"Die Wahrheit" - eine Betrachtung an Beispielen unserer deutschen Geschichte
Alleine die Definition von "Wahrheit" stellt die allermeisten intelligenten Menschen vor ein unlösbares Problem, nahezu identisch mit der unlösbaren Definition von "Gerechtigkeit". Es gab aber Zeiten, da wurde die "Wahrheit" von ganz oben diktiert. Und sie wurde erheblich mißbraucht, um zum Beispiel den Krieg als des "Volkes Wille" in die Köpfe der reichs- deutschen Bevölkerung zu tragen.
Auf den nachfolgenden Seiten lesen Sie viele Artikel aus einer deutschen Wochen- Zeitschrift über den Beginn des ersten Weltkrieges 1914 und den Verlauf dieses Krieges, den das Deutsche Reich samt der österreichischen k&k-Monarchie haushoch verloren hatte. Die besondere Aufmerksamkeit beim Lesen sollte sich auf die heroischen "auschmückenden" Attribute der kriegsverherrlichenden Beschreibungen richten.
Und wie man auch in modernen Zeiten die Wahrheit "manipulieren" könnte oder kann, lesen Sie in dem Buch des Dr. Eduard Stäuble (Fernsehen - Fluch oder Segen) aus dem Jahr 1979.
Diese "Betrachtungen" und Beispiele hier sind noch in Arbeit !
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Die Geschichte des Weltkrieges 1914 - Heft 3
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Die Unwahrhaftigkeit unserer Feinde!
Von Gerhart Hauptmann.
Wir sind ein eminent friedliches Volk. Der oberflächliche Feuilletonist Bergson in Paris mag uns immerhin Barbaren nennen, der große Dichter und verblendete Gallomane Maeterlinck uns mit ähnlichen hübschen Titeln belegen, nachdem er uns früher ,,das Gewissen Europas'' genannt hat. Die Welt weiß, daß wir ein altes Kulturvolk sind.
Die Jdee des Weltbürgertums hat nirgends tiefere Wurzeln geschlagen als bei uns. Man betrachte unsere Übersetzungsliteratur und nenne mir dann ein Volk, das sich ebenso wie wir bemüht, dem Geiste und der Eigenart anderer Völker gerecht zu werden, ihre Seele liebevoll eingehend zu verstehen. Auch Maeterlinck hat bei uns seinen Ruhm und sein Gold gewonnen. Für einen Salonphilosophaster wie Bergson ist allerdings im Lande Kants und Schopenhauers kein Platz.
Ich spreche es aus: wir haben und hatten keinen Haß gegen Frankreich; wir haben einen Kultus mit der bildenden Kunst, Skulptur und Malerei, und mit der Literatur dieses Landes getrieben. Die Wertschätzung Rodins wurde von Deutschland aus in die Wege geleitet; wir verehren Anatole France. Maupassant, Flaubert, Balzac wirken bei uns wie deutsche Schriftsteller. Wir haben tiefe Zuneigung zu dem Volkstum Südfrankreichs. Leidenschaftliche Verehrer Mistrals findet man in kleinen deutschen Städten, in Gäßchen und Mansarden. Es war schmerzlich zu bedauern, daß Deutschland und Frankreich politisch nicht Freunde sein konnten. Sie hätten es sein müssen, weil sie Verwalter des kontinentalen Geistesgutes, weil sie zwei große, durchkultiVierte europäische Kernvölker sind. Das Schicksal wollte es anders.
1870
1870 erkämpften sich die deutschen Stämme die deutsche Einheit und das Deutsche Reich. Unter diesen Errungenschaften ward unserem Volke eine mehr als vierzigjährige friedliche Epoche beschieden. Eine Zeit des Keimens, des Wachsens, des Erstarkens, des Blühens, des Fruchttragens ohnegleichen. Aus einer immer zahlreicher werdenden Bevölkerung bildeten sich immer zahlreichere Individuen. Individuelle Tatkraft und allgemeine Spannkraft führten zu den großen Leistungen unserer Industrie, unseres Handels, unseres Verkehrs. Ich glaube nicht, daß ein amerikanischer, englischer, französischer oder italienischer Reisender sich in deutschen Familien, in deutschen Städten, in deutschen Gasthöfen, auf deutschen Schiffen, in deutschen Konzerten, in deutschen Theatern, in Bayreuth, auf deutschen Bibliotheken, in deutschen Museen wie unter Barbaren gefühlt hat. Wir besuchten andere Länder und hatten für jeden Fremden die offene Tür.
Gewiß, unsere geographische Lage, bedrohliche Mächte in Ost und West, zwangen uns, für die Sicherheit unseres Hauses zu sorgen. So ward unsere Armee, unsere Flotte ausgestaltet. in diese Gestaltung wurde der Strom deutscher Arbeit, Tüchtigkeit und Erfindungskraft zu einem erheblichen Teil hineingeleitet. Daß dies notwendig war, wissen wir jetzt besser, als wir es je gewußt haben. Aber Kaiser Wilhelm II., oberster Kriegsherr des Reiches, hat aus wahrhaftiger Seele den Frieden geliebt und den Frieden gehalten. Unsere exakte Armee sollte einzig der Verteidigung dienen. Wir wollten drohenden Angriffen gegenüber gerüstet sein. Ich wiederhole: das deutsche Volk, die deutschen Fürsten, an der Spitze Kaiser Wilhelm, haben keinen anderen Gedanken gehabt, als durch Heer und Flotte den Bienenstock des Reiches, das fleißige, reiche Wirken des Friedens, zu sichern. Ohne Anmaßung gebe ich meiner tiefen Überzeugung Ausdruck, wenn ich sage: es ist ein leidenschaftlich festgehaltener Lieblingsgedanke des Kaisers gewesen, einst die segensreiche Epoche seiner Regierung als durchaus friedliche abzuschließen. Es ist nicht seine, nicht unsere Schuld, wenn es anders gekommen ist.
Ein Verteidigungskrieg
Der Krieg, den wir führen, und der uns aufgezwungen ist, ist ein Verteidigungskrieg. Wer das bestreiten wollte, der müßte sich Gewalt antun. Man betrachte den Feind an der östlichen, an der nördlichen, an der westlichen Grenze. Unsere Blutsbrüderschaft mit Osterreich bedeutet für beide Länder die Selbsterhaltung. Wie man uns die Waffe in die Hand gezwungen hat, das mag jeder, dem es um Einsicht, statt um Verblendung zu tun ist, aus dem Depeschenwechsel zwischen Kaiser und Zar, sowie zwischen Kaiser und König von England entnehmen. Freilich, nun haben wir die Waffe in der Hand, und nun legen wir sie nicht mehr aus der Hand, bis wir vor Gott und Menschen unser heiliges Recht erwiesen haben.
Wer aber hat diesen Krieg angezettelt? Wer hat sogar den Mongolen gepfiffen, diesen Japanern, daß sie Europa hintertückisch und feige in die Ferse beißen? Jedenfalls doch unsere Feinde, die, umgeben von Kosakenschwärmen, für die europäische Kultur zu kämpfen vorgeben. Nur mit Schmerz und mit Bitterkeit spreche ich das Wort England aus. Ich gehöre zu denjenigen Barbaren, denen die englische Universität Oxford ihren Ehren-Doktorgrad verlieh. Ich habe Freunde in England, die mit einem Fuße auf dem geistigen Boden Deutschlands stehen. Haldane, ehemals englischer Kriegsminister, und mit ihm zahllose Engländer traten regelmäßige Wallfahrten nach dem kleinen, barbarischen Weimar an, wo die Barbaren Goethe, Schiller, Herder, Wieland und andere für die Humanität einer Welt gewirkt haben. Wir haben einen deutschen Dichter, dessen Dramen, wie keines anderen deutschen Dichters, Nationalgut geworden sind: er heißt Shakespeare.
Shakespeare, ein Deutscher ?
Dieser Shakespeare ist aber zugleich Englands Dichterfürst. Die Mutter unseres Kaisers ist eine Engländerin, die Gattin des englischen Königs eine Deutsche. Und doch hat diese stamm- und wahlverwandte Nation uns die Kriegserklärung ins Haus geschickt. Warum? Der Himmel mag es wissen. Soviel ist gewiß, daß das nun eröffnete bluttriefende Weltkonzert in einem englischen Staatsmann seinen Impresario und Dirigenten hat. Allerdings ist die Frage, ob das Finale dieser furchtbaren Musik noch den gleichen Dirigenten am Pult sehen wird.
,,Mein Vetter, du hast es nicht gut gemeint, weder mit dir selbst, noch mit uns, als deine Werkzeuge den Mordbrand in unsere Hütten warfen.“
Während ich diese Worte schreibe, ist der Tag der Sonnenfinsternis vorübergegangen. Die deutsche Armee hat zwischen Metz und den Vogesen acht französische Armeekorps geworfen, und sie sind auf der Flucht. Wer als Deutscher inmitten des Landes lebt, fühlte: es sollte, es mußte so kommen. Man legte uns einen eisernen Ring um die Brust, und so wußten wir, diese Brust mußte sich dehnen, mußte den Ring sprengen oder aber zu atmen aufhören. Aber Deutschland hört nicht zu atmen auf, und so zersprang der eiserne Ring.
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Die heilige Aufgabe
Wenn der Himmel es will, daß wir aus dieser ungeheuren Prüfung erneut hervorgehen, so werden wir die heilige Aufgabe zu lösen haben, unserer Wiedergeburt würdig zu sein. Durch den vollständigen Sieg deutscher Waffen wäre die Selbständigkeit Europas sichergestellt. Es würde darauf ankommen, den Völkerfamilien des Kontinents begreiflich zu machen, daß dieser Weltkrieg der letzte unter ihnen bleiben muß. Sie müssen endlich einsehen, daß ihre blutigen Duelle nur demjenigen schmählichen Vorteil einbringen, der, ohne mitzukämpfen, sie anstiftet. Dann müssen sie einer gemeinsamen, tiefkulturellen Friedensarbeit obliegen, die Mißverständnisse unmöglich macht. Es war in dieser Beziehung vor dem Kriege schon viel geschehen. Im friedlichen Wettstreit fanden sich die Nationen, und sie sollten sich noch zuletzt in den Olympischen Spielen zu Berlin finden.
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- Anmerkung : Wann wurde Berlin 1936 als Austragungsort der Olympiade bestimmt ? Wußte man das um 1919 schon ? Das könnte ein Hinweis sein, wann diese 234 Hefte geschrieben wurden.
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- Anmerkung 2 : Woher wußte der Autor dieses Textes, daß es ein "Weltkrieg" würde ??
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Die internationale Wirksamkeit von Kunst und Wissenschaft
Ich erinnere an die Wettflüge, Wettfahrten, Wettrennen, an die internationale Wirksamkeit von Kunst und Wissenschaft und die große übernationale Preisstiftung. Das Barbarenland Deutschland ist, wie man weiß, den übrigen Völkern mit großartigen Einrichtungen sozialer Fürsorge vorangegangen. Ein Sieg müßte uns verpflichten, auf diesem Wege durchgreifend weiterzugehen und die Segnungen solcher Fürsorge allgemein zu verbreiten. Unser Sieg würde fernerhin dem germanischen Völkerkreise seine Fortexistenz zum Segen der Welt garantieren. Mehr als je ist während der letzten Jahrzehnte zum Beispiel das skandinavische Geistesleben für das deutsche und umgekehrt das deutsche für das skandinavische befruchtend gewesen. Wie viele Schweden, Norweger, Dänen haben in dieser Zeit, ohne einen fremden Blutstropfen zu fühlen, deutschen Brüdern zu Stockholm, Ehristiania, Kopenhagen, München, Wien, Berlin die Hand gereicht! Wieviel heimatliche Gemeinsamkeit ist nicht allein um die großen und edlen Namen Ibsens, Björnsons und Strindbergs innigst lebendig geworden!
Ich höre, daß man im Ausland eine Unmenge lügnerische Märchen auf Kosten unserer Ehre, unserer Kultur und unserer Kraft zimmert. Nun, diejenigen, die da Märchen fabulieren, mögen bedenken, daß die gewaltige Stunde dem Märchenerzähler nicht günstig ist. An drei Grenzen steht unsere Blutzeugenschaft. Ich selbst habe zwei meiner Söhne hinausgeschickt. Alle diese furchtlosen deutschen Krieger wissen genau, für was (besser "wofür") sie ins Feld gezogen sind.
Den Goetheschen Faust neben dem Gewehr
Man wird keinen Analphabeten darunter finden. Aber desto mehr solche, die, neben dem Gewehr in der Faust, ihren Goetheschen Faust, ihren Zarathustra, ein Schopenhauersches Werk, die Bibel oder Homer im Tornister haben. Und auch die, die kein Buch im Tornister haben, wissen, daß sie für einen Herd kämpfen, an dem jeder Gastfreund sicher ist. Auch jetzt hat man bei uns keinem Franzosen, Engländer oder Russen ein Haar gekrümmt, oder gar, wie im Lande des empfindsamen Herrn Maeterlinck, an wehrlosen Opfern, einfachen einsässigen deutschen Bürgern und Bürgersfrauen, grausamsten, fluchwürdigen, nichtsnutzigen, bestialischen Meuchelmord geübt. Ich gebe auch Herrn Maeterlinck speziell die Versicherung, daß niemand in Deutschland daran denkt, sich von solchen Handlungen einer Kulturnation etwa zur Nachahmung reizen zu lassen. Wir wollen und werden lieber weiter deutsche Barbaren sein,denen die vertrauensvoll unsere Gastfreundschaft genießenden Frauen und Kinder unserer Gegner heilig sind.
Ich kann ihm versichern, daß wir, bei aller Achtung vor einer „höheren Gesittung'' der französisch-belgischen Zunge, uns doch niemals dazu verstehen werden, belgische Mädchen, Weiber und Kinder in unserem Lande feige unter qualvollen Martern hinzuschlachten. Wie gesagt, an den Grenzen steht unsere Blutzeugenschaft: der Sozialist neben dem Bourgeois, der Bauer neben dem Gelehrten, der Prinz neben dem Arbeiter, und alle kämpfen für deutsche Freiheit, deutsches Familienleben, für deutsche Kunst, deutsche Wissenschaft, deutschen Fortschritt, sie kämpfen mit vollem, klarem Bewußtsein für einen edlen und reichen Nationalbesitz, für innere und auch äußere Güter, die alle dem allgemeinen Fortschritt und Aufstieg der Menschheit dienstbar sind.
Kriegsnachrichken aus aller Welt.
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Unsere Reiter und Flieger.
Aus den ersten Patrouillengefechten im Westen wird jetzt, wie die „Frankfurter Zeitung“ zu berichten weiß, ein echtes deutsches Reiterstück bekannt. Ein Ulanenleutnant reitet mit einem Gefreiten auf Kundschaft über die Grenze. Sie machen wichtige Feststellungen und geraten in ihrem Tatendrang zu weit in Feindesland. Da stürmt auf sie eine feindliche Patrouille ein. Dem Leutnant wird das Pferd unter dem Leibe erschossen, er kommt unter das Tier zu liegen und bricht das Schlüsselbein. Der feindliche Offizier geht mit geschwungenem Säbel auf ihn los, ein Pistolenschuß des deutschen Offiziers streckt ihn zu Boden, und unterdes haut der Gefreite die anderen in die Flucht. Dann setzt der Brave seinen Leutnant auf den Gaul, daß er Meldung machen und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen kann; er selbst schlägt sich seitwärts in die Büsche. Noch hat der Offizier die Grenze nicht erreicht, da hört er rasenden Galopp, und der Gefreite, den er verloren geglaubt, kommt dahergesprengt. Er ist auf eine zweite Patrouille gestoßen, hat einen Mann erschossen, sich auf den Gaul geschwungen und in Sicherheit gebracht.
Von den Taten der Militärflieger erfährt man seltener etwas. Um so mehr wird eine Bravourleistung interessieren, die die „Leipziger Neuesten Nachrichten'' mitteilen. Unter den Fliegern auf dem westlichen Kriegschauplatz befindet sich auch der Sohn eines Leipziger Ingenieurs. Auf einer Feldpostkarte schildert er auch ein hübsches Fliegerstück: „Die große Schlacht bei Metz ist glücklich verlaufen, die Massen haben tapfer gekämpft. Leider ist einer unserer besten Fliegeroffiziere nicht zurückgekehrt. Er hatte seinen Auftrag glänzend gelöst. Auf dem Rückzug
jedoch haben den Leutnant feindliche Kugeln in 800 Meter Höhe getötet. Sein Begleiter, ein Oberleutnant, übernahm die Steuerung, mußte aber auf feindlichem Boden landen, wo feindliche Offizierspatrouillen auf ihn schossen. Unser Oberleutnant schoß einen feindlichen Offizier vom Pferd,nahm die Mütze des Gefallenen, schwang sich aufs Roß und ist so durch die feindliche Schützenlinie zu uns zurückgekehrt. Zwar hat auch er zwei Schüsse erhalten, doch sind die Wunden nicht besonders schwer.“
Deutscher Kampfgeist.
In der „Köln. Volkszeitung“ wird geschrieben: Ein Unteroffizier erhielt bei der Erstürmung der Lütticher Forts einen Streifschuß ins linke Knie und einen Schuß durch den rechten Oberschenkel. Später wurde unser Unteroffizier nach Aachen in ein Krankenhaus gebracht. Es hielt ihn nicht im Bette. Doch waren alle Bitten, ihm Krücken zu bringen und ihn aufstehen zu lassen, vergebens. Da klettert er eines Morgens aus dem Bette, zieht seine Kleider an, gebraucht einen Stuhl als Krücke und humpelt, auf diesen gestützt, durch die Gänge zum Garten, um hier stillvergnügt die schöne Gotteswelt zu genießen. Endlich finden ihn die Schwestern. Ihre Vorwürfe machen ihm keinen Eindruck. Sie schicken den Arzt. „Sehen Sie, Herr Sanitätsrat, wie weit ich schon hergestellt bin? Besorgen Sie mir nur zwei Krücken; in wenigen Tagen kann ich wieder laufen, und dann geht’s zurück in die Front !“
Der liebe alte Herr schüttelt den Kopf. »Das ist alles schön und gut, aber vorher wollen wir doch mal das Fieber messen! 39,6 Grad! Das genügt! Jetzt nix wie ins Bett, mein lieber Sohn, und machen Sie nicht noch einmal solche Dummheiten! Mit Gottes Hilfe will ich Sie schon bald reparieren, und dann, wenn Sie ganz hergestellt sind, mögen Sie wieder zur Front gehen!“
Einem anderen Insassen dieses Hospitals war durch einen Schuß der Fußknöchel zerschmettert worden; er erhielt einen Gipsverband. Auch ihn packte die Ungeduld. „Wie können sie nur in der Front fertig werden ohne mich? Herr Sanitätsrat, entlassen Sie mich doch aus dem Krankenhaus!“ „Wie wollen Sie denn marschieren mit einem Gipsverband?'' „Jch brauch’ gar nicht zu marschieren! Ich bin doch Kavallerist! Wenn ich nur mal ’nen Gaul unter mir habe, soll mich schon keiner herunterkriegen, trotz des Gips-Verbandes !“
Die Geschichte eines frühereren Fremdenlegionärs
Ein früherer Fremdenlegionär war glücklich desertiert, hatte sich in Deutschland gestellt, seine Strafe abgesessen, war eingezogen worden und diente bei Ausbruch des Krieges. Auch er war bei Lüttich ziemlich schwer verwundet worden durch einen Schuß in die Schulter. Sobald er aufstehen durfte, quälte er Arzt und Schwestern, sie möchten ihn doch wieder zu seinem Regiment lassen. Vergebens! „Schwester, ich kann für nichts einstehen! Wenn ihr mich nicht laufen laßt, kneife ich euch aus !“ Und richtig, auf einmal ist Musketier H. verschwunden und nirgendwo zu finden. Nach drei Tagen kommt von ihm eine Karte aus Luxemburg an: er sei wieder bei seinem Regiment eingetreten und danke Arzt und Schwestern für die freundliche Pflege! Es ist diesen ein Rätsel, wie der Mann trotz seiner Verwundung dorthin kam und wie es ihm möglich ist, die Anstrengungen des Feldzugs zu ertragen.
Eine Erinnerung aus den Mobilmachungstagen im Schwarzwald teilt der Schwäb. Merkur mit. Auf dem Bahnhof herrschte ein großes Gedränge von einberufenen Reservisten und ihren Angehörigen. Da sah ich manche rührende Abschiedzgruppe, aber eine fesselte meine Teilnahme besonders: ein Vater mit seinem Sohn, die ruhig, wortlos voreinander standen. Das Zeichen zur Abfahrt wurde gegeben, bei langsamem Vorübergehen an den beiden hörte ich, wie der rüstige, noch ungebeugte Schwarzwälder seinem Sohne die letzten Geleits- und Abschiedzworte mitgab; Fest und schwer lag die Hand des Alten auf der Schulter des Jungen, fest und klar war seine Stimme:
„Jetzt gilt’s Bua - i sag dir, kei Schuß a Fehlschuß.“ - Still wandte ich mich ab, das letzte Umkrampfen der arbeitsharten Hände, der letzte, lange Blick der beiden Augenpaare sollten an mir keinen Zeugen haben. Aber mit gehobenem Herzen verfolgte ich meinen Heimweg. »Lieb Vaterland, magst ruhig sein“; wenn deutsche Väter ihre Söhne mit solchen kernigen Mahnworten hinaus in den Krieg schicken, ist es um uns wohlbestellt.
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Wie urteilte ein Kenner vor 44 Jahren über England?
Den bekannten »Kriegsbriefen aus den Jahren 1870/71“ des Generals Hans V. Kretschman, die seine Tochter, Lili Braun, 1904 herausgegeben hat, entnimmt die „Neue Badische Landeszeitung“ ein interessantes Urteil Kretschmans über England. „Ohne England,“ so schreibt dieser am 25. Dezember 1870 an die Seinen, „hätten wir jetzt Frieden. Frankreich konnte nie seine neuen Truppen bewaffnen. England hat aus seinen eigenen Armeebeständen geliefert; und ich denke mir, das die englischen Minister jetzt ziemlich die reichsten Leute der Erde sein werden. Diesen Staat wird man später Vernichten müssen . . . Das Volk, das, so weit die Erde reicht, , jedem Mörder, gegen Bezahlung den Dolch liefert, dem jedes Verbrechen, an Staat - Kirche - oder Gesittung, recht ist, wenn es nur dabei Geld verdienen kann, dies Volk darf keinen Platz im Rate Europas behalten.“
Die Geschichte des Weltkrieges 1914.
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Verlesung der Thronrede am 4. August 1914
Die Sitzung des Reichstags, die sich an die Verlesung der Thronrede durch den Kaiser anschloß, wurde vom Präsidenten Dr. Kämpf am 4. August 1914 um drei Uhr fünfzehn Minuten nachmittags eröffnet. Zur Beratung stand die erste, zweite und dritte Lesung einer Reihe durch die politische Lage notwendig gewordener Gesetzentwürfe, deren wichtigster die Bewilligung eines Kredits von fünf Milliarden Mark betraf.
Der Präsident teilt mit, daß er dem Kaiser Mitteilung von der Konstituierung des Hauses machen werde. Der Kaiser habe sich bereit erklärt, das Präsidium heute abend sieben Uhr zu empfangen. Er hoffe, dem Kaiser alsdann Mitteilung machen zu können, daß die eingegangenen Vorlagen Annahme gefunden haben. Schriftführer Abg. Fischer verliest das Verzeichnis der vorgelegten Gesetzentwürfe.
Sodann ergreift Reichskanzler Or. v. Bethmann Hollweg das Wort. Unter anfänglichem tiefen Schweigen aller Anwesenden, das aber bald und oft von lebhaften Zwischenrufen und stürmischem Beifall unterbrochen wurde, führt er aus:
Hier die Rede im Wortlaut
Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. Seit wir uns das Deutsche Reich und Ansehen in der Welt erkämpften, haben wir vierundvierzig Jahre lang in Frieden gelebt und den Frieden Europas geschirmt. In friedlicher Arbeit sind wir stark und mächtig geworden und darum beneidet. Mit zäher Geduld haben wir es ertragen, wie unter dem Vorwande, daß Deutschland kriegslüstern sei, in Ost und West Feindschaften genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. Der Wind, der da gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf.
Wir wollten in friedlicher Arbeit weiterleben, und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging es vom Kaiser bis zum jüngsten Soldaten: nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist erschienen - gegen unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Rußland hat die Brandfackel an das Haus gelegt. Wir stehen in einem erzwungenen Kriege mit Rußland und Frankreich. Meine Herren, eine Reihe von Schriftstücken, zusammengestellt in dem Drang der sich überstürzenden Ereignisse, ist Ihnen zugegangen. Lassen Sie mich die Tatsachen herausheben, die unsere Haltung kennzeichnen.
Vom ersten Augenblick des österreichisch-serbischen Konfliktes an erklären und wirken wir dahin, daß dieser Handel auf Osterreich-Ungarn und Serbien beschränkt bleiben müsse. Alle Kabinette, insonderheit auch England, vertreten denselben Standpunkt. Nur Rußland erklärt, daß es bei der Austragung dieses Konfliktes mitreden müsse. Damit erhebt die Gefahr europäischer Verwicklung ihr drohendes Haupt. Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über militärische Rüstungen in Rußland vorliegen, lassen wir in Petersburg freundschaftlich, aber nachdrücklich erklären, daß kriegerische Maßnahmen gegen Österreich uns an der Seite unseres Bundesgenossen finden würden und daß militärische Vorbereitungen gegen uns selbst uns zu Gegenmaßregeln zwingen würden, Mobilmachung aber sei nahe dem Kriege.
Rußland beteuert ......
Rußland beteuert uns in feierlicher Weise seinen Friedenswunsch, und daß es keine militärischen Vorbereitungen gegen uns treffe. Inzwischen sucht England zwischen Wien und Petersburg zu vermitteln, wobei es von uns warm unterstützt wird. Am 28. Juli 1914 bittet der Kaiser telegraphisch den Zaren, er möge bedenken, daß Österreich-Ungarn das Recht und die Pflicht habe, sich gegen die großserbischen Umtriebe zu wehren, die seine Existenz zu unterhöhlen drohten. Der Kaiser weist den Zaren auf die gemeinsamen monarchischen Interessen gegenüber der Freveltat von Serajewo hin. Er bittet ihn, ihn persönlich zu unterstützen, um den Gegensatz zwischen Wien und Petersburg auszugleichen. Ungefähr zu derselben Stunde und vor Empfang dieses Telegramms bittet der Zar seinerseits den Kaiser um seine Hilfe, er möge doch in Wien zur Mäßigung raten. Der Kaiser übernimmt die Vermittlerrolle.
Aber kaum ist die von ihm angeordnete Aktion im Gange, so mobilisiert Rußland alle seine gegen Österreich-Ungarn gerichteten Streitkräfte. Österreich-Ungarn selbst aber hatte nur seine Armeekorps, die unmittelbar gegen Serbien gerichtet sind, mobilisiert. Gegen Norden zu nur zwei Armeekorps und fern von der russischen Grenze.
Der Kaiser weist sofort den Zaren darauf hin, daß durch diese Mobilmachung der russischen Streitkräfte gegen Österreich die Vermittlerrolle, die er auf Bitten des Zaren übernommen hatte, erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht würde. Trotzdem setzen wir in Wien unsere Vermittlungsaktion fort, und zwar in Formen, welche bis in das Äußerste dessen gehen, was mit unserem Bundesverhältnis noch verträglich war. Während der Zeit erneuert Rußland seine Versicherungen, daß es gegen uns keine militärischen Vorbereitungen treffe.
Es kommt der 1.Juli 1914.
In Wien soll die Entscheidung fallen. Wir haben es bereits durch unsere Vorstellungen erreicht, daß Wien in dem eine Zeitlang nicht mehr im Gange befindlichendirekten Verkehr die Aussprache mit Petersburg wieder aufgenommen hat. Aber noch bevor die letzte Entscheidung in Wien fällt, kommt die Nachricht, daß Rußland seine gesamte Wehrmacht, also auch gegen uns, mobil gemacht hat. Die russische Regierung, die aus unseren wiederholten Vorstellungen wußte, was Mobilmachung an unserer Grenze bedeutet, teilt uns diese Mobilmachung nicht mit, gibt uns zu ihr auch keinerlei erklärenden Ausschluß. Erst am Nachmittag des 31. trifft ein Telegramm des Zaren beim Kaiser ein, in dem er sich dafür verbürgt, daß seine Armee keine herausfordernde Haltung gegen uns einnehmen werde.
Aber die Mobilmachung an unserer Grenze ist schon seit der Nacht vom 30. zum 31. Juli 1914 in vollem Gange. Während wir auf russisches Bitten in Wien vermitteln, erhebt sich die russische Wehrmacht an unserer langen, fast ganz offenen Grenze, und Frankreich mobilisiert zwar noch nicht, aber trifft doch, wie es zugibt, militärische Vorbereitungen. - -
Und wir? - Wir hatten (in Erregung auf den Tisch schlagend und mit starker Betonung) absichtlich bis dahin keinen Reservemann einberufen, dem europäischen Frieden zuliebe! Sollten wir jetzt weiter geduldig warten, bis etwa die Mächte, zwischen denen wir eingekeilt sind, den Zeitpunkt zum Losschlagen wählten? Dieser Gefahr Deutschland auszusetzen, wäre ein Verbrechen gewesen! Darum fordern wir noch am 31. Juli von Rußland die Demobilisierung als einzige Maßregel, welche noch den europäischen Frieden retten könnte. Der Kaiserliche Botschafter in Petersburg erhält ferner den Auftrag, der russischen Regierung zu erklären, daß wir im Falle der Ablehnung unserer Forderung den Kriegszustand als eingetreten betrachten müßten.
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Kriegszustand ???
Der Kaiserliche Botschafter hat diesen Auftrag ausgeführt. Wie Rußland auf unsere Forderung der Demobilisierung geantwortet hat, wissen wir heute noch nicht. Telegraphische Meldungen darüber sind nicht bis an uns gelangt, obwohl der Telegraph weit unwichtigere Meldungen noch übermittelte. So sah sich, als die gestellte Frist längst verstrichen war, der Kaiser am 1. August, nachmittags fünf Uhr, genötigt, unsere Wehrmacht mobil zu machen.
Zugleich mußten wir uns versichern, wie sich Frankreich stellen würde. Auf unsere bestimmte Frage, ob es sich im Falle eines deutsch-russischen Krieges neutral halten würde, hat uns Frankreich geantwortet, es werde tun, was ihm seine Interessen. geböten. Das war eine ausweichende Antwort auf unsere Frage, wenn nicht eine Verneinung unserer Frage. Trotzdem gab der Kaiser den Befehl, daß die französische Grenze unbedingt zu respektieren sei. Dieser Befehl wurde strengstens befolgt, bis auf eine einzige Ausnahme. Frankreich, das zu derselben Stunde wie wir mobil machte, erklärte uns, es werde eine Zone von zehn Kilometern an der Grenze respektieren. Und was geschah in Wirklichkeit? Bombenwerfende Flieger, Kavalleriepatrouillen, auf reichsländisches Gebiet eingebrochene französische Kompanien! Damit hat Frankreich, obwohl der Kriegszustand noch nicht erklärt war, den Frieden gebrochen und uns tätlich angegriffen.
2. August 1914
Was jene Ausnahme betrifft, so habe ich vom Chef des Generalstabs folgende Meldung erhalten: Von den französischen Beschwerden über Grenzverletzungen unsererseits ist nur eine einzige zuzugeben. Gegen den ausdrücklichen Befehl hat eine, anscheinend von einem Offizier geführte Patrouille des XIV. Armeekorps am 2. August 1914 die Grenze überschritten. Sie ist scheinbar abgeschossen, nur ein Mann ist zurückgekehrt. Aber lange bevor diese einzige Grenzüberschreitung erfolgte, haben französische Flieger bis nach Süddeutschland hinein auf unsere Bahnlinien Bomben abgeworfen, haben am Schluchtpaß französische Truppen unsere Grenzschutztruppen angegriffen. Unsere Truppen haben sich dem Befehle gemäß zunächst gänzlich auf die Abwehr beschränkt. Soweit die Meldung des Generalstabs.
Meine Herren! Wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Die französische Regierung hat zwar in Brüssel erklärt, die Neutralität Belgiens respektieren zu wollen, solange der Gegner sie respektiere. Wir wußten aber, daß, Frankreich zum Einfall bereit stand. Frankreich konnte warten, wir aber nicht! Ein französischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werden können. So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luremburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht - ich spreche offen - dasUnrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist.
Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut! Meine Herren, wir stehen Schulter an Schulter mit Österreich-Ungarn. Was die Haltung Englands betrifft, so haben die Erklärungen, die Sir Edward Grey gestern im englischen Unterhaus abgegeben hat, den Standpunkt klargestellt, den die englische Regierung einnimmt. Wir haben der englischen Regierung die Erklärung abgegeben, daß, solange sich England neutral verhält, unsere Flotte die Nordküste Frankreichs nicht angreifen wird, und daß wir die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit Belgiens nicht antasten werden. Diese Erklärung wiederhole ich hiermit vor aller Welt, und ich kann hinzusetzen, daß, solange England neutral bleibt, wir auch bereit wären, im Falle der Gegenseitigkeit keine feindlichen Operationen gegen die französische Handelsschiffahrt vorzunehmen.
Meine Herren!
Soweit die Vorgänge. Ich wiederhole das Wort des Kaisers: „Mit reinem Gewissen zieht Deutschland in den Kampf !“ Wir kämpfen um die Früchte unserer friedlichen Arbeit, um das Erbe einer großen Vergangenheit und um unsere Zukunft. Die fünfzig Jahre sind noch nicht vergangen, von denen Moltke sprach, daß wir gerüstet dastehen müßten, um das Erbe, um die Errungenschaften von 1870 zu verteidigen. Jetzt hat die große Stunde der Prüfung für unser Volk geschlagen. Aber mit heller Zuversicht sehen wir ihr entgegen. Unsere Armee steht im Felde, unsere Flotte ist kampfbereit, hinter ihr das ganze deutsche Volk! - Das ganze deutsche Volk einig bis auf den letzten Mann!
Sie, meine Herren, kennen Ihre Pflicht in ihrer ganzen Größe. Die Vorlagen bedürfen keiner Begründung mehr. Ich bitte um ihre schnelle Erledigung. Hierauf antwortete der Präsident des Reichstages und schlug dann vor, die Sitzung zu schließen und die nächste Sitzung nachmittags um fünf Uhr abzuhalten mit der Tagesordnung: Erste und zweite Beratung der bekanntgegebenen Vorlagen.
Die neue Sitzung wurde um fünf Uhr einundzwanzig Minuten durch den Präsidenten Dr. Kämpf eröffnet. Nach Erledigung verschiedener Formalitäten machte der Präsident den Vorschlag, die erste Beratung der sämtlichen vorliegenden Gesetzentwürfe zu verbinden. Dieser Vorschlag wurde mit einem einstimmigen Bravo angenommen.
Als einziger Redner sprach der Vertreter der Sozialdemokratie, um zu erklären, daß seine Partei in der Stunde der Gefahr ihr Versprechen, das Vaterland nicht im Stich zu lassen, wahr mache. Hierauf wurden alle Gesetze in zusammenfassender Abstimmung unter stürmischem Beifall einstimmig angenommen.
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Die Schlußrede des Präsidenten Dr. Kämpf lautete:
Meine Herren! Wir haben mit der Schnelligkeit, die der Ernst der Lage erfordert, die Gesetzentwürfe bewilligt, die dazu bestimmt sind, für den Krieg und für das wirtschaftliche Leben während des Krieges die notwendige Sicherheit zu schaffen. Viele von unseren Herren Kollegen ziehen hinaus in den Kampf um die Ehre des Vaterlandes. Unter uns ist keiner, der nicht von einem oder mehreren Söhnen und sonstigen Familienmitgliedern Abschied nehmen müßte. Unsere wärmsten und innigsten Segenswünsche begleiten sie alle auf dem schweren, aber ehrenvollen Gange in den heiligen Kampf. Unsere Segenswünsche begleiten unser ganzes Heer, unsere ganze Marine. Wir sind des felsenfesten Vertrauens, daß die Schlachtfelder, die das Blut unserer Helden tränkt, eine Saat hervorbringen werden, die dazu berufen ist, eine Frucht zu tragen so schön, wie wir sie nur denken können: die Frucht neuer Blüte, neuer Wohlfahrt, neuer Macht des deutschen Vaterlandes.
Das Wort hat der Herr Reichskanzler v. Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Am Schlusse dieser kurzen, aber ernsten Tagung ein kurzes Wort. Nicht nur das Gewicht Ihrer Beschlüsse gibt dieser Tagung ihre Bedeutung, sondern der Geist, aus dem heraus diese Beschlüsse gefaßt sind: der Geist der Einheit Deutschlands, des unbedingten rückhaltlosen gegenseitigen Vertrauens auf Leben und Tod. Was uns auch beschieden sein mag: der 4. August 1914 wird bis in alle Ewigkeit hinein einer der größten Tage Deutschlands sein. Seine Majestät der Kaiser und seine hohen Verbündeten haben mir den Auftrag gegeben, dem Reichstage zu danken. Jch habe eine allerhöchste Verordnung dem Hause mitzuteilen. (Der Reichstag erhebt sich und der Reichskanzler verliest die Verordnung, welche den Reichstag auf den 24. November vertagt.)
Präsident:
Meine Herren! Nach diesen Worten des Herrn Reichskanzlers bleibt uns nur übrig, nochmals zu beteuern, daß das deutsche Volk einig ist bis auf den letzten Mann, zu siegen oder zu sterben auf dem Schlachtfelde für die deutsche Ehre und für die deutsche Einheit. Wir trennen uns mit dem Rufe: Seine Majestät der Deutsche Kaiser, Volk und Vaterland, sie leben hoch!.- hoch! - hoch!
Die Bedeutung dieser Sitzung des Deutschen Reichstages, deren Beratungen einschließlich aller geschäftlichen Formalitäten nur vierundsechzig Minuten gedauert hat, liegt in erster Linie in der noch nie dagewesenen Einigkeit. Es gab nicht mehr Sozialdemokraten, Welfen, Polen, Protestler, Dänen, Zentrum, Konservative, Nationalliberale, Deutschfreisinnige, Bauernbund, Deutschnationale und wie die zahllosen Fraktionen und Fraktiönchen sonst noch heißen mögen, es gab nur ein einiges deutsches Volk, einig in dem Willen, Gut und Blut einzusetzen für das gemeinsame Vaterland. Innere Feinde gab es nicht mehr. Das mag eine schwere Enttäuschung für unsere äußeren Gegner gewesen sein.
Wo hat es jemals ein Parlament gegeben, das ohne jedes Wenn und Aber, ohne zu fragen: wozu, warum? der Regierung fünftausenddreihundert Millionen Mark bewilligt hätte? Es ist dies die größte Summe, über welche überhaupt jemals ein Parlament zu beschließen hatte. Angst und Schrecken mag unserer Gegner ergriffen haben, als sie erfuhren, daß das angeblich so arme Deutschland die Milliarden so leicht zur Verfügung hatte. Die Reichstagsabgeordneten hatten auch ein Weißbuch erhalten: „Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke zum Kriegsausbruch“, dessen Inhalt in der Rede: des Reichskanzlers wiedergegeben ist. Das Weißbuch enthält alle hier in Frage kommenden Dokumente, auch die Ansichten der Regierung,soweit sie in Artikeln der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ niedergelegt waren.
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Die Telegramme zwischen dem Petersburger und dem Berliner Hofe
Zum Beweise für die Absicht Rußlands, mit allerlei Vorspiegelungen die deutsche Mobilisierung aufzuhalten und damit für die eigene Zeit zu gewinnen, seien hier aus dem Weißbuche die Telegramme wiedergegeben, die zwischen dem Petersburger und dem Berliner Hofe gewechselt wurden.
Der Kaiser an den Zaren: Vom 28. Juli, 10 Uhr 45 nachm.
Mit der größten Beunruhigung höre ich von dem Eindruck, den Österreich-Ungarns Vorgehen gegen Serbien in Deinem Reiche hervorruft. Die skrupellose Agitation, die seit Jahren in Serbien getrieben worden ist, hat zu dem empörenden Verbrechen geführt, dessen Opfer Erzherzog Franz Ferdinand geworden ist. Der Geist, der die Serben ihren eigenen König und seine Gemahlin morden ließ, herrscht heute noch in jenem Lande. Zweifellos wirst Du mit mir darin übereinstimmen, daß wir beide, Du und ich, sowohl als alle Souveräne ein gemeinsames Interesse daran haben, darauf zu bestehen, daß alle diejenigen, die für den scheußlichen Mord verantwortlich sind, ihre verdiente Strafe erleiden.
Anderseits übersehe ich keineswegs, wie schwierig es für Dich und Deine Regierung ist, den Strömungen der öffentlichen Meinung entgegenzutreten. Eingedenk der herzlichen Freundschaft, die uns beide seit langer Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher meinen ganzen Einfluß ein, um Österreich-Ungarn dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen können, zu beseitigen, unterstützen wirst. Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter gez. Wilhelm.
Der Zar an den Kaiser: Peterhof, Palais, 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig, mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches Land erklärt worden. Die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile, ist in Rußland ganz ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr werde widerstehen können und gezwungen sein werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen unserer alten Freundschaft, alles Dir Mögliche zu tun, um Deinen Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu weit zu gehen. gez. Nikolaus.
Der Kaiser an den Zaren: Vom 29. Juli, 6 Uhr 30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir in meinem ersten Telegramm sagte - Österreich-Ungarns Vorgehen nicht als „schmählichen Krieg“ betrachten. Österreich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen, wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind. Meiner Ansicht nach ist Österreich-Ungarns Vorgehen als ein Versuch zu betrachten, volle Garantie dafür zu erhalten, daß Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. In dieser Ansicht werde ich bestärkt durch die Erklärungen des österreichischen Kabinetts, daß Österreich-Ungarn keine territorialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beabsichtige.
Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus möglich ist, bei dem österreichisch-serbischen Krieg in der Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Jch glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die - wie ich Dir schon telegraphierte - meine Regierung mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürljch würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche Österreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auf Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig angenommen habe, untergraben. gez. Wilhelm.
Der Kaiser an den Zaren: Vom 30. Juli, 1 Uhr vorm.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Gefahren und schweren Konsequenzen einer Mobilisation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten Telegramm gesagt. Österreich-Ungarn hat nur gegen Serbien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mitteilung der Fall ist, gegen Österreich-Ungarn mobil macht, so wird die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freundschaftlicher Weise betrautest und die ich auf Deine ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet, wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der Entscheidung liegt jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verantwortung für Krieg oder Frieden zu tragen. gez. Wilhelm.
Der Zar an den Kaiser: Peterhof, 30. Juli, 1 Uhr 20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich entsende heute abend Tatischeff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen beschlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen Österreich. Jch hoffe aber von Herzen, daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken Druck auf Österreich, damit es zu einer Verständigung mit uns kommt. gez. Nikolaus.
Am 31. Juli nachmittags zwei Uhr richtete der Zar an den Deutschen Kaiser noch folgende Depesche:
Ich danke Dir von Herzen für Deine Vermittlung, die eine Hoffnung ausleuchten läßt, daß schließlich doch noch alles friedlich enden könnte. Es ist technisch unmöglich, unsere militärischen Vorbereitungen einzustellen, die durch Österreichs Mobilisierung notwendig geworden sind. Wir sind weit davon entfernt, einen Krieg zu wünschen. Solange wie die Verhandlungen mit Österreich über Serbien andauern, werden meine Truppen keine herausfordernde Aktion unternehmen. Ich gebe Dir mein feierliches Wort darauf, und ich vertraue mit aller Kraft auf Gottes Gnade und hoffe auf den Erfolg Deiner Vermittlung in Wien für die Wohlfahrt unserer Länder und den Frieden Europas. Dein Dir herzlich ergebener gez. Nikolaus.
Resumè des Autors / Redakteurs ....
Gibt es eine größere Niedertracht, als sie sich in den Telegrammen des Zaren äußert? Aber wir dürfen dem wortbrüchigen Beherrscher Rußlands dankbar sein, denn er machte unser Volk wirklich einig in der Abwehr des Feindes.
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