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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Zum Kontakt mit den Deutschen in Wien brauchte man Mut

Die Wiener Gesellschaft zeigte der deutschen Gesandtschaft nach dem Tod von Dollfuß die kalte Schulter. Nur wenige wagten den Verkehr mit dem Palais in der Metternichgasse, unter ihnen der Bankier Philipp v. Schöller, der Industrielle Werner Schicht, die pensionierten Generale v. Glaise-Horstenau und Bardolf, der Prinz Karl Anton Rohan und die Grafen Aga Dubsky, Karl Khuen, Max und Hans Hardegg. Die Gräfin Elsa Thurn sah in ihrem politischen Salon auch Reichsdeutsche. Von den Diplomaten waren mit Papen befreundet der polnische Gesandte Gawronski und der Völkerbundkommissar Dr. Rost van Tonningen, ein Holländer.

Die frühere Kaiserstadt Wien lebte 1934 in einer Vernunftehe mit der Republik, deren von Ignaz Seipel mitbegründete Ordnung von den Austromarxisten nicht weniger bedroht wurde als von den Nationalsozialisten.

1934/35 - Ein mehrfacher Riß ging durch Österreich

Dem roten Wien standen die schwarzen Bundesländer gegenüber, in denen die Christlich-Sozialen die Oberhand hatten. Träumten die Nationalsozialisten vom Anschluß an das Deutsche Reich, so liebäugelten die Klerikalen mit der Wiederherstellung der Monarchie.

Es gab rote und braune Sozialisten, schwarze und grüne Legitimisten. Die letzteren fanden auf dem Lande in den Heimwehren Rückhalt, die unter der Führung des Fürsten Ernst Rüdiger Starhemberg, eines vermögenden und populären Condottiere, einen eigenständigen politischen Faktor darstellten.

Die Stadt Wien aber wollte leben.

Ihre raunzigen Bewohner hatten die neuen Herren, gleich welcher Couleur, gehörig satt. Sie flüchteten sich in die Nostalgie an ihre kaiserlichen Liebhaber, die Wien jahrhundertelang ausgehalten hatten.

1934 waren die Österreich umgebenden Grenzen noch durchlässig.

Die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie hatten sich an ihre eigenen Hauptstädte nur schwer gewöhnen können. In Böhmen und Mähren, in Polen und Ungarn, in Kroatien, der Slowakei und Slowenien saßen immer noch große Herren auf Gütern, die durch die Bodenreform zwar verkleinert, aber nicht zerschlagen worden waren. Sie warfen Erträge ab, die, verglichen mit der Existenzgrundlage vieler Großgrundbesitzer im Reich, nicht schmal genannt werden konnten.

Der Lebensstil auf den mit Dienerschaft reichlich versehenen Schlössern war breit und bequem. Man nahm solide Diners zu sich, ging viel auf Jagd, hielt edle Pferde und fuhr luxuriöse Austro-Daimlerwagen.

Die Gastlichkeit solcher Herren wurde großgeschrieben in Wien

Wenn die landgesessenen Familien eine Stadt aufsuchten, so fuhren sie in der Regel nicht nach Prag und Preßburg, nicht nach Budapest und Agram, sondern nach Wien, wo man während der Saison in eigenen Palais abstieg. Die frühere Kaiserstadt hatte ihre Funktion als gesellschaftliches Zentrum des Donauraumes bewahren können.

Dort studierten die Söhne, wurden die Töchter ausgeführt, spielte man im Badener Casino und gab sich im Jockeyclub ein Stelldichein. Man besuchte Oper und Burgtheater und vergnügte sich bei kabarettistischen Darbietungen im Ronacher. Grandhotel und Bristol, Imperial und Sacher, Nobelrestaurants und Heurigenlokale übten unverminderte Anziehungskraft auf eine Schicht aus, die zwar politisch entmachtet, aber nicht in dem Ausmaß um ihr Geld gekommen war wie verwandte Kreise in Deutschland.

Seltsame Gegensätze zu ihren Stammländern

Zu der Sorglosigkeit, die diese Besucher in Wien zur Schau trugen, stand ihre Stellung in ihren Stammlanden in seltsamem Gegensatz. Sie war gefährdeter, als die meisten ahnten. In der Tschechoslowakei, in Polen und Jugoslawien, in denen der slawische Nationalismus die Bindungen an die Vielvölkermonarchie der Habsburger zerrissen hatte, gab es für eine nach Wien orientierte, übernational eingestellte Oberschicht keinen Platz.

In Böhmen und Mähren war der einheimische Adel nach der Schlacht am Weißen Berge dezimiert worden. In die ihm fortgenommenen Besitze rückten Gefolgsleute Habsburgs ein. Eine neue Aristokratie bildete sich, in der spanische, italienische, französische, niederländische und deutsche Namen die tschechischen verdrängten.

Die Czernin, Deym, Kinsky, Kolowrat, Lazansky, Mittrowsky, Waldstein, Wratislaw und andere, die die Schlacht am Weißen Berge überlebten, mußten sich mit den Liechtenstein und Dietrichstein, den Collaltos und Coloredos, den Clam-Gallas und den Coudenhove, den Taxis, Traut-mannsdorff und Thun arrangieren.

Die Kultur dieser Familien war deutsch. Mitunter beherrschten sie nicht einmal die von ihren Domestiken praktizierte Landessprache. Ihr Weltbild war katholisch. Wo Assimilierung an die neuen Verhältnisse gewollt und betrieben wurde, wie bei der jüngeren Linie Schwarzenberg, blieb sie Krampf. Sie festigte die Stellung der Familien nicht und baute das Mißtrauen der neuen Machthaber gegen sie nicht ab.

Als das Dritte Reich heraufzog . . . . .

und die Sudetenländer sich von der CSR lossagten, das Protektorat über Böhmen und Mähren errichtet wurde, die Slowakei sich abspaltete, geriet der habsburgisch-deutsche Adel in eine unhaltbare Lage.

Der Adel wurde vor die Wahl gestellt, für das Großdeutsche Reich oder für den tschechischen Reststaat zu optieren. Als ich im dritten Kriegsjahr (1942) auf einer Jagdgesellschaft in Mähren gefragt wurde, was zu tun sei, konnte ich im Hinblick auf die sich abzeichnende militärische und politische Entwicklung nur antworten, daß die Option für Prag den sofortigen Verlust des Besitzes nach sich ziehen würde, während eine Entscheidung für Berlin die Enteignung um zwei Jahre hinauszögern dürfte.

Eben genau das trat dann ein. Die böhmischen und mährischen Aristokraten, die sich ungeachtet des Drucks der Nazis als Tschechen bekannten, büßten dafür augenblicklich.

1945 jedoch wurde ihre Haltung in keiner Weise honoriert. Sie zahlten nun ein zweites Mal und gingen ihrer Habe, ihres Heimatrechtes, wenn nicht ihres Lebens so verlustig wie diejenigen ihrer Standesgenossen, die es mit den Deutschen gehalten hatten.
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In der Geschichte entstehen immer wieder Situationen, .....

aus denen es keinen Ausweg gibt, in denen eine Wahl so oder so Eigentum, Freiheit und Kopf kostet. Solange sich eine Schicht im Genuß politischer Macht befindet, winken ihr Reichtum und des Lebens pralle Fülle.

Entgleiten ihr die Instrumente der Herrschaft, zehrt sie nur noch vom hergebrachten Ansehen, so betritt sie eine Zone tödlicher Gefahren. Der europäische Adel, ohne den unser Kontinent nicht geworden wäre, was er ist, hat dies immer wieder erfahren müssen.

Anders lagen die Verhältnisse in Land Ungarn, in welchem die großen Familien im magyarischen Volkstum wurzelten. Zwar hatten sie die politischen Schlüsselstellungen nach 1918 an Gentry und Bürgertum abgeben müssen, die die Mehrzahl der Ministerpräsidenten und den Reichsverweser Admiral v. Horthy stellten.

Aber das Prestige der Magnaten war ungebrochen. Der Ungar blickte stolz auf die Andrassy und Appenyi, die Batthyani und Bethlen, die Esterhazy und Erdödi, die Palffy, Teleki und Tisza, die den Habsburgern so viele Staatsmänner und Heerführer gestellt und dem ungarischen Namen internationale Bedeutung verschafft hatten.

Das Budapest der 1930er Jahre

Der politischen Atmosphäre in Budapest haftete nichts von der klerikalen und marxistischen Muffigkeit an, die in Wiener Ministerien herrschte.

Die ungarische Hauptstadt mit ihren Donaukais, Hotels und Thermalbädern funkelte vor Lebenslust. In den Restaurants, in denen die Zigeuner die Nacht hindurch aufspielten, warfen der Prinz Nicki Odescalchi und andere Vertreter der Jeunesse doree mit Tausendpengönoten um sich.

Mädchenherzen wurden garbenweise gebrochen. An ländlichen Bahnstationen warteten Haiducken mit Juckern und kutschierten den Gast in scharfem Trab in weitläufig angelegte Edelsitze.

Wie in Spanien war noch der einfachste Mann in Ungarn ein Herr, der, ohne sich in seiner Würde etwas zu vergeben, größeren Herren die Ehre gab.

Als ich einmal mit dem Schnellzug in die ungarische Provinz fuhr, postierte sich bei einem Zwischenhalt vor jedem Abteil erster Klasse ein salutierender Gendarm. Ich forschte nach, wem diese Aditungsbezeigung galt, und stellte fest, daß alle Coupes leer waren. Der Schaffner, nach dem Sinn der Reverenz befragt, bemerkte, daß es sich um Routine handle. Lächelnd fügte er hinzu: »Es könnte ja ein Graf im Coupe sein.«

Das jüdische Element erkannte seinen Untergang auch nicht

Sowenig wie der Adel gab das jüdische Element in den Donaustaaten zu erkennen, daß es dem Untergang entgegenging. Im Bild Wiens trat das Judentum viel augenfälliger in Erscheinung als in Berlin. In der Leopoldstadt wohnten die jüdischen kleinen Leute. Es gab dort Lokale, in denen man koscher essen konnte. Besonders schmackhaft wurde Gans zubereitet, der jüdische Schweinebraten.

Gegenüber dem Belvedere lag das Palais Rothschild. Der Wiener Bankenkrach hatte das finanzielle Prestige des österreichischen Zweiges der Gelddynastie in Mitleidenschaft gezogen, das gesellschaftliche aber nicht angerührt.

Die Beziehungen zwischen Adel und Juden waren in den Ländern der früheren Donaumonarchie viel enger als in Preußen und im Reich.

Die sogenannte »zweite« Gesellschaft, unter der man den Offiziers- und Beamtenadel verstand und deren Angehörige nicht wie die des Hochadels Zutritt zum Hofball hatten, sondern nur zum »Ball bei Hofe«, wies viele Namen nobilitierter jüdischer Familien auf.

Querverbindungen bestanden auch über die Halbwelt.

In der Grandhotelbar am Ring trafen sich in den späten Nachmittagsstunden Nobili (die Vornehmen) mit Wiener Mädchen, die der freien Liebe huldigten, ohne ihr gewerblich nachzugehen.

Sie waren in ihre Barone und Grafen regelrecht verliebt, soupierten mit ihnen, leisteten ihnen beim Heurigen Gesellschaft und begleiteten sie auf Wochenenden in verschwiegene Gasthöfe am Semmering und im Wiener Wald.

Finanziert wurden diese jungen Dinger nicht von ihren adligen Liebhabern, sondern von jüdischen Geschäftsleuten, bei denen sie ein oder zwei Abende in der Woche zubrachten. Diese Mäzene waren genauestens darüber unterrichtet, mit welchen Trägern illustrer Namen ihre Freundimien fremdgingen. Sie billigten diesen Umgang nicht nur, sondern prahlten untereinander mit den Beziehungen, die sie auf diese Weise zu einer Welt knüpften, die ihnen sonst nicht erreichbar war.

Einen ausgeprägten Antisemitismus gab es nicht

Einen ausgeprägten Antisemitismus gab es in der österreichischen Gesellschaft sowenig wie in der deutschen. Von den Rothschilds abgesehen, die in die Aristokratie aufgenommen worden waren, wurde der gesellschaftliche Kontakt mit den Juden nicht gerade gesucht. Aber niemand wäre darauf verfallen, Juden aus dem Wege zu gehen.

Die Verhältnisse lagen in dieser Beziehung ganz anders als etwa in den Vereinigten Staaten, in denen ich in der Oligarchie einer ausgesprochenen Abneigung gegen den Verkehr mit Juden begegnete, einem antisemitischen Snobismus, an dem auch Clubs und Hotels teilhatten. Viele von ihnen weigerten sich, Juden als Mitglieder und Gäste aufzunehmen.

Die Antipathie österreichischer Kleinbürger gegen Juden

Der österreichische Kleinbürger machte dagegen aus seiner Antipathie gegen Juden keinen Hehl. Während Hitler im Reich geraume Zeit brauchte, um den breiten Massen antijüdische Gefühle zu injizieren, genügte in Österreich ein Funke, um einen seit Jahren angespeicherten Antisemitismus zur Explosion zu bringen.

Hier kamen nicht nur völkische Momente ins Spiel, wie sie unter christlich-sozialen Vorzeichen in der Monarchie von Politikern wie Schönerer und Lueger hochgespielt worden waren.

Wien reflektierte auch das antijüdische Ressentiment, das sich in Polen, Ungarn und auf dem Balkan gestaut hatte. Seine eigentliche Ursache war die Furcht vor dem intellektuellen Potential der jüdischen Mitbürger, ein Phänomen, das bei der Betrachtung des Antisemitismus gewöhnlich übergangen wird.

Über die Hintergründe des Antisemitismus in Österreich

Sieht man von der durch den Zionismus und die Gründung des Staates Israel ausgelösten Reaktion der Araber und der religiös motivierten Judenfeindschaft früherer Jahrhunderte ab, so lassen sich die Hintergründe des Antisemitismus unschwer eingrenzen.

Das Intelligenzgefälle zwischen Juden und NichtJuden spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Im Bereich der slawischen Völker und in den Vereinigten Staaten führte es immer wieder zu Reibungen mit den Gastvölkern.

Spanier und Portugiesen, Franzosen und Italiener, Engländer und Niederländer, Armenier, Griechen und Asiaten haben sich dagegen weniger anfällig gezeigt. Soweit sie dazu aufgerufen wurden, haben sie das jüdische Element mehr oder weniger mühelos absorbiert.

In Deutschland war unter dem liberalen Regiment Wilhelms II der gleiche Prozeß im Gange. Erst der unglückliche Ausgang des Ersten Weltkrieges, Inflation, Wirtschaftskrise und der nach 1918 einsetzende Zustrom von Ostjuden sollten ihn unterbrechen.

Im Orient war das etwas anders

Im Orient trat die intellektuelle Überlegenheit der Juden kaum in Erscheinung. Nicht einmal in den arabischen Staaten nährt sich die Feindschaft gegen Israel aus dieser Wurzel.

Je weiter man nach Osten kam, desto größer war das Unverständnis für die Aspekte des Antisemitismus in Mitteleuropa und in den USA.

Die parsischen Kaufleute in Bombay empfanden jüdische Firmen überhaupt nicht als Konkurrenz. In China gar vermochten jüdische Emigranten kaum Fuß zu fassen. Nicht weil die Chinesen etwas gegen Juden gehabt hätten, sondern weil die jüdische Begabung nicht ausreichte, um sich gegenüber der chinesischen durchzusetzen.

Nach 1945 gab es deutliche Unterschiede zwischen West und Ost

Die Katastrophe des Nationalsozialismus hat den Antisemitismus in Westdeutschland verlöschen lassen. In der »DDR« versucht die proarabische Politik des kommunistischen Regimes Abneigung gegen die Juden ohne Echo bei der Bevölkerung zu aktivieren.

In Österreich lagen die Wurzeln tiefer. Bundeskanzler Kreisky, einer der gescheitesten Staatsmänner im Europa der siebziger Jahre, den ich am 14. September 1971 für die »Welt am Sonntag« interviewte, wußte sehr wohl, warum er dem Begehren arabischer Terroristen nachkam, das Durchgangslager Schönau für jüdische Emigranten aus der Sowjetunion zu schließen.

Unter dem Vorwand einer außenpolitischen Notwendigkeit entsprach er einer innerpolitischen Einsicht. Die Reaktion der Bevölkerung bestätigte seinen Entschluß.

Meine Zeit in Wien - eine Menge dazugelernt

Ich war als Preuße nach Österreich gekommen und schied als Deutscher. In der Schule war uns Maria Theresia nur als Gegnerin Friedrichs des Großen nahegebracht worden.

In ihren Kernlanden enthüllte sich mir die geschichtliche Leistung der großen Kaiserin und ihres Hauses. Ich begegnete dem Abglanz einer christlichen Monarchie, deren Universalismus die Welt umspannt hatte und unter deren Schutz so viele nichtdeutsche Völker zu europäischen Nationen aufgestiegen waren.

Ich lernte Metternich als eine der Leitfiguren Bismarcks begreifen und in seinem Biographen Heinrich von Srbik den bedeutendsten der neueren deutschen Historiker schätzen. Aber ich vermochte mich auch nicht dem Schluß zu entziehen, daß die Mission, die Bismarck im Frieden von Nikolsburg für Österreich im Donauraum noch einmal gesichert hatte, von einem auf Wien und die Alpenländer reduzierten Kleinstaat nicht fortgeführt werden konnte. In den Jahren 1934/35 glich Österreich dem Auge eines Orkans, der jederzeit losbrechen konnte.

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