"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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NICHT ALLE KAMEN IN DEN UFA PALAST
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Nicht alle sind zur Jubiläumsfeier in den UFA-Palast gekommen.
Emil Jannings hat sich vom Wolfgangsee aus entschuldigt. Er sei krank. Er könne die weite Reise nicht machen. Er hat schon einen wütenden Brief von Goebbels bekommen: „Alle kommen, sogar Wilhelm Furtwängler wird dirigieren! Aber Sie, Herr Jannings ..."
Das stimmt übrigens nicht ganz. Auch Furtwängler hat sich gedrückt.
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Gleichfalls nicht anwesend war Zarah Leander.
Sie stand nicht mehr gut mit den Herren des Dritten Reiches. Mit Klitzsch konnte sie auskommen, besser noch mit Corell. Mit Goebbels konnte sie es nie. Dafür gibt es viele Gründe.
Einer davon ist, daß Goebbels ihr gewisse Anträge gemacht hat. Vor einigen Wochen ist es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung zwischen ihr und Goebbels gekommen.
Der Grund: Die UFA will den Vertrag mit der Leander nicht mehr einhalten, nachdem sie ihr einen Teil ihrer Gage in schwedischen Kronen ausbezahlen muß. Die Leander ist völlig uninteressiert. Sie zuckt die Achseln. „Vertrag ist Vertrag!"
Sie braucht die Devisen. Sie weiß, daß sie nicht ewig filmen kann. Sie weiß auch, daß sie früher oder später in ihre Heimat zurück muß. Sie hat sich in Schweden ein großes Gut gekauft.
Sie fährt öfters auf dieses Gut, das sie meisterhaft zu bewirtschaften versteht. Sie ist eine tüchtige Hausfrau. Sie ist eine vorzügliche Geschäftsfrau. Die UFA interessiert sich natürlich nicht für das Gut Zarah Leanders und für ihren Wunsch, ihr Geld dort anzulegen.
Goebbels läßt Zarah Leander ins Propagandaministerium kommen. Er will ihr die Devisenklausel aus ihrem Vertrag streichen. Er redet lange auf sie ein. Aber er vermag nicht den geringsten Eindruck auf sie zu machen. Warum? Was er nicht weiß - sonst hätte er sie gar nicht kommen lassen - ist, daß er ihr außerordentlich unsympathisch ist.
Sie hat ja etwas gegen kleine Männer. Und im Falle Goebbels kommt so manches zusammen! Nicht zuletzt weiß sie, daß Goebbels Corell fortgeschickt hat, und daß Corell daran gestorben ist. Mit Corell verstand sie sich ausgezeichnet. Das war eben ein Gentleman. Seitdem er aus der UFA verschwunden ist, gibt es eigentlich niemanden mehr, mit dem sie noch einen echten Kontakt hat - Rolf Hansen natürlich ausgenommen.
Als Goebbels gar nicht mehr weiß, was er sagen soll
....., erklärt er: „Sie leben schließlich seit Jahren in Deutschland. Sie haben ein Vermögen verdient. Warum werden Sie nicht Deutsche?"
„Ich bin Schwedin. Ich bin mit einem Schweden verheiratet. Ich liebe mein Vaterland!"
„Und Deutschland? Lieben Sie Deutschland nicht?"
Die Leander ist für Sekunden in die Enge getrieben: „Ich habe Kinder in meiner Heimat, in Schweden..." „Das läßt sich alles arrangieren. Ihr Sohn wird deutscher Offizier werden. Ihre Tochter kann eine staatliche Ausbildung bekommen. Sie können das alles entscheiden. Sie haben einen Landsitz in Schweden. Ich weiß. Sie werden ihn gegen ein großes Gut in Ostpreußen eintauschen. Man wird alle Ihre Wünsche berücksichtigen."
Zarah Leander sagt ganz ruhig: „Nein."
Goebbels starrt sie an. Es ist lange her, daß jemand „nein" zu ihm gesagt hat. Die Leander wiederholt: „Nein, ich werde das alles nicht tun!"
Goebbels schnellt von seinem Sitz auf. Er hat einen seiner großen Ausbrüche. Er tobt so sehr, daß er bereits nach einer Minute heiser ist. Die Frau vor ihm bleibt ganz ruhig. Das ist es ja, was ihn so aufregt: jetzt endlich merkt er, daß er nicht den geringsten Eindruck auf sie macht.
Als er Atem schöpfen will, steht sie auf. „Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr Minister, daß ich Schwedin bin. Mit einer Schwedin kann man nicht so reden." Sie geht auf die Türe zu.
„Ich lasse Sie ausweisen!" brüllt Goebbels. Er tut natürlich nichts dergleichen, denn die UFA braucht Zarah Leander.
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Und dann geschieht etwas Unvorhergesehenes .....
- obwohl es eigentlich leicht genug vorauszusehen war. Während einer Bombardierung Berlins fällt auch eine Bombe auf die Villa der Leander im Grunewald. Das kann eine Frau wie sie nicht weiter erschrecken. Sie läuft nicht wie die Hausmädchen schreiend und weinend aus dem Haus, sondern wirft aus dem Fenster ihres Schlafzimmers ihren wertvollsten Besitz nach unten, um ihn auf diese Weise zu retten.
Allein drei Nerzmäntel finden auf diese Weise ihren Weg aus den Flammen. Freilich, als die Leander dann schließlich nach unten kommt - schon etwas versengt und wirklich nur Sekunden, bevor das Haus zusammenstürzt, findet sie ihre Nerzmäntel nicht mehr - findet sie überhaupt nichts mehr von dem, was sie aus dem Fenster geworfen hat.
Freundliche Nachbarn haben sich der Beute bemächtigt. Nun hat die Leander endgültig genug. Sie nimmt das nächste Flugzeug. In Schweden landet sie - mit zwei Perserbrücken. Der Presse erklärt sie, dies sei das einzige, was sie aus Deutschland gerettet habe.
Goebbels schäumt. Warum hat man die Leander nicht zurückgehalten? Allgemeines Achselzucken. Die Leander ist Schwedin. Es würde Unannehmlichkeiten mit dem schwedischen Gesandten geben, wenn man Schwierigkeiten machte.
Die UFA wartet. Immerhin hat die Leander ja einen Vertrag. Vielleicht wird sie eines Tages wieder zurückkommen. Aber sie kommt nicht zurück. „Kontraktbruch!" depeschiert die UFA. Die Leander beantwortet das Telegramm nicht einmal.
Sie weiß, sie wird in Deutschland nicht mehr filmen - zumindest nicht, solange es Goebbels gibt. Sie erhält noch einige Briefe. Man droht ihr, man werde Mittel und Wege finden, sie zurückzuholen. Sie weiß, daß die Gestapo durchaus fähig wäre, sie irgendwie nach Deutschland zurückzubringen. Aber sie hat keine Angst.
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ROMANZE IN MOLL
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Sen Film „Romanze in Moll" mochte Goebbels gar nicht
Was wird in den letzten fünfzehn Monaten, die noch bleiben, bevor Deutschland zusammenbricht, noch produziert? Wenig Gutes, viel Mittelmäßiges.
Die schönsten Filme jener Zeit macht der junge unerfahrene Helmut Käutner, der vorläufig wirklich in Ruhe gelassen wird. „Romanze in Moll" gehört zu jener Gattung von Filmen, die Goebbels gar nicht schätzt.
Die Handlung spielt in Paris im letzten Jahrhundert
.... - ähnlich wie „ Yvette". Es handelt sich, wie bei jenem, von ihm verbotenen Film, um eine Geschichte von Maupassant. Um einen Spießbürger, um seine junge schöne Frau, die einem eleganten Verführer zum Opfer fällt und dann in den Tod geht. Zurück bleibt der Spießbürger, zerbrochen, verzweifelt.
Er versteht die Welt nicht mehr. Ein unendlich leiser, unendlich erotischer, unendlich trauriger Film. Ferdinand Marian darf als Verführer noch einmal zeigen, was er kann.
Die Frau: Marianne Hoppe, zart und erschütternd Ihr Mann: Paul Dahlke. Er hat etwas von Jannings in „Nju". Es ist auch fast der gleiche Stoff.
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Der Schauspieler Paul Dahlke
Dahlke ist nicht erst mit der „Romanze in Moll" bekannt geworden. Er gehört schon fast seit zehn Jahren, seit „Liebe, Tod und Teufel" mit Brigitte Horney, zu den ersten Filmschauspielern Deutschlands.
Als er die „Romanze in Moll" spielt, ist er bereits vierzig. In Pommern geboren, in Dortmund aufgewachsen, wollte er ursprünglich zur Marine gehen, begann sich aber für das Bergfach zu interessieren, besuchte die Bergakademie in Clausthal-Zellerfeld im Harz, arbeitete in den Jahren 1922 bis 1924 auf der Zeche Dorstfeld als Kumpel unter Tag.
Er hatte auch künstlerische Neigungen. Er malte, er modellierte. Und dann, ganz plötzlich, von einem Tag zum anderen, wußte er, daß er Schauspieler werden mußte. Vorerst hörte er einmal ein Semester Theaterwissenschaft an der Berliner Universität.
Dann trat er, schon dreiundzwanzig Jahre alt, in die Max-Reinhardt-Schule ein. Zwei Jahre später wurde er bereits für kleine Rollen an Berliner Theater engagiert. Er kam aus Berlin nicht mehr heraus. Man wurde sehr schnell auf ihn aufmerksam.
In der Heinz-Hilpert-Inszenierung von Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald" im Deutschen Theater hat er in einer kleinen Charge einen Sensationserfolg. Heinz Hilpert engagierte ihn dann an die Volksbühne und später an das Deutsche Theater.
Paul Dahlke spielte alles: Klassiker und moderne Stücke, ernste Rollen und heitere Rollen. Er gehörte zu jenen Schauspielern, die überhaupt nichts zu „machen" brauchen. Seine Phantasie wirkte so stark, daß er, ähnlich "Werner Krauß, sich nur in eine Gestalt hineindenken mußte - und er war der, den er spielen sollte.
Er war jung oder er war alt, er war dumm oder er war verschlagen, er war ein kleiner Angestellter oder ein großer Herr.
1934 - Der Film hat Paul Dahlke früh geholt.
Das war im Jahre 1934, als er knapp fünf Jahre beim Theater war. Und er hat ihn nicht mehr losgelassen, denn Paul Dahlke ist ungewöhnlich verwendbar. Da Dahlke alles konnte, wurde er immer wieder eingesetzt. Da er immer wieder neue Aufgaben bekam, filmte er gerne. Kaum einem von hundert Schauspielern wäre das gut bekommen. Bei den weitaus meisten hätte es damit geendet, daß der betreffende Schauspieler immer wieder sich selbst gespielt hätte. Dahlke war immer wieder ein anderer, ein neuer.
Später sagte er einmal: „Ich spiele alles was kommt, nur gut muß es sein." Es war nicht alles gut, was er zu spielen bekam, aber wenn er es spielte, war es eben gut. Nach dem Film mit der Horney war sein nächster großer Film - drei oder vier kleinere lagen dazwischen - „Der zerbrochene Krug", jenes Experiment, das Emil Jannings zusammen mit Gustav Ucicky wagte.
Ja, es war ein Wagnis, das Stück von Kleist ohne Strich, ohne Änderung zu verfilmen. Paul Dahlke spielte die Rolle des Ruprecht, jenes schüchternen Liebhabers, der glaubt, daß seine Braut ihn mit dem Dorfrichter Adam betrogen hat ...
Ein Kabinettstück der dümmlichen Unbefangenheit, der verlegenen Biederkeit, der schüchternen und dann empörten Liebe ... Und dann kamen wieder viele, viele Filme - „Patrioten" und „Es war eine rauschende Ballnacht", „Hochzeitsreise" und „Robert Koch", „Befreite Hände" und „... reitet für Deutschland", „Fräulein von Barnhelm" und andere ...
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Und schließlich kommt die „Romanze in Moll".
Hätte er nur die letzte Szene dieses Films gespielt, die Szene in seiner leeren Wohnung, in der er den Abschiedsbrief der Frau findet und den Schmuck, den sie ihm zurückläßt, in der er nichts mehr begreift und aufschluchzend auf den Tisch sinkt, einer, der plötzlich begriffen hat, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sein Menschenwitz sich träumen läßt, und der nun nie wieder glücklich sein kann ...
Hätte er nur diese eine Szene gespielt, er wäre einer der großen Schauspieler unserer Zeit!
Goebbels ist entsetzt. Was? Diese „Romanze" ist ja geradezu ein defaitistischer Film. Die Heldin bringt sich um? Die Heldin hat sich verführen lassen? Kann man nicht wenigstens die Sache zu einem Happy-End umbiegen?
Goebbels verbietet ihn kurzerhand
Helmut Käutner, der Regisseur der „Romanze in Moll", stellt sich taub. Und obwohl der Film ein starker Publikumserfolg wird, verbietet ihn Goebbels kurzerhand. Aber er ist seiner Sache nicht ganz sicher.
Da alle diejenigen, die er befragt, erklären, dieser Film gehöre zu den schönsten, die sie gesehen hätten, läßt er ihn versuchsweise in Wehrmachtskinos aufführen.
Die Soldaten scheinen gar nicht empört zu sein darüber, daß die Heldin verführt wird und sich zuletzt umbringt. Im Ausland hat der Film ein starkes Echo. In Schweden erhält Käutner sogar den Kritikerpreis. Goebbels horcht auf. Diesen Käutner hat er bis jetzt gar nicht weiter beachtet ...
Vielleicht sollte man ihn doch einmal ein bißchen mehr unter die Lupe nehmen ... Nun läßt er eines Tages Käutner kommen. Er schlägt ihm vor: „Machen Sie mir einen Marine-Film." „Bitte? Einen Marine-Film?"
Goebbels hat schon alles mit Admiral Dönitz besprochen. Es handelt sich um eine Geschichte aus dem ersten Weltkrieg. Eine Geschichte von einem englischen Unterseeboot, das von einem deutschen Unterseeboot torpediert wird. Eine richtige Propagandageschichte also.
Einen Marine-Film?
Käutner ist fest entschlossen, diesen Film nicht zu machen.
„Herr Minister, ich bin viel zu jung und unerfahren für so einen Film. Ich fühle mich so einem Film nicht gewachsen." „Bei der ,Romanze in Mollc haben Sie das nicht gesagt."
„Der Stoff lag mir mehr. Ich bin eben im Grunde genommen ein Kabarettist. Die Ironie, die Satire, die Kleinmalerei - das ist mein Gebiet."
Und dann wagt er etwas: „Das Heroische liegt mir nun einmal nicht! Sie würden vielleicht von mir sagen, Herr Reichsminister, daß ich zersetzend bin!"
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„DIE GROSSE FREIHEIT"
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Die Grundidee kommt wieder vom Propagandaministerium
Und trotzdem entgeht Käutner seinem Schicksal nicht, einen Film mit Marinehintergrund zu machen, besser gesagt, einen Film mit Meereshintergrund. Sein nächster Film spielt in Hamburg.
Die Grundidee kommt - wie schon die des Marine-Films - vom Propagandaministerium. Sie besteht darin, daß Käutner einen Film um das „Deutsche Volkslied" drehen soll.
So etwas ganz Gemütvolles und Rührseliges. Damit wird die Terra beauftragt. Aus der Idee des Volksliedes entwickeln Käutner und der Dramaturg Alf Teichs die Idee einer Ballade von der Waterkant.
Schließlich einigt man sich auf einen Film, in dem Schifferlieder gesungen werden. Käutner denkt an einen Helden, der in jedem Hafen eine Braut hat. Jedenfalls soll die Sache fröhlich, unpolitisch und nach Möglichkeit international werden.
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Scharfer Protest des Propagandaministeriums.
Was heißt hier international? Der Film muß in einem deutschen Hafen unter deutschen Seeleuten spielen. Käutner sagt ja. Er hofft, auch noch einen solchen Film interessant zu machen. Ihm schwebt vor: Hamburg - die Reeperbahn - das Dirnenmilieu - vielleicht wäre sogar ein Schuß sozialer Tendenz möglich ...
Erneut Protest des Propagandaministeriums.
Deutsche Dirnen? So etwas gibt es doch gar nicht! Die deutsche Frau ist über allen Verdacht erhaben ...
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Es gibt nur einen, das ist Hans Albers
Den Mann, der in allen Häfen zu Hause ist, wenn auch nur ein Hafen gezeigt werden darf, muß Hans Albers spielen. Es ist übrigens Käutners erster Film mit Hans Albers, obwohl er seit vielen Jahren mit ihm gut befreundet ist.
Er hat ein wenig Angst vor der Zusammenarbeit, denn man hat ihm von den Starallüren des blonden Hans erzählt. Aber es stellt sich dann heraus, daß alles nur halb so schlimm ist. Zwar hat Albers gewisse Eigenarten.
So beginnt er fast alle seine Sätze: „So wahr ich der liebe Gott bin ..." Aber er meint es nicht so, zumindest nicht ganz so. Albers ist ganz begeistert von der Rolle, die er spielen soll.
Das hat schon damit zu tun, daß er, der Hamburger, endlich wieder einmal einen Hamburger spielen darf. Und daher nimmt er die Vorbereitungen doppelt und dreifach ernst. Schon die Kostümfrage bietet manches schwere Problem. Als Albers die Seemannskluft besichtigt, die die Terra ihm besorgt hat, bekommt er einen Lachkrampf.
Nein, so kostümiert könnte er sich vor einem Hamburger Publikum nicht sehen lassen. Also beginnt er, die Stadt selbst abzuklappern, besucht alle Pfandleihen, die sogenannten „Versetzen", und tauscht seine eleganten Anzüge für „richtige" Klamotten ein.
Albers ist schließlich das Hamburger Idol.
Innerhalb von wenigen Stunden wird aus dem piekfeinen Herrn mit der rosa Nelke im Knopfloch ein richtiger Proletarier. Was die Bewohner Hamburgs nicht hindert, in hellen Haufen zu erscheinen, sobald irgendwo im Freien gedreht wird.
Albers ist schließlich das Hamburger Idol. Und er, der seit Jahren in ganz Europa gefeiert wird, freut sich wie ein Kind, oder besser, wie ein junger Schauspieler, der zum ersten Mal um ein Autogramm gebeten wird.
Er wird nicht nur um ein Autogramm gebeten, sondern auch darum, sich irgendwo schnell einmal aufzuwärmen. Albers sagt nie nein, wenn ein Anbeter oder eine Anbeterin ihm vorschlägt, sich aufzuwärmen. Schnell verschwindet er in einer Bar oder Budike oder Destille.
Aber er kommt nicht so schnell wieder heraus. Und wenn ihn der Regieassistent oder der Aufnahmeleiter dann schließlich findet, ist er zwar in bester - beschwingter - Stimmung, aber nicht mehr ganz der Albers, der er vor zwei Stunden war.
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Auch der Hamburger Hafen ist nicht mehr ganz der Hafen, der er einmal war.
Und das bringt den Film fast zum Scheitern. Albers spielt einen Barkassenführer, der ständig im Hafen umherfährt. Aber wie soll man die Szene im Hafen von Hamburg spielen, wo alles von Bomben zerstört ist? Und einen zerstörten Hafen kann man doch nicht zeigen!
Käutner hat schlaflose Nächte, und Albers hilft ihm, so gut er kann, sie durchzustehen - mit viel Grog.
Ein anderes Problem: Käutner und Albers wollen unter gar keinen Umständen Schiffe mit Hakenkreuzfahnen fotografieren. Schon aus Prinzip nicht. Keiner von beiden liebt diese Fahne. Und selbst Goebbels besteht nicht darauf, daß die Hakenkreuzfahne überall zu sehen sei. Er hofft ja, daß der Film im Ausland läuft.
Aber wie kann man den Hafen fotografieren, wenn man sowohl die Trümmer als auch die Hakenkreuzfahnen nicht zeigen will? Um die Trümmer nicht zu zeigen, muß man Einstellungen wählen, bei denen immer ein Schiff den Hintergrund ausfüllt.
Und die deutschen Schiffe haben nun einmal Hakenkreuzfahnen geflaggt. Das Problem scheint unlösbar. Und Käutner ist schon verzweifelt. Da hat Albers den rettenden Einfall: „Wir werden den Kapitänen sagen, sie sollen die Hamburger Fahne setzen!"
Alle sind einverstanden. Nur der Besitzer eines Segelschiffes macht Schwierigkeiten. Er hat eine niedrige Parteinummer und glaubt noch immer an den Endsieg Hitlers. „Warum nicht die Hakenkreuzfahne?" will er wissen. Doch das kann man ihm nicht sagen. Er hat eine viel zu niedrige Parteinummer.
Aber schon hat Käutner eine Idee. Kurz bevor die Aufnahme gemacht wird, läßt er um das Segelschiff eine Rauchfahne legen, und so kommt es, daß die Hakenkreuzfahne nicht zu erkennen ist.
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Es ist Mitte 1944 - Die Schwierigkeiten reißen nicht ab.
Die Schwierigkeiten reißen nicht ab. Vor allen Dingen wird gerade um die Zeit, da man den Film dreht, die Stadt Hamburg dauernd bombardiert. Nicht nur Hamburg wird bombardiert. Berlin wird auch bombardiert. Und in Berlin, in den UFA-Ateliers in Tempelhof, werden die Innenaufnahmen gemacht.
Die „Große Freiheit" ist in der Mittelhalle aufgebaut worden, ganz realistisch, sechzig Meter lang. Und dann kommt die Bombe, und das Atelier ist hin und die mühsam aufgebaute „Große Freiheit" auch.
Noch ist nicht die Hälfte der Aufnahmen in dieser Dekoration abgedreht. Da hilft alles nichts. Die ganze Hamburger „Große Freiheit", die in Berlin zerstört worden ist, muß eben noch einmal in Prag aufgebaut werden, auf den Zentimeter genau, wie sie vorher war. Es darf nicht das geringste Detail anders sein.
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Oder da ist die Szene mit dem Esel.
Eine der Szenen spielt in dem berühmten Hippodrom auf der Reeperbahn, in dem zwischen den Pferden auch ein Esel herumrast. Den Matrosen, die in Scharen hereinkommen, verspricht das Management eine Prämie, wenn sie es fertigbringen, auf dem Esel eine Runde zu reiten.
Aber das schafft selten einer. Der Esel wirft sie alle ab. Dabei ist der Esel gar nicht bösartig. Er ist nur dressiert. Man kann sich leicht auf ihm halten, wenn man den Trick kennt. Man muß sich nur verkehrt auf ihn setzen und ihn beim Schwanz packen.
Dann wird er brav und ganz gemütlich. Der Esel, den man bereits von Hamburg nach Berlin geschickt hat, wird von Berlin
nach Prag transportiert. Armer Esel! Er ist das Reisen nicht gewohnt, besonders nicht in einer so turbulenten Zeit. Er beschließt, nicht mehr mitzumachen. Er ist eben doch kein Esel, oder zumindest ein sehr philosophischer. Er legt sich hin und stirbt.
Als man den Waggon in Prag öffnet, findet man nur noch einen toten Esel. Was tun? Der Esel ist nicht zu umgehen. Einige seiner Szenen sind bereits gedreht. Auch spielt er im Handlungsablauf eine große Rolle. Also muß ein neuer Esel herbei.
Aber gibt es einen Esel, der den Trick mit dem Schwanz beherrscht? Es gibt keinen solchen Esel. Kann man einen Esel in zehn oder vierzehn Tagen dahin bringen, die Sache mit dem Schwanz zu begreifen? Die Sachverständigen schütteln bekümmert den Kopf. Es ist nicht ausgeschlossen, aber es ist unwahrscheinlich.
Es ist 99:1, daß der neue Esel nicht funktionieren wird. Aber der neue Esel ist auch kein Esel, sondern sehr gelehrig. In wenigen Tagen hat er den Trick mit dem Schwanz begriffen und macht seine Sache ausgezeichnet. Trotzdem sieht es oft so aus, als ob der Film nie zu Ende gedreht würde. Er wird doch zu Ende gedreht.
- Anmerkung : Wir haben bereits Herbst 1944 und die militärische Schlinge um Deutschland wird immer enger. Der Volkssturm wird ins Leben gerufen.
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Denn wenn man abbräche, müßten eine Menge Leute an die Front
.... oder in Munitionsfabriken. Und wer will das noch - jetzt, da doch so gut wie jeder weiß, daß der Krieg verloren ist? Außerdem bekommt Albers eine Riesengage - 460.000 Reichsmark und hat eine sogenannte Katastrophenklausel in seinem Vertrag: das heißt, er bekommt das Geld, ob der Film nun fertig wird oder nicht ...
Goebbels, der sich ständig in alles mischt, ist gar nicht entzückt von dem, was er über den Film hört. Vor allen Dingen paßt ihm der Titel nicht.
„Große Freiheit?" fragt er mißtrauisch.
„Eine Straße in Hamburg ..."
„Ja, das sieht ja beinahe so aus, als ob ..."
Goebbels beendet den Satz nicht.
Natürlich sieht es so aus, als ob! Deswegen hat ja Käutner den Titel gewählt. Er wollte doch ein wenig Sehnsucht nach der großen Freiheit ins Dritte Reich hineinschmuggeln, in dem man dieses Wort nicht besonders liebt. Haben nicht schon einige Gauleiter - oder waren es Gestapisten? - Aufführungen von „Don Carlos" verboten, weil das Publikum bei den Worten des Marquis Posa „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!" begeistert klatschte?
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Schließlich einigt man sich auf „Große Freiheit Nr. 7"
Das identifiziert die Freiheit als Straße ... Doch nicht nur Goebbels hat Bedenken. Da es sich doch um einen Film mit Seemann-Milieu handelt, läßt er ihn einigen Fachleuten vorführen. Da ist Admiral Dönitz, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Da ist Kaufmann, der Gauleiter von Hamburg. Sie schütteln die Köpfe. „Ein deutscher Seemann trinkt nicht!" erklärt Dönitz.
Kaufmann meint, der Film sei überhaupt nicht dazu angetan, der deutschen See- und Weltgeltung Achtung zu verschaffen. Dönitz unterstreicht: „Das Prestige der deutschen Marine wird durch einen solchen Film geradezu geschädigt!"
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Also verbietet Goebbels den Film.
Trotzdem werden einige Kopien zur Truppenbetreuung freigegeben. Sie werden in ukrainischen Dörfern gezeigt, in Frankreich, in Polen, in der Tschechoslowakei.
Die Landser sind begeistert - namentlich über die halb bekleideten Mädchen und die etwas sentimentalen Lieder. Goebbels, der Devisen brauchen kann, erlaubt schließlich, daß der Film in der Schweiz und in Schweden läuft. Auch im neutralen Ausland ist der Erfolg groß.
Nur in Deutschland darf der Film nicht gezeigt werden. Jedenfalls nicht, solange Goebbels und Dönitz etwas zu sagen haben. Das ist freilich nicht mehr so lange.
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