"Die Wahrheit" - eine Betrachtung an Beispielen unserer deutschen Geschichte
Alleine die Definition von "Wahrheit" stellt die allermeisten intelligenten Menschen vor ein unlösbares Problem, nahezu identisch mit der unlösbaren Definition von "Gerechtigkeit". Es gab aber Zeiten, da wurde die "Wahrheit" von ganz oben diktiert. Und sie wurde erheblich mißbraucht, um zum Beispiel den Krieg als des "Volkes Wille" in die Köpfe der reichs- deutschen Bevölkerung zu tragen.
Auf den nachfolgenden Seiten lesen Sie viele Artikel aus einer deutschen Wochen- Zeitschrift über den Beginn des ersten Weltkrieges 1914 und den Verlauf dieses Krieges, den das Deutsche Reich samt der österreichischen k&k-Monarchie haushoch verloren hatte. Die besondere Aufmerksamkeit beim Lesen sollte sich auf die heroischen "auschmückenden" Attribute der kriegsverherrlichenden Beschreibungen richten.
Und wie man auch in modernen Zeiten die Wahrheit "manipulieren" könnte oder kann, lesen Sie in dem Buch des Dr. Eduard Stäuble (Fernsehen - Fluch oder Segen) aus dem Jahr 1979.
Diese "Betrachtungen" und Beispiele hier sind noch in Arbeit !
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Die Geschichte des Weltkrieges 1914 - Heft 4
Kriegsnachrichten aus aller Welt.
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Französische Kampfesweise.
Eine anschauliche Schilderung kleiner Züge vom Krieg an der Westgrenze entnimmt die „Kreuzzeitung“ dem Briefe eines Offiziers:
Ein Rittmeister erzählte mir folgendes: Die Franzosen halten ihre Kavallerie sorgsam hinter der Infanterie, wie sie auch keinen Angriffsgeist in den ersten acht bis zehn Tagen zeigten. Selbst als einmal die deutschen Grenzschutztruppen, die schon ziemlich weit eingedrungen waren, aus strategischen Rücksichten zurückgingen, drängten jene nicht nach. Unsere Patrouillen stießen immer nur auf Infanterieposten, die die Reiter bis auf hundert Meter heranließen, ehe sie schossen. Häufig suchten die feindlichen Posten durch Verkleidung zu täuschen, wie zum Beispiel durch Aufsetzen eines Frauenhuts; hinter einer Kirchhofsmauer gedeckt, stand so ein maskierter Posten und schoß eine Patrouille, die von dem Frauenzimmer nichts befürchtete, an.
Der Leutnant K. stürzte vom Pferde, wurde geschleift, aber von seinen Leuten, die trotz des feindlichen Feuers hielten und ihm aufs Pferd halfen, glücklich zurückgebracht. Die französischen Infanteristen haben alle einen Zivilanzug im Tornister, den sie in der Gefahr anziehen, nachdem sie ihre Montur im Wald oder Dorf abgelegt haben. Dann laufen sie mit den Händen in den Hosentaschen herum, bis die deutschen Truppen vorbei sind. Ein Befehl des Oberkommandierenden Joffre ordnete dieses Verhalten an.
Frankreichs Tätigkeit vor unserer Mobilmachung. Ein katholischer Pfarrer in den Vogesen, von dem der ,,Elsässer“ besonders hervorhebt, daß er durchaus nicht in dem Verdacht stehe, ohne Sympathien für französisches Wesen zu sein, teilt dem genannten Blatt mit, die Franzosen hätten schon vor unserer Mobilmachung auf den Vogesenkämmen Schanzarbeiten vorgenommen, und zwar da und dort auf deutschem Gebiete unter Anwendung von Betonarbeiten. Wenn sein Bericht, so fügt der „Elsässer“ hinzu, den Tatsachen entspricht, mag die Behauptung, die Franzosen hättenden Krieg nicht gewünscht, vielleicht auf die breiten Massen, aber auf keinen Fall auf die leitenden Kreise Anwendung finden.
Eine Episode vom Schlachtfelde bei Lüttich
Eine Episode vom Schlachtfelde bei Lüttich, die der „Kölner Volkszeitung“ berichtet wird: Am Abend des ersten Sturmtages auf die Forts sah der Erzähler dieses einen Infanteristen, dem ein Granatsplitter die Schädeldecke aufgerissen hatte. Der Verwundete war bei Bewußtsein und litt gräßliche Schmerzen. „Sag, Kamerad, wie steht’s? Haben wir gesiegt?“ Zwar war der Kampf noch nicht entschieden, doch zum Troste des Sterbenden erfolgte die Antwort: „Jawohl, auf der ganzen Linie!“ Da verklärte sich das Gesicht des Verwundeten, und er sprach: „Gott sei Dank, dann sterbe ich gern!“ Und mit leuchtendem Auge rief erin letzter Kraft: „Mit Gott für König und Vaterland!“ Dann wandte er sich zur Seite, streckte sich und hauchte seine Heldenseele aus.
Beraubung deutscher Verwundeter durch Zoldaten des französischen Feldheeres. Aus dem Hilfslazarett im Hotel Sommer in Badenweiler werden der „Frankfurter Zeitung“ zwei Protokolle zur Verfügung gestellt, die durch den als freiwilliger Hilfsarzt dort tätigen Professor Or. Jessen von der Universität Straßburg im Beisein des Direktors Gustav Krautinger (Genua und Buenos Aires) mit deutschen Verwundeten aufgenommen worden sind. Beide Protokolle sind so bezeichnend für die Handlungsweise französischer Soldaten, daß wir sie hiermit auch zur Kenntnis unserer Leser bringen:
„Reseroeinfanterist Gottfried Bosch aus Gutach, Ersatzbataillon 57, 1. Kompanie, Freiburg, wurde am 28. August aus dem französischen Feldlazarett in Altkirch durch die dahin Vorgedrungene hiesige Sanitätskolonne, nach Abzug der Franzosen, im Auto in das hiesige Lazarett übergeführt.
Verwundung: Artilleriegeschoß, rechtes Bein. - Ort und Zeit der Verwundung: Im Wald bei Tagsdorf in der Nähe von Altkirch am 19. August 1914 zwischen 2 und 8 Uhr nachmittags.
Der Verwundete sagt aus: Meine Kameraden mußten mich liegen lassen, und ich blieb 24 Stunden an derselben Stelle liegen, an welcher ich verwundet wurde. Gegen 5 Uhr abends fanden mich etwa acht bis zehn französische Soldaten des 153. Infanterieregiments, bedrohten mich mit blanker Waffe und beraubten mich meiner Barschaft von ungefähr zehn Mark und meiner silbernen Uhr. 24 Stunden nach meiner Verwundung fanden mich sodann französische Sanitätler, die mich nach Altkirch brachten, wo ich am 21. August 1914 durch einen französischen Arzt amputiert worden bin. Die Behandlung durch die französischen Sanitäter und Ärzte war den Umständen entsprechend gut und human. Die Verpflegung war indessen ungenügend, weil nichts vorhanden war, und auch die französischen Verwundeten konnten nicht besser verpflegt werden als die deutschen.
Für die wahrheitsgetreue Aufnahme obiger Aussagen leisten Gewähr: Professor Dr. Jessen und Gustav Krautinger.
Noch eine Episode
Landwehrmann Adam Fath, Landwehrregiment 109, 9. Kompanie, aus Oberflockenbach bei Weinheim, wurde am 28. August durch die hiesige Sanitätskolonne im Auto aus Altkirch hierhergebracht. - Verwundet: 1. Artilleriegeschoß am rechten Arm; 2. Gewehrgeschoß am Mund. - Ort und Zeit der Verwundung: Tagsdorf bei Altkirch am 19. August zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags.
Der Verwundete sagt: Meine zurückgehenden Kameraden mußten mich zurücklassen, versuchten zwar später, mich zurückzuholen, aber erfolglos. Kurz darauf kam eine Anzahl französischer Infanteristen, die mich in eine nahe Scheune schleppten, wo selbst sie mir die Uniform herunterrissen und die Unterkleider mit Messern aufschnitten. Sodann beraubten sie mich meines Brustgeldbeutels (Inhalt 20 Mark) und meines Taschengeldbeutels (Inhalt 3 Mark). Eine Uhr hatte ich nicht bei mir. In dieselbe Scheune schleppten dieselben und andere dazugekommene französische Infanteristen eine große Anzahl deutscher Verwundeter während der ganzen Nacht, und alle diese Verwundeten wurden ebenso wie ich ausgeplündert und bedroht. Vorgegangene deutsche Rote-Kreuz-Träger wurden von den Franzosen gefangen genommen und verhindert, uns zu verbinden.
Erst am nächsten Morgen 10 Uhr fanden uns französische Krankenträger, die uns mit Wasser erfrischten und nach Altkirch brachten, wo ich erst abends 7 Uhr verbunden und amputiert worden bin. - Die Behandlung durch die französischen Sanitätler und - Arzte war human und gut. Die Verpflegung aber schlecht und ungenügend. Sie bestand aus Wasser und etwas Brot. Die Franzosen hatten auch für ihre eigenen Leute nichts anderes. Für die wahrheitsgetreue Aufnahme der Angaben haften: Professor Dr. Jessen, Direktor Gustav Krautinger.“
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Der Kommentar
Diesen Protokollen ist, wie die obengenannte Zeitung schreibt, wenig hinzuzufügen. Es handelt sich danach um aktive französische Soldaten, die anscheinend planmäßig hilflose deutsche Verwundete ausplündern. Vorgänge solcher Art werfen ein schlimmes Licht auf die Manneszucht im französischen Heere. Man muß auch fragen, wo die französischen Offiziere während dieses lichtscheuen Treibens waren und ob sie nicht Gelegenheit hatten, ihrer raubenden Mannschaft entgegenzutreten? Neben diesem düsteren und unerfreulichen Bilde wirkt das Verhalten des französischen Sanitätspersonals und der französischen Arzte doppelt freundlich, die offenbar ihre Pflicht wie ihre deutschen Kollegen unparteiisch gegen Freund und Feind erfüllen. Ehre diesen Braven! Auch in dem großen Lazarett von Zillisheim bei Mülhausen sind die deutschen Verwundeten nach übereinstimmenden Angaben durch die französische Verwaltung gut behandelt und reichlich verpflegt worden, was unserseits rückhaltlose Anerkennung verdient. Wir halten es natürlich französischen Verwundeten gegenüber ebenso.
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Aus dem Reichsland.
Straßburg, 12. August. Laut „Forbacher Zeitung“ zeigte sich vergangenen Sonntag über Forbach ein französischer Flieger, der von unserer Infanterie heftig beschossen wurde. Der Flieger ließ ganze Haufen von Zetteln fallen, die in deutscher Übersetzung ungefähr folgenden Inhalt hatten: „Aufruf an die Elsaß-
Lothringer: Frankreich, Rußland, England und Belgien stehen im Krieg mit Deutschland. In Frankreich haben alle Parteien ihren Streit vergessen, um sich in bewundernswerter Begeisterung zu vereinigen. Die jungen Leute, die noch nicht dienstpflichtig sind, die Männer über 45 Jahre kommen in Massen, um einzutreten. Selbst die Ausländer, die in Frankreich wohnen, bilden Korps, um ihre Streitkräfte mit den unseren zu vereinen. Die Mobilmachung geht mit voller Ruhe und freudiger Zuversicht vor sich.
Es ist ein heiliger Krieg, der beginnt. Das ganze französische Volk ist entschlossen, eure vergangenen Leiden zu rächen und endlich den Elsaß-Lothringern die Befreiung zu bringen, die sie seit mehr als vierzig Jahren erwarteten. Es lebe Elsaß-Lothringen! Es lebe Frankreich!“ - Der Führer des Fliegers ist, wie man hört, bei Dudweiler infolge schwerer Verwundung gezwungen worden, zu landen.
Gestern nacht traf auf dem hiesigen Bahnhof ein Gefangenentransport von 110 Mann und mehreren Offizieren ein, die von Damen des Roten Kreuzes mit Erfrischungen bedacht wurden. Dabei sprachen sich mehrere der Franzosen in abfälliger Weise über die schlechte Rüstung der französischen Armee aus. So waren die betreffenden 110 gefangenen Infanteristen alle ohne Patronentasche ins Feld gerückt und hatten die Patronenkartons - mit Schnüren um den Leib gebunden!
Aus einem Soldatenbrief.
Den „Münchner Neuesten Nachrichten“ entnehmen wir folgenden Feldpostbrief:
„Liebe Marie! Will Dir nun zu wissen tun, daß ich nicht das Glück hatte, lange in Frankreich zu marschieren. Schon am zweiten Tage, als wir die Grenze überschritten, wurden wir in einen furchtbaren Straßenkampf mit Zivil und Militär verwickelt. Doch damals kam ich ohne eine Verwundung davon. Es pfiffen dortmals schon die Kugeln wie Schneeflocken um mich. Liebe Marie, ich muß Dir nun
leider mitteilen, daß ich im zweiten Gefecht, wo nur unser Regiment gegen eine Division Franzosen kämpfte, von zwei Kugeln getroffen worden bin. Die Verwundungen sind zwar stark, aber nicht lebensgefährlich. Ich wurde wieder über die Grenze ins Spital gebracht. Jetzt, liebe Marie, werde ich von Rote-Kreuz-Schwestern gepflegt. Wenn Gott es will, kann ich vielleicht nochmals über den Feind herfallen. Ich hasse die Franzosen furchtbar, denn sie schießen nur hinterrücks und von den Häusern aus, wenn man ahnungslos dahingeht. Wir mußten schon vier Dörfer und Städte in Brand stecken. Sogar Frauen schießen auf einen. Wir haben aber in dem Gefecht, wo ich verwundet wurde, gesiegt. Der Feind floh nach dem Inneren des Landes. Wie lange ich hier bin, weiß ich nicht. Du kannst mir ja hierher schreiben. Also lebe wohl, aufs Wiedersehen freut sich J. H.“
Das Bischöfliche Ordinariat in Straßburg
teilt mit, daß über das Kloster der Redemptoristen in Riedisheim die schwersten Verdächtigungen grundlos verbreitet wurden. Alle diese Gerüchte werden widerlegt durch die Erklärung des Kommandierenden Generals v. Deimling, daß Fälle, wonach Geistliche sich während der Kämpfe des 15. Armeekorps im Oberelsaß einer Unkorrektheit schuldig gemacht hätten, ihm nicht bekannt geworden sind.
Humoristisches. (??)
Rasche Ahilfe. Ein nettes Geschichtchen, das auch den Vorzug hat, wahr zu sein, wird dem „Blaumann“ aus einem Verwundetenzuge erzählt, den ein verwundeter
bayerischer Hauptmann führte. Bei dem Hauptmann beschwerten sich etliche gefangene französische Offiziere, die in einem Abteil zweiter Klasse Platz gefunden hatten, daß man verwundete deutsche Soldaten in dem gleichen Abteil mit ihnen untergebracht habe. Der Offizier sagte sofort Abhilfe zu, die er dann auch in der Weise bewerkstelligte, daß er die Herren Offiziere bat, mit ihm in einen anderen Wagen zu kommen. Dieser Wagen aber, den er ihnen hierauf anwies, war ein gewöhnlicher Gepäckwagen, in dem sie dann die Fahrt fortsetzen mußten. Die deutschen Verwundeten blieben in ihrem Wagen zweiter Klasse.
Von seiten unsrer Abonnenten ist verschiedentlich der Wunsch geäußert worden, die bisher auf den Umschlägen erschienenen Beiträge in den inneren Text aufzunehmen, um sie vor der Vergänglichkeit zu bewahren, da die Umschläge gewöhnlich nicht mit eingebunden werden. Wir werden von jetzt ab diesen Wünschen Rechnung tragen.
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Die Geschichte dee Weltkriegetz 1914.
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Am 3. August 1914 - Die Kriegserklärung an Frankreich
Ebenso wie Deutschland nach Verletzung seiner Grenzen Rußland den Krieg erklärte, erfolgte nunmehr die Kriegserklärung an Frankreich, nachdem die Grenzüberschreitungen der Franzosen unzweifelhaft festgestellt worden waren.
Am 3. August 1914 veröffentlichte die deutsche Regierung folgende Mitteilung:
„Bisher hatten deutsche Truppen, den erteilten Befehlen gemäß, die französische Grenze nicht überschritten. Dagegen greifen seit gestern französische Truppen ohne Kriegserklärung unsere Grenzposten an. Sie haben, obwohl uns die französische Regierung noch vor wenigen Tagen die Innehaltung einer unbesetzten Zone von 10 Kilometern zugesagt hatte, an verschiedenen Punkten die deutsche Grenze überschritten. Französische Kompanien halten seit gestern deutsche Ortschaften besetzt. Bombenwerfende Flieger kommen seit gestern nach Baden, Bayern und, unter Verletzung der belgischen Neutralität, über belgisches Gebiet in die Rheinprovinz und versuchen, unsere Bahnen zu zerstören. Frankreich hat damit den Angriff gegen uns eröffnet und den Kriegszustand hergestellt. Des Reiches Sicherheit zwingt uns zur Gegenwehr. Seine Majestät der Kaiser hat die erforderlichen Befehle erteilt. Der deutsche Botschafter in Paris ist angewiesen, seine Pässe zu fordern.“
Die ersten drei Tage des deutschen Krieges nach zwei Fronten hatten noch keine Gelegenheit zu wichtigen Entscheidungen gegeben. Das lag aber in der Natur der Sache, denn unsere Armee war noch im Aufmarsch begriffen. Am 3. August hatten wir erst den zweiten Mobilmachungstag. Unser Generalstab konnte nur nach wohlüberlegten Grundsätzen handeln, und vorzeitig losschlagen zu lassen, würde nur unersetzliche Verluste an Menschenleben gebracht haben. Erst wägen, dann wagen. Man konnte demnach mit Vertrauen auf unsere Heeresleitung blicken, die die Bewegungen unserer Armee mit jener Sicherheit und Ruhe lenkte, wie wir sie von den Führern in unseren letzten siegreichen Feldzügen gewohnt waren.
Wie wir gesehen haben, ist Osterreich früher als Deutschland zum Kriege gedrängt worden. Eine Woche später war auch im Deutschen Reich der Kriegszustand da, und es zeigten sich alle die wirtschaftlichen Folgen, die ein Waffengang der Völker mit sich bringt. Gleich am ersten Tag nach der Mobilmachung, die in Österreich am 28. Juli, in Deutschland am 2. August erfolgte, traten sämtliche Eisenbahnfahrpläne außer Kraft; der Bahnverkehr hatte mit geringen Ausnahmen nur noch dem Truppenaufmarsch zu dienen. Ausnahmegesetze schufen in Deutschland erst die Reichstagssitzung vom 4. August und die in den folgenden Tagen erlassenen Bekanntmachungen des Bundesrates. In Österreich traten ähnliche Ausnahmebestimmungen und Ausnahmegeselze schon am 25. Juli abends in Kraft, und die Tätigkeit der Parlamente wurde dort sofort eingestellt, während in Deutschland gerade umgekehrt der Reichstag nach dem Kriegsausbruche einberufen wurde.
Wie weit die Verkehrsbeschränkungen in Österreich anläßlich der Mobilmachung gingen, und zwar schon, als es sich zunächst nur um den Krieg gegen Serbien handelte, mögen einige Angaben veranschaulichen. Folgende Korps sind mobil gemacht worden: Graz, Prag, Leitmeritz, Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, Temesvar, Budapest und Agram. Als erster Mobilmachungstag war der 28. Juli festgesetzt. Infolge der Teilmobilisierung wurde auf den in Betracht kommenden Bahnstrecken der Zivilpersonen- und Frachtverkehr mit dem 28. Juli eingeschränkt. Vom dritten Mobilmachungstage an war der Zivilpersonenverkehr gänzlich eingestellt.
Bald erfuhr man, daß Rußland an der österreichischen Grenze 80.000 Mann zusammengezogen habe. Auch weitere Rüstungsmaßnahmen Rußlands wurden bekannt. Aus Petersburg kam die Nachricht, daß Zar Nikolaus sich nach Finnland begeben wolle. Nach erteilter Ermächtigung sollten 14 Armeekorps mobilisiert und im Falle der Mobilmachung des deutschen Heeres die gesamte Wehrkraft auf Kriegsfuß gestellt werden. Ahnliche Meldungen brachten auch Londoner Blätter. Wenngleich diese Nachrichten dem Wiener Vertreter des Wolffschen Telegraphenbüros gegenüber von seiten Rußlands amtlich in Abrede gestellt wurden, so hat die spätere Erfahrung doch gezeigt, daß dieses Dementi nichts war, als ein Glied in der Kette von Lügen, durch welche die deutsche Kriegsbereitschaft verzögert werden sollte. Denn die Mobilisierung der russischen Armee war bereits im Gange und die Absicht des gemeinsamen Marschierens von Rußland und Frankreich schon so gut
wie enthüllt.
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Serbien und Österreich am 28. Juli 1914
Am 28. Juli, dem ersten MobilmachunEstage Österreichs, wurde bekannt, daß in Serbien alle Wehrfähigen vom 18. bis zum 50. Lebensjahre einberufen worden seien. Das war gleichbedeutend mit der allgemeinen Mobilisierung. Das Hauptquartier befand sich in Nisch, wo die Skupschtina zusammentreten sollte. König Peter traf am Montag, den 27. Juli, in Belgrad ein und begab sich nach dem Konak, wo die Königsstandarte gehißt wurde, aber keine Wache aufzog. Nach anderthalbstündigem Aufenthalte reiste der König im Automobil nach dem Hauptquartier ab. Die Mobilmachung schritt angeblich rasch vorwärts; doch herrschte bei den Bauern Unzufriedenheit, weil sie ihre Ernte im Stich lassen mußten. - Auch die Nachrichten über die heimliche russische Mobilisierung mehrten sich. Österreich, das gegen Serbien nur 8 Armeekorps aufgestellt hatte, sah sich veranlaßt, am 31. Juli die gesamte Armee zu mobilisieren; denn die Wahrscheinlichkeit wuchs, daß der Krieg auch gegen Rußland geführt werden müsse.
Auf österreichischer Seite lag die Leitung sowohl der Kriegsvorbereitungen als auch der Operationen im Felde in den Händen des Generalstabschefs General der Infanterie Freiherrn Konrad v. Hötzendorf (s.Bild S.??). Er ist eine der hervorragendsten Persönlichkeiten des österreichischen Heeres und genießt das größte Ansehen. Er gilt als das Haupt der zu energischen Maßnahmen treibenden Partei. Generalstabschef ist er jetzt zum zweiten Male.
Neben dem Generalstabschef war der aus der Artillerie hervorgegangene Kriegsminister, Feldzeugmeister Ritter v. Krobatin (s. Bild S. ?3), an den Kriegsvorbereitungen am meisten beteiligt. Nach längerer Tätigkeit im Ministerium wurde er im Dezember 1912 zum Kriegsminister ernannt, gerade in der schwierigen Zeit der Balkankrisis, als ein Teil des österreichischen Heeres lange Zeit beinah auf Kriegsfuß an der bosnischen und serbischen Grenze versammelt war. Die letzten Heeresvermehrungen sind seiner Tätigkeit zuzuschreiben. Bei ihrer Durchbringung im Parlament entwickelte er großes diplomatisches Geschick.
Erzherzog Friedrich (s. Bild S. 2) wurde als Nachfolger des Erzherzog- Thronfolgers Generalinspekteur der österreichisch-ungarischen Armee und steht damit unter den eigentlichen Armee- und Korpsführern an erster Stelle. Von den serbischen Heerführern verdient die meiste Beachtung der von den Österreichern verhaftete und wieder freigelassene Generalstabschef Putnik (s. Bild S. ?3), der sich im Balkankrieg hervorgetan hat. Er ist übrigens, was nicht ohne Reiz ist, ein ungarländischer Serbe und Deserteur der k. k. Armee. Während Kronprinz Alexander (s. Bild S. ?2) den gesamten Oberbefehl über das serbische Heer übernahm, sind zu Unterheerführern bestimmt worden die Generale Bojowitsch, Bozidar, Jankovic, der vielgenannte Führer der großserbischen Bewegung, und Stefanowitsch (s. Bild S. 8). Alle diese Generale haben im Balkankrieg als Heerführer Bedeutendes geleistet.
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Das Handschreiben von Kaiser Franz Joseph am 28. Juli
Am 28. Juli hat Kaiser Franz Joseph nachfolgendes Handschreiben erlassen:
Lieber Graf Stürgkh! Ich habe mich bestimmt gefunden, meinen Minister zu beauftragen, der Königlich Serbischen Regierung den Eintritt des Kriegszustandes
zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zu notifizieren. In dieser schicksalsschweren Stunde ist es mir Bedürfnis, mich an meine geliebten Völker zu wenden. Ich beauftrage Sie, das anverwahrte Manifest zur allgemeinen Verlautbarung zu bringen. Bad Jschl, 28. Juli 1914. - Franz Joseph m.p.
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An meine Völker !
Es war mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die mir durch Gottes Gnaden noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und meine Völker vor den schweren
Opfern des Krieges zu bewahren. Im Rat der Vorsehung war es anders beschlossen. Die Umtriebe eines haßerfüllten Gegners zwingen mich, zur Wahrung der Ehre meiner Monarchie, zum Schutz ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen.
Mit raschvergessendem Undank hat das Königreich Serbien, das von den ersten Anfängen seiner Selbständigkeit bis in die neueste Zeit von mir gestützt und gefördert worden war, schon vor Jahren den Weg offener Feindseligkeit gegen Österreich-Ungarn betreten. Als ich nach drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bosnien und Herzegowina meine Herrscherrechte auf diese Länder erstreckte, hat diese meine Verfügung im Königreich Serbien, dessen Rechte in keiner Weise verletzt wurden, zügellose Leidenschaft und bittersten Haß hervorgerufen. Meine Regierung hat damals von dem schönen Rechte des Stärkeren Gebrauch gemacht und in äußerster Nachsicht und Milde von Serbien nur die Herabsetzung seines Heeres auf den Friedensstand und das Versprechen verlangt, in
Hinkunft die Bahnen des Friedens und der Freundschaft zu gehen. Von diesem Geiste der Mäßigung geleitet, hat sich meine Regierung, als Serbien vor zwei Jahren im Kampfe mit dem Türkischen Reiche begriffen war, auf die Wahrung der wichtigsten Lebensbedingungen der Monarchie beschränkt. Dieser Haltung hatte Serbien in erster Linie die Erreichung seines damaligen Kriegszweckes zu verdanken.
Die Hoffnung, daß das serbische Königreich die Langmut und Friedensliebe in meiner Regierung würdigen und sein Wort einlösen würde, hat sich nicht erfüllt. Immer höher loderte der Haß gegen mich und mein Haus empor, immer unverhüllter trat das Ziel zutage, untrennbare Gebiete von Österreich-Ungarn gewaltsam loszureißen. Ein verbrecherisches Treiben griff über die Grenzen, um im Südwesten der Monarchie die Grundlagen staatlicher Ordnung zu untergraben, das Volk, dem ich in landesväterlicher Liebe meine volle Fürsorge zuwandte, in seiner Treue zum Herrscherhaus und zum Vaterlande wankend zu machen, die Jugend irrezuleiten und zu frevelhaften Taten des Wahnwitzes und des Hochverrats aufzureizen.
Eine Reihe von Mordanschlägen, eine planmäßig vorbereitete und durchgeführte Verschwörung, deren furchtbares Gelingen mich und meine treuen Völker ins Herz
getroffen hat, bildet die weithin sichtbare blutige Spur jener geheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins Werk gesetzt und geleitet wurden. Diesem unerträglichen Treiben muß Einhalt geboten, dem unaufhörlichen Herausfordern Serbiens ein Ende bereitet werden, soll die Ehre und Würde meiner Monarchie
unverletzt erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor beständiger Erschütterung bewahrt bleiben. Vergebens hat meine Regierung noch einen letzten Versuch unternommen, dieses Ziel mit friedlichen Mitteln zu erreichen, Serbien durch eine ernstliche Mahnung zur Umkehr zu bewegen.
Serbien hat die maßvolle und gerechte Forderung meiner Regierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen, deren Erfüllung im Leben der Völker eine natürliche und notwendige Selbstverständlichkeit bildet. So muß ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt die unerläßliche Bürgschaft zu schaffen, die meinem Staate die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen sichern soll.
In dieser ernsten Stunde bin ich mir der ganzen Tragweite meines Entschlusses und meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen voll bewußt. Ich habe alles geprüft und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete ich den Weg, den die Pflicht mir weist. Ich vertraue auf meine Völker, die sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um meinen Thron geschart haben und für Ehre, Größe und Macht des Vaterlandes zu den schwersten Opfern immer bereit waren. Ich vertraue auf die tapfere und von hingebunEsvoller Begeisterung erfüllte Wehrmacht und ich vertraue auf den Allmächtigen, der meinen Waffen den Sieg verleihen wird. - Franz Joseph m.p. Stürgth m.p.
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Die Einmischung Rußlands .......
Der Krieg mit Serbien allein wäre für Österreich-Ungarn keine besondere Kraftanstrengung gewesen. Die ganzen Kräfte der Monarchie wurden erst durch die Einmischung Rußlands in Anspruch genommen. Schon von Anbeginn an war es sicher, daß für Serbien ein Krieg mit Österreich eine wirtschaftliche Unmöglichkeit bedeuten würde. Freilich wußte man, daß es im Notfalle eine halbe Million Soldaten ins Feld stellen konnte. Für die Verpflegung dieser halben Million aber hatte Serbien nicht die Mittel.
Die letzten Balkankriege hatten seinem wirtschaftlichen Leben tiefe Wunden geschlagen, die beim Ausbruch des Krieges mit Österreich noch lange nicht geheilt waren. Das Bild der Staatseinkünfte würde sich zwar nicht ungünstig darstellen, wenn man dabei normale und friedliche Zeiten ins Auge fassen könnte. In demselben Augenblick aber, "wo" der Krieg mit Österreich in Rechnung gezogen werden mußte, verschob sich dieses Bild. Serbiens Finanzwirtschaft gründet sich nicht zuletzt auf die Einnahmen der Monopolverwaltung, die für den Auslandsschuldendienst verpfändet sind und in Kriegszeiten außerordentlich rasch sinken.
Auf finanzielle Hilfe bei dem Auslande kann dieser Staat kaum rechnen, weil niemand einem Volke, für das der Krieg den wirtschaftlichen Zusammenbruch bedeutet, eine Anleihe gewähren wird. So fehlt der notwendigste Kriegsbedarf, das Geld, den Serben an allen Ecken und Enden. Dies zeigte sich schon bei der Mobilmachung und noch mehr im Kriege bei der Verpflegung des Heeres. Mangelhafte Uniformierung und Ausrüstung, Notwendigkeit der Selbstbeköstigung. Dies und andere Ubelstände veranlaßten viele Soldaten, fahnenflüchtig zu werden. Daß der Krieg unter solchen Verhältnissen für die Serben ein kühnes Unterfangen ist, bedarf keiner weiteren Ausführung, aber noch unsinniger erscheint es, daß Rußland sich für ein nicht nur wirtschaftlich schlecht gerüstetes, sondern auch durch seine Verbrechen ehrlos gewordenes Volk einsetzte.
Der Mangel an Uniformen in der serbischen Armee war noch größer geworden, als eine in Deutschland aufgegebene Bestellung auf 182.000 Uniformen infolge des Krieges nicht ausgeführt wurde. Gleich nach Ausbruch des Krieges hatte sich Montenegro, wie schon erwähnt, auf die Seite Serbiens gestellt. Die „Militärische Rundschau“ wußte schon am 28. Juli 1914 über die militärischen Maßnahmen Montenegros folgendes zu berichten:
„Die Mobilisierungsmaßnahmen sind in vollem Gange. Die Einberufungen erfolgen durch Boten von Ortschaft zu Ortschaft. Die Versammlung der montenegrinischen Streitkräfte erfolgt längs der Westgrenze des Königreichs Serbien in mehreren Gruppen. In Nikschitz sind starke Truppenzusammenziehungen festgestellt worden.
Bei Plewlje steht eine Abteilung mit Artillerie. Im Becken von Grahoma, bei Njegus, westlich Eetinje, sollen sich je eine bis zwei Brigaden versammelt haben. In den montenegrinischen Befestigungen auf dem Lowcen herrscht fieberhafte Tätigkeit. Aus den weiter landeinwärts gelegenen Munitionslagern gehen große Tragtiertransporte an die Westgrenze ab. König Nikolaus und die Regierung sollen beide nach Podgoritza übersiedeln.“
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Die Einberufung der Österreicher in Deutschland
Sofort nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien erhielten die österreichischen Konsulate im Auslande Anweisung zur Einberufung der dort weilenden österreichischen Wehrpflichtigen. Wer Gelegenheit hatte, zu beobachten, in welchen Scharen die einberufenen Österreicher dem Rufe ihres obersten Kriegsherrn Folge leisteten, wird überrascht gewesen sein von der großen Zahl in Deutschland ansässiger Angehöriger der Donaumonarchie. Begeistert folgte Österreichs Jugend dem Rufe des Vaterlandes, und wie es bei den Konsulaten zuging, möge eine kurze Nachricht aus dem Berliner k. k. Generalkonsulat zeigen:
„Vor dem österreichischen Generalkonsulat drängt es sich. Hunderte von jungen Leuten stehen an der kleinen Tür des Hauses in der Keithstraße und warten auf Einlaß. Die Sache geht nicht schnell vonstatten. Die Leute sind ungeduldig; wenn sich die Haustür öffnet, stürmen sie hinein.“
Am 28. Juli hat die österreichisch-ungarische Regierung Serbien die Kriegserklärung gesandt, von der sie auch die übrigen Mächte benachrichtigte. Kaiser Franz Joseph befand sich zur Zeit, als der Konflikt mit Serbien ausbrach, in seinem gewohnten Sommeraufenthalt im Badeorte Jschl. Am 30. Juli nachmittags traf er mit dem Thronfolger Karl Franz Joseph in Wien ein, von wo aus sie sich sofort nach Schönbrunn begaben. Die Begrüßung des greisen Monarchen durch die seit dem frühen Morgen des Kaisers harrende Wiener Bevölkerung, von der sich Hunderttausende in der Einefahrtstraße eingefunden hatten, gestaltete sich zu einer einzigartigen, überwältigenden Kundgebung. Zum zweiten Male unterbrach der Kaiser in diesem Jahre seinen Aufenthalt in Jschl, um in die Hauptstadt zurückzukehren. Der Empfang war ein glänzendes Zeugnis für die Vaterlandsliebe und die begeisterte Stimmung der Wiener Bevölkerung. Das gleiche Bild in den übrigen Städten des Landes.
Der Krieg hatte mit einem Schlage die Völkerschaften der Donaumonarchie geeinigt und allen kleinlichen Hader verstummen lassen. Tausende meldeten sich täglich als Freiwillige zum Kriegsdienst, darunter auch zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten und Hocharistokraten, wie der Präsident des österreichischen Herrenhauses Fürst Alfred Windischgraetz, Fürst Otto Windischgraetz, Prinz Ludwig Windischgraetz, Fürst Franz Joseph Auersperg und derLandmarschall von Niederösterreich, Prinz Alois Liechtenstein.
Als Kaiser Franz Joseph nach der Ankunft im Schönbrunner Schloß dem Wagen entstieg, hielt Bürgermeister Dr. Weißkirchner eine Ansprache, in der er den Schwur der Treue zu Kaiser und Reich im Namen der Wiener Bürger erneuerte und dabei sagte: „Die Österreicher wollen für die Ehre und den Ruhm ihres Vaterlandes alles daransetzen,“ worauf der Kaiser mit den denkwürdigen Worten erwiderte: „Ich glaubte in meinem Alter, nun Jahre des Friedens erleben zu sollen. Die Entschließung ist mir gewiß schwer gefallen, aber aus den allseitigen Kundgebungen gewinne ich die Ülberzeugung, daß mein Entschluß der richtige war.“
Bürgermeister Dr. Weißkirchner antwortete: „Gott möge Eure Majestät schützen und unsere Waffen segnen.“ Die österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz erließ einen Aufruf, in dem es heißt: „Es ist heilige Pflicht, unserer ruhmreichen Armee zu gedenken, welche ins Feld zieht, mit Gottes Hilfe zum Sieg. Bürger, helfet unseren Soldaten! Sendet Geldspenden, Verbandzeug, Genußund Lebensmittel, deren Sammlung und Verteilung in einheitlicher und großzügiger Aktion das unter dem Protektorat des Kaisers stehende österreichische Rote Kreuz besorgt.“
Die Stimmung in Europas metropolen
Durch Allerhöchstes Handschreiben wurde der Protektor- Stellvertreter des Roten Kreuzes in der Monarchie, Erzherzog Franz Salvator, zum Generalinspektor der freiwilligen Sanitätspflege ernannt. Erzherzogin Maria Weresia hatte den Kaiser um die Genehmigung gebeten, als Rote-Kreuz- Schwester dienen zu dürfen. Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien rief in Petersburg leidenschaftliche Kundgebungen hervor. Ungeheure Menschenmengen durchzogen die Straßen der Stadt, fortwährend rufend: „Hoch Serbien! Hoch Frankreich! Nieder mit Österreich! Nieder mit Deutschland!“
Die Schreier begaben sich vor das französische Gesandtschaftsgebäude und die serbische Gesandtschaft, wo sie erneut Hochrufe auf die beiden Mächte ausbrachten. Das österreichische und das deutsche Botschaftsgebäude wurden militärisch bewacht. Serbische Offiziere und Soldaten wurden bei ihrer Abreises auf den Bahnhöfen von der Menge stürmisch begrüßt. Nach verschiedenen Meldungen sollten sämtliche Streiks beigelegt sein.
Auch aus Moskau trafen Meldungen ein, wonach dort deutsch- und österreich- feindliche Kundgebungen stattgefunden hätten. Die serbische Skupschtina war am 31. Juli in Nisch mit einer Thronrede eröffnet worden. Sie betonte, daß Serbien auf die Hilfe Rußlands und auf die Sympathien Frankreichs und Englands rechnen könne, und wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Auch wurde alsbald ein Aufruf an das serbische Volk erlassen. Von den serbischen Zuständen, die gleich nach Ausbruch des Konfliktes mit Österreich eintraten, gibt ein deutscher Kriegsberichterstatter in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ folgende anschauliche Schilderung:
„Seit der Hof, die Regierung und das diplomatische Korps mit der Armee geflüchtet sind, beginnt Serbien, sich für den österreichisch-ungarischen Einfall vorzubereiten. Anfangs gebärdete es sich dabei grimmig, jetzt aber scheint es sich schon zu beruhigen. Die Mobilmachung geht sehr schlecht vonstatten, es fehlt an dem Eifer der Einberufenen sowie an BeförderunEsmaterial. Bis jetzt sind nach Schätzungen von Amtspersonen nicht mehr als acht- bis zehntausend Mann aus dem Gebiete der Donaudivision nach Nisch abgegangen. Abgesehen von dem Geschrei einzelner Freiwilliger verhielt sich die Bevölkerung angesichts der Mobilmachung ziemlich teilnahmlos. Sobald die fremden Gesandten Belgrad verlassen und die Leute niemand mehr zu verblüffen hatten, hielt überhaupt völlige Ruhe Einkehr.
Die Stimmung in Serbien
Montag mittag mußte sogar ausgetrommelt werden, daß sich alle Leute von achtzehn bis sechzig Jahren bei ihren Kommandos zu melden haben. Die bisher eingerückten Leute mußten stundenlang auf dem Bahnhof auf den Zug warten. Eine Beförderung, die für ein Uhr nachmittaEs vorgeschrieben gewesen, konnte erst um fünf Uhr bewerkstelligt werden; der Zug ging in der größten Unordnung ab. Der Lokomotivführer schrie, er wisse ja nicht einmal, wo er haltzumachen habe. Die Eisenbahner, die nach Belgrad zurückkommen, erzählen, daß die Züge auf der Strecke stundenlang stecken blieben. Auch bei der Ausrüstung herrscht ein wahres Durcheinander, so daß die meisten Einberufenen in Bauernkleidern nach Nisch fahren müssen, um erst dort ausgerüstet zu werden. Auf der Strecke Belgrad-Nisch sieht man nachts an den Stationen Bauerngruppen auf den Militärzug warten. Nur die Sprache der Offiziere stimmt nicht überein mit der Sachlage; so sagte zum Beispiel am Bahnhof von Nisch ein Major zu einem griechischen Journalisten: ,Wir haben nichts zu befürchten! Wir sind fertig, Sie sehen es an mir! Zu einem Kriege kommt es nicht, weil sich Österreich vor uns fürchtet, denn fast alle Staaten mobilisieren zu unseren Gunsten: Rußland, Rumänien und
Griechenland allen voran! Der griechische Journalist lächelte, da er ganz gut wußte, daß Griechenland in keinem Fall mobil machen werde.
Der Major wurde durch dieses Lächeln in seinem Redeeifer gestört und fuhr dann melancholischer fort: ,Ja, wissen Sie, wir konnten die österreichischen
Bedingungen nicht annehmen, weil sie für uns entehrend waren. Was jetzt aus uns wird, weiß niemand, aber das eine kann ich sagen, daß wir, wenn wir schon zugrunde gehen, wie Serben untergehen werden. Was er damit sagen wollte, ist uns allen ein Rätsel geblieben, da ja die Serben nach der Geschichte nicht gerade ruhmvoll zugrunde zu gehen pflegen. Man erinnere sich nur an die Flucht Karageorgs, des Gründers der jetzigen Dynastie (1818), sodann an die Laufpartien aus dem serbisch-türkischen und dem serbisch-bulgarischen Kriege (1876 und 1885). Die Leute, die man in den Militärstationen gewahrt, sehen übrigens schlecht aus, gedrückt und niedergeschlagen stehen sie da, unbeweglich, starren Blicks. - Lust und Sorglosigkeit heucheln nur die Abenteurer. Der Belgrader Polizeichef sagte lustig zu den Journalisten: ,Es wird keinen Krieg geben! Das Ganze ist nur ein österreichischer Bluff.' - Zur selben Zeit aber trifft die Behörde ruhig Vorkehrungen, um die Straßen, durch welche die Österreicher in Belgrad einziehen könnten, zu reinigen, damit sie keine schlechte Meinung von Belgrad bekommen.
Wie immer, bleibt also Serbien das Land des Galgenhumors, wo sich naivste Kindereien mit grausamster Wildheit paaren.“
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28. Juli 1914 - am Grenzflusse zwischen Bosnien und Serbien
Wie wir bereits früher mitgeteilt haben, überschritten die Österreicher sofort nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen die Donau und besetzten den serbischen Grenzort Mitrowicz. Die Österreicher fanden nicht den geringsten Widerstand. Die ersten Feindseligkeiten entwickelten sich am 28. Juli an der Drina, dem Grenzflusse zwischen Bosnien und Serbien. Serbische Freiwillige besetzten an mehreren Punkten den Fluß, die österreichischen Grenztruppen erwiderten das Feuer. Die Serben beschossen irrtümlich einen ihrer eigenen Transportdampfer. Im serbischen Teil des früheren Sandschaks Nooibazar waren Truppen vorgerückt. Die serbischen Truppen schoben ihre Posten bis Priboi vor, um mit den montenegrinischen Truppen bei Plewlje Fühlung zu nehmen. König Nikita siedelte mit der montenegrinischen Regierung von Eetinje nach Podgoritza über. Gleichfalls am 28. Juli gelang es einer kleinen Abteilung Pioniere im Verein mit Mannschaften der Finanzwachen, zwei serbische Dampfer, mit Munition und Minen beladen, wegzunehmen. Die Pioniere und Finanzwachen überwältigten nach kurzem, aber heftigem Kampfe die an Zahl überlegene serbische Schiffsbesatzung, setzten sich in den Besitz der Dampfer samt ihrer gefährlichen Ladung und ließen sie von zwei österreichischen Donaudampfern fortschleppen.
Über die Vorwärtsbewegung der Serben wurde bekannt, daß im Morawatal eine Zusammenziehung der Truppen bei Uzice und Vojavewta stattfinde. Die „Narodna Odbrana“ bilde ein Freiwilligenkorps. Die Verpflegung und Munition der Serben seien sehr mangelhaft. Die Serben wollten ihren Hauptstoß nach Bosnien richten, weil sie hofften, bei der daselbst zahlreich ansässigen serbischen Bevölkerung Unterstützung zu finden, eine Hoffnung, die durch das österreichtreue Verhalten der bosnischen Bevölkerung gründlich getäuscht wurde.
Gleich nach Beginn der Kriegsoperationen kam die Nachricht, daß Belgrad von den Österreichern besetzt worden sei. Es hieß sogar, die Österreicher hätten die keineswegs befestigte Stadt bombardiert. Alle diese Nachrichten entsprachen nicht den Tatsachen. Am 30. Juli brachten aber verschiedene deutsche Blätter eine Depesche folgenden Inhalts:
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