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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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KAMPF UM DIE OLYMPISCHEN SPIELE

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Bürgermeister Winkler aus der Brückenallee

Fast ein Jahr bevor Joseph Goebbels den Film „Yvette" verbot oder zu verbieten versuchte, wenige Wochen nach der Premiere von „Versprich mir nichts!" hat er diesen ersten Film Wolfgang Liebeneiners mit dem Prädikat „Künstlerisch wertvoll" versehen, obwohl der Film doch in keiner
Weise als Propaganda für den Nationalsozialismus angesehen werden konnte.

Von diesem Augenblick an wurde Liebeneiner offiziell zur Kenntnis genommen. Er erhielt Einladungen zu Goebbels und zu Hitler und zu anderen Größen des Dritten Reiches. Ein vor kurzem noch unbekannter Schauspieler und Regisseur rückte er in die ersten Reihen vor.

Eines Tages erhielt er die Nachricht, ein - ihm völlig unbekannter - Bürgermeister Winkler wünsche ihn zu sprechen. Er vermutete, daß dieser Bürgermeister ihn bitten wollte, an irgendeiner Universität einen Vortrag zu halten oder in einer Wohltätigkeitsveranstaltung mitzuwirken.

Er fuhr also in Gottes Namen in die Brückenallee, klingelte, wurde in eine Halle geführt und erstarrte. Die Halle war mit kostbaren Möbeln und Teppichen ausgestattet, an den Wänden hingen Bilder von Hitler, Goebbels, Göring und Funk, und diese Bilder trugen herzliche persönliche Widmungen.
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Der angetragene Wunsch war noch etwas undurchsichtig

Und dann kam auch schon Herr Winkler, ganz Liebenswürdigkeit, ganz überlegener Verhandlungskünstler. Er erkundigte sich nach Liebeneiners Plänen; dem langsam klar wurde, daß Winkler genau über ihn informiert war und wußte, daß sein Film „Versprich mir nichts!" gut war, daß er wenig Geld gekostet hatte und viel einbrachte.

Winkler schlug Liebeneiner schließlich vor, in die Leitung der Terra-Film-Gesellschaft einzutreten, und fügte hinzu: „Niemand könnte Ihnen dort dreinreden!" Warum nicht? dachte Liebeneiner. Er ahnte noch nicht, daß Herr Winkler viel mehr mit ihm vorhatte, daß er bereits an einer sogenannten „Zusammenfassung der gesamtdeutschen Filmindustrie" arbeitete.

Herr Müller-Scheld soll die Deutsche Filmakademie aufzuziehen

Bald nach der Premiere von „Yvette", also rund ein Jahr später, erhielt Liebeneiner den Besuch eines gewissen Herrn Müller-Scheld. Der ist im Begriff, eine Deutsche Filmakademie aufzuziehen und bittet Liebeneiner, die Leitung der künstlerischen Fakultät zu übernehmen.

Es erweist sich im Laufe des Gespräches, daß Herr Müller-Scheld besonders begeistert von „Yvette" war, und daß er ein scharfer Gegner von Goebbels ist, und deshalb von Hitler zum Präsidenten der Akademie gemacht werden soll - gewissermaßen als Gegengewicht zu Goebbels.

Und da Liebeneiner gerade von Goebbels verboten wurde, scheint er der gegebene Mann zu sein, eine wichtige Rolle in der Filmakademie zu spielen.

Liebeneiner berät sich mit Gustaf Gründgens in Helsingfors, wo dieser gerade den „Hamlet" spielt, und Gründgens bestätigt:

„Jawohl, die Filmakademie soll völlig unabhängig von Goebbels geführt werden. Ihr wird es unter dem Schutz der akademischen Freiheit möglich sein, Goebbels zu bekämpfen, für den rein künstlerischen, also nicht propagandamäßig beeinflußten Film zu arbeiten ..."

Wenn man dem Teufel den kleinen Finger reicht ...

Wolfgang Liebeneiner nimmt also den Posten an. Es ist seine erste Identifizierung mit dem Dritten Reich - wenn auch freilich nur zu dem Zweck, seine schlimmsten Auswüchse zu bekämpfen.

Aber Liebeneiner muß bald schmerzlich erfahren, daß, wenn man dem Teufel den kleinen Finger reicht ...

Die Erklärung, die er später den Freunden gibt - die genau wissen, daß er weltanschaulich mit den Nationalsozialisten nichts zu tun hat, ja, seiner ganzen menschlichen und künstlerischen Struktur nach nichts zu tun haben kann: „Ich habe so viel kritisiert, daß ich mich der Aufforderung, es besser zu machen, nicht entziehen konnte."
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Auch Leni Riefenstahl wird von Hitler gegen Goebbels gehalten.

Um die Zeit, als Wolfgang Liebeneiner seinen ersten Film inszeniert - das Jahr ist 1936 - steht auch sie wieder einmal neben der Kamera. Genau genommen steht sie neben unzähligen Kameras.

Sie führt Regie bei einem Film, den man eigentlich gar nicht inszenieren kann, weil die Wirklichkeit ihn inszeniert. Es handelt sich um die Olympischen Spiele 1936, die in diesem Sommer in Berlin stattfinden.

Nach dem außerordentlichen Erfolg des Reichsparteitag-Filmes hat Hitler ihr erklärt, sie müsse unbedingt bald wieder ,so etwas' machen. Als die Olympischen Spiele herannahten, definierte er dieses ,so etwas' näher: „Warum machen Sie keinen Film über die Olympischen Spiele?" fragte er Leni. Und: „Diesmal wird niemand wagen, Ihnen Schwierigkeiten zu machen!"

„Sie wissen, mein Führer, wie viel Zeit ich brauche. Die Welt wird erwarten, daß der Olympia-Film wenige Wochen nach Beendigung der Spiele herauskommt. Die Wochenschauen werden ja schon während der Olympischen Spiele erscheinen ... Ich aber brauche mindestens ein Jahr, vielleicht auch zwei."

Zu dem relativ kurzen Reichsparteitag-Film hatte sie ein Jahr gebraucht. Hitler war auf diesen Einwand gefaßt:

„Und wenn Sie zehn Jahre brauchen, die Hauptsache ist, daß es ein Kunstwerk wird!"
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Ein Kunstwerk ... aus vierzehn Tagen Sportereignissen

Wie soll man aus vierzehn Tagen vollgefüllt von Sportereignissen, ein Kunstwerk machen? Leni Riefenstahl, die von Sport viel mehr wußte als Hitler, erkannte sofort die Schwierigkeit eines Olympia-Films.

Im Grunde genommen wiederholte sich während der Olympischen Spiele vierzehn Tage lang immer wieder das gleiche. Man konnte aber in einem Film nicht immer wieder Läufer zeigen, oder die Männer, die sprangen, oder Diskuswerfer oder Reiter ...

In der Wirklichkeit ging es um die Entscheidung. Das Publikum sah sich gerne die Vorläufe, die Zwischenläufe, die Endläufe an, denn es wollte ja wissen: Wer siegte? Wer wurde geschlagen? Im Film konnte diese Spannung niemals aufkommen, denn das Publikum wußte, daß die Entscheidung längst gefallen war. Ja, das besondere Publikum, das einen Olympia-Film ansehen würde, wußte sicherlich, wie sie ausgefallen war.

Leni kam zu der Entscheidung: Sie mußte den Olympia-Film machen, genau wie sie den Reichsparteitag-Film gemacht hatte. Sie mußte versuchen, möglichst viel Aufnahmen von möglichst verschiedenen Blickpunkten zu machen. Sie mußte versuchen, zu montieren, sie mußte versuchen, Tempo gegen Zeitlupenaufnahmen zu setzen, vollbesetzte Tribünen gegen einen einsamen Läufer, den Gegensatz herauszuarbeiten, Atmosphäre nachzugestalten.
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Die Einstellungen der Kameras waren wichtiger als die Sportler

Leni Riefenstahl war 1934 nach Nürnberg gefahren mit der Überzeugung, daß es eigentlich gar nicht darauf ankam, was auf diesem Parteitag geschah, sondern nur darauf, welche Aufnahmen ihr gelingen würden. Sie begab sich jetzt zu den Olympischen Spielen mit der gleichen Einstellung.

Sie attackiert die Olympischen Spiele - ein anderer Ausdruck ist gar nicht möglich - mit einem Heer von Kameramännern und Technikern. Es war ihr völlig gleichgültig, ob ihre Mitarbeiter störten, ob sie im Wege standen, ob sie die Sportleute nervös machten.

Es war ihr völlig gleichgültig, ob ihre Kameraleute oder die Krane, die sie errichten ließ, den großen Tieren auf der Ehrentribüne die Sicht verstellten. Es war ihr völlig gleichgültig, ob die Kameraleute, die sich in die Laufbahn eingruben, das Rennen beeinflußten oder andere, die mit Blitzlicht arbeiteten, die Pferde scheu machten.

Sie wollte möglichst viele, möglichst gute Aufnahmen in den Kasten bekommen. Sie sagte sich - und nicht einmal zu Unrecht: die Olympischen Spiele würden vierzehn Tage dauern.

Ihr Film konnte möglicherweise noch nach zwanzig Jahren zu sehen sein!
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Die Olympischen Spiele sind vorüber.

Die eigentliche Arbeit Leni Riefenstahls beginnt erst jetzt. Aus vielen hunderttausend Metern Rohmaterial soll sie einen Film schneiden, der Spannung genug enthält, um das Publikum einen Abend lang, wenn möglich, zwei Abende zu fesseln. Ein Unternehmen, wie es noch nie gewagt, geschweige denn geglückt ist. Wenn das alles wäre!
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Und Goebbels sabotierte schon wieder bösartig

Aber da ist ja auch noch Goebbels. Der war schon lange dagegen, daß Leni den Parteitag-Film drehte. Er war dagegen, daß Leni während der Olympischen Spiele Aufnahmen machte. Er machte ihr während der Spiele allerhand
Schwierigkeiten, ließ die Bauten, die sie für ihre Apparate rrichtet hatte, niederreißen, ihre Kameramänner verjagen.

Leni braucht Geld - der Olympia-Film soll in sechs Versionen hergestellt werden. Es besteht gar kein Risiko, denn die Tobis hat bereits achthunderttausend Reichsmark zugesagt.

Auf die Weisung von Goebbels erhält Leni Riefenstahl indessen keinen Pfennig. Resultat: mehrere Monate lang kann sie nicht arbeiten. In der Pressekonferenz des Promi wird den Chefredakteuren ausdrücklich mitgeteilt, Leni Riefenstahls Name dürfe im Zusammenhang mit dem Olympia-Film nicht genannt werden.

Vergebens versucht Leni Riefenstahl, Hitler zu erreichen. Sie ist völlig verzweifelt. Sie erwägt, aus Deutschland zu fliehen. Erst ein halbes Jahr nach Beendigung der Olympischen Spiele kommt eine Zusammenkunft zwischen Hitler und Leni Riefenstahl zustande.
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Goebbels haßt mich!

Leni platzt sofort heraus: „Ich kann nicht weiter arbeiten! Goebbels macht mir zu große Schwierigkeiten! Goebbels haßt mich!" Hitler wird eisig. Goebbels habe mehr zu tun, als sich um den Olympia-Film zu kümmern, erklärt er.

Erst als er davon hört, daß das Propaganda-Ministerium verboten hat, den Namen Leni Riefenstahl zu nennen, begreift er. Es dauert nicht lange und die Filmindustrie erfährt davon, daß Leni Riefenstahl unter Ausschluß von Goebbels mit „Hitler direkt" arbeite.

Eine Unzahl von Gerüchten entstehen. "Man" vermutet intimste persönlichste Beziehungen.
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Inzwischen hat Leni die Arbeit am Olympia-Film wieder aufgenommen.

Es ist im Grunde genommen die gleiche Arbeit wie damals am Reichsparteitag-Film. Sie muß Material auswählen, muß schneiden, muß montieren. Später werden viele sagen, es sei leicht gewesen, den Olympia-Film zu machen, da so viel Material zur Verfügung stand.

Es ist sicher, daß der Olympia-Film niemals hätte gemacht werden können, wenn nicht so viel Material zur Verfügung geständen hätte, fraglich allerdings, ob es leicht war, aus so viel Material diesen Film zu machen. Leni Riefenstahl und ihre Mitarbeiter zumindest bestreiten es.

Sie arbeiten fast zwei Jahre, bis die beiden Filme fertig sind. Es ist ungeheuer schwer, am Schneidetisch zu entscheiden, welche Stellen aus dem Ablauf in den Film genommen werden können, welche Stellen man wegwerfen muß.

Ein paar Zahlen mögen die Schwierigkeiten illustrieren.

Rund vierzehn Tage wird Sport getrieben, an jedem Tag etwa zehn Stunden lang - das macht einhundertvierzig Stunden.

Jedes Sportereignis ist doppelt und dreifach aufgenommen worden. Leni Riefenstahl hat also einen Film, der hintereinander abrollend fünf- oder sechshundert Stunden laufen würde.

Und davon sind zwei bis drei Stunden auszuwählen, und zwar zwei bis drei Stunden, die nicht nur repräsentativ sind, sondern auch die ungeheure Spannung des Sportereignisses auf den Zuschauer übertragen, die Atmosphäre wiedergeben. Allein das Problem des Mischens - der Vereinigung aller Geräuschbänder auf eines - ist fast unlösbar.

Man muß die allgemeine Geräuschkulisse wiedergeben - das erregte Murmeln des Publikums; die Stimme des Ansagers, der alles erklärt, die Geräusche der Läufer, das Keuchen der Ringer, das Plätschern des Wassers bei den Schwimmkonkurrenzen.

Zu dem allem soll noch Musik kommen ... Wie das ausbalancieren? Wie das differenzieren? Wie der Gefahr entgehen, sich unendlich oft zu wiederholen? Wie zehnmal oder zwanzigmal einen Endspurt zeigen, ohne das Publikum zu ermüden? Glaubhaft machen, daß die Sportler bei den einzelnen Kämpfen das Letzte aus sich herausholen?
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Der Olympia-Film wird ein ungeheurer Erfolg.

Der Olympia-Film wird nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt ein ungeheurer Erfolg. Er läuft viele Monate in Frankreich, in England, in Italien, ja sogar in der Sowjetunion. Stalin ist so begeistert, daß er ein handschriftliches Anerkennungsschreiben an Leni Riefenstahl
verfaßt.

Leni Riefenstahl aber fährt in der Welt umher, wird gefeiert, und man flüstert sich überall hinter der Hand über sie zu, sie sei die Geliebte Hitlers.
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DER FALL BAAROVA

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Im Gegenteil, sie ist auch nicht die Geliebte Hitlers

Leni Riefenstahl wird zwar für die Geliebte Hitlers gehalten, aber es steht zumindest fest, daß sie nicht die Geliebte von Goebbels ist.

Dessen Appetit ist allerdings erstaunlich, und wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, mit einer hübschen Frau in nähere Beziehung zu treten, so ist es schwer, ihn davon abzuhalten.

Wenn das Opfer nicht will, riskiert es, auf eine schwarze Liste zu kommen. Diese schwarze Liste existiert offiziell nicht, das heißt, es gibt kein Schriftstück, auf dem die Namen derer verzeichnet sind, die nicht mehr beschäftigt werden sollen.

Die Produzenten erfahren nur unter der Hand, daß diese oder jene Schauspielerin nicht mehr erwünscht sei. Manche Produzenten oder Regisseure kümmern sich nicht darum, kämpfen und setzen ihren Willen manchmal noch durch.

Die meisten zucken die Achseln und spüren nicht die geringste Neigung, sich mit Goebbels anzulegen. Er ist schließlich der Mächtigere. Er hat den längeren Arm. Man ist nicht Filmproduzent geworden, um seinen Heldenmut zu beweisen, sondern um Geschäfte zu machen und - bestenfalls - ein paar gute Filme.

Lida Babkova alias Baarova ist ungewöhnlich schön

Die Situation ändert sich, als eine junge, tschechische Schauspielerin namens Lida Baarova auf der Bildfläche erscheint. Vielleicht ist schon das Wort Schauspielerin fehl am Platze. Sicher ist nur, daß Lida Baarova ungewöhnlich schön ist ...

Eigentlich heißt sie Babkova, ist in Prag geboren und aufgewachsen, hat am Nationaltheater gespielt und in einigen tschechischen Filmen mitgewirkt.

Knapp zwanzigjährig ist sie nach Berlin gekommen, um bei der UFA in dem Film „Barcarole" die weibliche Hauptrolle zu spielen. Regisseur ist Gerhard Lamprecht; die Partner sind Willy Birgel und Gustav Fröhlich.

Ein paar Details zu Gustav Fröhlich

Gustav Fröhlich hat anderthalb Jahre vorher Deutschland verlassen, zusammen mit seiner Frau, der Opern- und Operettensängerin Gitta Alpar, die bald darauf einer kleinen Tochter das Leben schenkte. Die Alpar bekam zahllose Angebote aus Paris und London. Auch Gustav Fröhlich hätte im Auslande bleiben können.

Aber schon bald trennte er sich von seiner Frau und ließ sich von ihr, die in den Augen der Großen des Dritten Reiches "eine nichtarische Belastung" für ihn darstellte, scheiden.

Er kehrte nach Deutschland zurück und wurde mit offenen Armen empfangen, denn er war nicht nur ein beliebter Filmschauspieler, er hatte außerdem ja durch seine Scheidung bewiesen, daß er nicht gegen den Stachel zu löken gedachte - wie etwa Henny Porten, Hans Albers und andere.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Die Scheidung Fröhlichs hatte Gründe absolut persönlicher Natur, und selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen mag, daß das Jahr 1934 nicht gerade das geeignete Jahr für einen „arischen" Schauspieler war, sich von seiner „nicht-arischen" Frau scheiden zu lassen, so hatte diese Scheidung doch wohl kaum etwas mit den Wünschen des Propagandaministers zu tun.

Vielleicht wäre es Goebbels späterhin sogar lieber gewesen, wenn Fröhlich sich nicht hätte scheiden lassen ...
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Die eigentliche Liebes-Story soll so abgelaufen sein

Wie dem auch sei: Fröhlich lernt Lida Baarova kennen, er verliebt sich in sie, sie verliebt sich in ihn, die beiden ziehen zusammen. Fröhlich kauft sich ein Haus auf der Insel Schwanenwerder im Wannsee, ganz in der Nähe des Hauses, das die Familie Goebbels bewohnt.

Magda Goebbels ruft eines Tages an und bittet den Nachbarn Fröhlich zum Tee. Sie ist natürlich informiert, daß Fröhlich nicht allein lebt und sagt ihm, er solle seine Freundin ruhig mitbringen. Am nächsten Sonntag erscheinen Fröhlich und die Baarova bei Goebbels.

Der verliebt sich sofort in sie. Das bleibt lange ein Geheimnis. Die Baarova lebt weiterhin mit Fröhlich zusammen, besucht auch zuweilen das Haus des Ministers, steht mit der Ministergattin Magda Goebbels auf bestem Fuße. Durch einen lächerlichen Zufall kommt alles heraus.

Spät abends kehrt Fröhlich vom Filmatelier nach Hause zurück. Er sieht das Auto der Baarova vor seinem Hause stehen. Er hält an, steigt aus seinem Wagen heraus und sieht die Baarova und den Minister Goebbels beieinander in einer unmißverständlichen Situation.

Später wird es heißen, Fröhlich habe Goebbels geohrfeigt. Fröhlich selbst wird es bestreiten. Goebbels ohrfeigen wäre damals Selbstmord.
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„Jetzt wissen wir wenigstens, woran wir sind, Herr Minister!"

Immerhin äußert Fröhlich so etwas wie: „Jetzt wissen wir wenigstens, woran wir sind, Herr Minister!" Das ist im Jahre 1937 schon sehr viel Todesmut.

Die Baarova eilt Fröhlich nach. Es gibt eine Riesenszene. Sie erklärt, sie liebe - trotz allem - nur ihn. Sie erklärt weiterhin, sie habe mit Goebbels nie etwas gehabt, eine nicht recht glaubhafte Behauptung für Fröhlich, der sich ja eben vom Gegenteil überzeugt hat.

Fröhlich trennt sich von der Baarova. Wer von den Beteiligten etwas hat durchsickern lassen, wird später nie festzustellen sein. Jedenfalls: mit Windeseile verbreitet sich in Berlin das Gerücht, Gustav Fröhlich habe seine Freundin mit dem Propagandaminister in flagranti ertappt.

Bald spricht man in der Filmindustrie von nichts anderem mehr. Die Sache wird ungeheuer aufgebauscht. Aus der angeblichen Ohrfeige wird eine Rauferei zwischen Goebbels und Fröhlich. Und da Goebbels wohl der unpopulärste Mann der Filmindustrie ist, wird Fröhlich eine Art Volksheld. Zuerst glaubt man allgemein, es handle sich um eine der zahllosen Affären von Goebbels.
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Allmählich stellt sich heraus: es ist die große Liebe.

Goebbels sieht die Baarova täglich. Er, der Vielbeschäftigte, findet immer Zeit, zu ihr zu eilen, und wenn es auch nur für ein paar Minuten ist.

Er fährt mit seinem Auto nicht bis zu ihrer Wohnung in der Nähe des Kurfürstendamms, sondern läßt es an einer Ecke vorher halten. Natürlich bleiben seine Besuche trotzdem nicht unbemerkt. Schließlich kennt man ja Goebbels.

Daraufhin mietet sich die Baarova eine Villa im Grunewald. Nun kommt Goebbels jede Nacht zu ihr. Wenn es ihm unmöglich ist, das Propagandaministerium zu verlassen, telephoniert er mit ihr. Es genügt ihm, sie am anderen Ende der Leitung zu wissen. Er legt den Hörer auf seinen Schreibtisch und arbeitet weiter.

Oder sie fährt in die Wilhelmstraße und bleibt gegenüber seinem Fenster stehen. Er winkt ihr zu. Das genügt ihm. Er wird wieder zum Primaner in ihren Armen.

Die Filmindustrie will sich totlachen und die Produzenten sagen sich, daß man jetzt klugerweise möglichst viel Baarova-Filme machen müsse. Was kann einem passieren, wenn man Baarova-Filme macht?

Nur Ernst Hugo Corell, der Chefproduzent der UFA, will von der Baarova nichts wissen - und von diesem Tage an will Goebbels nichts mehr von Corell wissen. Es ist nur logisch, daß die Tschechin immer wieder von Produzenten dazu überredet wird, Goebbels dieses oder jenes Projekt vorzuschlagen. Da sie gutmütig, aber nicht sehr gescheit ist, tut sie es und kommt sie sich wichtig vor.

Da sie nicht sehr gescheit ist, überschätzt sie ihre Macht.

Sie will, daß Goebbels sich von seiner Frau scheiden läßt und sie heiratet. Sie ist sogar bereit, mit ihm außer Landes zu gehen - außer Landes. Auch er träumt davon, sich zurückzuziehen, nicht mehr Sklave seines Amtes zu sein ... Bücher zu schreiben. Und Frau Goebbels?

Ganz Berlin weiß von der Affäre Goebbels-Baarova, halb Deutschland weiß es - nur Magda Goebbels weiß von nichts. Natürlich ist ihr nicht unbekannt, daß Goebbels sie am laufenden Band betrügt. (Er ist nach wie vor "der Bock von Babaleberg".)

Aber gerade von der Baarova weiß sie nichts. Sie erfährt es erst von ihrem Mann, der sie bittet, ihn freizugeben, weil er eine andere liebe, eben Lida Baarova. Als Magda Goebbels begriffen hat, um was es sich handelt, läßt sie ihren Mann wortlos stehen.

Auch ein Goebels mach mal entscheidende Fehler

Er mißversteht das, glaubt, sie sei mit allem einverstanden, verläßt sein Haus, zieht in das Hotel Kaiserhof. Als er eine "Woche lang nichts hört, fährt er nach Schwanenwerder hinaus. Magda verbietet ihm, das Haus zu betreten. Sie schickt ihm die Kinder vor die Tür - dort kann er mit ihnen sprechen!

Die Kinder sagen ihm ausdrücklich, was die Mutter ihnen eingetrichtert hat: „Der Vater ist böse gewesen, er wird nie wieder artig sein. Er darf nie wieder nach Hause zurück."

Goebbels ist doch ein wenig erschüttert. Er liebt seine Kinder. Er hat nicht geglaubt, daß seine Frau so entschlossen und so hart sein könnte. Magda Goebbels ist fest davon überzeugt, daß ihre Ehe zerstört ist.
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Vorbereitung zur Trennung von Josef Goebbels

Schon entläßt sie die Dienerschaft, schon schränkt sie sich ein, schon denkt sie daran, das Haus in Schwanenwerder aufzugeben. Hinzu kommt, daß sie sich gerade um diese Zeit mit einem Mitarbeiter von Goebbels, Karl Hanke, Unterstaatssekretär im Propagandaministerium, "befreundet" hat.

Ganz gegen ihre Gewohnheit spricht sie sich eines Tages mit Emmy Göring aus. Sie sagt ihr, daß sie sich scheiden lassen will. Emmy Göring erschrickt auf den Tod, benachrichtigt ihren Mann, und der telefoniert mit Hitler. Hitler befindet sich gerade in Berchtesgaden. Er bittet Magda, am nächsten Tage zu ihm zu kommen. Das Schicksal von Lida Baarova und auch das von Goebbels ist entschieden, ohne daß die beiden Liebenden es wissen.
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Magda Goebbels fliegt zu Hitler

Magda Goebbels fliegt nach Berchtesgaden zu Hitler. Sie versucht gar nicht, ihrem geliebten Führer etwas vorzumachen. Der hört ungläubig, welch höchst unvorschriftsmäßiges Leben sein Propagandaminister führt.

Er fährt sofort nach Berlin zurück und läßt sich Goebbels kommen. Viele, viele Stunden redet er auf ihn ein. Er tut so, als könne er die ganze Angelegenheit nicht allzu ernst nehmen. Treuherzig äußert er, er wisse doch, wie glücklich
Goebbels verheiratet sei.

Er könne einen kleinen Seitensprung verstehen, aber die Ehe mit Magda dürfe doch nicht aufs Spiel gesetzt werden. Goebbels schüttelt den Kopf. Er will die Scheidung. Er liebt Lida Baarova. Er will sie heiraten.

Hitler gerät in Erregung. Das sei doch ganz unmöglich! Er, der deutsche Propagandaminister, könne sich doch nicht scheiden lassen! Und auch noch einer Ausländerin wegen! Das gehe doch nicht!
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Goebbels will zurücktreten

Goebbels: „Ich weiß, daß ich unter diesen Umständen nicht länger Propagandaminister bleiben kann. Ich bitte Sie, mich meines Amtes zu entheben. Ich bin bereit, mit Frau Baarova außer Landes zu gehen." Aber Hitler denkt gar nicht daran, dergleichen zu erlauben.

Er bekommt einen seiner berühmten Tobsuchtsanfälle. Schließlich erklärt er: „Wer Geschichte macht, darf kein Privatleben haben!"

Aber so leicht ist Goebbels nicht herumzukriegen, und Hitler läßt sich schließlich auf einen Kompromiß ein. Wenn Goebbels in einem Jahr seine Ansicht nicht geändert hat, möge er sich in Gottes Namen scheiden lassen und die Baarova heiraten. Aber in diesem einen Jahr darf er die Baarova nicht sehen und nicht mit ihr sprechen! Darauf muß er sein Ehrenwort geben.

Goebbels gibt sein Ehrenwort.

Dann schreibt er einige Zeilen an die Baarova, um ihr Hitlers Entscheid mitzuteilen. Die Baarova versteht nichts. Warum darf Goebbels sie nicht mehr sehen? Warum nicht mit ihr sprechen?

Niemand gibt ihr Antwort auf diese Fragen. Überhaupt spricht niemand mehr mit ihr. Früher stand ihr Telefon nicht still. Jetzt vergehen Tage, ohne daß es läutet. Früher war sie jeden Abend dreimal eingeladen, und jetzt kommen Briefe, in denen ihr mitgeteilt wird, daß die heutige Gesellschaft, das morgige Abendessen, der Tee übermorgen, die Party am Wochenende wegen Erkrankung leider ausfallen müssen.

Eben noch war sie die populärste Frau innerhalb der deutschen Filmindustrie, mit der jeder gut stehen wollte. Jetzt meidet man sie wie die Pest. Schon steht ihre Villa unter Gestapo-Bewachung. Himmler würde Goebbels gar zu gern dabei ertappen, daß er sein Wort bricht.

Aber Goebbels bricht sein Wort nicht. Vielleicht ist die Abkühlung, auf die Hitler rechnete, schon eingetreten. Wahrscheinlicher, daß Goebbels sich sagt: auch dieses Jahr wird vorübergehen. Nur durchhalten!
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Einer der letzten Film der Baarova

Der letzte Film, den die Baarova gedreht hat - wie ihr erster wieder unter Gerhard Lamprecht - hat den bekannten Roman Dostojewskis „Der Spieler" als Vorlage.

Die Baarova spielt die Tochter eines russischen Generals, der sein Vermögen am Roulette-Tisch verliert.

Der wird von Eugen Klopfer dargestellt. Dann gibt es auch noch einen gewissen Doktor, einen eleganten Schieber, der sie haben will und der bereit wäre, sich das etwas kosten zu lassen. Und den jungen Alexej, den sie haben will aber nicht bekommen kann - denn auch er ist dem Spiel verfallen.

Uraufführung im Gloria-Palast am Berliner Kurfürstendamm.

Da gibt es eine Szene, in der die Baarova mit ihrem Vater spricht. Sie macht ihm Vorwürfe, daß er das viele Geld der Familie verspielt habe. Wovon wird man leben? Der Vater, wütend, weil er ein schlechtes Gewissen hat, ruft: „Frag* doch deinen Doktor um Geld!"

Sofort höhnische Zwischenrufe im Publikum: „Aha!" Und „Na, der Doktor kann ihr ja Geld geben!" Und „Der Doktor hat's ja!"

Mit „Doktor" ist natürlich Goebbels gemeint. Aber es ist, als bekämen die Leute plötzlich Angst vor ihrer eigenen Courage. Die Zwischenrufe brechen jäh ab. Diejenigen, die sie gemacht haben, kriechen ganz in sich zusammen.

Wer weiß, ob sie nicht beim Verlassen des Kinos verhaftet werden?
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Jetzt intrigiert auch noch Himmler gegen Goebbels

Am Ende der übliche Applaus. Die Baarova erscheint in großer Abendtoilette an der Rampe. Und da geht es los: „Raus! Ministerhure! Raus!"

Plötzlich ist der ganze Gloria-Palast von einer tobenden Masse empörter Menschen gefüllt. Fäuste werden geballt und in Richtung der Baarova geschwungen. Die verschwindet erbleichend. Nein, damit hat sie nicht gerechnet. Schnell bringt man sie durch eine Hintertür hinaus.

Aber im Kino dauert der Tumult noch lange an. Die Polizei könnte mit der „kochenden Volksseele" schnell fertig werden. Aber sie denkt nicht daran, einzugreifen. Sie weiß, es handelt sich nicht um eine spontane Aktion.

Die kochende Volksseele besteht aus SS-Männern in Zivil, die eigens zu dem Zweck, Krach zu schlagen, in den Gloria-Palast abkommandiert wurden. Himmlers Geschoß!
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Der Film „Der Spieler" wird abgesetzt.

Goebbels' Stellung scheint erschüttert zu sein. Als Eva Braun, die sentimentale Freundin Hitlers, für die „unglücklich Liebenden" ein gutes Wort einlegen will, vermutet Hitler, daß Goebbels dahinter steckt und verhängt empört Hausarrest über ihn.

Schon sammelt Himmler Material gegen Goebbels. Schon wissen einige Leute, daß der nächste Propagandaminister höchstwahrscheinlich Baidur von Schirach heißen wird.

Die Aufregungen werfen die Baarova aufs Krankenlager. Sie braucht Wochen, um sich zu erholen. Sie versteht nicht, daß Goebbels nichts von sich hören läßt. Manchmal fährt sie zum Propagandaministerium. Er sieht sie, hinter dem Vorhang seines Fensters stehend.

Ihr nächster Film „Preußische Liebesgeschichte"

und wird - 1938 hergestellt - nach mehrmaligen Zensurvorlagen im selben Jahr von der Filmprüfstelle endgültig verboten, 1949 aber von der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft erlaubt und im März 1950 unter dem Titel „Liebeslegende" freigegeben.
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Dann sollte noch ein Film kommen, kam aber nicht mehr

Der Film, den die Baarova danach machen soll, wird wegen „technischer Schwierigkeiten" abgesagt. Plötzlich gibt es überhaupt eine Menge technischer Schwierigkeiten. Produzenten, die sich für die Baarova interessieren, erklären in letzter Minute, es sei etwas dazwischen gekommen.

Einmal ist das Drehbuch nicht so ausgefallen, wie sie es sich gedacht haben, einmal ist kein männlicher Hauptdarsteller zu finden, einmal kein Regisseur. Es dauert lange, bis die Baarova merkt, daß es sich um einen richtigen Boykott handelt. Es dauert lange, bis sie begreift,
daß Sie von Goebbels nichts mehr hören wird. Da packt sie kurz entschlossen ihre Koffer und verläßt Berlin.

Niemand scheint ihre Abfahrt zu bemerken, mit Ausnahme natürlich der Gestapisten, die sie bewachen. Übrigens hat sie in den letzten Monaten der erzwungenen Untätigkeit das meiste von dem, was sie sich ersparen konnte, wieder verloren. Ihre gesamten Habseligkeiten finden in dem kleinen Sportwagen Platz, den sie selbst fährt.
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