60 Jahre Berichterstattung über Film und Fernsehen
Norbert Bolewskis gesammelte Rückblicke von 1947 bis 2007
1970 - Ampex 2 Zoll mobil und Grundig/Philips VCR
Innerdeutscher Gipfeltreffen zwischen Brandt und Stoph, Kniefall Willy Brandts in Warschau - das sind so innerdeutsche Momente, an die man denkt, wenn man das Jahr 1970 hört. Im Bereich der Fernsehtechnik war das Jahr durch die Einführung neuer Systeme gekennzeichnet, die aber - heute kennt man die Zukunft besser - abgesehen vom viel zu frühen VCR-Verfahren - sich nicht einführen konnten, aber eine Fülle ingenieurtechnischer Lösungen boten.
Ein tragbarer und für den Ein-Mann-Betrieb geeigneter Videorecorder (kein Camcorder!) war der "VR-3000" von Ampex (Bild 85). Mit einem Gewicht etwa 23 kg konnte er in einem kompakten Gehäuse auf dem Rücken getragen werden. In Verbindung mit der "BC- 300" waren Schwarzweiß- und mit der "BC- 101" Farbaufzeichnungen in Studioqualität möglich. Aufgezeichnet wurde nach dem Transversalverfahren mit rotierendem vierteiligen Videokopf, so dass sich diese Videoaufzeichnungen (Low-Band- oder High-Band- Schwarz-Weiß beziehungsweise High-Band- Farbe in NTSC, PAL oder SECAM) ohne weiteres über Studiomaschinen wiedergeben ließen.
Der Kameramann konnte seine Aufnahmen nach Rückspulen sofort über den elektronischen Kamerasucher oder einen extern anschließbaren Monitor kontrollieren. Eine eingebaute Logik wickelte das Videoband nach Drücken der Stopptaste um ein kurzes Stück zurück, das der Anlaufzeit des Recorders entsprach. Auf diese Weise ließen sich nacheinander aufgenommene Szenen pausenlos aneinanderfügen. Eine Spule Videoband reichte für zwanzig Minuten Aufnahmezeit.
HDTV gab es noch nicht - aber man dachte schon dran. Mit einer neuen Bildaufnahmeröhre, dem Return-Beam-Vidikon (RBV), die die Vorteile üblicher Vidikons mit den Vorteilen des Sekundärelektronenvervielfachers im Superorthikon verbindet und mit langsamer Abtastung arbeitete, gelang es, eine Fernsehkamera mit 4500 Zeilen Auflösung zu bauen (Bild 86). Für die Bildreproduktion wurde ein Laserstrahl-System benutzt. Anwendungsmöglichkeiten für den Einsatz in Satelliten zur Erforschung der Erdoberfläche wurden beschrieben (Auflösung 30 m auf dem Erdboden in einem Feld von 180 km × 180 km aus der Höhe des Satelliten). Es ist aber nicht bekannt, ob die Kamera tatsächlich in einen Satelliten eingebaut wurde.
Selectavision - was war das ?
Ein anderes spektakuläres System war Selectavision. Das von der RCA Corporation vorgestellte Verfahren sollte eine echte Alternative zu den übrigen audiovisuellen Verfahren werden. Dabei war bemerkenswert, dass erstmalig in einem Gerät der Unterhaltungselektronik ein Laser zur Rekonstruktion zweidimensionaler Hologramme zu Anwendung kam. Die Heimanlagen sollten ausschließlich zur Wiedergabe der Aufzeichnungen über ein Schwarz-Weiß- oder Farbfernsehgerät eingerichtet sein. Hervorgehoben wurde der vorgesehene konkurrenzlos niedrige Preis des holographischen Trägermaterials.
Das Fernsehausgangssignal modulierte die Intensität eines Elektronenstrahls, der einen entsprechend sensibilisierten 16-mm- Film zeilenweise belichtet. Neben dem Bildinhalt werden dabei die Rot- und Blau-Signale in den 90 bzw. 60 Mikrometer breiten vertikalen Streifen zu Beginn eines jeden neuen Bildes mit aufgezeichnet. Nach den üblichen photographischen Prozessen wird der sogenannte Film-Master zum Hologramm-Master, indem man ihn mit Hilfe eines Laserstrahls auf einen photoempfindlich beschichteten Kunststofffilm projiziert.
Träger des Hologramm-Films ist eine Cronar-Folie von 1/2 inch Breite. Dabei handelt es sich im Grunde um das gleiche billige Kunststoffmaterial, das zum Verpacken von Lebensmitteln verwendet wird. Im vorliegenden Fall ist es mit einem Material beschichtet, das durch den Laserstrahl mehr oder weniger mechanisch weich wird. In einem anschließenden Natriumhydroxidbad werden die weichen Bestandteile gelöst, so dass eine reliefartige Struktur verbleibt, deren mittlere Tiefe 0,05 Mikrometer beträgt (Bild 87).
VCR wird europaweit angepriesen
Mit großer Konsequenz hatte Philips in den letzten Jahren die Entwicklung von Videorecordern mit Schrägschrift-Aufzeichnung vorangetrieben. Als vorläufiges Endergebnis kündigte Philips dann am 28. April 1970 das Video- Cassetten-System "VCR" an (Bild 88), das in der zweiten Jahreshälfte 1971 in verschiedenen Gerätekonzeptionen auf den Markt kam. Nach Mitteilung von Philips wird ein Schwarz-Weiß-Abspielgerät etwa 1000 bis 1200 DM und ein Farb-Abspielgerät 1400 bis 1500 DM kosten. Der Preis eines kompletten Recorders mit eigenem Empfangsteil (Tuner) sowie Aufnahme- und Wiedergabemöglichkeit für Schwarz-Weiß und Farbe wird größenordnungsmäßig um 2000 DM liegen.
Bei diesem System nimmt die etwa taschenbuchgroße Kassette ein Halbzoll-Magnetband für 60 min Spielzeit in Schwarz-Weiß oder Farbe auf. Für die Aufnahme enthält der Recorder einen Tuner mit eigenem Antennenanschluss. Dadurch hatte man die Möglichkeit, ein Fernsehprogramm aufzuzeichnen, während man gleichzeitig ein anderes Programm über den Fernsehempfänger sah. Die Wiedergabe erfolgte durch Einspeisung eines mit dem vollständigen Fernsehsignal modulierten HF-Trägers über die Antennenbuchse.
Führende europäische Hersteller wie AEG-Telefunken, Blaupunkt, Grundig, Loewe Opta und Zanussi haben grundsätzlich dem "VCR"-System zugestimmt und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt; mit weiteren Herstellern laufen Verhandlungen. - Leider klappte es dann mit der Vermarktung nicht so ganz, und so wurde dieses System im Prinzip einige Jahre später von den Japanern - und dann mit großem Erfolg - mit Modifikationen eingeführt. Und so ging es leider mit einer Reihe deutscher oder europäischer Entwicklungen.
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