"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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ZWANZIGSTER TEIL • DAS MUSS DAS ENDE SEIN!
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ZU SPÄT FÜR TIEFSCHLÄGE
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1945 - Gibt Goebbels nun endlich Ruhe?
Er denkt nicht daran. Er ist voll von Einfällen. Ganz Hollywood könnte von diesen Einfällen leben. Was soll nun an Stelle des „Narvik"-Films treten?
„Wir müßten einen Zeitungsfilm machen!" erklärt er. „Man könnte ihn ,Die Presse' nennen oder ,Die siebente Großmacht' ... das ist ein faszinierendes Thema!" Natürlich soll auch dieser Film von Veit Harlan inszeniert werden.
Er hat auch schon ganz bestimmte Vorstellungen. Es soll ein Film sein, der durch die Jahrhunderte zieht.
„Am besten, wir beginnen mit Johannes Gutenberg. Dann zeigen wir die Entwicklung des Druckwesens ... des Zeitungswesens ... kommen zum neunzehnten und zum zwanzigsten Jahrhundert. Sehr wichtig: Die Systemzeit, die jüdischen Zeitungsbesitzer, die jüdische Journaille. Der müssen wir es geben!"
Frage : „Sie, Herr Reichsminister? Sie wollen mitspielen?"
Man sieht: Goebbels hat Sorgen ... Und dann kommt der Clou :
„Und wissen Sie, wer mitspielt?" „Wer, Herr Reichsminister?"
„Ich!"
„Sie, Herr Reichsminister? Sie wollen mitspielen?" Hat Harlan richtig gehört?
„Ich will mich selbst spielen, verstehen Sie? Ich trete auf in der Lederjacke, die ich trug, als ich nach Berlin kam, als ich den ,Angrif' gründete. Das ist ja schließlich eine historische Begebenheit.
Harlan starrt Goebbels an. Der fährt fort: „Wir müssen natürlich so tun, als handele es sich um Aufnahmen, die damals gemacht wurden. Dokumentarfilm, verstehen Sie? Irgendwie müssen Sie in den Film einen Text hineinnehmen, aus dem hervorgeht, daß es sich um authentisches Material handelt. Das wird eine Sensation!"
Er hat vergessen, daß er heute dreißig Jahre älter aussieht
Ja, weiß denn der müde, abgearbeitete und in jeder Hinsicht fertige Goebbels nicht, daß seit jenen Tagen, da er den „Angriff" gründete, mehr als fünfzehn Jahre vergangen sind? Weiß er denn nicht, daß er heute dreißig Jahre älter aussieht?
Und dann: Der „Angriff" - der hat sein Erscheinen ja eingestellt, den gibt es ja gar nicht mehr! Den haben die Leute ja schon vergessen. Weiß Goebbels das alles nicht? Offenbar weiß er es tatsächlich nicht. Noch ein letztes Mal steht Harlan stramm. Er äußert etwas von einer „ausgezeichneten Idee" und einem „Bombenerfolg".
Als Liebeneiner von der Idee des „ Presse" -Films erfährt, erklärt er: „Jetzt ist Goebbels komplett übergeschnappt!" Er ist entschlossen, diesen „Presse"-Film unmöglich zu machen. Aber dazu bedarf es keiner Anstrengung von seiner Seite. Es ist gar nicht mehr so viel Zeit, jetzt noch einen Film zu machen, selbst wenn der Favorit Veit Harlan ihn gerne machen würde.
EIN „GROSSER" FILM UND EIN „KLEINER" FILM
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„Tiefland", der Film, an dem bis zuletzt gearbeitet wird
Der einzige „große" Film, der zwar hundertmal ins Wasser gefallen ist, an dem aber doch bis zuletzt gearbeitet wird, ist „Tiefland", den Leni Riefenstahl nach der bekannten Oper von Eugen d'Albert inszeniert und spielt.
„Tiefland" ... Die Absicht, diesen Film zu machen, liegt mehr als zehn Jahre zurück. Immer kam etwas dazwischen: Der „Parteitag"-Film, der „01ympia"-Film. Kurz vor Beginn des Krieges schien es dann, als würde der Film endlich zustande kommen. Aber im Krieg war es unmöglich, in Spanien zu filmen.
Also mußte man in Deutschland Landschaften finden, die der spanischen glichen. Leni Riefenstahl fand die Gegend um Mittenwald sähe sehr spanisch aus. Alles ging schief.
Der Schnee fiel zu früh in diesem Jahr, so daß die Landschaft nicht mehr zu fotografieren war - denn in Spanien fällt ja kein Schnee. Goebbels machte Schwierigkeiten, ließ immer wieder mitteilen, Leni könne kein Atelier haben.
Wenn sie dann das Atelier bekam, waren die Schauspieler nicht mehr frei, die sie engagiert hatte. Dazu kam eine schwere Krankheit Leni Riefenstahls.
Sommer 1941 - die knappe Hälfte des Films war fertig.
Dann wieder Schnee. Verschiebung auf den nächsten Sommer. Dann hätte sie wohl wieder in Spanien filmen können, aber Goebbels wollte keine Devisen genehmigen, und wiederum war eine Verschiebung notwendig.
1943 wurde doch noch in Spanien gefilmt. Aber die Aufnahmen mußten abgebrochen werden, weil zu wenig Devisen zur Verfügung standen, obwohl Leni beweisen konnte, daß die Spanier bereit waren, eine Menge für den Film zu zahlen - allerdings erst nach seiner Fertigstellung.
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1944 - mitten im Krieg
Also mußte man im Atelier einige spanische Szenen aufbauen. Kein Atelier war frei. So kam das Jahr 1944 heran. Das Atelier wurde zerbombt. Leni Riefenstahl gab Befehl, das gesamte Filmmaterial in ihr Haus in Kitzbühel in Tirol zu evakuieren.
Aus Versehen wurde es beinahe an die Front geleitet. Schließlich kam es dann doch nach Kitzbühel. Dort wurde synchronisiert - bis zur letzten Minute.
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Leni Riefenstahl zurück in Deutschland - Es war wirklich alles wahr, das die Amis geschrieben hatten - ein furchtbarer Schock
Mit Leni Riefenstahl ist eine große Wandlung vor sich gegangen. Als sie im November 1938 in Amerika weilte, dort sollte ihr „Olympia"-Film aufgeführt werden, brachten die Zeitungen sensationelle Berichte von den Bränden der Synagogen in Deutschland.
Leni erklärte damals, diese Berichte seien erlogen, erfunden, das typische Werk der Sensationspresse, die nun einmal gegen Hitler sei. Kurz nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erfuhr sie, daß alles stimmte, daß man die Synagogen wirklich angezündet hatte.
Ein furchtbarer Schock.
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Hitler blockte von da an alles ab
Sie wollte mit Hitler darüber sprechen, der sie auf dem Obersalzberg über ihre amerikanischen Eindrücke ausfragte. Hitler aber lehnte schroff ab: „Sie verstehen nichts von Politik!"
Von diesem Tag an kann sie kaum noch zu Hitler vordringen. Er hat immer andere Verabredungen, andere Pflichten ... Für sie ist es völlig klar: er will sie nicht mehr sehen. Er hat ein schlechtes Gewissen.
Das letzte Zusammentreffen: 1944, nach ihrer Kriegstrauung. Sie weiß - wer weiß es damals nicht? - daß der Krieg verloren ist. Hitler ist weit davon entfernt, eine solche Möglichkeit zu erwägen. Er spricht zu ihr vom Wiederaufbau Deutschlands.
Er läßt, wie er ihr erzählt, die großen Gebäude jetzt in Farbe fotografieren, damit man sie später genau so aufbauen kann, wie sie einst waren. Er redet stundenlang, ohne sich unterbrechen zu lassen.
Sein Hauptthema: England. Er haßt England, er haßt die Engländer. „Kein Engländer darf je wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen!" erklärt er düster.
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Nun ist also der Krieg zu Ende.
Leni Riefenstahl war in den letzten Wochen mit ihrem Film „Tiefland" so beschäftigt, daß sie sich um nichts mehr gekümmert hat. Die Bevölkerung von Kitzbühel bangt: werden die Russen oder die Amerikaner Tirol besetzen?
Ein Freund erscheint bei der Riefenstahl: „Du mußt flüchten!"
Leni Riefenstahl ist verwundert. „Warum sollte ich denn flüchten?" „Aber jeder weiß doch, daß du und Hitler..."
Ja, jeder „weiß", daß sie die Freundin Hitlers war. Die paar Menschen, die das Gegenteil bezeugen könnten, werden den Mund nicht auftun, selbst wenn sie noch am Leben wären.
Leni Riefenstahl versucht, sich zu verstecken ...
Leni flüchtet also zu Freunden nach Hintertux im Zillertal. Zu Freunden? Die sagen, es täte ihnen leid, aber aufnehmen könnten sie sie nicht ... sie müsse das verstehen. Also wieder zurück nach Kitzbühel. Das sind immerhin hundertzwanzig Kilometer. Sie legt neunzig zu Fuß zurück. Nur die letzten dreißig Kilometer radelt sie. Das Fahrrad hat sie sich geliehen und dafür ihren letzten Koffer hergegeben. Schon von weitem sieht sie die amerikanische Flagge auf ihrem Hause wehen. Es ist beschlagnahmt.
Freunde bringen sie anderswo unter. Schon in der ersten Nacht wird sie verhaftet und zur CIC gebracht. Immer wieder wird sie verhört. Man will von ihr alles mögliche wissen, was sie nicht weiß.
Wo verbirgt sich Ribbentrop? Wo haben die Nazigrößen ihr Geld versteckt, ihr Gold, ihre Brillanten? Man will sie auf Widersprüchen ertappen. Nach einundzwanzig Tagen lassen die Amerikaner sie frei. Sie ziehen ab.
Dann kommen die Franzosen nach Kitzbühel. Und sie wird wieder verhaftet, wieder verhört, wieder von einem Gefängnis ins andere geschleppt...
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Harlan, der Durchhalte-Regisseur - kneift ....
Harlan muß also den „Presse"-Film nicht machen. Er meldet sich auch nicht wieder an die Front, obwohl er das früher ja ein-oder zweimal getan hat. Er zieht sich zurück ... vom Film und aus der gefährdeten Stadt Berlin.
Darüber wäre kein Wort zu verlieren. Es ist das gute Recht eines jeden Menschen, sich in Sicherheit zu bringen, besonders wenn es keinen Sinn mehr hat, sein Leben zu riskieren.
Nur, daß der Fall Harlan ein wenig anders liegt als die anderen Fälle. Hat er nicht den großen Durchhaltefilm gemacht? Müßte nicht gerade er durchhalten? Aber andere Filmregisseure und Filmschauspieler halten auf ihre Weise durch.
Es wird - unbegreiflicherweise - bis zuletzt gefilmt. Unbegreiflicherweise - von Goebbels, von Hinkel von denen aus gesehen, die wissen, daß sie nicht mehr lange an der Macht bleiben, und die kein Interesse daran haben können, daß Filme für später gedreht werden.
Aber nicht so unbegreiflich ist der Entschluß, bis zum letzten Moment oder bis zum letzten Blutstropfen zu filmen von den Regisseuren, von den Drehbuchautoren, den Schauspielern, den Bühnenarbeitern, den Beleuchtern aus gesehen.
Denn wer nicht filmt, muß an die Front, muß möglicherweise noch in den letzten Wochen und Monaten sein Leben verlieren, völlig sinnloserweise, es sei denn, es hätte einen Sinn, Hitlers Leben noch um ein paar Stunden zu verlängern.
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Es ist aufschlußreich, die Titel der Filme zu studieren .....
die in dieser Zeit gedreht werden. Sie haben mit dem Ernst der Lage nicht das geringste zu tun. Es handelt sich fast durchwegs um Lustspiele leichter und leichtester Art.
Während die sowjetische Artillerie immer deutlicher zu hören ist, während die alliierten Bomben niederprasseln, entstehen Filme wie „Die tolle Susanna" oder „Das kleine Hofkonzert" oder „Liebe nach Noten" oder „Dreimal Komödie" oder „Eine reizende Familie" oder „Der Posaunist" oder „Frech und verliebt" oder „Wir beide liebten Katharina" oder „Verlobte Leute" oder „Quax in Fahrt".
Keiner der Regisseure, die noch an der Arbeit sind, weder Geza v. Bolvary noch Paul Verhoeven, weder Victor Tourjansky noch Erich Waschneck, weder Carl Böse noch Hans Schweikart, weder A. M. Rabenalt noch Paul Martin, weder Karl Anton noch Theo Lingen glauben ernstlich, daß sie ihre Filme fertigstellen werden. Manchem gelingt es, manchem nicht. Allen gelingt es, ihr eigenes Leben zu retten.
"Unter den Brücken"
Und warum sollten sie auch nicht? Der einzige wirklich bedeutende Film, der in diesen letzten Monaten noch entsteht, ist das von Helmut Käutner inszenierte Lustspiel „Unter den Brücken".
„Unter den Brücken" - ein Film, der so spät fertiggestellt wird, daß er nicht mehr gezeigt werden kann, der vielleicht schönste Film seit Kriegsbeginn, ist ein Beweis, daß ein großer Künstler auch unter den schwierigsten Bedingungen große und echte Kunst machen kann.
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Dieser Film versöhnt einen mit manchem, was seit der Machtübernahme geschah, macht „Jud Süß" und „Kolberg" und zahlreiche Prestigefilme vergessen. Und ist doch ein Nichts von einem Film, einer, der kaum etwas gekostet hat.
Hier taucht zum ersten Male Hildegard Knef auf
Einer der Filme, in dem es nicht um Ausstattung und Prestige geht, in dem überhaupt nur vier Schauspieler mitwirken oder eigentlich nur drei - denn die Anfängerin Hildegard Knef braucht nur eine Minute lang in dem Film zu erscheinen und ein Gesicht zu zeigen, das man nicht so schnell wieder vergessen wird.
Um was geht es in dem Film?
Welche Probleme werden zur Diskussion gestellt? Welche „Aussagen" werden gemacht? Ach, von alledem ist nichts in diesem Film zu finden.
Es ist ein Film, der von drei Menschen erzählt und von ihrem Leben, von Menschen, die ein bißchen glücklich und ein bißchen unglücklich sind, die ihre kleinen Sorgen haben und ihre kleinen Freuden, die das Leben nehmen, wie das Leben eben ist.
Und das Leben geht weiter. Fließt weiter wie der breite Strom, über den sich von Zeit zu Zeit die Brücken wölben, unter denen die Schiffe vorbeifahren. Große und kleine Kähne. Unter anderen auch der Schleppkahn ,Lise-Lotte'.
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,Lise-Lotte' ist einen weiten Weg gekommen.
Sie ist an Städtchen und Dörfern vorbeigezogen, an Bauern und Handwerkern, an Feldarbeitern und Fabrikarbeitern, an jung und alt ...
Jeder Tag hat das gleiche Gesicht und hat doch ein ganz neues Gesicht, wenn man nur zu sehen versteht. Und wenn der Abend herankommt, dann taut man das Boot am Ufer fest, und dies geschieht auch heute abend.
Da liegt die ,Lise-Lotte' direkt unter einer Brücke. Und die beiden, denen das Boot gehört, zwei junge Männer namens Hendrik und Willy, sitzen an Deck und rauchen ihre Pfeife und finden das Leben eigentlich sehr schön.
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Und dann sehen sie die Umrisse eines Mädchens
...., das auf der Brücke steht, und sehen sie in dem Halbdunkel einen Geldschein, der ihrer Hand entgleitet und ins Wasser fällt. Beide Freunde springen ins Wasser, schwimmen auf den Schein zu, überreichen ihn der Besitzerin. Die ist schmal und nicht unattraktiv. Hübsch sogar, wenn sie nicht ein so abweisendes Gesicht machte.
Sie scheint sich nicht für die beiden Freunde zu interessieren. Aber die interessieren sich um so mehr für sie. Sie sehen Verzweiflung in dem starren, gleichgültigen Gesicht. Sie können sich sehr gut vorstellen, daß das Mädchen nicht nur das Geld, sondern auch sich selbst in den Fluß werfen will.
Ein kurzes Gespräch kommt zustande. Es stellt sich heraus, daß das Mädchen nicht recht weiß, wohin es gehen soll. Anna heißt es. Nun, Anna kommt eben mit an Bord.
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Sie wird diese Nacht auf dem Kahn schlafen.
Und nun sind es nicht mehr zwei, sondern es sind drei, die auf dem Boot leben, und das scheint ganz selbstverständlich zu sein. Hendrik erzählt dem Mädchen. O, er kann erzählen!
Er kann eine ganze Welt vor ihr aufbauen, die Welt der Schiffer, die so weit herumgekommen sind, die so vieles gesehen haben, die ein ganz anderes Leben führen als die Menschen an den Ufern. Auf dem Lande möchte Hendrik nicht leben ... und Willy übrigens auch nicht.
Landratten sind Menschen mit Sorgen. Anna, zuerst noch abweisend, taut sichtlich auf. Sie mag die beiden jungen Männer, daran kann gar kein Zweifel sein. Sie mag auch das Leben auf dem Boot, sie macht sich nützlich. Sie kocht und wäscht und ...
Hendrik fragte sich, wie es eigentlich möglich war, ohne sie auszukommen. Aber sie wird ja bald wieder gehen. Sie wird die beiden verlassen, wenn sie weiter fahren ... Hendrik wird besorgt. Er fragt Anna, ob sie nicht Lust hätte, mit ihnen mitzukommen ...
Auf die große Reise, auf die Reise, die eigentlich niemals aufhört. Er deutet ein wenig verlegen an: „Wir kennen uns ja noch gar nicht!" Willy wird deutlicher, zu deutlich: „Wir können doch nicht die Katze im Sack kaufen!" Anna wird zornig. Sie verläßt das Schiff. Schon im Gehen erklärt sie: „Wenn ihr meint, daß ich das Geld gestohlen habe ...! Ich habe es mit Modellstehen verdient!"
Die Story geht weiter ..
Nun sind die Freunde wieder allein. Aber es ist nicht so, wie es früher war. Plötzlich ist es furchtbar langweilig. Plötzlich sind die beiden schlecht gelaunt. Jeder geht seinen eigenen Gedanken nach. Jeder denkt an Anna. Sie suchen sie. Sie finden ihre Adresse. Hendrik eilt zu Anna. Er will ihr sagen, daß er sie gern hat. Wenn er nur könnte, würde er ihr mehr sagen. Aber er kommt kaum dazu, den Mund aufzumachen. Denn nun ist auch Willy da, Willy, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen steht.
Willy, dem es nun klar wird: sowohl er als auch der Freund mögen Anna. Nun, einer von ihnen soll sie haben! Willy hat eine großartige Idee: „Einer bekommt das Mädchen, der andere das Boot!" Denn Willy ist überzeugt davon, daß Anna ihn vorzieht.
Hendrik kehrt auf das Boot zurück. Nun ist er ganz allein. Er ist furchtbar unglücklich, denn er hat Anna sehr gern. Auch Willy ist nicht glücklich. Er gehört nun einmal nicht in die Stadt.
Er sehnt sich nach dem Boot ,Lise-Lotte'. Und ihm wird langsam klar, daß Anna sich nicht allzu viel aus ihm macht. Ja, sie schätzt ihn als Freund. Aber lieben ...?
Ihre Liebe gehört wohl doch Hendrik. Jetzt klärt sich auch auf, warum sie lebensmüde war. Sie liebte schon einmal. Oder vielleicht glaubte sie auch nur, daß es Liebe war.
Es handelte sich um einen jungen, recht leichtsinnigen Maler. Sie stand ihm Modell. Er hätte alles von ihr haben können - aber er wollte sie eben nur malen. Und als er sie gemalt hatte, gab er ihr das Geld.
Und da begriff sie, daß er sich nichts aus ihr machte. Deshalb warf sie das Geld in den Fluß. Und deshalb wollte sie nicht mehr weiterleben ... Willy nimmt Anna bei der Hand und bringt sie zu Hendrik zurück.
Das ist das Logische, nachdem sie Hendrik liebt und nicht ihn. Aber Hendrik schwankt. Gewiß, er könnte glücklich sein mit Anna. Aber nicht auf dem Land. Nicht ohne seine geliebte ,Lise-Lotte' ...
Und da ist doch die Absprache mit dem Freund: wer das Mädchen hat, muß auf das Boot verzichten. Willy lacht. Das mit der Absprache sei nicht so wichtig, meint er. Er selbst möchte gar nicht das Boot für sich allein haben, er hat viel zu viel Sehnsucht nach dem Freunde gehabt.
Und es bleibt fast alles so wie es war. Willy fährt wieder mit. Und Anna und Hendrik werden ein Paar. Das Boot gleitet den Strom hinunter, an Wiesen und Feldern, an Dörfern und Städten vorbei ... unter den Brücken.
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(schon wieder) - Ein Nichts von einer Handlung
Der Mann, der es schrieb, nein, man darf wohl sagen, dichtete, Walter Ulbrich, mit Käutner zusammen natürlich, hat begriffen: in einer Zeit wie dieser, in dem letzten Jahre des Krieges, in dem so entsetzlich viel vorgeht, braucht das Publikum keine Handlung mehr, kann es auf große Geschehnisse, auf Ausbrüche und Zusammenbrüche, auf Pathetik verzichten.
Amerkung : Es ist nicht der Ostzonen Kommunist "W. Ulbricht" - er ist Walter Ulbrich - Drehbuch, Produzent, Produktionsleitung - 15.06.1910 Metz, - 13.11.1991
Jeder Tag bringt Dramen, mit denen verglichen die abenteuerlichsten Romane und Dramen blaß und blutarm wirken. Die Menschen in diesem Film, der kaum eine Handlung hat, sagen auch nicht viel. Sie äußern nur das Notwendigste - und doch erkennt nian ihre Herzen, gerade weil sie versuchen, sich nichts anmerken zu lassen.
Wo hören die Verdienste des Drehbuches auf?
Wo beginnen die der Regie? Mit welch unendlicher Leichtigkeit, mit wie viel Poesie und mit welcher Zartheit ist das inszeniert! Es ist alles so selbstverständlich. Die Geräusche allein schon bilden eine kleine Symphonie; das Singen des Schilfes, das Ächzen der Taue, das Knarren der Bohlen ...
Die Fotografie ist Poesie. Die Sonnenreflexe auf dem Wasser, die Nebel, die am Abend aufsteigen, die schweren Schatten, die bedrük-kenden schmalen Straßen der Stadt ...
Die drei Hauptdarsteller: Carl Raddatz, Gustav Knuth und Hannelore Schroth. Sie sind da. Sie agieren nicht. Sie sind einfach da. Sie weinen ein bißchen, sie lachen ein bißchen, sie schwimmen, sie kochen, sie schrubben, sie rauchen.
Man riecht das Wasser. Man riecht das Schilf, den Tabak aus den Pfeifen der beiden, man riecht den kleinen weißen Spitz, der auch mit auf der Partie ist ... Der Film nennt sich: „Eine deutsche Romanze.*' Er ist es wirklich - im besten Sinne des Wortes.
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DIE FEIGLINGE REISSEN AUS
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Als Käutner seinen Film zu Ende drehte, lag Berlin in Trümmern.
München lag in Trümmern. Wo konnte man eigentlich noch filmen? In Prag natürlich. Prag war von Luftangriffen verschont geblieben. In Prag waren Ateliers ausgebaut und neue aufgebaut worden. In den letzten Monaten kamen fast alle Filmleute nach Prag. In Prag war man sicher - nicht nur vor Bomben, sondern auch davor, in letzter Minute noch eingezogen zu werden.
Prag war viel zu klein, um für alle, die noch drehen wollten, Platz zu haben. Die Hotels waren überfüllt. Da saßen sie, die Schauspieler und Schauspielerinnen, die Regisseure und die Produzenten in ihren winzigen Hotelzimmern, in den Bars und den Künstlerklubs und fragten sich, wann der Spuk zu Ende sein würde, wann sie nach Hause zurück könnten.
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In den Studios in Prag - Manchmal war der Kanonendonner schon ganz deutlich zu hören.
Was würde geschehen, wenn die Russen plötzlich nach Prag kämen? Was würde geschehen, wenn die Russen in die Städte kämen, in denen die Familien der Filmleute lebten?
Willy Fritsch ist auch in Prag. Er dreht den Film „Die Fledermaus". Es muß mindestens die zehnte Verfilmung der Operette sein. Diesmal soll die „Fledermaus" ein Farbfilm werden - wenn sie überhaupt jemals zu Ende gedreht wird.
Kein Tag vergeht, ohne daß die Behörden sich melden. Immer wieder wird den Leuten vom Film mit Arbeitsdienst gedroht. Täglich erscheinen Schauspieler oder Schauspielerinnen aus Berlin oder München. Sie flehen um Rollen, sind bereit, die kleinsten Chargen zu spielen, im Hintergrunde umherzustehen.
Denn nur wenn sie filmen, sind sie einigermaßen sicher vor der Front oder den Rüstungsfabriken.
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Goebbels "Erfindung" mit dem Volkssturm
Dann kommt die Sache mit dem Volkssturm, dieser Erfindung von Goebbels, der mit einem Heer von Kindern und Greisen gedenkt, die Russen, die Amerikaner und die Engländer jetzt noch zu besiegen.
Wenn es nach Goebbels ginge, müßten sämtliche Filme abgebrochen werden, damit alle Kräfte für den Volkssturm frei würden. Ungeheuer komplizierte Intrigen werden eingefädelt.
Die Schauspieler, die in Berlin oder München ansässig sind, melden sich in Prag zum Volkssturm und bekommen eine Bescheinigung, daß sie sich gemeldet haben, werden aber nicht eingezogen, weil doch Prag für sie nicht zuständig ist.
Diese Bescheinigung können sie dann in Berlin oder München vorzeigen, um zu „beweisen", daß Berlin oder München nicht für sie zuständig ist und sie woanders hingehören.
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Seltsames "Warten" in den Prager Studios
Jeder, der nicht gerade vor der Kamera steht, eilt in den Korridor des betreffenden Ateliers.
Brennt dort eine gelbe Lampe, dann bedeutet das, daß sich Bombenflugzeuge der Tschechoslowakei nähern. Rot bedeutet Anflug auf Prag.
Grün: ganz sicher Anflug auf Prag. Und das bedeutet für die Filmschaffenden, sich eilends in einen Keller zu begeben oder, besser noch, ins Grüne, an die Stellen, an denen hoffentlich keine Bomben fallen werden. Es ist nun jedem klar, daß es sich nur noch um Tage handeln kann, bis die Russen in Prag erscheinen.
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Der NS-Regisseur Hans Steinhoff war natürlich auch in Prag
Jedem - mit Ausnahme von Hans Steinhoff - der sich ebenfalls nach Prag abgesetzt hat. Er ist ja ein Spezialist im Absetzen. Er hat sich schon 1940 in Berlin abgesetzt, als er die „Geierwally" drehte, denn es hätte doch sein können, daß eine Bombe auf Berlin gefallen wäre ...
Wenn Steinhoff Angst hat, so zeigt er sie jedenfalls nicht. Er scheint guten Mutes zu sein, erzählt allen, die es hören und nicht hören wollen, daß die neuen Wunderwaffen demnächst eingesetzt werden würden. „Dann ändert sich alles schlagartig!"
Steinhoff dreht in Prag einen Kriminalfilm nach dem ausgezeichneten Roman R. H. Berndorffs „Shiva und die Galgenblume" mit Hans Albers in der Hauptrolle.
Albers wohnt schon einige Zeit in Prag, nicht im Hotel Alcron, wo die meisten anderen Filmleute leben, sondern in dem ruhigeren, reservierten Hotel Esplanade. Albers ist tödlich gelangweilt, wenn Steinhoff fortfährt: „Schließlich ist der schönste Tod der fürs Vaterland!" reagiert Albers noch immer nicht.
Steinhoff: „Ich würde jeden von der Gestapo verhaften lassen, der Prag verläßt." Jetzt steht Albers auf. „Sie gehen, Herr Albers?" fragt Steinhoff mißtrauisch. „Wohin gehen Sie denn?" „Ins Bett!" erwidert Albers. „Wenn Sie mich nicht verhaften lassen."
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Das wußte man damals schon - die Tschechen werden keineswegs freundlich mit den Deutschen umgehen
Keiner der Filmleute legt noch großen Wert darauf, in Prag zu bleiben. Denn eines ist sicher: die Tschechen werden keineswegs freundlich mit den Deutschen umgehen, wenn sie erst „befreit" sind. Das ist nach Lage der Dinge auch verständlich.
Und die Tschechen sind auf eine höchst beunruhigende Weise aufs Genaueste informiert, wo die Russen, wo die Amerikaner und die Engländer stehen. Täglich steigt das Barometer ihrer Laune, sie blicken die deutschen Filmleute mit unverhohlener Schadenfreude und Verachtung an und geben sich überhaupt keine Mühe mehr, ihre Gefühle zu verstecken. Ja, es wäre höchste Zeit, zu verduften.
Steinhoff spürt wohl, daß er allein die Schauspieler nicht mehr zurückhalten kann. Und so fliegt er plötzlich nach Berlin und kommt mit Hans Hinkel zurück. Hans Hinkel, Staatskommissar und Kultursenator, Hans Hinkel, Sonderbeauftragter von Goebbels, Hans Hinkel, alter Parteigenosse, der Mann, der keine Gefahr scheut.
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SS-Mann Hans Hinkel verkündet die "Wunderwaffe"
Die deutschen Schauspieler und Schauspielerinnen müssen sich in dem größten Atelier Prags versammeln. Hans Hinkel hält eine donnernde Rede. Er erklärt ihnen, es bestehe überhaupt kein Grund zur Besorgnis. Die Wunderwaffe würde den Krieg entscheidend beeinflussen. In den nächsten Tagen sicher - wenn nicht vielleicht schon in den nächsten Stunden.
Hans Hinkel redet sich in Hitze: „Wer an Flucht denkt, ist ein Feigling! Ist unseres Führers nicht würdig!" Nachdem er die Filmleute dergestalt erschreckt hat, fliegt er wieder nach Berlin zurück. Zwei Tage später verschwindet er aus der Reichshauptstadt.
Es mag dahingestellt bleiben, ob er seines Führers würdig genannt werden darf. Eines steht außer Zweifel: er handelt wie ein Feigling. Er versucht, sich zu verbergen. Er hat Angst. Und dabei ahnt er noch nicht einmal, was ihm in den nächsten Jahren blühen wird. Der einzige, der guten Mutes in Prag zurückbleibt, ist Hans Steinhoff: „Verlassen Sie sich darauf, meine Herrschaften, die Russen werden nie nach Prag kommen!" erklärt er.
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In den letzten Stunden - nur noch Mundhalten war angesagt
Die anderen sind weniger optimistisch, sie verlassen sich keineswegs darauf. Aber das können sie Steinhoff nicht sagen.
Steinhoff fährt fort: „Zum Zeichen, wie sicher ich mich hier fühle, werde ich morgen oder übermorgen meine Familie nach Prag kommen lassen." Die anderen starren ihn an. So dumm ist doch Steinhoff nicht! Das kann doch nicht sein Ernst sein?
Es ist auch nicht sein Ernst. Bei Drehschluß erklärt er noch den anderen: „Wer morgen früh nicht im Atelier ist, wird von mir sofort der Gestapo gemeldet!" Am anderen Morgen sind alle im Atelier, alle, außer Steinhoff.
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Der NS-Regisseur Hans Steinhoff war bereits abgehaun
Der hat nämlich noch am Abend vorher ein Flugzeug nach Berlin genommen. Seine Beziehungen sind noch gut genug, um sich einen Platz in einem Flugzeug zu sichern, das Berlin in letzter Minute verläßt. Und dann wird noch einmal die Stimme des Bordfunkers dieses Flugzeuges gehört, die mitteilt, daß die Maschine von sowjetischen Jagdfliegern angegriffen wird. Das ist die letzte, wenn auch indirekte Nachricht von Steinhoff.
Später wird in Filmkreisen die Nachricht kursieren, Steinhoff habe sich gerettet, lebe unter falschem Namen von dem rechtzeitig aus Deutschland geschmuggelten Geld in der Schweiz. Die Filmleute können sich nicht vorstellen, daß Steinhoff, der Kluge, der Gerissene, der in tausend Listen Bewanderte schließlich doch der Hereingefallene gewesen sein sollte.
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