Wir sind im Jahr 1997 und das "Filmecho" hat Geburtstag
von Gert Redlich im März 2021 - In der Filmecho-Filmwoche Sonderausgabe vom April 1997 werden die vielen - natürlich zu bezahlenden - Glückwunsch-Anzeigen mit mehreren redaktionellen Artikeln "flankiert", damit es kein reines Anzeigenblättchen wird. Das machen alle Verlage so, wenn ein Jubiläum einer Publikation ansteht. Nicht immer sind die dazwischen zu lesenden Artikel von hohem Interesse bzw. hoher Qualität. Hier schreibt aber ein Kenner der Filmbranche über die Entwicklung des deutschen Films vom Kriegsende 1945 bis 7 Jahre nach der Wende.
Der Artkel ist auf etwa 12 Seiten verteilt und mit Bilden aus im Artikel benannten Titeln illustriert. "Selbstveständlich" will der Autor niemandem weh tun, schon gar nicht den Kunden bzw. Lesern des Filmecho. Auch wird mit der Beurteilung von Ost- und West- Verhältnissen sehr "dezent" umgegangen. Mir als Wessi ist da vieles ganz anders in Erinnerung. Die Kontakte zu vielen Zeitzeugen über 80, die ich nach 2010 kennengelernt habe, runden mein Bild der damaligen Film- und Kino-Situation ab. Auch liegen inzwischen nicht nur die West-Kino- Zeitschriften vor, auch von Bild & Ton aus dem Ossiland haben wir über 30 Ausgaben erhalten.
Empfehlen kann ich auf jeden Fall das Buch "40 Jahre Gloria Palast Berlin". Es ist toll geschrieben und rundet das Bild erstaunlich gut ab.
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FILMGESCHICHTE
Ein halbes Jahrhundert des Films in Deutschhland
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Rückblick auf die letzten 50 Jahre Film in Ost- und West-Deutschland von Dr. Gerd Albrecht im April 1997
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Seite 26 - (die Seitenzahlen sind nicht durchgängig)
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EIN NEUER ANFANG - Die ersten Jahre nach 1945
Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert einen deutlichen Einschnitt nicht nur der deutschen Filmgeschichte. Aber eine Stunde Null hat es nach der Kapitulation und weitgehenden Zerstörung Deutschlands auch für das deutsche Kino und den deutschen Film nicht gegeben. Denn Trümmer und Verluste sind keine Null-Situation, auch wenn sie einen neuen Anfang ermöglichen oder erfordern.
Es gab weder materielle Bestände, auf die man zurückgreifen konnte, noch personell einen Nachwuchs oder „Ersatz", der den Verlust der Toten oder Kompromittierten auch nur hätte „auffüllen" können.
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Die deutschen Kinos waren kaputt oder zweckentfremdet wie die Ateliers und Produktionsstätten, die Rohfilm-Betriebe und Kopierwerke, die Verleihstrukturen und Vertriebswege; die Filmschaffenden, wie nicht erst Goebbels sie genannt hatte, waren in alle Winde zerstreut, hatten Arbeitsverbot.
Zusätzlich zu den Schwierigkeiten eines neuen Anfangs macht jede der vier Besatzungsmächte in ihrer Zone eine eigene Politik, Kultur- und auch Filmpolitik. Und in Berlin, der Vier-Sektoren-Stadt, tun sie das gleichzeitig mit- wie gegeneinander.
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Die wenigen Kinos, die schon im Sommer, gar schon im Mai 1945 wieder spielten, zeigten, was sie an Filmen aus den Wochen vor Kriegsende noch lagern hatten, irgendwo und irgendwie ergatterten, was sie von interessierten Besatzungssoldaten befohlen oder empfohlen bekamen.
Was man spielte, war zufällig. Doch daß man spielte, war ein Signal des Überlebenswillens, der ersehnten Rückkehr zum „normalen" Leben.
Wir wüßten mehr über das Kino-Angebot unmittelbar nach Kriegsende, wenn es damals eine kinobegleitende Presse hätte geben können. Aber die wenigen Zeitungen, die von den Besatzungsmächten oder auf Grund ihrer Lizenzen durch Deutsche herausgebracht wurden, benötigten die knappen Papierzuteilungen zum Abdruck von Meldungen über das politische Geschehen, Lebensmittel-, Bekleidungs- und Bedarfs- Zuteilungen, über Gefangenschaft und Heimkehr, Tote, Vermißte und Gesuchte.
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Wo sich ein Artikel über Kino und Film findet, wundert er sich, daß es „das" überhaupt noch gibt, oder wünscht sich, daß es „das" wieder gäbe.
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„Die Mörder sind unter uns" von Wolfgang Staudte ist der erste deutsche Nachkriegsfilm (Uraufführung: 15.10.1946 in Berlin). Natürlich will die Sowjetische Militär-Administration mit diesem ersten Film der von ihr lizenzierten Deutschen Film-Aktiengesellschaft (DEFA) die Menschen hinsichtlich der „Vergangenheitsbewältigung" agitierend beeinflussen.
Aber der noch wenig bekannte Regisseur und seine bis dahin unbekannte Hauptdarstellerin Hildegard Knef erweisen sich in den folgenden Jahren als Aktivposten des deutschen Films.
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Allerdings ist der Film in der Französischen Zone erst 1947, in der (amerikanisch- britischen) BiZone erst 1948 zu sehen. Auch der erste westdeutsche Nachkriegsfilm, Helmut Käutners mit britischer Lizenz hergestellter Episodenfilm „In jenen Tagen" mit den „Geschichten eines Autos", uraufgeführt am 13. Juni 1947 in Hamburg, kommt zwar im Laufe der nächsten Wochen auch in die anderen westlichen Zonen, ist aber erst später in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) zu sehen.
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So gibt es also 1945 nach der Kapitulation keinen neuen deutschen Film. 1946 sind es (von der DEFA) schon drei, 1947 dann vier im Osten und sechs im Westen. Im Jahr der Währungsreform (20. Juni 1948 im Westen und 23. Juni 1948 im Osten), durch die das Geld gleichzeitig mehr wert, aber auch sehr viel knapper wird, entstehen bei der DEFA sieben und in den Westzonen neunzehn Filme.
1949 schließlich, als die "Deutsche Demokratische Republik" (DDR - im westdeutschen Volksmund nach wie vor die "Ostzone" oder nur die "Zone" genannt) und die "Bundesrepublik Deutschland" (BRD) entstehen, sind es acht Filme im östlichen und 52 im westlichen Teilstaat.
Es geht aufwärts mit der Filmproduktion. Doch dies liegt nicht nur an ihr, sondern mehr noch an einem Publikum, das die Entspannungsmöglichkeiten des Kinos immer mehr zu schätzen weiß.
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Ende 1945 spielten im Westen schon 1.150 Filmtheater
Waren Ende 1945 in der späteren BRD (einschl. West-Berlin) erst 1.150 Filmtheater lizenziert und in der späteren DDR (einschl. Ost-Berlin) noch keine 400, so stieg in den folgenden Jahren die Zahl der wiederhergestellten und gelegentlich sogar neu erbauten Kinos sehr schnell.
Im ersten Jahr des Wiederaufbaus werden in den drei Zonen und Sektoren des Westens fast 1.000 Kinos wieder in Betrieb genommen. Anfang 1949 gibt es daher in ganz Deutschland rund 4.500 Kinos, von denen ungefähr 2.500 täglich Vorführungen anbieten.
Etwa zwei Drittel von ihnen liegen „im Westen", der Rest „im Osten". Im Sommer und Herbst 1945 entstehen auch die ersten von der Besatzungsmacht betriebenen Verleihorganisationen.
Ab 1947 werden sie von den Alliierten in lizenzierte, private Einrichtungen umgewandelt, werden Verleihfirmen aus dem Land der Besatzungstruppen zugelassen und sogar deutsche Firmengründungen gestattet.
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DDR oder Ostzone oder SBZ (sowjetisch besetzte Zone)
Andererseits bleibt es in der SBZ bis 1950 bei einem einzigen Vertrieb für die DEFA- und einem weiteren sowjetischen Vertrieb für alle ausländischen Filme. Dann wird als einziger Verleih, bis 1990 und auch nach der Wende aktiv, Progress-Film gegründet.
Zu verleihen gibt es vor allem am Anfang wenig. Die früheren deutschen Filme sind nur begrenzt von den Besatzungsmächten freigegeben, die ausländischen Filme müssen erst noch untertitelt bzw. synchronisiert werden.
„Tschaikowskij" und „Maxim Gorki" sind die ersten synchronisierten Filme („natürlich" in den östlichen Teilen des noch ungeteilten Landes). Und selbstverständlich brachte jede Besatzungsmacht unter die Menschen, was in ihrem eigenen Land hergestellt worden war.
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Die ersten Filme im August 1945
Schon im August 1945 sieht man „Goldrausch" von Chaplin im (US-besetzten) Bayern, „Rembrandt" mit Charles Laughton folgt in der Britischen Zone, „Kinder des Olymp" von Garne in der Französischen und (die russische Verfilmung von) „Professor Mamlock" des deutschen Autors Friedrich Wolf in der Sowjetischen Besatzungszone.
„Große Freiheit Nr.7", von den Nationalsozialisten für die deutschen Kinos nicht freigegeben, erlebt als erster Film nach dem Zweiten Weltkrieg am 6. September 1945 seine deutsche Urauführung; weitere „Überläufer" der bis Kriegsende nicht fertiggestellten bzw. uraufgeführten Filme folgen in den nächsten Jahren.
Bis Ende 1948 sind überdies von 930 erfaßten Filmen, die vor 1945 produziert wurden, in der Britischen Zone 504, in der Französischen 388 und in der Amerikanischen 305 Filme freigegeben.
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Doch das Verleihangebot bleibt klein. Beispielsweise umfaßt es im September 1947 in der Britischen Zone 28 englische Filme (20 synchronisiert, acht untertitelt), vier französische, zwei schweizerische, einen österreichischen, zehn sowjetische und sechs (neue) deutsche Filme, also insgesamt 51 als „neu" einzustufende Filme, während die Zahl der zugelassenen deutschen Reprisen wohl kaum über 200 lag.
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Die erste Wochenschau aus London
Zur Filmvorführung gehört in jenen Jahren aber noch die Wochenschau. Schon Ende Mai 1945 kann man in der Britischen Zone die Wochenschau „Welt im Film" sehen, die anfangs noch in London produziert wird, im Sommer beginnt in der US-Zone „Welt im Bild" sein Bild der Welt vorzuführen, ab Herbst läuft in der Sowjetischen Zone die Wochenschau „Neues vom Tage", die ab Februar 1946 durch „Der Augenzeuge" ersetzt wird.
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Zu Film- und Kino-Geschehen gehört aber, für das Publikum nur in den Zeitungen und sog. „Publikums"-Zeit-schriften bemerkbar, auch eine funktionierende Publizistik, die in Kritik (nicht nur der Filme) und Zuspruch, in Werbung (wiederum nicht nur für Filme!) und Berichterstattung innerhalb der Branche die notwendigen Informationen verbreitet.
Waren es am Anfang noch unregelmäßige maschinenschriftliche Mitteilungen, die per Durchschrift oder „schon" hektografiert interessierte Fachkollegen und Firmen miteinander verbanden, gibt es im Laufe der Jahre auf schlechtem Papier und in dürrem Umfang die ersten Fach-Organe wie beispielsweise ab Frühjahr 1947 das „Film-Echo", das - in Hamburg erscheinend - noch keinesfalls für mehr als die Britische Zone Anerkennung findet, vielmehr aus den anderen drei Zonen beinahe so berichtet, als wären sie „Ausland".
KONSOLIDIERUNG
1949-1957
Das Wirtschaftswunder beginnt nicht mit der Währungsreform vom Juni 1948 und auch nicht mit der Gründung der Bundesrepublik, die 1950 noch zwei Millionen Arbeitslose hatte. Aber mitten in den fünfziger Jahren, als in Wolfsburg der millionste VW vom Band läuft und die ersten „Gastarbeiter" in eine Bundesrepublik der Voll- und Überbeschäftigung kommen (1955), ist es unübersehbar.
Nun beginnt ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Saturiertheit, in der die Überzeugung wächst, daß alles immer nur noch besser werden kann. Noch verliert man die Grenzen des Machbaren nicht aus den Augen, doch sieht man sie langsam verschwimmen.
Die Filmwirtschaft erlebt in diesen Jahren bis 1957 einen Boom, wie es ihn nur in den Anfangsjahren des Films und später in denen des Tonfilms gegeben hat. Denn 1956/57 übersteigt in den beiden deutschen Teilstaaten die Zahl der Filmbesucher die Milliarden-Grenze.
Dez. 1992 - Das Fernsehen kommt
Nur fünf Jahre früher (Weihnachten 1952) beginnt in der BRD wie in der DDR mit den ersten Fernseh-Ausstrahlungen eine neue Medien-Zeit, auch wenn die am Anfang nicht mal tausend Empfangsgeräte hier im Westen und die noch selteneren dort im Osten kaum die Aufmerksamkeit zu lohnen scheinen.
Ebenfalls in diesen Jahren greift mit den Bürgschaften des Bundes (1950-1955) der Staat erneut in die Belange der Filmwirtschaft ein, fördernd zwar (30 von 100 Mio. Mark, die verbürgt worden waren, gehen verloren), aber auch reglementierend bis in die Inhalte hinein („Stresenauer" wird im Anklang an Adenauer ironisch der durchaus gelungene Film „Stresemann" genannt, der die deutsch-französische Freundschaft den Zuschauern nahebringen soll).
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FBW und FSK - beide in Wiesbaden
Daneben bedeutet die Ermäßigung der Vergnügungssteuer, für lange wie für kurze Filme geknüpft an ein Prädikat der Filmbewertungsstelle (FBW in Wiesbaden), bei einem Regel-Steuersatz von 20 Prozent in allen Bundesländern eine deutliche Unterstützung bemerkenswerter Filme.
Schließlich wird mit der neu errichteten Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK auch in Wiesbaden) zum ersten Mal seit Erfindung des Films die Prüfung von Filmen auf Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Normen aus der Hand des Staates in die Verantwortung der Branche und gesellschaftlicher Gruppen gelegt.
Erst mit der Konsolidierung des (west- wie des ostdeutschen Geldes begann für den Film die Chance des Wieder- und Neu-Aufbaus. Vor allem im Westen verdankten Kinos, Ateliers, Verleihbetriebe und Coproduktionen ihre Entstehung zwar dem Zustrom der Besucher, mehr aber noch der wachsenden Stabilität der D-Mark.
Als Teil einer Wirtschaft, die vollständig unter staatlicher Kontrolle steht und nötigenfalls auch jede Förderung und Finanzierung durch ihn erhält, unterliegt der Film in der DDR erheblich anderen „Markt"-Mechanismen als in der BRD, denn was dort gedreht und (auch an importierten Filmen) gezeigt wird, was gepriesen und sogar was gesehen wird, unterliegt staatlicher Planung und Reglementierung.
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„Grün ist die Heide" (1951) - das ist im Westen Deutschlands einer der ersten Heimat- und auch einer der ersten Farbfilme nach dem Krieg und einer der erfolgreichsten obendrein.
Das Interesse an und die Sehnsucht nach einer heilen bzw. heilbaren Welt (denn auch diese Filme hatten natürlich „ihre" Konflikte !) war stark in einer Gesellschaft, deren Alltag sich ja auch als „heilbar" trotz der Katastrophe und der Katastrophen zu erweisen schien.
„Happy end" sollte in einer Welt herrschen, die unterschiedlich und doch zum Verwechseln ähnlich „ihre" Konflikte auch in „Das doppelte Lottchen" (1951, 1. Bundesfilmpreis!) wie „Nachtwache" (1949, erfolgreichster deutscher Film jener Jahre) auf der Leinwand erlebte.
Da machte es wenig Unterschied, daß man 1949 noch mit „Schwarzwaldmädel" heimisch blieb, ehe man 1955 mit „Piroschka" ins Ausland kam, 1951 mit „Heidelberger Romanze" im Studentenmilieu weilte, ehe man 1953 mit „Sissi" in gehobenere Kreise kam.
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Es gab auch andere Filme
Selbstverständlich gab es in Westdeutschland auch andere Filme. „Liebe 47" nach dem Theater-Hit der vergangenen Jahre „Draußen vor der Tür" (1949), „Herrliche Zeiten" als satirische Demonstration zur Zeitgeschichte durch die Berliner Kabarettisten der „Insulaner" (1950), „Die Sünderin" (1951), bei dem die Gegner des Films bewiesen, wie sehr sie nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus auf dem Festhalten an Normen bestanden, „Nachts auf den Straßen" (1952), „Des Teufels General" und „Himmel ohne Sterne" (beide von Helmut Käutner, beide 1955) belegen, wenn man sie heute sieht, noch immer, daß man beileibe nicht nur eine heile oder doch heilbare Welt zeigen wollte.
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Ein Blick in die DDR (Ostzone)
Bei der DEFA (Ostzone) war es nicht viel anders. Was den einen ihr Heimatfilm, war den anderen ihr antifaschistisch / antikapitalistisch / anti-westlicher Film, dessen Welt am Ende so heil war wie im Heimatfilm, auch wenn es hier immerhin um einen politischen Gegner ging.
„Der Kahn der fröhlichen Leute" (1950) bei den Elbschiffern, „Das verurteilte Dorf" (1952) unter Bauern, „Das kleine und das große Glück" (1953) zwischen Brigadeleiterin und Aktivist, „Einmal ist keinmal" (1955) unter Musikern enthalten beispielsweise, obwohl sie auch im Sinne der DEFA-Ziele und der filmischen Gestaltung durchaus als gelungen angesehen werden müssen, hinreichend Elemente des Heimatfilms und der heilen, heilbaren Welt, zumal im sozialistischen Realismus nach damaligem DDR-Verständnis das „Aufscheinen" einer besseren Zukunft zum Erscheinungsbild des „happy-end" definitionsgemäß gehörte.
Und auch diesen Filmen, die durchaus typisch sind für ihre Zeit, kann man aus den gleichen Jahren bedeutsamere, weniger angepaßte gegenüberstellen: „Die Buntkarierten" (1949) von Kurt Maetzig, „Das Beil von Wandsbek" (1951) von Falk Harnack, „Der Untertan" (1951) von Wolfgang Staudte lohnen heute noch das Ansehen und die Auseinandersetzung.
Auch ein paar ausländische Filme
Um wenigstens ein paar ausländische Filme zu nennen: „Der dritte Mann" (Carol Reed, 1949), „Lohn der Angst" (Henri-G. Clouzot, 1953), „Die Faust im Nacken" (Elia Kazan, 1954), „Wilde Erdbeeren" (Ingmar Bergman, 1957) haben sich bis heute behaupten können. Von ihnen liefen nur „Lohn der Angst" und „Wilde Erdbeeren" seinerzeit in der DDR (Ostzone).
Filmpublizistik in der Fach- wie der Tagespresse
In diesen Jahren „boomt" auch die Filmpublizistik der Fach- wie der Tagespresse. Denn die hohen Besucherzahlen erlauben innerhalb der Branche das Erscheinen und das Beziehen der Fachorgane, sie stimulieren andererseits nicht nur die überregionale, sondern gerade auch die örtliche Presse, sich intensiver mit Filmbesprechungen in den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung einzubringen.
Auseinandersetzungen wie die von den Kirchen forcierten Proteste um „Die Sünderin" führen dazu, daß nicht nur die kirchlichen, sondern auch die politischen, juristischen, künstlerischen Aspekte des Massenmediums Film im Pro und Contra erörtert werden.
Fernsehen und Bundesbürgschaften, Jugendschutz und Vergnügungssteuer, Berlinale und Freiwillige Selbstkontrolle sind Themen, die umfangreich, intensiv und häufig in den Zeitschriften der Filmwirtschaft abgehandelt und diskutiert werden.
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STILLSTAND ?
1957-1966
In der zweiten Hälfte der fünfziger und erst recht Anfang der sechziger Jahre festigt sich in beiden deutschen Teilstaaten trotz und wegen des Kalten Krieges die Wirtschaftssituation.
Das bringt den Menschen mehr Freizeit und mehr Konsummöglichkeiten; zudem steigt ihr Interesse für die Erlebnis- Möglichkeiten des Fernsehens („Pantoffel-Kino"). Dies (insbesondere das Freizeitangebot) berührt immer stärker die Bedeutung von Kino und Film.
So kippt in der Bundesrepublik schon 1957 die steile Erfolgskurve der Filmbesuche und sinkt in zehn Jahren auf weniger als ein Drittel des Höchstwerts; nur wenig besser ist es in der Deutschen Demokratischen Republik.
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- Anmerkung : Dies ist eine ganz wichtige Aussage, die gar nicht hoch genug zu bewerten ist. Der Autor bezeichnet ie Veränderung als "mehr Freizeit und mehr Konsummöglichkeiten". Ich bezeichnete es auf dieser Seite (Niedergang des Kinofilms) als den aufkommenden Wohlstand. Es war Mitnichten das gerade aufkommende Fernsehen. Denn das war am Anfang noch ganz traurig mit der Flimmerkiste und dem Quäke-Ton.
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Dennoch steigt die Zahl der Kinos (im Westen)
In der Kinowirtschaft der BRD steigt allerdings weiterhin (bis 1959) die Zahl der Filmtheater auf fast 7.100, von denen Dreiviertel täglich spielen und (seit 1953 die Cinemascope- Modernisierung begann) 4.300 eine Breitwand-Projektion besitzen.
Von den 62.000 Menschen, die in diesem Jahr bei der Produktion, im Kopier- und Atelierbetrieb, beim Verleih und im Kinogeschäfte arbeiten, sind fast achtzig Prozent in den Kinobetrieben (wie das hier schon immer war) teilzeitbeschäftigt.
Das Fernsehen ist (noch) keine Konkurrenz
Eigentlich kann man den einen Spielfilm, den 1959 die ARD als einziges deutsches Fernsehprogramm pro Woche zeigt, nicht als Konkurrenz des Kinos ansehen.
Doch als 1963 am 1. April das ZDF seinen Sendebetrieb beginnt, sind im ganzen Jahr schon mehr als 200 Spielfilme im Fernsehprogramm zu sehen.
Und die Zahl der Fernsehgeräte, Ende 1957 noch bei 1 Million, verzehnfacht sich in weniger als zehn Jahren bis 1964 auf 10 Millionen, wird sich bis 1977 auf mehr als 20 Millionen Geräte verdoppeln.
Besinnung auf den deutschen Film
Vom deutschen Film will aber niemand lassen. Nicht die Zuschauer, die es 1966 noch auf mehr als 250 Millionen Besuche bringen.
Noch die Filmpolitiker, für die regierungsamtlich ein Bericht der Bundesregierung 1962 festhält: „Die Bundesrepublik braucht den deutschen Film."
Noch die kritischen Filmpolitiker des „jungen deutschen Films", die im gleichen Jahr im „Oberhausener Manifest" erklären: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen."
Erst recht nicht lassen vom deutschen Film die Produzenten, weder die als „Schnulzenkartell" geschmähte „Altbranche" mit „Opas Kino" noch die als „Bubis Kino" nicht minder geschmähten „Oberhausener" mit dem Anspruch, „den neuen deutschen Film zu schaffen".
... und durchaus sehenswert
Was in diesen Jahren im Westen der heutigen Bundesrepublik an Filmen entsteht, kann sich teilweise durchaus sehen lassen.
„Die Brücke" von Bernhard Wicki (1959) ist bis heute ein Höhepunkt nicht nur des deutschen Films, „Das Wirtshaus im Spessart" (Kurt Hoffmann), „Das Mädchen Rosemarie" (Rolf Thiele), „Wir Wunderkinder" (wiederum Kurt Hoffmann), „Helden" (Franz Peter Wirth) - Filme nur des Jahres 1958.
Gleichzeitig sichern ab 1958 die Karl-May- und die Freddy-Quinn- Serien, ab 1959 die Edgar-Wallace- Filme der Branche ein ansehnliches Geschäft.
Filme dagegen wie „Nicht mehr fliehen" oder „Das Brot der frühen Jahre, 1955 bzw. 1962 von Herbert Vesely für eben die „Altbranche" realisiert und gewiß Vorläufer einer neuen Konzeption von Film und Kino, können sich bei der Kritik wie an der Kasse nur in Ausnahmefällen behaupten.
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Ein Blick in die DDR (Ostzone)
Die Produktionen der DEFA aus diesen Jahren sind der Partei in vielen Fällen zu Diensten, beweisen teilweise aber auch eine gestalterische Qualität, die nicht als Propaganda-Mache und -Masche abqualifiziert werden kann.
„Der geteilte Himmel" (Konrad Wolf, 1964) ist seinerseits ein Höhepunkt nicht nur des deutschen Films bis heute; „Schlösser und Katen" (Kurt Maetzig), „Lissy" (Konrad Wolf) und „Berlin - Ecke Schönhauser" (Gerhard Klein) allein aus dem Jahr 1957 bleiben bemerkenswerte Filme, die allerdings genau so ihrer Zeit verhaftet sind wie die westdeutschen jener Jahre.
„Spur der Steine" (Frank Beyer, 1966) - nach dem Verbot fast einer ganzen Jahresproduktion erst nach der Wende von 1989 in die Kinos gekommen - ist ein anderes Beispiel für die Bravour, mit der Filme im östlichen Teil Deutschlands gemacht wurden, die der Partei nicht nur nach dem Munde redeten.
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Zur Erinnerung einige Titel ausländischer Filme von damals: „Asche und Diamant" (Andrzey Wajda, 1958), „La Dolce Vita" (Federico Fellini, 1959), „Außer Atem" (Jean-Luc Codard, 1960), „Viridiana" (Luis Bunuel, 1961), „Das Schweigen" (Ingmar Bergman, 1963), „Dr. Seltsam, oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" (Stanley Kubrik, 1964), „Fahrenheit 451" (Francois Truffaut, 1966). Von ihnen lief nur „Asche und Diamant" in den Kinos der DDR.
In diesen Jahren um 1965 tun sich die Fachpresse wie die Zeitungen und Zeitschriften schwer. Ihr Herz und ihre Tradition nimmt die dort Schreibenden für den Kinofilm ein, ihr Sachverstand und ihr Geschäftssinn sagt ihnen, daß das Fernsehen das kommende Medium der Massen sein wird.
Wie dem Film und dem Kino geholfen werden kann, ob sie sich gegen das Fernsehen werden behaupten können, ist daher das heimliche Thema selbst jener Artikel und Meldungen, die nicht unmittelbar dies zum Gegenstand haben.
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1966-1976 - ERNEUT EIN ANFANG ?
„Zur Sache, Schätzchen" (May Spils, 1968) gilt vielen als der Auftakt des „neuen deutschen Films", doch ist „Es" (Ulrich Schamoni, 1966) der erste Film, der die Forderungen von Oberhausen einlösen konnte. „Der junge Törless" (Volker Schlöndorff) und „Abschied von gestern" des damaligen „Chef-Ideologen" der sog. Oberhausener folgen noch im gleichen Jahr und erscheinen in ihrer Neuartigkeit vielen Kinobesucher als Versprechen eines wirklich gewandelten deutschen Films, auch wenn andere mit ihrer Intellektualität nicht viel anfangen können.
„Katzelmacher", der erste Film von Rainer Werner Fassbinder, wird 1969 im Kino gezeigt und erregt, wo überhaupt bemerkt, Aufsehen und Widerspruch wie 1971 Werner Herzog mit „Auch Zwerge haben klein angefangen", der wie Fassbinder nicht zu den Oberhausener Protestierern gehört hat.
„Einer von uns beiden" (Wolfgang Petersen, 1974), „Lina Braake" (Bernhard Sinkel, 1975), „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (Schlöndorff, 1975), „Im Lauf der Zeit" (Wim Wenders, 1976) setzen dann wieder ganz auf das Erzähl- und Action-Kino, ohne allerdings belanglose Unterhaltung zu präsentieren. Sie zeigen einen gewandelten deutschen Film, der im Inland wie im Ausland Anerkennung findet.
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Wieder ein Blick nach "Drüben"
Bei der DEFA war als Folge der Beschlüsse des 11. Plenums des ZK der SED vom Dezember 1965 mit dem Verbot der weiteren Vorführung, der Urauführung oder der Fertigstellung für zwölf Spielfilme den Filmleuten von Babelsberg die Chance und der Mut zu gewagteren Themen und Gestaltungen nachhaltig genommen.
Dennoch sind in den folgenden Jahren „Ich war neunzehn" (Konrad Wolf, 1968), „Der Dritte" (Egon Günther, 1972), „Die Legende von Paul und Paula" (Heiner Carow, 1973), „Jakob, der Lügner" (Frank Beyer, 1975) künstlerisch beeindruckende Filme mit jeweils eigenem Stil.
Sie waren nicht vordergründig darauf angelegt, der Parteilinie zu widersprechen oder sie zu stützen, können aber gerade deshalb in der DDR damals wie in der gesamtdeutschen BRD heute den Menschen Erlebnisse vermitteln, die Nachdenklichkeit und Denk-Korrektur zu bewirken vermögen.
Daß es neben den genannten in der DDR viel "systemkonformere" Filme gab, daß mindestens seit dieser Periode der „Westfilm" aus der Bundesrepublik wie dem Ausland sich großer Beliebtheit und auch größerer Beliebtheit als der einheimische Film erfreute, verstand sich für die Filmzuschauer von Rügen bis Plauen von selbst.
Daß ihre Filmbesuche als Planungs-Daten behandelt und die Zahlen entsprechend manipuliert wurden, nahm zu dieser Zeit seinen Anfang und das nahm überdies kaum einer mehr wahr.
Am Rand wenigstens soll die Serie von zwölf Indianerfilmen vermerkt sein, die die DEFA 1966 bis 1979 in Coproduktionen mit dem Ausland produzierte. Und angemerkt soll auch sein, daß die teilweise bravourösen Kinderfilme, die bei der DEFA gedreht wurden, hier alle aus Platzgründen unerwähnt bleiben müssen.
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Ausländische Filme jener Jahre
Ausländische Filme jener Jahre, die „was zu sagen hatten": „Der Krieg ist aus" (Alain Resnais, 1967), „Rosemaries Baby" (Roman Polanski, 1968), „Easy Rider"
(Dennis Hopper, 1969), „Z" (Constantin Costa-Gavras, 1969), „Der letzte Tango in Paris" (Bernardo Bertolucci, 1972), „Lacombe Luden" (Louis Malle, 1974), „Einer flog übers Kuckucksnest" (Milos Forman, 1975), „Network" (Sidney Lumet, 1976).
Keiner dieser Filme wurde seinerzeit in den Kinos der DDR gezeigt.
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Filmpolitisch und damit auch filmwirtschaftlich ereignet sich in diesen Jahren in der Bundesrepublik viel. 1966 formiert sich - nach der Gründung des Kuratoriums Junger Deutscher Film (1965) - der „junge" bzw. „neue" deutsche Film in der „Arbeitsgemeinschaft Neuer Deutscher Spielfilm-Produzenten".
1967 beschließt der Bundestag die erste Fassung des bis heute nach vielen Novellierungen weiterhin geltenden und von ursprünglich 23 bald auf 77 Paragraphen angeschwollenen Filmförderungsgesetzes (FFG), auf Grund dessen die Filmförderungsanstalt (FFA) als Anstalt öffentlichen Rechts gegründet wird.
1971 entstehen der „Filmverlag der Autoren", das „Forum" bei der Berlinale, das erste „Kommunale Kino" (Frankfurt), 1972 (nach der schon 1953 gegründeten Gilde deutscher Filmkunsttheater) die Arbeitsgemeinschaft Kino.
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1974 - das erste Film-Fernseh-Abkommen
1974 kommt es zu dem ersten, inzwischen immer wieder erneuerten Film-Fernseh-Abkommen zugunsten des sogenannten amphibischen Films, der beiden Medien angepaßt sein soll.
Nachdem im Laufe der vergangenen Jahre Fachorgane des Films ihr Erscheinen haben einstellen müssen bzw. in drei Fällen mit dem überlebenstüchtigen „Film-Echo" fusionierten, erscheint als Konkurrenz ab 1976 „Blickpunkt Film" und als erste neue Publikumszeitschrift nach dem Zweiten Weltkrieg für den Filmbereich ebenfalls ab 1976 „Cinema".
Die Haupt-Themen dieser Jahre sind mit den Stichworten Filmförderung, FFA und FFG, Neuer Deutscher Film, Rückgang des Kinobesuchs und besonders des deutschen Marktanteils bei den Kino-Einnahmen umrissen.
Es ist bezeichnend, daß sie auch in den Feuilletons der Zeitungen und Zeitschriften auftauchen, während die Fimbesprechungen in dieser Jahren in vielen Zeitungen seltener, in anderen eingestellt werden.
Andererseits führt die Erfahrung, daß die Förderung durch FFA bzw. FFG die hochgeschraubten Erwartungen an eine grundlegende Erneuerung des deutschen Films nicht umgehend erfüllen kann, gerade in die öffentliche Auseinandersetzung über den deutschen Film eine beträchtliche Gereiztheit.
Große Veränderungen und Unruhen
In beiden deutschen Staaten, wirtschaftlich in der Umwelt ihrer Blockbildung viel besser als andere gestellt, gibt es in diesen Jahren Unruhen, teils sehr öffentlich, teils in jenem stabilen Untergrund, auf dem sie zu gründen scheinen.
Als studentische Revolte beginnen sie im Westen, dagegen im Osten als überraschende Veränderungen im System (CSSR-Einmarsch, Honecker als Nachfolger Ulbrichts).
Gleichzeitig kommt es zu Annäherungen (Grundlagen-Vertrag BRD/DDR). „Mehr Demokratie wagen" (Willy Brandt) wird im Westen, abgewandelt auch im Osten zum Leitmotiv des Handelns im politischen, aber auch persönlichen Leben.
Gleichzeitig steigen die „System"-Kosten: verdeckte Arbeitslosigkeit in der DDR und unverdeckte in der BRD wachsen von der Öffentlichkeit fast unbemerkt.
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1976-1985 - WELTNIVEAU - ÜBERGANGSZEIT ?
Erstmals kann 1976 für einen geförderten Film die Rückzahlung eines FFA-Darlehens beginnen, denn „Katharina Blum" hat hohe Besucherzahlen, erstmals seit 1956 steigt von 1976 auf 1977 der Filmbesuch in der Bundesrepublik wieder (von 115 auf 124 Millionen) an.
1979 erhält „Die Blechtrommel" als erster deutscher Film in Cannes die Goldene Palme, 1980 den „Oscar"; im gleichen Jahr wird in München erstmals der Bayerische Filmpreis vergeben.
In den folgenden Jahren besinnen sich auch andere Bundesländer auf ihre Verantwortung für Filmwirtschaft und Film-Kunst.
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Nur sieben von 97 Filmen, die mit FFA-Mitteln 1979 bis 1983 gefördert werden, bringen mehr als 1 Million, drei Viertel von ihnen dagegen weniger als 100.000 Zuschauer.
Der Anteil der deutschen Filme an den Kino-Einnahmen, noch in den sechziger Jahren bei einem Viertel oder gar einem Drittel, sinkt auf ein Fünftel, sogar auf ein Zehntel ab.
Geht es abwärts ? Keine Wochenschauen mehr
Das Fernsehen, 1977 in Deutschland 25 Jahre alt, kann in diesem Jahr in der Bundesrepublik schon von zwei Dritteln der 20 Million angemeldeten Geräte in Farbe empfangen werden, während nun das Programm vollständig in Farbe ausgestrahlt wird.
Die Vorführung von Wochenschauen kommt in den Kinos zum Erliegen, nachdem schon seit 1956 die Tagesschau allabendlich ausgestrahlt wird.
Ähnlich ist in der DDR die Konkurrenz hart, als das Fernsehen zwanzig Jahre alt wird, mit fast 5 Millionen Geräten und durchschnittlich (ohne West-Kanäle!) vier täglichen Stunden Kinofilm.
Die Videorecorder kommen
Mit Beginn der achtziger Jahre kommen die Videorecorder in die Haushalte; 1985 sind schon 20 Prozent damit versorgt. Die Zahl der Filme im Fernsehen verdoppelt sich bis dahin auf rund 650 im Jahr.
Zusätzlich wandelt sich die Freizeit-Situation: Arbeitszeit-Verkürzungen, Urlaubs-Verlängerungen, Lohn-Steigerungen führen zu einem Freizeit- und Konsum-Verhalten, in dem das Kino nicht mehr wichtig ist.
Dementsprechend verkleinert sich weiterhin die Zahl der insgesamt angebotenen Kino-Sitzplätze in der Bundesrepublik; von 1976 bis 1986 sinkt sie um mehr als ein Drittel bei gleichbleibender Zahl der Kinos, weil die Kinos kleiner werden („Schuhkarton"-Kino).
Und als Reaktion auf die gewandelte Freizeit-Situation, in der Samstags nur noch wenige Betriebe arbeiten, verschiebt die Branche den Kino-Wechseltag, der seit 1912 unverändert am Freitag (davor am Samstag) war: ab 8. August 1985 wird der Donnerstag zum Wechseltag für das Programm.
Im Blick auf die gewandelten Ansprüche der Zuschauer werden mit Hilfe der FFA andererseits die Kinos modernisiert: Mitte der achtziger Jahre sind über 1.200 Kinos mit einer Klima-Anlage versehen, gibt es fast 900 Service- und fast 750 Raucher-Kinos.
Die "Jungen" gehen öfter ins Kino als die "Alten"
Im Kino selbst sitzen übrigens wie in den Jahrzehnten davor und den Jahren danach besonders die jungen Menschen zwischen 12 und 29 Jahren, die zwar nur rund ein Viertel der Bevölkerung, aber immerhin rund achtzig Prozent der Zuschauer ausmachen.
Aber auch ihr Filmbesuch nimmt nicht zu, sondern ab, so daß in den sechs Jahren von 1980 bis 1985 der Kinobesuch in der Bundesrepublik von 144 auf 104 Millionen Filmbesuche sinkt.
Die Kinos ihrerseits kompensieren die damit verbundenen Minder-Einnahmen durch eine Erhöhung der Eintrittspreise, die von 6,29 Mark auf 7,43 Mark steigen müssen, weil sich andernfalls das Geschäft nicht mehr trägt.
Wieder ein Blick nach "Drüben"
Ist es mit dem Kino und dem Film in der DDR ähnlich? Ist es anders? Man weiß es in jenen Jahren und auch heute (1997) nicht genau. Denn daraus wird ein ziemliches Geheimnis gemacht, das auch nach der Wende noch keiner hat entschlüsseln wollen.
Wohl aber weiß man, was an Filmen in der DDR produziert worden ist. „Solo Sunny" (Konrad Wolf, 1980), „Die Beunruhigung" (Lothar Warneke, 1982), „Fariaho" (Roland Graf, 1983), „Der Aufenthalt" (Frank Beyer, 1983), „Olle Henry" (Ulrich Weiß, 1983), „Hälfte des Lebens" (Hermann Zschoche, 1985) - ein halbes Dutzend Filme, die in der BRD kaum bekannt geworden sind, die aber in der DDR beträchtliche, ja große Erfolge nicht nur bei der Kritik, sondern vor allem bei den Zuschauern waren.
Und bei diesen Filmen aus dem letzten Jahrzehnt vor der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands kann nicht nur die Frage ihres künstlerischen Ranges ausschlaggebend sein, sondern nun geht es auch darum, daß außer ein paar Journalistinnen selbst die Menschen der Branche keine Ahnung haben von dem, was die Menschen in den inzwischen neuen Bundesländern noch vor wenigen Jahren auf der Leinwand sahen und was sie als Teil ihrer eigenen Identität bewegte.
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Seite 40 - Die einseitigen Perspektiven von Wessis und Ossis
Nennt man demgegenüber die Produktionen, die in den nunmehr alten Bundesländern die Menschen interessierten, so merkt man erst recht, wieviel bekannter sie dem „Westler" sind, selbst wenn er sie nicht gesehen hat:
„Die Ehe der Maria Braun" von Fassbinder (1979), „Das Boot" von Wolfgang Petersen (1981), „Mephisto" (Istvan Szabo, 1981), „Die bleierne Zeit" (Margarethe von Trotta, 1981), „Heimat" von Edgar Reitz (1984), „Männer" (Doris Dörrie, 1985).
An dieser Stelle wird bei dem Rückblick auf die letzten, die zweiten fünfzig Jahre der deutschen Filmgeschichte besonders deutlich sichtbar, wie einseitig jeweils unsere Perspektive durch das Leben im jeweiligen Teilstaat Deutschlands geprägt ist.
Dabei haben übrigens die Menschen, die im Osten der heutigen Bundesrepublik sich Filme ansahen, noch mehr Glück gehabt als die im Westen. Denn in der DDR immerhin sind viele Filme der BRD-Produktion gelaufen, während umgekehrt bei den Zuschauern der alten Bundesrepublik das Interesse an DEFA-Filmen bis heute mehr als gering ist.
Bemerkenswerte aber unerfolgreiche Filme
Einige der nicht unbedingt erfolgreichsten, aber merkenswerten ausländischen Filme dieser Jahre: „Padre Padrone" (Paolo und Vittorio Taviani, 1977), „Apocalypse Now" (Francis Ford Coppola, 1979), „Moskau glaubt den Tränen nicht" (Wladimir Menschow), „Der Elefantenmensch" (David Lynch, 1981), „ET. - Der Außerirdische" (Steven Spielberg, 1982), „Victor und Victoria" (Blake Edwards, 1983), „Killing Fields" (Roland Joffe, 1985).
Zwei von ihnen waren vor der Wende auch in der DDR im Kino zu sehen: „Moskau glaubt den Tränen nicht" und „E.T. - Der Außerirdische".
Was in diesen Jahren (etwa 1983 bis 1985) politisch und wirtschaftlich in den beiden deutschen Staaten vor sich ging, überraschte die Menschen, da sie sich in ihrer bisherigen Welt eingerichtet hatten und Veränderungen kaum erwarteten.
Die wirtschaftliche Situation erwies sich in beiden Staaten als brüchig, das Vertrauen in die Politik und erst recht die Politiker sinkt, der Dissens mit den Selbstverständlichkeiten des jeweiligen Staatsverständnisses wurde im Osten in Abweichler-Gruppen und im Westen in Partei-Gründungen in der Öffentlichkeit artikuliert.
1985-1997 - Noch vor kurzem! Schon GESCHICHTE ?
Ungefähr 1983 beginnt mit der Verbreitung der Videogeräte in der Bundesrepublik eine Auseinandersetzung über die Gewaltdarstellungen der Medien und ihre Wirkung auf Jugendliche, die bis heute andauert.
Wirkungsfragen hatten zwar schon in den fünfziger und sechziger Jahren bei den Filmen „Die Sünderin" und „Das Schweigen" zu öffentlichen Auseinandersetzungen geführt.
Doch jetzt erwies sich, daß bei dem neuen Medium die Voraussetzungen eines angemessenen Jugendschutzes auf neue Weise für die Miete und den Kauf von Video-Angeboten geregelt werden mußten.
1985 wird dies mit einem novellierten Jugendschutz-Gesetz gelöst. Insgesamt aber zeigt sich dabei, daß die Entwicklung der letztlich vom Film abgeleiteten „audio-visuellen Medien" vom Gesetzgeber so einfach, wie dies früher beim Film war, nicht mehr geregelt werden kann.
Darüber hinaus wird 1988 bei „Rambo III" die Frage, ob er gewalt- oder kriegsverherrlichend, gar Propaganda für einen „schmutzigen US-Krieg" ist, und bei „Die letzte Versuchung Christi" die Frage, ob er das religiöse Empfinden oder gar den religiösen Frieden verletzt, zu heftigen öffentlichen Kontroversen ausgeweitet über die Wirkungs-Möglichkeiten solcher Filme auch auf und gerade auf Erwachsene.
1993 wiederholt sich ähnliches bei dem Dokumentarfilm „Beruf: Neonazi". Taucht hier - unter dem Gesichtspunkt von „political correctness" - eine neue Angst auf, die jede Abweichung von der eigenen oder der herrschenden Meinung als Tabu-Verletzung im Sinne der Zerstörung höchster Normen hinstellen möchte?
Die neuen Privaten mischen das Fernsehen auf
1988 wird in der Bundesrepublik das duale Rundfunksystem eingeführt, (Anmerkung : absolut notgedrungen, weil RTL seit 1984 per Satellit in ganz Europa zu empfangen ist) das neben den öffentlich-rechtlichen auch private Rundfunk- und Fernseh-Sender zuläßt.
Die Vielfalt auch der Kinofilme, die nun von den Sendern verbreitet werden, führt innerhalb von fünf Jahren, also bis 1993, zur Ausstrahlung von fast 8.000 abendfüllenden Filmen mit mehr als 15.000 Sendeterminen im Fernsehen der aus den alten und den neuen Ländern bestehenden Bundesrepublik.
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Verglichen mit einem neuen Filmangebot von rund 300 Spielfilmen pro Jahr in den deutschen Kinos kann der Konsument, dem in vielen Fällen sein „Heim-Kino" lieber ist als der Besuch in einem Kino, bei dem er Eintritt zahlen und sich gewissen Kleidungs- und Verhaltens-Regeln fügen muß, Tag für Tag unter zahlreichen „Filmen" wählen.
Darüber hinaus führt die Notwendigkeit, die Sendezeit mit Sendungen auch zu füllen, die zahlreichen Sender einerseits zu einem möglichst schnellen Einsatz aller neuen Kinofilme im Fernsehen, andererseits aber auch zum möglichst vollständigen Aufkauf aller früheren Filmproduktionen guter wie schlechter Qualität.
Anmerkung : Auch dieser Satz ist nocheinmal zu betonen. Jetzt wurden bei den Privaten Fernsehsendern wie zum Beispiel RTL, SAT1 und PRO7 alle nur irgendwie besonders preiswert verscherbelten Filmrechte von den übelsten und blödesten Gurken aufgekauft und die wurden des Nachts bzw. rund um die Uhr abgedudelt, auf Teufel komm raus. Und da waren wirklich schlimem Zeitfüller dabei, die man sich auch mit bestem Willen nicht mehr angetan hatte.
Zwar würden theoretisch die Rechte für die Kino-Auswertung bei vielen dieser Filme noch verfügbar sein, doch verzichten verständlicherweise viele Verleiher auf den Kauf von Lizenzen bei solchen Filmen.
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Die Zuschauer waren lernfähig und sogar recht schnell
Das basiert auf der Einstellung vieler Zuschauer, daß ein irgendwo, irgendwann im Fernsehen gezeigter, wenn auch nicht selbst gesehener Film keinen Kinobesuch mehr wert ist.
So ergibt sich das völlige Verschwinden dessen, was nicht nur den Programmkinos früher als „Repertoire" zur Verfügung stand, sondern gerade auch bei einer gemischten Programm-Gestaltung und im Action-Kino die Ergänzung der aktuellen Filme durch die „Klassiker" ermöglichte.
Die Wiedervereinigung und die Konsolidierungen
1990 kommt es zur deutschen Vereinigung, die aus zwei Teilstaaten politisch und wirtschaftlich einen Staat macht, der noch immer nicht weiß, inwiefern diese Änderung ihn selbst verändert.
Was jedenfalls sich in der DDR im Bereich der Produktion, des Verleihs, des Kinowesens entwickelt hat, ist sehr schnell auf Grund der Tatsache, daß dies alles nun nach privatwirtschaftlichen Regeln zu handhaben ist, nur noch in Relikten vorhanden, zumal nach Finanzkraft und betriebswirtschaftlichem Know-How die Gewichte zu eindeutig verteilt sind.
So sind die Kinos zum großen Teil bald in der Hand westlicher Besitzer, kommt die Produktion der DEFA mehr oder weniger zum Stillstand, sind im Verleihgeschäft die westlichen Partner dem Konkurrenten Progress-Film bald auf seinem ureigensten Gebiet auf Grund ihres Angebots überlegen.
Und dies alles trotz beträchtlicher Anstrengungen der Menschen, die für den Film der DDR sich einsetzen, und trotz beträchtlicher staatlicher Hilfen.
Für die Zuschauer in den neuen Bundesländern, die traditionell dem Kino noch mehr Sympathie und damit auch mehr Geld entgegenbringen als die Zuschauer der alten Bundesländer, erweitert sich das Angebot der Kinofilme beträchtlich.
Denn einerseits können sie nun jene Filme aus aller Welt sehen, die ihnen in früheren Jahren aus dem aktuellen Angebot vorenthalten wurden, können, soweit verfügbar, aber auch nachholen, was sie früher nicht zu sehen bekamen, und können schließlich erneut jene Filme sehen, die sie auch früher schon, allerdings unter ganz anderen Gesichtspunkten sehen durften oder mußten und mit ganz anderen Einstellungen als heute gesehen haben.
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Die ostdeutsche DEFA verschwindet und auch das Ost-Fernsehen
Bedauerlich aber bleibt das Verschwinden des DEFA-Films für die Menschen der alten Bundesländer, ob sie nun Kinobesucher sind oder nicht.
Denn was zur Geschichte der DDR, was zur Geschichte der DDR-Bürger gehört, bleibt ihnen auch auf diesem Gebiet verschlossen.
An Filmen waren in diesem vergangenen Jahrzehnt in der DDR wichtig u.a. „Einer trage des andern Last" (Lothar Warneke, 1988), „Fallada - letztes Kapitel" (Roland Graf, 1988), „Der Bruch" (Frank Beyer, 1989), „Treffen in Travers" (Michael Gwisdek, 1989), „Coming Out" (Heiner Carow, 1989).
1990 kommen vor allem Produktionen hinzu, die Ende 1965 bei der Partei in Ungnade fielen: „Das Kaninchen bin ich" (Kurt Maetzig), „Denk bloß nicht, daß ich heule" (Frank Vogel), „Berlin um die Ecke" (Gerhard Klein), „Wenn du groß bist, lieber Adam" (Egon Günther).
Und nach der Vereinigung vom 3. Oktober 1990 bleiben bemerkenswert vor allem „Der Tangospieler" (Roland Graf, 1991) und „Der Verdacht" (Frank Beyer, 1991).
Mit einer Premiere am 13.10 1993 beim Filmfestival in Cottbus endet die Filmgeschichte der DEFA, die als erste Produktionsgesellschaft in Deutschland nach 1945 ihre Arbeit begann.
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Viele Filme der letzten Jahre sind auch in westdeutschen Kinos und vor allem Programmkinos gelaufen, doch weiterhin und trotz der neuen Perspektiven der letzten Jahre war es schwierig, das Publikum für sie zu erwärmen.
Denn in diesem letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts der Filmgeschichte zogen besonders die Komödien die Besucher in die westdeutschen Kinos, worüber sich allerdings manche erregten, die offenbar nur sogenannte Problemfilme als wirklich „deutsche" Filme gelten lassen wollen.
„Der Himmel über Berlin" (Wim Wenders, 1987) gehört zwar zu letzteren, auch „Herbstmilch" (Joseph Vilsmaier, 1988). Aber Filme wie „Schtonk" (Helmut Dietl, 1989), „Wir können auch anders" (Detlev Bück, 1992), „Abgeschminkt" (Katja von Garnier, 1993), „Der bewegte Mann" (Sönke Wortmann, 1994), „Keiner liebt mich" (Doris Dörrie, 1994), „Männerpension" (Detlev Bück, 1996) fanden in ganz anderer Weise Aufmerksamkeit, ganz zu schweigen von „Otto", „Loriot" oder „Werner". Filme wie „Der Totmacher" (Romuald Karmakar, 1995) hatten es daneben ausgesprochen schwer.
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Ein weiterer Seitenblick auf ausländischen Filme
Und wieder ein kurzer Seitenblick auf jene ausländischen Filme, die aus der Masse des Angebots herausragten, Erfolge teilweise nur bei der Kritik oder nur beim Publikum, bestenfalls aber bei beiden hatten: „Ran" (Akira Kurosawa, 1986), „Abschied von Matjora" (Ellen Klimow, 1987), „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" (Pedro Almodovar, 1988), „Rainman" (Barry Levinson, 1989), „Pretty Woman" (Garry Marshall, 1990), „Der mit dem Wolf tanzt" (Kevin Costner, 1991), „Basic Instinct" (Paul Verhoeven, 1992), „Jurassic Park" (Steven Spielberg, 1993), „Schindlers Liste" (Steven Spielberg, 1994), „Forrest Gump" (Robert Zemeckis, 1995).
Von diesen Filmen, soweit sie vor der Wende nach Deutschland kamen, wurden „Abschied von Matjora" und „Rain Man" in den Kinos der DDR gezeigt.
1997 - UND SO WEITER - Ein Ausblick!
Blickt man in die Zukunft, erweisen sich viele Probleme aus der Vergangenheit als brisant. Das Thema der Multiplexe (am 10. Oktober 1990 eröffnete das erste in Hürth bei Köln, Ende 1996 sind es 301 Säle), die Problematik der Kopien-Zahl (schon 1994 kam mehr als ein Drittel aller neuen Spielfilme mit mehr als 100 Kopien auf den Markt; 1997 ist ein Film mit mehr als 500 Kopien im Einsatz nicht die einzige Ausnahme), der geringe Einnahme-Anteil bei den deutschen Spielfilmen (zum Glück waren es 1996 endlich wieder etwas über 16 Prozent!) - das sind Fragen, die der Branche auch in Zukunft erhalten bleiben.
Daneben sind die Konflikte eines europäischen Films gegenüber der erdrückenden US-Konkurrenz noch immer nicht befriedigend gelöst, stehen die angemessenen Lösungen bei der nationalen Filmförderung für die nächste Novellierung mal wieder zur Debatte, deuten sich in der Umstrukturierung von Verbänden neue Entwicklungen und Tendenzen an.
Auch auf diese Aspekte der „gegenwärtigen Filmgeschichte" wird man einmal „historisch" zurückblicken können und müssen. Doch 1997 sind sie wichtiger als manche Details, die dieser Rückblick erwähnte, oder andere, die er unerwähnt lassen mußte.
In diesem Sinne setzt der Rückblick keinen Schlußpunkt, bringt aber statt der Erinnerung vielleicht auch Besinnung. Sind nämlich die Höhen und Tiefen des Films und des Filmgeschäfts in den vergangenen fünfzig Jahren unter Einsatz von Phantasie und allen Kräften des Menschen gemeistert worden, so besteht zwar noch keine Garantie, daß man auch die Zukunft in den Griff bekommen wird. Aber es könnte weiterhin gelingen, falls man nicht mutlos wird.
Dr. Gerd Albrecht im April 1997
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