Sie sind hier : Startseite →  Historie und Geschichte→  Über die "Wahrheit"→  1914-Geschichte des 1.Weltkriegs→  Geschichte des 1.Weltkriegs-05/1
Allgemeine Kriegszeitung 1914

"Die Wahrheit" - eine Betrachtung an Beispielen unserer deutschen Geschichte

Alleine die Definition von "Wahrheit" stellt die allermeisten intelligenten Menschen vor ein unlösbares Problem, nahezu identisch mit der unlösbaren Definition von "Gerechtigkeit". Es gab aber Zeiten, da wurde die "Wahrheit" von ganz oben diktiert. Und sie wurde erheblich mißbraucht, um zum Beispiel den Krieg als des "Volkes Wille" in die Köpfe der reichs- deutschen Bevölkerung zu tragen.
Auf den nachfolgenden Seiten lesen Sie viele Artikel aus einer deutschen Wochen- Zeitschrift über den Beginn des ersten Weltkrieges 1914 und den Verlauf dieses Krieges, den das Deutsche Reich samt der österreichischen k&k-Monarchie haushoch verloren hatte. Die besondere Aufmerksamkeit beim Lesen sollte sich auf die heroischen "auschmückenden" Attribute der kriegsverherrlichenden Beschreibungen richten.

Und wie man auch in modernen Zeiten die Wahrheit "manipulieren" könnte oder kann, lesen Sie in dem Buch des Dr. Eduard Stäuble (Fernsehen - Fluch oder Segen) aus dem Jahr 1979.

Diese "Betrachtungen" und Beispiele hier sind noch in Arbeit !

.

Die Geschichte des Weltkrieges 1914 - Heft 5

.

Am zweiten Tag der Mobilmachung

Pünktlich am zweiten Mobilmachungstage um Mitternacht ging die Verwaltung der Eisenbahnen in die Hände der Militärbehörden über. Güter- und Personenverkehr war nur in ganz beschränktem Maße zugelassen. Im selben Augenblick stockten Handel und Wandel. Fabriken und Kontore begannen sich zu leeren. Tausende von Arbeitern und Angestellten folgten den Fahnen. Mit bewundernswerter Geduld wurden diese Störungen ertragen.

Wer es mit angesehen hat, mit welcher Selbstverständlichkeit und Sicherheit der Riesenmechanismus der Mobilmachung arbeitete, der mußte unserer Heeresleitung lebhafte Bewunderung zollen. Alles stand auf seinem Platze, vom obersten Führer bis zum letzten gemeinen Soldaten. Jedermann war durchdrungen von dem Geiste höchster Pflichterfüllung, wie sie die eiserne Notwendigkeit der Zeit mit sich brachte. Man war versucht, diesen Geist, der alle Parteiunterschiede verwischt und das ganze deutsche Volk urplötzlich in zuversichtlicher Kampfesstimmung vereinigt hatte, noch über den der Befreiungskriege zu stellen. Niemand konnte sich verhehlen, daß es wie damals sich um Sein oder Nichtsein handelte. Und wie sich das Volk, angefeuert vom Triebe der Selbsterhaltung, mit Begeisterung um die Fahnen scharte, so fanden sich die deutschen Fürsten in altbewährter Treue um ihren Kaiser zusammen.

Dieser befand sich, als der Streit zwischen Osterreich und Serbien ausbrach, auf seiner gewohnten Nordlandreise, die er aber sofort abbrach, als er die Gefahren der politischen Lage erkannte. Am 27. Juli 1914 bald nach sieben Uhr früh traf die Kaiserflottille, durch den Belt kommend, im Kieler Hafen ein. Um neun Uhr reiste Seine Majestät weiter unter stürmischen Kundgebungen auf dem Kieler Bahnhof. Um drei Uhr zehn Minuten nachmittags langte der Kaiser in Potsdam an. Brausende Hurra- und Hochrufe ertönten die Straße bis zum Schloß entlang. Selten sind in Potsdam die Wogen der Begeisterung so hoch gegangen. Eine Sonderausgabe des „Reichsanzeigers“ brachte die nachstehenden beiden Aufrufe des Kaisers und der Kaiserin :

„An das deutsche Volk!

Seit der Reichsgründung ist es durch dreiundvierzig Jahre mein und meiner Vorfahren heißes Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und im Frieden unsere kraftvolle Entwicklung zu fördern. Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West, von jenseits der See haben wir bisher ertragen im Bewußtsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, daß wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten, man will nicht dulden, daß wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren.

So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründeten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß. Und wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war! - Berlin, den 6. August 1914. Wilhelm

„An die deutschen Frauen!

Dem Rufe seines Kaisers folgend, rüstet sich unser Volk zu einem Kampf ohnegleichen, den es nicht heraufbeschworen hat und den es nur zu seiner Verteidigung führt. Wer Waffen zu tragen vermag, wird freudig zu den Fahnen eilen, um mit seinem Blute einzustehen für das Vaterland. Der Kampf aber wird ein ungeheurer und die Wunden unzählige sein, die zu schließen sind. Darum rufe ich Euch, deutsche Frauen und Jungfrauen und alle, denen es nicht vergönnt ist, für die geliebte Heimat zu kämpfen, zur Hilfe auf. Es trage jeder nach seinen Kräften dazu bei, unseren Gatten, Söhnen und Brüdern den Kampf leicht zu machen. Ich weiß, daß in allen Kreisen unseres Volkes ausnahmslos der Wille besteht, diese hohe Pflicht zu erfüllen. Gott der Herr aber stärke uns zu dem heiligen Liebeswerk, das auch uns Frauen beruft, unsere ganze Kraft dem Vaterlande in seinem Entscheidungskampfe zu weihen.

Wegen der Sammlung freiwilliger Hilfskräfte und Gaben aller Art sind weitere Bekanntmachungen von denjenigen Organisationen bereits ergangen, denen diese Aufgabe in erster Linie obliegt und deren Unterstützung vor allem vonnöten ist.  

Berlin, den 6. August 1914. Auguste Viktoria.“

An das deutsche Heer und die deutsche Marine erging folgender kaiserlicher Erlaß:

„Nach dreiundvierzigjähriger Friedenszeit rufe ich die deutsche wehrfähige Mannschaft zu den Waffen. Unsere heiligsten Güter, das Vaterland, den eigenen Herd gilt es gegen ruchlosen Überfall zu schützen. Feinde ringsum! Das ist das Kennzeichen der Lage. Ein schwerer Kampf, große Opfer stehen uns bevor. Ich vertraue, daß der alte kriegerische Geist noch in dem deutschen Volke lebt, jener gewaltige kriegerische Geist, der den Feind, wo er ihn findet, angreift, koste es, was es wolle, der von jeher die Furcht und der Schrecken unserer Feinde gewesen ist.

Jch vertraue auf Euch, ihr deutschen Soldaten! In jedem von Euch lebt der heiße, durch nichts zu bezwingende Wille zum Siege. Jeder von Euch weiß, wenn es sein muß, wie ein Held zu sterben. Gedenkt unserer großen, ruhmreichen Vergangenheit! Gedenkt, daß Ihr Deutsche seid! Gott helfe uns! Schloß Berlin, 6. August 1914. Wilhelm.“
.

Der Orden des Eisernen Kreuzes

Durch Verordnung vom 5. August 1914 hatte der Kaiser und König für den gegenwärtigen Feldzug den Orden des Eisernen Kreuzes erneuert. Das Eiserne Kreuz soll ohne Unterschied des Standes und Ranges an Angehörige des Heeres, der Marine und des Landsturms, an Mitglieder der freiwilligen Krankenpflege und an sämtliche Personen, die eine Dienstverpflichtung mit dem Heere oder mit der Marine eingehen oder als Heeres- und Marinebeamte Verwendung finden, als eine Belohnung des auf dem Kriegschauplatz erworbenen Verdienstes verliehen werden. Auch solche Personen, die dienstlich sich Verdienste um das Wohl der deutschen Streitmacht und ihrer Verwundeten erwerben, sollen das Kreuz erhalten.

Von ähnlichen erhebenden Kundgebungen wurde aus allen Bundesstaaten berichtet: das ganze deutsche Vaterland ging in einmütiger Begeisterung und mit größter Entschlossenheit an seine neue Aufgabe heran. Wie fortgeweht waren alle sonst hemmenden Schranken unseres Volkslebens. Fest geschlossen, eine gewaltige, gewappnete Einheit, standen Fürsten und Völker bereit, von demselben Geist beseelt, von demselben Mut getrieben, von derselben Gefahr bedroht. Schloß und Bürgerhaus stellten mit der gleichen Opferfreudigkeit ihre blühende Jugend ins Feld, das Vaterland gegen welsche und slawische Hinterlist zu schirmen. Jedem anderen deutschen Hause gleich stellten auch die deutschen Fürstengeschlechter ihre Söhne in Reih und Glied dem Feinde entgegen.

Nicht weniger als 64 deutsche Prinzen und 18 Bundesfürsten rückten nach den vorliegenden amtlichen Meldungen ins Feld, davon über drei Viertel im militärischen Frontdient.

Der Kaiser verließ am 16. August, acht Uhr früh, in der Richtung auf Mainz die Reichshauptstadt. Sein Ziel - Koblenz - wurde geheimgehalten, ebenso wie es auch im weiteren Verlaufe streng verboten war, Nachrichten darüber zu bringen, wo sich das Kaiserliche Hauptquartier befand. Kurz vor seiner Abreise hatte er im Schloß noch den Oberbürgermeister und den Stadtverordnetenvorsteher von Berlin empfangen, die ihm die Abschiedsgrüße seiner Haupt- und Residenzstadt überbrachten.
.

Folgender Erlaß verkündete der Bürgerschaft die Abreise:

„Der Fortgang der kriegerischen Operationen nötigt Mich, Mein Hauptquartier von Berlin zu verlegen. Es ist Mir ein Herzensbedürfnis, der Berliner Bürgerschaft mit Meinem Lebewohl innigsten Dank zu sagen für alle die Kundgebungen und die Beweise der Liebe und Zuneigung; die Ich in diesen großen schicksalsschweren Tagen in so reichem Maße erfahren habe. Ich vertraue auch fest auf Gottes Hilfe, auf die Tapferkeit von Heer und Marine und die unerschütterliche Einmütigkeit des deutschen Volkes in den Stunden der Gefahr. Unserer gerechten Sache wird der Sieg nicht fehlen. Berlin (im Schloß), 16. August 1914. Wilhelm II.“

Gleichzeitig veröffentlichte der „Reichsanzeiger“ die Ermächtigung des Reichskanzlers zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Reichsverwaltung und der „Preußische Staatsanzeiger“ den Erlaß des Königs über die Ermächtigung des Staatsministeriums zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Staatsverwaltung:

„In dem Wunsche, während Meiner Abwesenheit im Felde die unverzügliche Erledigung der Regierungsgeschäfte zu sichern, will Ich das Staatsministerium bis auf weiteres ermächtigen, nach Maßgabe der von Mir genehmigten besonderen Vorschläge bestimmte, sonst zu Meiner Entscheidung gelangende Angelegenheiten selbständig zu erledigen.

Die demnach ergehenden Erlasse sind zu zeichnen: Auf Grund Allerhöchster Ermächtigung des Königs, das Staatsministerium. Im übrigen hat das Staatsministerium die zur Ausführung des Erlasses erforderlichen Anordnungen zu treffen. Berlin, Schloß, 16. August 1914. Wilhelm R., v.Bethmann Hollweg, v. Tirpitz, Delbrück, Beseler, v. Breitenbach, Sydow, v. Trott zu Solz, v. Schorlemer, Lentze, v. Falkenhayn, v. Loebell, Kühn, v. Jagow.“ - Ferner wurde die Ernennung des Staatsministers Dr. Delbrück zum Vizepräsidenten des Staatsministeriums
bekanntgegeben.
.

Für die Zwecke des Roten Kreuzes stiften .......

Für die Zwecke des Roten Kreuzes spendete der Kaiser aus seiner Schatulle 100.000 Mark, zur Fürsorge für die Familien der zu den Fahnen Einberufenen 100.000 Mark und für durch Arbeitslosigkeit in Not geratene Arbeiter 50.000 Mark. Ferner hat der Kaiser die Königlichen Schlösser in Straßburg i. E., Wiesbaden, Koblenz und Königsberg zur Aufnahme von Verwundeten und Erkrankten dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt. Die Kaiserin spendete dem Roten Kreuz 10.000 Mark. Das Kronprinzliche Schloß Ols wurde dem Vaterländischen Frauenverein als Lazarett überwiesen. Die Kronprinzessin stiftete zu diesem Zweck 40 Betten. Der sächsische König stellte dem Landesausschuß der Vereine vom Roten Kreuz für das Königreich Sachsen das vormals v. Kapherrsche Palais zur Verwendung als Vereinslazarett zu 150 Betten zur Verfügung; der König von Bayern überließ dem Roten Kreuz die Schlösser der Zivilliste mit 1000 Betten. Die Prinzessin Heinrich von Preußen stiftete für die Zwecke des Roten Kreuzes in der Provinz Schleswig-Holstein 10.000 Mark. Der Großherzog und die Großherzogin von Baden spendeten 10.000 Mark, die Großherzogin-Witwe Luise 5000 Mark.

Letztere überließ außerdem das Prinz-Karl-Palais dem Roten Kreuz. Der Großherzog von Hessen stellte das Seeheimer Schloß, sowie das Auerbacher Fürstenlager und die Gebäude der Elisabeth-Duncan-Schule für Kriegszwecke zur Verfügung; Die Großherzogin von Luxemburg räumte dem Roten Kreuz ihr Schloß Walferdingen ein und stiftete außerdem 10.000 Frank. Die Großherzogin Mutter von Luxemburg spendete 4000 Frank. Die Großfürstin Kyrill von Rußland opferte 3000 Mark für das deutsche Rote Kreuz. Diese Fürstin, eine geborene Prinzessin von Sachsen-Koburg und Gotha, ist die geschiedene Großherzogin von Hessen und durch ihre Verheiratung mit dem Großfürsten Kyrill nicht nur russische Staatsangehörige, sondern auch Mitglied des russischen Kaiserhauses geworden.

Die vorstehende Liste erhebt keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit, schon deshalb nicht, weil viele Stiftungen öffentlich nicht bekannt geworden sind. Noch weniger möglich ist es, ein vollständiges Bild von der Opferwilligkeit der größeren und kleineren deutschen Städte, der Landgemeinden und ihrer Bewohner zu geben. Da war kein Stand, kein Beruf, keine Bevölkerungsschicht, die sich nicht mit besonderen Aufrufen an die Allgemeinheit wendete, sei es, um zu freiwilligem Kriegsdienst anzuspornen, sei es, um materielle Mittel zur Unterstützung von Familien einberufener Mannschaften und durch den Krieg erwerbslos gewordenen Arbeitern und Angestellten oder für das Rote Kreuz zu sammeln.

Ein Beweis für die mächtige Bewegung, die durch unser ganzes Volk ging. Jeder einzelne war sich der guten Sache bewußt. Aufrufe an ihre Einwohner erließen fast sämtliche deutsche Großstädte. Auch Vereinigungen in Deutschland lebender Ausländer standen in der tatkräftigen Teilnahme an diesen Fürsorgebestrebungen nicht zurück. Diese verschiedenen Aufrufe zur Kriegsfürsorge aus allen Kreisen hatten einen beispiellosen Erfolg. Der Andrang von Kriegsfreiwilligen, etwa fünf Viertelmillionen, die sich zu den Fahnen meldeten, war so groß, daß nur immer ein Teil angenommen werden konnte.
.

Hier nur einige wenige Beispiele ....

Was die Gemeinden an freiwilligen Kriegsleistungen aufgebracht haben, dafür nur einige wenige Beispiele.

Die Stadt Berlin bewilligte in einer außerordentlichen Sitzung der Stadtverordneten einen Kredit von 6 Millionen Mark für die Ankäufe von Mehl, Brotgetreide und Nahrungsmitteln aller Art. In einer gemeinsamen Sitzung des Rats und der Stadtverordneten in Leipzig wurden die Vorlagen zur Unterstützung bedürftigers Familien Einberufener, die monatlich 1.200 000 Mark erfordern, en bloc angenommen. Die Stadt Regensburg bewilligte zur Unterstützung der Familien der ins Feld ziehenden Reservisten 100.000 Mark. In Königsberg wurden 5 Millionen Mark bewilligt zur Deckung wechselmäßiger Verpflichtungen infolge der anläßlich der Mobilmachung bisher getroffenen Maßnahmen, zur Versorgung
der Stadt mit Lebensmitteln, sowie für weiter zu treffende Maßnahmen.

In ebenso großartigem Lichte zeigte sich die private Wohltätigkeit. Es ist unmöglich, hier auch nur einzelne herauszugreifen, ohne ebenso bemerkenswerte andere zu übergehen. Die Opferwilligkeit, die sich auf allen Gebieten und in den verschiedensten Formen äußerte, war beispiellos. Wohl am meisten taten sich die Kreise hervor, die durch den Krieg besonders hart betroffen wurden: Handel und Gewerbe.
.

Memel - die nördlichste Stadt des Deutschen Reichs

Die Ereignisse an unserer Ostgrenze bis zum 3. August haben wir auf Seite 50 u.folg. bereits geschildert. Am gleichen Tage fiel noch ein unbedeutendes Grenzgefecht vor. Teile der Besatzung von Memel schlugen einen Vorstoß feindlier Grenzwachen aus der Richtung von Krottingen zurück. Memel ist die nördlichste Stadt des Deutschen Reiches und den Angriffen der Russen am ehesten ausgesetzt. Deshalb ist Memel auch Garnisonort, und wenn es auch nur schwach besetzt ist, halten unsere Truppen doch treue Wacht. Die Stadt war wiederholt von den Russen besetzt, fiel aber immer wieder an Deutschland zurück. Gegenwärtig ist die Besatzung Memels natürlich stärker als in Friedenszeiten.

Am 4. August besetzte deutsche Kavallerie Wielun, südlich von Kalisch, und wurde von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt. Wielun (russisch Weljun) ist Kreisstadt im Gouvernement Kalisch, hat 7.500 Einwohner und liegt etwa 25 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt auf halbem Wege zwischen Kalisch und Ezenstochau. In diesen ersten Tagen des August haben also die Russen nirgends Erfolge erzielt; ja es gelang ihnen nicht einmal, die Eisenbahnverbindungen an irgendeinem Orte zu unterbrechen. Während unsere Truppen Ezenstochau, Kalisch und Bendin besetzt hielten, also auf russischem Gebiete festen Fuß gefaßt hatten, war die Gegend bei Johannisburg und westlich davon die einzige geblieben, wo die Russen mehr als ein paar Kilometer über die Grenze vorgedrungen waren.

In dieser Gegend nun, bei Soldau, einer kleinen Stadt westlich von Neidenburg und südlich von Allenstein, ist es gelungen, einen größeren russischen Kavallerieangriff energisch zurückzuschlagen. Es war am Morgen des 5. August. Die deutschen Truppen waren eben angetreten, weil sie Nachricht erhalten hatten, der Feind greife in größerer Zahl an. Es war eine Kavalleriebrigade. Im Feuer der deutschen Truppen brach ihr heftiger Angriff unter schweren Verlusten zusammen. Die Brigade wurde vernichtet. Auch die übrigen Teile der Division erlitten beim Zurückweichen Verluste. Dieser schöne Erfolg hat auf deutscher Seite nur drei Tote und achtzehn Verwundete gekostet. Freilich schämten sich die Russen, diesen für ein Grenzgefecht immerhin bedeutenden Mißerfolg einzugestehen, und in Petersburg wurde das folgende, den Tatsachen
widersprechende Telegramm veröffentlicht:

„Die Avantgarde unserer Truppen überschritt im Gouvernement Suwalki die deutsche Grenze, ohne Widerstand zu finden.“ Dieses Gouvernement liegt gegenüber der Romintener Heide. Die Grenzschutzgefechte haben aber an einer ganz anderen Stelle stattgefunden. Diese Feststellung charakterisiert die russische Falschmeldung am besten.

Soldauist eine kleine Grenzstadt in Ostpreußen und Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Marienburg - Mlawa, Goßlershausen-Illowo und Allenstein- Soldau. Das Städtchen hat durch dieses Gefecht seine alte historische Bedeutung wieder aufgefrischt: bereits am 26. Dezember 1806 fand hier zwischen den Franzosen unter Ney und den Preußen unter Lestocq ein heftiges Gefecht statt.
.

Die ungeheuren Verluste der Russen bei Soldau

Auf welche Weise die ungeheuren Verluste zustande kamen, die die russische Kavallerie im Gefecht bei Soldau erlitten hat, erzählt ein Feldpostbrief, den die „Deutsche Zeitung“ veröffentlichte:

„Wir sitzen hier fast ein Feindesland, sehen und spüren das Beben des großen Krieges unmittelbar, ja besonders scharfsinnige Leute wollen sogar das Brüllen der Thorner Geschütze hören, und doch sind wir wie abgeschnitten von aller Welt, Nachrichten kommen verspätet und spärlich. Aber manches hört man doch von unmittelbar Beteiligten; ist es auch nicht immer ganz genau, so wirkt es doch dramatisch und läßt das Herz höher klopfen als die trockenen Depeschen des offiziellen Büros. So höre denn, was uns Dragoner von Soldau erzählen: An der Grenze auf einem langgestreckten Hügel eine preußische Reiterabteilung, wenige Schwadronen, dicht hinter ihnen, durch den Hügel eben gedeckt, einige Maschinengewehre, der Kavallerie zugeteilt.

Da kommen zwei russische Kavalleriebrigaden an, sehen die paar feldgrauen Reiterchen und reiten gleich vergnügt auf sie ein, eine Brigade vorn, die andere als Rückhalt hinterher. Unsere Dragoner ihnen entgegen, vor dem Feinde aber, im rasendsten Galopp, teilen sie sich rechts und links, den Maschinengewehren freies Schußfeld lässend. Da tat sich den Russen die Hölle auf. Was da geschah, soll unbeschreiblich gewesen sein, in zwei Minuten war die erste Brigade ein Knäuel von Menschen- und Pferdeleibern, die zweite, erschüttert, aufgelöst, jagte zurück, aber rechts und links die deutschen Reiter holten auf, schwenkten ein, preßten die Linie zu einem Haufen zusammen, "wo" sich keiner rücken und rühren konnte, geschweige denn Lanze und Säbel gebrauchen. So wurden zwei Brigaden vernichtet mit einem Opfer von drei Toten und achtzehn Verwundeten auf unserer Seite.“

Weitere Einzelheiten aus dem Gefecht bei Soldau

berichtet ein Augenzeuge in der „Allensteiner Zeitung“: „An den Kämpfen bei Soldau beteiligte sich auch russische Artillerie (Abb. S. 91). Da ich Artillerist bin, fuhr ich nach Soldau, um die Wirkung der russischen Geschosse kennenzulernen. Hierbei machte ich in Soldau eine wunderbare Entdeckung. Alle Schußlöcher zeigten glatten Durchschlag. Von Explosion keine Spur! Auf Soldau sollen über dreißig Granatschüsse abgegeben worden sein. Ich besichtigte unter anderem das Grundstück des Maurermeisters Schmoglowski. Es war von einer Granate getroffen, die in die Werkstätte einschlug, jedoch ohne Explosion. Ferner waren im Hause des Wirtes Schulz zwei Granaten eingeschlagen. Auch diese hatten keine Explosiowirkung. Dieses erste Gefecht bei Soldau endete übrigens damit, daß unsere Artillerie die russischen Batterien zum Schweigen brachte.

Am Dienstag, morgens acht Uhr, begann bei Soldau abermals das Geschützfeuer unserer Batterien! Es wurde den ganzen Dienstag und Mittwoch furchtbar geschossen. Die russischen Truppen mußten sich auf der ganzen Linie zurückziehen und erlitten in ihren ungeschützten Stellungen vor der Stadt ungeheure Verluste. Auf der Strecke Illowo-Soldau wurde eine deutsche Lokomotive getroffen. Das Loch der russischen Granate im Wasserkessel war faustgroß, die Wirkung der Explosion lediglich eine kleine Berbeulung des Kessels.“

Diesem Gefecht auf deutschem Boden war ein Vordringen deutscher Truppen auf russischem Gebiet vorangegangen. Am Nachmittag des 4. August griff die deutsche Kavallerie das von den Russen besetzte Kibarty an, einen an der Bahn gelegenen russischen Grenzort östlich von Stallupönen. Die Besatzung von Kibarty verließ fluchtartig den Ort, der besetzt wurde. Eine in der Nähe befindliche russische Kavalleriedivision sah dem Kampfe untätig zu. Der feindliche Grenzschutz war hiermit durchbrochen, was für unsere Aufklärung von größter Wichtigkeit war; Hier ist es also deutsche Kavallerie gewesen, die angriffsweise vorgegangen ist. Warum eine so starke russische Truppenmenge  sich dabei untätig verhalten hat, erscheint allerdings rätselhaft.

Bei Lengwethen wurden acht Mann einer russischen Ulanenpatrouille von unserm Landsturm gefangengenommen. Man brachte sie nach Königsberg. Es
hat den Anschein, als ob die Russen sich aus einer Gefangennahme in Deutschland nicht viel machten, ja sie vielleicht gar wünschen. Erklärlich wäre dies wohl, denn bei uns haben es die Kriegsgefangenen zweifellos besser, als die Soldaten des Zaren im Dienste. Erhärtet wird diese Ansicht durch die große Zahl russischer Überläufer. Wie ostpreußische Blätter meldeten, war die Zahl der Überläufer sehr groß. Allein an der Grenze eines ostpreußischen Kreises waren der „Königsberger Hartungschen Zeitung“ zufolge zwei- bis dreihundert Kosaken zu uns übergelaufen und ließen sich festnehmen. Sie wurden in preußischen Gewahrsam gebracht. Ebenso wurden von den anderen ost- und westpreußischen Kreisgrenzen viele Hunderte von russischen Überläufern gemeldet. Wie die „Allensteiner Zeitung“ mitteilte, baten die Leute um ihre Gefangen nahme, denn sie fürchteten sich vor dem Kriege mit Deutschland.
.

m 6. August östlich von Johannisburg

Einen weiteren Versuch, die deutsche Grenze zu durchbrechen, machten russische Kaoalleriedivisionen am 6. August 1914 östlich von Johannisburg und bei Erodtken zwischen Lautenburg und Soldau; sie wurden aber von unseren Truppen abgewiesen und gingen auf russisches Gebiet zurück. Die 3. russische Kaoalleriezdivision überschritt am selben Tage die deutsche Grenze bei Romeiken südlich von Eydtkuhnen, wich aber bei Erscheinen deutscher Kavallerie wieder auf russisches Gebiet zurück.

Daß auch die Landwehrtruppen sich zu schlagen verstehen, beweist ein Uberfall, den zwei russische Infanteriekompanien und eine Maschinengewehrabteilung am 8. August abends auf drei Kompanien Landwehr ausführten. Der Angriff fand in Schmalleningken drei Meilen östlich von Tilsit statt und endete mit dem Rückzug der Russen auf Jurborg. Schmalleningken ist ein kleines Dorf und liegt an der Memel, unmittelbar an der russischen Grenze. Besonders stolz dürfte aber die Grenzschutzabteilung Bialla auf ein Gefecht sein, das sie am 9. August morgens mit den Russen zu bestehen hatte. Eine russische Kavalleriebrigade überfiel unsere Grenzwache, wurde aber unter Verlust von acht Geschützen mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Wie die russischen Geschütze von unseren Truppen erobert wurden, schildert ein Feldpostbrief vom 11. August, der nachstehend wiedergegeben sei:
.

„Bialla, 11. August.

Seit gestern nachmittag sind wir hier in Bialla, wurden mit der Bahn hergebracht, da nur eine Batterie von uns hier war. Sie hatte am Sonntag morgen ein Gefecht gegen zwei russische Batterien zu bestehen, von denen sie eine gänzlich zusammenschoß, die andere zum Teil. Die erbeuteten Geschütze sind bereits nach Berlin übergeführt (Abb. S. 102), damit sich das Publikum daran ergötzen kann. Wir freuen uns alle sehr, daß unser Regiment das erste war, das ins Feuer gekommen ist und gleich derartige Grfolge gehabt hat. Der Zufall wollte es, daß die Batterie gerade zum Exerzieren ausgerückt war, als die Russen kamen. Sie standen ganz gemütlich auf der Höhe, ohne irgendwelche Deckung, während unsere Batterie vollkommen gedeckt stand gegen Sicht. In kurzer Zeit war die eine feindliche Batterie zusammengeschossen, die andere wagte gar nicht mehr aufzufahren. Der Anblick soll grauenhaft gewesen sein. Mannschaften und Pferde zu Dutzenden durcheinander.

Zum Schluß attackierte noch eine Schwadron von uns gegen eine mehrfache Übermacht, doch stoben die Russen nach allen Seiten auseinander. Die Schwadron hat schon sehr viel hier geleistet, eine Unmenge Kosaken auf Patrouille erschossen; die Hälfte der Schwadron besteht schon aus Kosakenpferden. Die Unsrigen haben erst einen Toten, einen Vermißten und wenige Verwundete. Pardon wird von ihnen nur den Verwundeten gegeben, da die Kosaken hier unmenschlich gehaust haben. Die Bahnhöfe, Güter und ein Teil der Stadt sind von den Kosaken verbrannt worden, als unsere Mannschaften noch nicht hier waren. Die Läden sind zerstört, viele Einwohner verwundet und getötet. Im Lazarett liegt einer, dem sie beide Augen ausgeschossen haben. Ubermorgen geht es wohl wieder fort von hier  -  wohin, weiß ich noch nicht.“
.

Wie die Kosaken in ostpreußischen Dörfern gehaust haben

Wie die Kosaken in ostpreußischen Dörfern gehaust haben, erfährt man aus einem Briefe, den die „Post“ abgedruckt hat. Der Verfasser schreibt unterm 7. August aus Kosuchen bei Bialla folgendes:

„Plötzlich zeigten sich am Sonntag, vormittags zehn Uhr, einzelne Reiter hier und dort, und es hieß: Die Kosaken sind da! Einen tiefen Eindruck machte dies auf die Bevölkerung nicht, da jedermann überzeugt war, daß ihr Bleiben nur von kurzer Dauer sei und daß sie sich menschlich aufführen würden. Aber ein dumpfer Druck legte sich auf die Gemüter, als am Nachmittag die Höhen von Patrouillen von zwei bis zwanzig Mann besetzt wurden, Haufen von Reitern hin und her ritten und auch die Wäldchen, deren Zahl hier groß ist, stark besetzt wurden. Die Kosaken, von denen eine große Anzahl auch Polnisch sprach, suchten stellenweise Anknüpfungspunkte mit der Bevölkerung und suchten sie aufzuhetzen.

Einzelne Gewalttätigkeiten kamen schon am Sonntagvormittag vor. Die Postagentur und Meierei im Dorfe Kosuchen wurden überfallen, die Telephone zerstört, Sachen umhergeworfen, nach Papieren gesucht und der Meiereibesitzer mit seiner Frau gemißhandelt, als sie nicht mit Geld herausrückten. Die späteren Tage lehrten, daß die drohend geschwungene Lanze und der Gesichtsausdruck kein Possenspiel war. Die Nacht zum Montag war wohl die schlafloseste seit vielleicht hundert Jahren für den ganzen Grenzbezirk dieser Gegend. Der prachtvolle Montagmorgen ließ sich sehr friedlich an. Plötzlich steigen über dem Dorfe Schwiddern starke Rauchsäulen auf, die sich bald zu einer großen Masse ballen.

Lange bleibt man nicht im ungewissen. Im eigenen Dorfe zucken Feuerflammen in den Strohdächern hier und da auf. Die Flammen breiten sich über die Dachfläche aus, und bald steht das betreffende Gehöft in Flammen. Jammernde Hausbewohner stürzen aus den Häusern heraus, und zwischendurch reiten dunkelbraune Teufel in Kosakengestalt umher, und nach welchem Dach sie ihre verruchte Hand strecken, das ist den Flammen verfallen. Die Greuelszenen, die sich entspannen, spotten jeder Beschreibung.

Von weiteren Schandtaten der Kosaken

Am schlimmsten ging’s im Grenzort Schwiddern zu, wo die Barrikaden gebaut waren. Schon der bloße Gedanke, daß den Steppenwölfen Widerstand geleistet werden sollte, stachelte sie zur Rache an. Einzelne steckten von der Rückseite die Gehöfte an und einzelne die Häuser von der Straße aus. Zur Erhöhung der Panik wurde kommandiert: Lewo, prawo! Lewo, prawo! Links, rechts! Links, rechts! und Salven sausten zwischen die fliehenden und jammernden Bewohner. Das Retten der Sachen wurde verhindert. Die angesehene Besitzersfrau Wiktor lief mit gerungenen
Händen über die Straße und wurde niedergeschossen. Der einundachtzigjährige Altsitzer Sokolowski wurde auf der Hausschwelle erschossen und die Leiche ins brennende Haus geworfen, wo sie verkohlt aufgefunden wurde. Im ganzen wurden in Schwiddern sechs Tote und mehrere Verwundete gezählt.

In Kosuchen wurde ein Mann angeschossen und ein Schulmädchen erschossen. Hier und in anderen Orten wurde wenigstens den Leuten die Rettung ihrer Sachen gestattet. In Bialla wurde die Postschaffnersfrau Buyni, Mutter von sieben Kindern, am Fenster erschossen. Der Kaufmannsgehilfe Günther wurde vor die Tür gelockt und niedergehauen. In Bialla waren sieben Tote und ungefähr zehn Verwundete. Fast alle Schaufenster wurden zertrümmert und einzelne Läden geplündert. Viele Häuser weisen Kugelspuren auf. Die Dörfer Sulimmen, Belzonzen und Skodden sind fast völlig eingeäschert. Hier wurden auch die massiven Häuser niedergebrannt. In vielen Häusern wurden die Möbel zertrümmert. Einem Imker wurde der Honig - über zwei Zentner - auf den Hof gegossen, zertreten und verunreinigt. Die verängstigten Bewohner flüchteten mit den Resten ihrer beweglichen Habe in die Brüche und Wälder, wo sie tagelang umherirrten.

Manche flohen bis Arys, Lötzen und Rastenburg. Das sind bis acht Meilen weit. Einzelne sind noch nicht am Sonnabend heimgekehrt. Vielen war auch das Vieh verbrannt. Dem Wirt Kordasz in Schwiddern verbrannten sieben Pferde, siebzehn Stück Vieh und vierzig Schweine. Die besten Pferde raubten die Kosaken. Die Bewohner mancher Dörfer mußten ihnen das Essen liefern. Sie betrachteten sich als die Herren des Landes.

Am Montagnachmittag zeigte sich in der Luft eine Rumplertaube. Alles atmete auf, und die Hoffnung griff Platz: Unser Heer verläßt uns nicht.“

Der „Berliner Lokalanzeiger“ "berichtet" :

Von den Schandtaten der Kosaken berichtet u. a. eine im „Berliner Lokalanzeiger“ abgedruckte Postkarte, auf der die Besitzerin eines kleinen Gehöftes in dem Grenzdörfchen Skodden bei Bialla ihrem Bruder schreibt: „Teile Dir mit, daß wir seit Montag heimatlos sind. Unsere Heimat ist ein Trümmerhaufen und Asche. Wir mußten fliehen und haben nur das bloße Leben gerettet. Vater, Emma und Hugo, die zurückgeblieben waren, wurden von Kosaken ermordet. Was soll nun werden, wir haben alles verloren. Wer weiß, ob Die die Karte trifft, denn Du bist wohl selber im Feuer.“ Skodden liegt direkt an der Grenze und hat zweihundertneunzig Einwohner.

Am 14. August und am 17. August 1924

Am 14. August versuchte russisches Militär, unter dem sich Automobile und Kosaken befanden, in einige Ortschaften der Umgegend von Eoadjuthen im Kreise Tilsit einzudringen. Den deutschen Truppen gelang es aber, die Russen überall hinauszutreiben und das Land vom Feinde zu säubern, der sich unter Verlusten über die Grenze zurückzog, während die deutschen Truppen den Ort Dagutschen besetzten.

Eine hocherfreuliche Nachricht meldete der Kommandierende General des 1. Armeekorps: „Am 17. August fand ein Gefecht bei Stallupönen statt, in dem Truppenteile des 1. Armeekorps mit unvergleichlicher Tapferkeit kämpften, so daß ein Sieg erfochten wurde. Mehr als dreitausend Gefangene und sechs Maschinengewehre sind in unsere Hände gefallen. Viele weitere russische Maschinengewehre, die nicht mitgeführt werden konnten, wurden unbrauchbar gemacht.“

Auch bei diesem Einfall haben sich die Russen als Räuber und Mordbrenner erwiesen. Wie der „Ostdeutsche Grenzbote“ meldete, sind bei Eydtkuhnen fast sämtliche Ortschaften in der Nähe der Grenze innerhalb dreier Tage von russischen Soldaten angezündet und zum größten Teil niedergebrannt worden. Eydtkuhnen, das von den Einwohnern geräumt ist und öde daliegt, brennt seit einigen Tagen. Den gewaltigen Feuerschein kann man von Stallupönen aus ganz deutlich sehen. Es sind ferner von den Russen folgende Grenzorte angesteckt worden: Romeiken, Eszerkehmen, Williothen, Schleuwen, Kallweitschen, Ragoßballen, Kinderweitschen, Radszen, Sodargen, Stärken. Die Einwohner mußten ihre Habe verlassen und haben meistens nur ihr Leben und die Kleider gerettet. Am Dienstag schossen die Brandstifter sogar alles nieder, was in ihren Bereich kam. In Radszen sind allein etwa sieben Personen niedergeschossen worden.

Als Kuriosum sei hier angefügt, daß aus Darkehmen gemeldet wurde, die Russen hätten dort laut die Eroberung einer deutschen Fahne, die sie in einem Gefecht bei Marggrabowa erbeutet haben wollten, verkündet. Es handelte sich aber nur um eine Fahne, die bei feierlichen Gelegenheiten auf dem Postgebäude aufgezogen wird. Wie aus dem bisher dargestellten Verlauf der Kämpfe an der russischen Grenze hervorgeht, versuchten die Russen seit vierzehn Tagen mit Kavalleriedivisionen und zuweilen gar mit gemischten Kolonnen über die Grenze Ostpreußens zu kommen und Verwüstungen in unserm Lande anzurichten. Sie holten sich zwar bei allen Vorstößen blutige Köpfe und manchmal ziemlich ernste Schlappen, da unsere Ostpreußen sich nicht gerade durch Sanftmut auszeichnen und gehörig dreinhieben, aber die den Russen erteilten Lektionen scheinen doch nicht so ernst gewesen zu sein, daß sie die Verwüstungs- und Plünderungsgier hätten legen können.

So machten die Russen denn am 17. August wieder einen Vorstoß über das bereits mehrfach von ihnen heimgesuchte Eydtkuhnen in der Richtung auf Gumbinnen, das als größere Stadt wohl manches in seinen Mauern hat, was russische Generale und Soldaten anzulocken vermag. Sie hatten gewiß nicht die Absicht gehabt, bei dem kleinen Stallupönen, welches zehn Kilometer von der Grenzstadt Eydtkuhnen entfernt liegt, haltzumachen, aber sie fanden in dem Ort Truppenteile des 1. Armeekorps, die sich ungemein tapfer schlugen und einen Sieg davon trugen, der den Russen das weitere Vordringen unmöglich machte. Die braven Ostpreußen verfolgten den geschlagenen Feind gründlich; sie nahmen ihm dabei mehr als dreitausend Gefangene ab und eroberten sechs Maschinengewehre. Ein erfreulicher Erfolg des 1. Korps, wenn er auch auf den Ausgang des Krieges zunächst noch keinen großen Einfluß haben konnte.

Stallupönen liegt etwa fünfzehn Kilometer von der russischen Grenze an dem Knotenpunkt der Bahnlinien nach Königsberg und Memel. Diese wichtige Gegend war schon wiederholt Gegenstand russischer Angriffe. Am 6. August war es die 3. russische Kavalleriedivision, welche bei Romeiken, südlich Eydtkuhnen, erschien. Sie ging aber sofort zurück, als die deutsche Kavallerie auftauchte. Dann erschien dieselbe Kavalleriedivision einige Tage später wiederum und wurde von drei deutschen Grenzschutzkompanien und etwas Feldartillerie zum zweitenmal über die Grenze gejagt. Der am 17. August gemeldete russische Vorstoß auf Stallupönen hatte nun doch zu einem deutschen Siege geführt.

Auf die Schlacht bei Stallupönen bezieht sich die nachstehende Feldpostkarte: „Am Sonnabend, den 15. August, schon hatten kleine Trupps einen Abstecher nach Rußland gemacht, sich aber wieder zurückgezogen, da der Feind in gedeckter Stellung sich befand. Am Montag, den 17. August, ist es dann zu einem ernsthaften Zusammenstoß gekommen. Nach den Erzählungen unserer Leute hat sich vor allem unsere Artillerie gegenüber der russischen Artillerie sehr überlegen gezeigt, sowohl was die Treffsicherheit, als auch was die Geschoßwirkung betraf.

Russische Granaten sollen vielfach nicht explodiert sein. Von der russischen Infanterie erzählt man, daß sie sich selten aus gedeckten Stellungen herauswagt. Nachdem wir festgestellt hatten, daß russische Schützen namentlich gern aus den Fenstern der Häuser und aus Kellerfenstern schießen, hat man sie durch Artilleriefeuer schnell daraus vertrieben. Einen offenen Kampf sollen die Russen scheuen. Sobald wir aufsprangen und stürmten, erzählte mir ein Berliner, rissen sie aus. Wenn wir sie einholten, warfen sie die Flinten weg und ließen sich gefangennehmen. Ein Berliner erzählte mir mit Stolz, daß er allein fünf Russen gefangen nahm, die er überrascht hat.
.

....... an seiner Windmühle aufgehängt ! und weitere Kriegspropaganda

Von der Bestrafung eines verräterischen Müllers an der Grenze erzählt mir ein Grenadier: Der gute Müller hatte seine Windmühle als Signal für die Russen benutzt und sie nicht nach dem Winde, sondern stets nach der Seite gedreht, "wo" unsere Artillerie stand. Das merkten wir aber bald und haben ihn der Einfachheit halber an seiner Windmühle aufgehängt.“

Unterm 22. August wurde folgender amtliche Bericht ausgegeben: „Starke russische Kräfte sind gegen die Linie Gumbinnen - Annaburg im Vorgehen. Das 1. Armeekorps hat am 20. August erneut den auf Gumbinnen Vordringenden Feind angegriffen und zurückgeworfen. Dabei sind achttausend Gefangene gemacht und acht Geschütze erbeutet. Von einer bei dem 1. Armeekorps befindlichen Kaoalleriedioision war längere Zeit keine Nachricht da. Die Division hat sich mit zwei feindlichen Kaoalleriedioisionen herumgeschlagen. Sie traf gestern bei dem 1. Armeekorps mit fünfhundert Gefangenen wieder ein.“ Über dieses Gefecht brachten wir eine eingehende Schilderung eines Augenzeugen bereits auf Seite 52 u. folgende.

Von einer Gumbinner Familie, die wegen des Krieges ihr dortiges Anwesen verlassen mußte und inzwischen in Berlin eingetroffen ist, werden folgende Einzelheiten und Eindrücke berichtet:

„Nach dem Siege unserer tapferen Truppen bei Stallupönen glaubten wir schon, daß unsere Stadt von den kriegerischen Ereignissen verschont bleiben würde. Die dortigen Kämpfe hatten sich in der Zeit vom 17. bis 18. August abgespielt, jedoch noch einige Stunden von unserer Stadt entfernt, obwohl der Kanonendonner und der Lärm des Kampfes vernehmlich zu unseren Ohren drangen. Unser Haus befand sich in der Nähe des Bahnhofs, und tagelang vorher konnten wir die Bevölkerung der in Mitleidenschaft gezogenen Ortschaften durchziehen sehen; viele hatten in der Eile nur das Notwendigste mitnehmen können. Auch zahlreiche Verwundete wurden bereits in die Stadt gebracht.

weitere Kriegspropaganda

Am Abend des 18. August verlautete, daß der Feind erneut gegen unsere Stadt im Vorgehen begriffen sei. Nach einer verhältnismäßig ruhigen Nacht hörten wir gegen Morgen das Geschützfeuer heftiger werden - es war kein Zweifel mehr, diesmal wurde es ernster. Verschiedentlich wurde uns deshalb geraten, die Stadt zu verlassen. Wir packten unsere Habseligkeiten zusammen und eilten auf den Bahnhof. Hier hatten sich schon vor uns viele Gumbinner Familien und besonders Leute aus den Dörfern der Umgegend, die bis zum letzten Augenblick auf ihrer Scholle geblieben waren, versammelt. Unterschiede zwischen arm und reich waren gänzlich ausgelöscht, jeder hatte etwas verloren und zurücklassen müssen, die meisten waren gänzlich mittellos. Trotzdem waren alle voller Zuversicht im Vertrauen auf die unvergleichliche Tapferkeit unserer Soldaten und hofften, bald wieder zurückkehren zu können.

Jeder war auch nach Kräften bemüht, des anderen Last tragen zu helfen und zu lindern. Einige berichteten über haarsträubende Grausamkeiten der russischen Kosaken, die sich vor unseren Truppen feige und hinterlistig benehmen, der zurückgebliebenen wehrlosen Bevölkerung gegenüber aber im Rauben und Morden Außerordentliches leisten.

weitere Kriegspropaganda

So manche Greueltat der russischen Soldateska wurde hier von durchaus einwandfreien Zeugen wiedergegeben und erweckte überall Zorn und tiefste Empörung. Ein alter Herr verlas den Brief seines Sohnes, der in der Front kämpft. In dem Schreiben heißt es unter anderem: ,Wir sind sehr empört über die hinterlistige Kampfesweise der Russen. Sobald Teile von uns im Gefecht vorgehen und den Russen aufs Fell rücken, heben diese die Arme schon von weitem hoch und lassen durch Niederlegen der Gewehre erkennen, daß sie sich ergeben wollen. Sobald wir aber bis auf einige Schritte nahegekommen sind, schießen die Halunken mit dem schnell aufgehobenen Gewehre auf uns. In vielen Fällen wurde auch auf Mitglieder des Roten Kreuzes geschossen. Die feindlichen Gefangenen, die durch Gumbinnen geführt wurden, bestanden zum größten Teil aus russischer Infanterie. Einige sprachen Deutsch und erzählten, daß sie bisher in allen Gefechten schreckliche Verluste erlitten hätten; die Schützengräben seien bis zum Rande von Gefallenen voll, viele Offiziere hätten sich immer hübsch vorsichtig hinter der Front gehalten.

Inzwischen ist unser Zug eingefahren; er hätte doppelt so lang sein müssen. Es schien einfach unmöglich, alle zu befördern; einige Gumbinner kehrten um, um zu Wagen oder zu Fuß zunächst Insterburg zu erreichen. Wir anderen aber versuchten, so gut es ging, uns einzurichten, und bald saßen oder standen wir eingekeilt zwischen Betten und Reisegepäck aller Art im Zuge. Wer nie eine solche Fahrt mitgemacht, hat keinen Begriff davon, was es heißt, zweiundvierzig Stunden auf engstem Raum eingepfercht zuzubringen, während der Nacht völlig im Finstern, dazwischen Kindergeschrei.
.

Die Sorge um die Heimat

Und vor allem die Sorge um die Heimat! Würden wir noch einmal unser Häuschen unversehrt wiedersehen? Unwillkürlich denkt man der Friedenszeit, "wo" eine solche Fahrt im D-Zug Eydtkuhnen-Berlin fast eine Erholungsfahrt bedeutet. In Insterburg trafen wir auf einen Zug mit Gefangenen und Verwundeten. Neben deutschen Soldaten, die auf dem Schlachtfelde verwundet waren, sah man auch russische Verletzte. Sowohl diese als auch die in unsere Gefangenschaft geratenen Russen präsentierten sich zum größten Teil in recht schlechter Verfassung. Schuhwerk und Bekleidung lassen viel zu wünschen übrig, einige waren barfuß, die Uniformen beschmutzt und zerrissen. Wie gut, praktisch und haltbar ist dagegen der Anzug unserer deutschen Soldaten.

In langsamer Militärzugfahrt ging die Reise über Königsberg, Dirschau, Schneidemühl. Am Sonntag, dem 23. gegen Morgen trafen wir auf Bahnhof Alexanderplatz (Berlin) ein. Trotz der großen körperlichen Müdigkeit - zunächst eine Zeitung! Und mit gespanntestem Interesse lasen wir: ,Das 1. Armeekorps hat am 20. d. M. erneut den auf Gumbinnen vorgehenden Feind angegriffen und geworfen, dabei sind achttausend Gefangene gemacht und acht Geschütze erbeutet worden.“ Dankbaren Herzens gedenken wir unseres tapferen Heeres an der Ostgrenze, das unser Eigentum dort oben bisher machtvoll geschützt hat. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, da wir im Gefühl vollkommener Sicherheit wieder die Rückfahrt antreten können!“

Ein unvergängliches Ruhmesblatt für die Truppen Ostpreußens

Der bisherige Kriegsverlauf bildet ein unvergängliches Ruhmesblatt für die Truppen Ostpreußens, die allein den Ansturm der Russen auszuhalten hatten. Hocherfreulich war u. a. auch das schon im amtlichen Bericht mitgeteilte famose Reiterstückchen. (Siehe Seite 91.)
Amtlich wurde über diesen Sieg von Gumbinnen ein gewisser Schleier gebreitet, und dieser Schleier wurde noch dichter, als folgende amtliche Meldung bekanntgegeben wurde :

„Berlin, 24. August. (Wolffsches Telegraphenbüro.) Während auf dem westlichen Kriegschauplatze die Lage des deutschen Heeres durch Gottes Gnade eine unerwartet günstige ist, hat auf dem östlichen Kriegschauplatz der Feind deutsches Gebiet betreten. Starke feindliche Kräfte sind in Richtung der Angerapp und nördlich der Eisenbahn Stallupönen-Insterburg vorgedrungen. Das 1. Armeekorps hatte den Feind bei Wirballen in siegreichem Gefecht aufgehalten. Es wurde zurückgenommen auf weiter rückwärts stehende Truppen. Die hier versammelten Kräfte haben den bei Gumbinnen und südlich vordringenden Gegner angegriffen. Das 1. Armeekorps warf den gegenüberstehenden Feind siegreich zurück, machte sechs
tausend Gefangene und eroberte mehrere Batterien. Eine zu ihm gehörende Kavalleriedivision warf zwei russische Kavalleriedivisionen und brachte fünfhundert Gefangene ein. Die weiter südlich kämpfenden Truppen stießen teils auf starke Befestigungen, die ohne Vorbereitung nicht genommen werden konnten, teils befanden sie sich in siegreichem Fortschreiten.

Da ging die Nachricht ein vom Vormarsch weiterer feindlicher Kräfte aus Richtung des Narew gegen die Gegend südwestlich der masurischen Seen. Das Oberkommando glaubte hiergegen Maßnahmen treffen zu müssen und zog seine Truppen zurück. Die Ablösung vom Feinde erfolgte ohne jede Schwierigkeit. Der Feind folgte nicht. Die auf dem östlichen Kriegschauplatz getroffenen Maßnahmen mußten zunächst durchgeführt und in solche Bahnen geleitet werden, daß eine neue Entscheidung gesucht werden kann. Diese steht unmittelbar bevor. Der Feind hat die Nachricht verbreitet, daß er vier deutsche Armeekorps geschlagen habe. Diese Nachricht ist unwahr. Kein deutsches Armeekorps ist geschlagen. Unsere Truppen haben das Bewußtsein des Sieges und der Uberlegenheit mit sich genommen. Der Feind ist über die Angerapp bis jetzt nur mit Kavallerie gefolgt. Längs der Eisenbahn soll er Insterburg erreicht haben. Die beklagenswerten Teile der Provinz, die dem feindlichen Einbruch ausgesetzt sind, bringen dieses Opfer im Interesse des ganzen Vaterlandes. Daran soll sich dasselbe nach erfolgter Entscheidung dankbar erinnern. - Der Generalquartiermeister - (gez.) v. Stein.“

Klingt nicht wie ein Siegesbericht

Diese Meldung klingt nicht wie ein Siegesbericht. Nach Lage der Dinge handelte es sich aber lediglich um eine notwendige strategische Maßnahme. Das geht auch aus einer in der „Ostdeutschen Volksstimme“ vom 22. August veröffentlichten Mitteilung des Ortskommandanten von Insterburg, Generalmajor Mittelstaedt, hervor, durch welche die Einwohner auf eine russische Invasion vorbereitet wurden. Da heißt es:

„Die Russen sind gestern und heute vorwärts Gumbinnen schwer geschlagen und können vor acht Tagen nicht hier sein. Die hiesigen Truppen sind auf höheren Befehl anderswo zu verwenden, werden aber zwei bis drei Tage mindestens in der Nähe bleiben. Es wird bald größere Einquartierung kommen. Die Intendantur ist angewiesen, durch die Stadtbehörden den hiesigen Einwohnern alles an Lebensmitteln zu geben, was sie hat. Einzelne direkt Anfordernde erhalten nichts. Falls die Stadt von preußischen Truppen geräumt und später (was überhaupt vor acht Tagen nicht möglich) die Russen Insterburg besetzen sollten, so ist es das beste, wenn jeder Einwohner in seinem Hause bleibt und den Russen gegenüber Gastfreundschaft übt. Nur dann, aber auch nur dann ist es gewährleistet, daß keine Repressalien geübt werden. Erfahrungsgemäß rauben die Russen nur die Häuser aus, die verschlossen sind. Es wird daher ernstlich geraten, daß jeder in seinem Hause bleibe. Ich ersuche in diesem Sinne zu wirken!“ -

Der Oberbürgermeister von Insterburg, Dr. Kirchhoff, erließ eine ähnliche Bekanntmachung an die Bevölkerung. Angstliche Gemüter sahen in dieser Veröffentlichung und noch mehr in der amtlichen von uns oben wiedergegebenen Meldung vom Zurückziehen unserer Streitkräfte aus Gumbinnen ohne Grund einen Sieg der Russen.

Am 25. August wurde amtlich bekanntgegeben, daß die ganze Sachlage unserer Kriegsleitung durchaus nicht unerwartet kam, sondern geradezu in ihrem Plane begründet lag. Dieser mußte ja darauf ausgehen, den ersten großen Hauptschlag nach Westen zu führen. War diese Absicht erreicht, so konnte mit vollen Kräften nach Osten vorgestoßen und den inzwischen kämpfenden österreichischen Brüdern zu Hilfe geeilt werden. In Wahrheit handelte es sich, wie bald klar werden sollte und später ausführlich berichtet werden wird, bei all diesen Maßnahmen um die Vorbereitung eines in den letzten Augusttagen geführten Hauptschlages.

Unser Kriegsplan zeigte eine gewisse Ubereinstimmung mit dem Osterreichs. Auch die Österreicher hielten es nicht für der Mühe wert, besondere Streitkräfte nach Serbien zu werfen, denn dieser Staat drohte allein zugrunde zu gehen; schon durch den Kriegszustand an sich, weil ihm geradezu alles zum Kriegführen fehlte. Dagegen hatte Österreich-Ungarn seine Hauptmacht den Russen entgegengestellt und fast zu gleicher Zeit, als die obige amtliche Meldung über Gumbinnen verbreitet wurde, einen vernichtenden Schlag gegen Rußland geführt. Damals lagen die Verhältnisse so, daß die Russen einige Ortschaften in Ostpreußen besetzt hatten, die Österreicher aber schon weit in Russisch-Polen eingerückt und im Begriff waren, uns die Hände zu reichen.

Auch der oberste Kriegsherr weiß, welches Bollwerk gegen die Russen unsere braven Ostpreußen darstellen. Unterm 27. August hat Seine Majestät der Kaiser dem Staatsministerium nachstehendes Telegramm zugehen lassen:

„Großes Hauptquartier, 27. August. Die Heimsuchung meiner treuen Ostpreußen durch das Eindringen feindlicher Truppen erfüllt mich mit herzlicher Teilnahme. Ich kenne den in noch schwererer Zeit bewährten, unerschütterlichen Mut meiner Ostpreußen zu genau, um nicht zu wissen, daß sie stets bereit sind, auf dem Altar des Vaterlandes Gut und Blut zu opfern und die Schrecknisse des Krieges standhaft auf sich zu nehmen. Das Vertrauen zu der unwiderstehlichen Macht unseres heldenmütigen Heeres und der unerschütterliche Glaube an die Hilfe des lebendigen Gottes, der dem deutschen Volk und seiner gerechten Sache und Notwehr bisher so wunderbar Beistand geleistet hat, werden niemand in der Zuversicht auf baldige Befreiung des Vaterlandes von den Feinden ringsum wanken lassen. Ich wünsche aber, daß alles, was zur Linderung der augenblicklichen Not in Preußen, sowohl der von ihrer Scholle Vertriebenen, als auch der in ihrem Besitz und Erwerb gestörten Bevölkerung, geschehen kann, als ein Akt der Dankbarkeit des Vaterlandes sogleich in Angriff genommen wird. Ich beauftrage das Staatsministerium, im Verein mit den Behörden des Staates, den provinziellen und städtischen Behörden und den Hilfs-Vereinen auf den verschiedenen Gebieten der Fürsorge durchgreifende Maßnahmen zu treffen und mir vom Geschehenen Meldung zu machen. Wilhelm, 13.“

(Fortsetzung folgt.)

.

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2025 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl.-Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - Tag und Nacht, und kostenlos natürlich.