und Beherrscher Indiens auf eine große Vergangenheit zurück, eine Partnerschaft oder Konföderation mit Indien und seinen Nachfolgestaaten interessierte sie damals sowenig wie heute.
Der Gesandtschaftsdiener »Wildes Löwenherz« und weitere
Als die Gesandtschaftsdiener »Wildes Löwenherz«, »Sonntagsblümchen« und »Auge der Religion« mein Gepäck für die Rückreise nach Indien fertig machten, war ich um eine Erfahrung reicher.
Die politische Problematik im Norden Indiens
Von Afghanistan gesehen, stellte sich die politische Problematik der indischen »North Western Frontier Province« noch verwickelter dar als in Indien. Sie ist bis heute (geschrieben im Jahr 1970) nicht gelöst worden.
Die indischen Fürsten befanden sich damals in einer schwierigen Lage. Die Kongreßpartei sah in ihnen eine Stütze der britischen Herrschaft.
Die Engländer, um einen Kompromiß mit Gandhi bemüht, taten wenig, um sich des weiteren Rückhalts der Rajas zu versichern. So tauchten bei vielen Prinzen Zweifel auf, ob ihre Interessen bei der »paramount power« noch so gut aufgehoben waren wie in der Vergangenheit.
Sie suchten heimlich Fühlung mit dem Kongreß, dessen Abgeordneten das Betreten der Fürstenstaaten und jede politische Aktivität dort offiziell verboten war.
Als das Prestige der britische Krone in Indien sank
Die britische Thronkrise hatte auch das Prestige der Krone in Indien in Mitleidenschaft gezogen. Als Prinz von Wales war Eduard VIII. ein beliebter Gast an indischen Fürstenhöfen gewesen. Sein ihm nachgefolgter Bruder Georg VI. hatte nichts von einem »prince charming« und bedeutete den Maharadschas wenig.
Während der Feierlichkeiten zu seiner Krönung war den indischen Prinzen in London eine eher nachlässige Behandlung zuteil geworden. Der Fürst von Patiala, der mich im Frühherbst 1937 in seine Sommerresidenz Khandakat einlud, machte aus seiner Mißstimmung keinen Hehl.
Der Fürst von Patiala
Unter den indischen Prinzen nahm dieser Sikh-Herrscher, ein Mannsbild von ungewöhnlicher Pracht, eine Sonderstellung ein. 1891 geboren, 1900 auf den Thron von Patiala gelangt, gehörte er während des Ersten Weltkrieges dem »Imperial War Council« an, besuchte die europäischen Fronten und stellte den Alliierten die Hilfsquellen seines Landes und Soldaten zur Verfügung.
Er focht auf britischer Seite gegen die Afghanen, vertrat 1925 die indischen Fürsten beim Völkerbund, wurde zum Kanzler der Fürstenkammer gewählt und zum britischen Generalleutnant ernannt.
Als Inhaber hoher Auszeichnungen gehörte zu seinen Hobbies eine Ordenssammlung, die er aus aller Welt zusammengetragen hatte. Berühmt war sein Harem, wo er Passionen auslebte, die ihn gelegentlich mit dem Gesetz in Konflikt brachten.
Der Maharadscha scheute keine Mittel, um sich in den Besitz einer Schönen zu setzen, die er begehrte. Als einem der treuesten Paladine der Krone sah ihm die vizekönigliche Regierung jedoch manches nach.
Eine Mischung zwischen Orient und Okzident - dazu das Protokoll
Der Sommerpalast stellt sich als Sammelsurium leichtgebauter, von Wellblechzäunen umgebener Häuser heraus. Mr. Panikkar, Patialas Premierminister, und ein strenges Zeremoniell erwarten mich.
Wir verbringen eine Stunde, bis Seine Hoheit endlich zu erscheinen geruhen und das Mittagessen aufgetragen wird. Ich nehme neben dem Fürsten Platz, zu seiner Linken sitzt der Leibarzt. Hinter uns kostet der Mundschenk Getränke und Speisen vor. Der Prinz nippt an jedem Glas nur einmal und wirft es dann hinter sich, wobei es auf dem Steinfußboden zerschellte und Diener die Scherben sofort wegkehren.
Äußerlich präsentiert sich der Raja als Mischung zwischen Orient und Okzident. Den religiösen Vorschriften der Sikhs entsprechend, trägt er Haupthaar und Bart ungeschoren. Die zu einem Knoten geflochtenen Haare bedeckt ein Turban mit Edelsteinagraffen.
Der Backenbart ist ein Kunstwerk. Seine Locken ringeln sich um eine Schnur, die hinter den Ohren des Prinzen befestigt ist. Von Brillanten eingefaßte Tropfenperlen schmücken die allerhöchsten Ohrläppchen. Am linken Ringfinger des Prinzen glüht ein Rubin, um sein rechtes Handgelenk legt sich ein aus Saphiren, Smaragden, Mondsteinen und Korallen zusammengesetztes Armband. Dazu trägt Patiala einen karierten Golfanzug aus Homespun.
Die Konversation ist schwierig - bis auf sein Lieblingsthema
Die Konversation erwärmt sich nur langsam. Der Maharadscha ist kein Deutschenfreund. Er verübelt Hitler seine Bemerkungen über Indien, schätzt ihn jedoch als Bekämpfer des Kommunismus.
Endlich meint er: »In Deutschland interessieren mich eigentlich nur zwei Männer, Hitler und der Kronprinz.« Hitler habe seines Wissens noch nie eine Frau genossen, der Kronprinz huldige dagegen dem schönen Geschlecht mit dem gleichen Eifer wie er selbst. Das beschäftige ihn. Damit sind wir bei seinem Lieblingsthema.
Patiala erzählt mir von einem Agentennetz, das er ausschließlich zu dem Zweck unterhalte, ihn mit Photos exotischer Schönheiten zu versorgen. Sage ihm eine zu, so gebe er den Auftrag, sie zu beschaffen. Auch die Töchter seines Landes verschmähe er nicht. Alljährlich übersenden ihm tributpflichtige Stämme junge Mädchen und starke Berghunde. »Most of the girls I sent back, the dogs I usually keep1.« (»Die Mädchen schicke ich meist zurück, die Hunde behalte ich.«)
Als der Harem leer war
Inzwischen wird es Abend, ohne daß ich ein Zeichen erhalte, mich zu verabschieden. Statt dessen fragt mich Patiala, ob ich Lust hätte, seinen Harem zu sehen. Das Angebot verschlägt mir die Sprache, es ist das letzte, das ich von einem für seine Eifersucht berüchtigten Orientalen erwarte.
Die Spannung nimmt zu, als der Fürst seinen Sohn ruft und mit ihm flüstert. Fünf Minuten später meldet der junge Raja, alles sei bereit. Meine Erwartungen zerrinnen in nichts, als ich den Harem betrete.
Er ist leer. Der Prinz hat allen Frauen geboten, sich zu entfernen! Patiala weidet sich an meiner Enttäuschung. Ich fasse mich schnell und gewinne auch den frauenlosen Gemächern Geschmack ab.
Wir schreiten durch breite Galerien, an deren Wänden sich mit seidenen Kissen bedeckte Liegen entlangziehen. Es gibt drei solcher Korridore, die, sternförmig angeordnet, auf das Schlafgemach Seiner Hoheit zulaufen, der von seinem Lager aus alle 300 Frauen des Harems auf einmal überblicken kann. Der Vergleich mit einem amerikanischen Großraumbüro drängt sich auf.
Die schlechten Tischmanieren der europäischen Aristokratie
Patiala zeigt sich als ein guter Kenner der europäischen Aristokratie, über deren schlechte Tischmanieren er sich mokiert. Jagdherren, die ihn auf einen Hirsch eingeladen haben, um ihm für sein Waidmannsheil einen vierstelligen Dollarbetrag abzunehmen, erregen sein Mißfallen.
Während des Dasarafestes am Fürstenhof von Mysore
Läßt sich der Maharadscha von Patiala als Vertreter des Absolutismus einordnen, so hat sich der Herrscher des nach Hyderabad zweitgrößten indischen Fürstenstaates von Mysore als konstitutioneller Monarch eingerichtet. Der von ihm mit der Leitung der Staatsgeschäfte betraute Dewan Sir Mirza Ismael, ein Inder persischer Abkunft, hat dem Lande eine vorbildliche Verwaltung gegeben. Durch ihn werde ich aufgefordert, mich während des Dasarafestes am Fürstenhof von Mysore einzufinden.
Dem indischen Prunk am Hofe des Vizekönigs entspricht die englische Etikette an den Höfen der Maharadschas. Über dem gestochenen Text der Einladung prangt das Staatswappen von Mysore: Löwen mit Elefantenköpfen flankieren einen Doppeladler. Darüber der Sonnenschirm als Zeichen orientalischer Königswürde. Die Einladung gilt von Mittwoch, dem 13., bis Samstag, den 16. Oktober 1937. Festprogramm, Liste der Geladenen und Kleidervorschrift sind beigefügt. Ich entnehme ihr, daß ich bei Hofe im Frack zu erscheinen habe, den ich in Berlin zurückließ. Ein Uniformschneider in Bangalore baut mir einen neuen.
Ernst vom Rath war auch da - der deutsche Konsul in Kalkutta
Unter den Ausländern befinden sich der polnische Konsul in Bombay und der deutsche Konsul in Kalkutta, Ernst vom Rath. Er leidet an einer Amöbenruhr, die seine zarte Konstitution so geschwächt hat, daß er wenig später nach Europa zurückkehren muß.
Als Sekretär an der Pariser Botschaft des Reiches wird er am 7. November 1938 das Opfer eines Attentats, das zwei Tage später die Berliner Kristallnacht auslöst. Bei besserer Gesundheit hätte Rath die Folgen seiner Verwundung zweifellos überstanden.
Gespanntes Warten - der Fürst kommt am 5.Tag
Als wir eintreffen, ist das Dasara schon fünf Tage im Gange. Eine Bewegung geht durch die Menge. Feierlich und gemessen schreitet der Fürst dem Thron zu. Die große Schau hebt an.
Am anderen Abend werden wir dem Maharadscha vorgestellt. In den Morgenstunden hält der Raja unter einem Baldachin im Schloßhof eine »puja« ab, bei der er zum Staatsschwert, zum Staatselefanten, zu seinen Leibrössern und zu zweien seiner einhundertundfünfzig Automobile betet. Seine Lieblingswagen sind alte Elektromobile, die er selbst steuert. Unter seinen Pferden hat der Stallmeister eines »Nazi« getauft, weil es im Januar 1933 dem Marstall einverleibt wurde.
Tausendundeine Nacht sind vorüber.
Am dritten Tag entfaltet sich mit einer Prozession noch einmal die Pracht Mysores. Als der Fürst mit dem Erbprinzen auf dem Staatselefanten vorüberzieht, fallen Tausende in die Knie und beten.
Nur die Engländer auf der Gästetribüne rufen »Hipp hipp hurrah«, was so gar nicht zur Feierlichkeit der Stunde passen will.
Abends nimmt der Herrscher zu Pferde vor dem mit Scheinwerfern angeleuchteten Banni-Mantap-Tempel die Parade seiner Garden ab. Dann verlöschen die Lichter. Tausendundeine Nacht sind vorüber.
Lord Erskine, der Gouverneur von Madras und Sir John Anderson
Ein paar Tage später hat mich der indische Alltag wieder. Ich sehe den Gouverneur von Madras, Lord Erskine, einen gelernten Wissenschaftler, der mehr über Indien weiß als die meisten indischen Akademiker.
Ich bin Gast des Gouverneurs von Bengalen, Sir John Anderson, dessen kühler Umsicht die Provinz ihre Rettung vom Terror verdankt. Ein geborener Schotte, hat er in Leipzig studiert, im Ersten Weltkrieg die britische Handelsschiffahrt reorganisiert, den irischen Bürgerkrieg bestanden.
Als er in Bengalen die Regierung über einundfünfzig Millionen Menschen übernimmt, schwören die Terroristen, daß Sir John den Boden ihres Landes nur als Leiche verlassen wird. Sie irren sich.
Sir John Andersons Amtszeit wird ein voller Erfolg und um sechs Monate verlängert. Als Lordsiegelbewahrer soll er im Kabinett Neville Chamberlain, als Vorsitzender des Geheimen Rates und als Schatzkanzler unter Churchill während des Zweiten Weltkrieges eine wichtige Rolle spielen.
Er gestattet mir den Zugang zu den geheimen Archiven der Polizei von Bengalen, in denen ich die Aspekte des bengalischen Terrorismus studieren kann. Ich erwerbe Kenntnisse, die mir zugute kommen, als der bengalische Politiker Subhas Chandra Bose während des Krieges in Berlin erscheint und zum Gesprächspartner des Auswärtigen Amtes wird.
Es gab auch schon Industrie in Indien
Ich treffe Jerangir Tata, den größten Industriellen des Landes. Die Anschriften seiner Walzstraßen, Textilfabriken, Baugesellschaften, Elektrizitätswerke, Fluglinien und wohltätigen Stiftungen füllen zwei Seiten im Telefonbuch von Bombay.
Er verkörpert die dritte Generation einer Industriellen-Dynastie, die über große wirtschaftliche Macht verfügt. Wir speisen im »Willingdon-Club« in Bombay, dem einzigen, in dem Inder und Engländer gleiche Rechte genießen.
Ich werde der jungen Mrs. Tata vorgestellt, die es an Schönheit und Eleganz mit jedem Hollywoodstar aufnehmen kann. Ich reise nach Jamshedpur, dort beschäftig Tata & Sons 25.000 Arbeiter, die jährlich 700.000 Tonnen Stahl und eine Million Tonnen Eisen herstellen.
Eine Vielzahl von Bekanntschaften schließt sich an
Ich verbringe einen Abend mit Eva Blixen-Finnecke, einer jungen Schwedin, die in einem alten Ford durch Asien reist und China auf dem Landwege über eine Grenze erreichen will, von deren geographischer Lage sie keine Ahnung hat. Sie vertraut einem Ring, den ihr großer Landsmann Sven Hedin ihr auf die Reise gegeben hat, und seinem Empfehlungsschreiben »an alle Völker Asiens«.
An der Malabarküste bin ich Gast des Maharadschas von Travancore, in dessen Familie die weibliche Thronfolge gilt.
Die Maharani und ihr Sohn haben den Parias die Tempel geöffnet. Sie entnehmen dem Haushalt ihres Fürstentums nur dreieinhalb Prozent für persönliche Bedürfnisse statt zehn bis fünfzig Prozent wie die übrigen indischen Herrscher.
Ein Fünftel ihrer Untertanen sind Christen. Mit nur neunundvierzig Prozent Analphabeten liegt das Bildungsniveau in Travancore weit über dem indischen Durchschnitt. Die Hauptstadt Trivandrum hat viele Museen in ehemaligen Palästen der Herrscherfamilie, deren jeweiliger Chef gehalten ist, das Haus seines Vorgängers aufzugeben und ein eigenes zu bauen.
Im Zoo von Trivandrum gibt es die herrlichsten Tiger und die größten Kobras, die ich in Indien zu sehen bekomme. Ich besuche Agra und das Taj Mahal, ein göttliches Bauwerk, und ich gehe durch Benares, die indische Hölle.
Die Inder sagen, man lehrne Christ, Buddhist, Mohammedaner werden, Hindu müsse man durch Geburt sein. Wer Benares begreifen will, ohne Hindu zu sein, braucht starke Nerven.
Wie konnten sich die Engländr dort so lange behaupten ?
Je länger ich mich in Indien aufhalte, desto rätselhafter wird mir, wie sich die Engländer dort festsetzen und über zwei Jahrhunderte behaupten konnten.
Im Laufe der Zeit hat Indien alle seine Eroberer, mit Ausnahme der Engländer, verschlungen. Portugiesen, Holländer, Franzosen verdrängten sich gegenseitig oder wurden von den Engländern verjagt.
1937 zeugen nur noch zwei Exklaven - Goa und Pondicherry - von ihrem geschichtlichen Auftritt. Ich reise nach Pondicherry und erlebe eine andere Welt. Paß und Gepäck werden kaum inspiziert, kein Polizist zeigt sich am Schlagbaum. Liegt Pondicherry auf einem anderen Planeten?
Ich steige im Hotel »L'Alsacien« ab. Aus dem Hintergrund ruft es: »Entrez vous,Monsieur,entrez!« Eine braune Gestalt, die sich eben ein Hemd überwirft, humpelt herbei. Nichts, was in Britisch-Indien selbstverständlich ist, hat hier Gültigkeit.
Keine Diener in weißen Röcken, keine Ventilatoren, keine von Säulen getragenen Empfangshallen, keine Schwimmbäder, keine geeisten Getränke, keine Blumenrabatten, nichts, was an die Gegenwart des weißen Sahib erinnert.
Dafür Kulis, die »Monsieur« gerufen werden, ungelüftete Zimmer, eine Vase mit verstaubten Papierblumen, ein Weinschrank, in dem die Stanniolhälse von Champagnerbouteillen schimmern, japanisches Bier, ein Doppelbett mit grauen Bezügen, ein Bad mit einer unlackierten Wanne und geheimnisvollen Blechschüsseln. An der Wand ein Druck, auf dem sich ein Kavalier im Frack, die Nelke im Knopfloch, über die schneeige Schulter einer weit entblößten Schönen beugt, um ihr ein tückisches Küßchen zu versetzen, daneben ein Gemälde der Schlacht von Metz.
18.oo - eine Damenkapelle und spielt zum Aperitif auf
Gegen 18 Uhr erscheint eine Damenkapelle und spielt zum Aperitif auf. Niemand erscheint außer ein paar braunen und weißen Kindern, die sich im Takt der Musik vor dem Lokal wiegen und mit ihren Streichholzbeinchen Schatten auf die erblindeten Spiegel im Speisesaal zeichnen.
Pondicherry teilt sich in eine »Ville Blanche« und eine »Ville Noire« mit höchst reizvollen achitcktonischen Gegensätzen. Hier im Louis-seize und im Empire erbaute, zartgetünchte zweistöckige Palais, einheitliche, leblos wirkende Straßenzeilen, dort ein tropisches Durcheinander von Bambushütten, Palmen, Weihern und Verkaufsbuden.
Dazwischen stehen doppeltürmige kleine Kathedralen, die andeuten, daß Pondicherry Bischofssitz und Zentrale vieler in Indien arbeitender Missionen ist. Zur See wird die Stadt wie ein Badeort an der Riviera durch eine Promenade abgeschlossen.
Eine verrostete Eisenbrücke führt weit ins Meer hinaus. Auf der Reede löschen Schiffe ihre Fracht in Holzboote, Kulis mit Stangen bringen sie durch die Brandung, die die Fahrzeuge wie Treibholz hin und her wirft. Von hohem Denkmalsockel genießt Duplex den malerischen Anblick.
Die Menschen leben gerne in dieser Ugebung
Im »Hotel du Gouvernement« empfängt mich »Monsieur le Gouverneur des Etablissements Francais dans l'Inde«. Er gleicht mehr einem Arzt als einem Administrator. Außer Pondicherry unterstehen Monsieur Crocicchia die Zwergkolonien Chandernagere bei Kalkutta und Karikal bei Tanjore, die Reste des französischen Kolonialreiches in Ostindien, das dem Kardinal Richelieu seine Entstehung verdankt.
Die Einwohner der französischen Besitzungen sind nicht wie in Indien »subject«, sondern »citoyen«. Als ich einige frage, ob sie es vorziehen würden, unter britischer Herrschaft zu leben, antwortet mir Entrüstung.
Das Märchen an der Koromandelküste - der Professeur
Für den Nachmittag wird mir der Leiter der »Ecole Coloniale« als Führer durch dieses Märchen an der Koromandelküste zugeteilt.
Das volle Haar des Professeur ist schwarz gefärbt, seine Augen schützt ein Zwicker, der an einer Seidenschnur baumelt. Jeder scheint meinen Begleiter zu kennen.
Auf dem Bazar werden wir umringt. Zwei Bankiers vor Säcken mit Hartgeld falten gerührt die Hände über den öligen Bäuchen. Wir betreten das Haus des Professeur, das zwischen Bananenstauden aus der Tiefe eines grundlosen Gartens aufsteigt.
Ein altes, sterbendes Haus. Der Professeur läßt sich auf einer Kiste nieder, mir wird ein dreibeiniger Korbstuhl zugewiesen. »Monsieur« der Hauskuli, schafft eine warme Flasche Champagner herbei, die der Professeur mit einem Taschenmesser entkorkt.
Dazu essen wir in ranzigem Öl geröstete Krabben. Der Professeur, ein vollendeter tropischer Bohemien, stopft sich den Mund damit voll.
Er schreibt Gechichten, die nie gedruckt werden
Gerade hat er eine Broschüre vollendet »Linde et les Romains2«. Sie wird niemals in Druck gehen, aber das stört ihn nicht.
Der Professeur hat nachgewiesen, daß schon das alte Rom Handel mit Indien trieb, und das befriedigt ihn ungeheuer. Sein Schreibtisch steht vor einem vergitterten Fenster, durch das Bananenstauden in den Raum wachsen. Es gibt weder elektrisches Licht noch fließendes Wasser. Meine Einladung zum Essen lehnt er ab, die Krustentiere haben ihn hinreichend gesättigt.
Der Professeur legt eine Hand auf meine Schulter, die andere auf die des Dieners. So geleitet er mich zu meinem Wagen. Zwischen Scherben, spielenden Katzen, Müll und anderem Gerumpel bleibt seine Gestalt zurück. Auch das ein Stückchen Europa in dieser heißen, fremden Welt.
Französisch, enspannt aber schlampert
Die französischen Kolonien mögen schlampert wirken, verglichen mit der Systematik britischer Verwaltung. Aber sie wirken auch entspannter. Der Eroberer lebt nicht im Getto, sondern hat sich dem Unterworfenen weitgehend assimiliert.
Die Engländer regieren durch die Überlegenheit ihrer Person, durch die Gleichgültigkeit gegen alles außer sich selbst. Sie halten auf Distanz. Die Franzosen suchen die Intimität. Sie machen aus ihrer Menschlichkeit kein Geheimnis. Ein reiches Mutterland im Rücken, sind sie auf wirtschaftliche Ausbeute weniger bedacht. Sie lassen den Dingen ihren Lauf.
Und noch etwas gelernt bzw. erfahren
Wer die Schweiz und Liechtenstein bereisen will, soll nach Liechtenstein zuerst gehen.
Ich beging den Fehler, daß ich meine Zeit in Indien mit Ceylon abschloß, anstatt sie dort zu beginnen. Auf Ceylon trat mir vieles von dem noch einmal entgegen, das ich in Indien gesehen und erlebt hatte. Nur die Dimensionen waren anders.
Es erging mir wie dem Besucher einer Gemäldegalerie, der viele Stunden hindurch vor Deckengemälden mit bukolischen Szenen, vor den riesigen Leinwänden der Velasquez und Rubens, der van Dyck und El Greco verweilt und als letztes eine Miniaturensammlung in Augenschein nehmen soll.
Indien hatte mich zu sehr überwältigt, als daß Ceylon mir den vollen Genuß seiner exotischen Schönheit hätte verschaffen können.
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Damit ist mein Besuch in Indien zuende.
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