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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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UNTERNEHMEN „BLAUER ENGEL"

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Die „Ungarische Rhapsodie" - kein so richtiger Tonfilm

Die „Ungarische Rhapsodie" konnte natürlich kein hundertprozentiger Tonfilm werden. Der erste wirkliche UFA-Tonfilm von großer künstlerischer Bedeutung ist: „Die letzte Kompagnie". Die Regie führt Kurt Bernhardt, das Manuskript schrieb der ausgezeichnete Romancier Ludwig von Wohl.

Es geht um eine Episode aus dem Krieg zwischen Napoleon und Preußen, um den Heldentod eines Hauptmanns und seiner zwölf Soldaten, die den Rückzug der 1806 geschlagenen Armee über die Saale decken. Und alle fallen.

Die Handlung des Films ist - wieder mal - ein Nichts

Conrad Veidt spielt den Hauptmann. Es ist ein neuer Conrad Veidt, den man sieht. Nichts mehr von Dämonie und den Verderbtheiten, die er in seinen früheren Filmen wie eine Spezialität, ja, man möchte sagen, wie eine Firmenmarke anbot. Conrad Veidt ist ganz einfach geworden, ganz natürlich, gerade, männlich.

Die Handlung des Films, die in wenigen Stunden abrollt - der Schauplatz ist eine Mühle, die bis zum letzten Blutstropfen verteidigt wird, und am Ende sieht man, wie die Franzosen den geschlagenen toten Feind grüßen - ist ein Nichts, gibt kaum zur Entfaltung besonderer Regiekünste Anlaß.

Ein solches Buch wäre als Stummfilm nie gedreht worden. Der Tonfilm beweist, daß den Kammerspielen die Zukunft gehört, den Andeutungen, den Nuancen ...
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Der Regisseur Kurt Bernhardt wird sich verändern

Der Regisseur Kurt Bernhardt, blutjung noch, erweist sich als ein großer Könner. Freilich, er wird nicht lange zarte, leise Filme machen. Er wird bald große Schinken inszenieren, sogenannte Prestigefilme.

Die UFA muß weitermachen - unbedingt

Was die UFA selbst angeht, so genügt es ja auch nicht, mit der „Letzten Kompagnie" auf dem Tonfilmmarkt zu erscheinen. Sie will einen Film machen, der „Die Nacht gehört uns" und „Atlantic" in den Schatten stellt.

Einen Film mit großen Kanonen. Einen Film, der viel Geld kosten darf - und hoffentlich mehr einbringen wird. Es steht von allem Anfang an fest, daß Erich Pommer diesen Film produzieren muß. Wer, außer ihm, könnte es auch?
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Emil Jannings soll eine Hauptrolle spielen - in einem Tonfilm

Die Hauptrolle soll der ebenfalls aus Hollywood zurückgekehrte Emil Jannings spielen. Jannings ist nicht so ohne weiteres bereit, seinen ersten Tonfilm mit einem Regisseur ohne Erfahrung zu machen.

Er unterhält sich lange mit Pommer darüber, wer Regie führen könnte, und er weist auf den jungen Josef von Sternberg hin, mit dem er bereits in Hollywood gearbeitet hat. „Wenn man den herüberbekommen könnte!" meint er.

Sternberg und Jannings hatten „Der letzte Befehl" gemacht

Pommer nickt. Er hat natürlich den Film gesehen, den Sternberg und Jannings gemacht haben. Das war „Der letzte Befehl".

Jannings spielte da einen verarmten ehemaligen russischen General, der nach Hollywood verschlagen und dort Statist geworden ist; der nun in seinem Film, der im alten Rußland spielt, einen General - also sich selbst - darstellen soll, noch einmal ein paar Stunden glücklich sein darf, weil er wirklich vermeint, wieder General zu sein, und dann stirbt...

Josef von Sternberg verlangt amerikanische Gagen

Pommer engagiert Josef von Sternberg. Der verlangt zwar amerikanische Gagen, denn eigentlich könnte er in Hollywood bleiben, da man ihn dort mit Angeboten überschüttet, und Klitzsch ist ein bißchen entsetzt, als er erfährt, was er zahlen soll.

Aber schließlich gibt er seine Einwilligung. Im übrigen ist Klitzsch so mit anderen Dingen beschäftigt, daß er sich vorläufig gar nicht um die Frage des Stoffes kümmern kann Und so geschieht das Unfaßbare, daß Pommer und Jannings beschließen, den nicht sehr bekannten Roman „Professor Unrat" zu verfilmen und die Rechte für immerhin 35.000 Reichsmark kaufen.
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Der Autor des Buches ist Heinrich Mann

Warum unfaßbar? Weil der Autor des Buches Heinrich Mann ist, ein großartiger Romanschriftsteller zwar, aber auch ein Demokrat, ein Kämpfer gegen die Reaktion und daher unausgesetzt von der Presse Hugenbergs angegriffen.

Und Hugenberg ist schließlich der Herr der UFA. Trotzdem könnte es nie dahin kommen, daß die UFA ein Buch von Heinrich Mann erwirbt, wenn es den meisten Filmleuten nicht einer gewissen fundamentalen Bildung ermangelte.

Damit rechnet Pommer. Er erklärt, er wolle einen Stoff des berühmten Schriftstellers Mann verfilmen. Die anderen, auch Klitzsch, nehmen an, daß es sich um einen Roman von Thomas Mann handelt, dessen politische Haltung ihnen zwar auch nicht besonders genehm ist, der aber als der führende deutsche, ja europäische Epiker jenseits aller Kritik steht.
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An dem Drehbuch arbeiten Zuckmayer und Vollmöller

Inzwischen ist bereits das Drehbuch in Arbeit genommen worden, und zwar von dem Dichter Carl Zuckmayer, zusammen mit Karl Vollmöller, der Leni Riefenstahl einmal anbot, sie unter seine schützenden Arme zu nehmen.

Schließlich wird aber noch der geschickte Routinier Robert Liebmann hinzugezogen, der bereits Drehbücher für zahllose UFA-Filme geschrieben hat. Das Drehbuch ist schon fertig, als Josef von Sternberg sich auf der „Europa" von New York nach Bremen einschifft.

Unterhaltung zwischen Pommer und den Drehbuchautoren. Carl Zuckmayer, der bei der Arbeit gern ein Glas Wein trinkt, erkundigt sich, ob die Besetzung der Rollen bereits feststehe.

Diese Rollen sind geplant ....

„Jannings wird natürlich den Professor Rath, genannt Unrat, spielen, den Gymnasiallehrer, der schließlich den Reizen und Verlockungen der Tingel-Tangeleuse zum Opfer fällt!"

„Tingel-Tangeleuse", protestiert Zuckmayer. „Im Roman wird sie die Künstlerin Fröhlich genannt!" „Im Film kann sie jedenfalls nicht so heißen! Sie muß schon einen Namen mit mehr Sex-Appeal bekommen!"

„Vielleicht Lola?" schlägt Zuckmayer vor. „Lola wäre gar nicht so übel ..." Zuckmayer hat entschieden mehr als ein Glas Wein getrunken. Er beginnt zu singen: „Lola ... Lola ...!" „Lola-Lola ist viel besser!" entscheidet Pommer. „Wir bleiben bei dem Namen."

Und wer soll die Lola-Lola spielen? Josef von Sternberg möchte Brigitte Helm für die Rolle haben. Aber das geht nicht. Denn die Helm ist für das nächste Jahr besetzt. Heinrich Mann möchte die Diseuse Trude Hesterberg, mit der er befreundet ist.

Die Filmleute jedoch glauben, daß die Hesterberg, die kaum gefilmt hat, außerhalb Berlins keine große Zugnummer sein wird. Emil Jannings schlägt Lucie Mannheim vor, eine vorzügliche Berliner Schauspielerin. Noch ist alles unentschieden.
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„Wer ist Hans Albers?"

Unentschieden auch, wer den jungen Artisten Mazeppa spielen soll, mit dem Lola den Professor betrügt - eine kleine, aber wichtige Rolle, denn Professor Rath erwischt die beiden und wird vom Schlag getroffen.

Pommer schickt Sternberg ein Radiogramm auf die „Europa": „Wie wäre es mit Hans Albers?" Josef von Sternberg fragt zurück: „Wer ist Hans Albers?"

Während der Überfahrt spielt das Bordkino einen alten Stummfilm mit Hans Albers. Sternberg ist beeindruckt. Aber noch ist er nicht entschlossen.

Er will sich Albers noch einmal persönlich ansehen. Der Portier des Hotels Adlon weiß Rat: „Hans Albers spielt momentan im Lustspielhaus. Das Stück soll zwar nicht viel wert sein, aber ..."

Das Stück ist in der Tat nicht viel wert, wie Josef von Sternberg schon nach wenigen Minuten feststellt.

Es handelt sich um eine Revue, die der bekannte Dramatiker Georg Kaiser geschrieben und Mischa Spo-liansky, der Komponist von „Es liegt in der Luft", vertont hat.
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Es beginnt so:

Ein Hochstapler, dem die Polizei auf den Fersen ist, erscheint im Frack und weißer Binde in einem eleganten Restaurant und bietet dem Oberkellner hundert Mark für seine schwarze Krawatte. Er verwandelt sich also durch den Krawattentausch in einen Kellner und - ist nun vor der Polizei sicher.

Es folgen einige mehr oder weniger amüsante Erlebnisse des Hochstaplers - alles in allem ist die Geschichte nicht besser als die Textbücher der meisten Operetten. Josef von Sternberg braucht keine Stunde, um sich zu entscheiden. Natürlich bekommt Albers die Rolle des Mazeppa, er ist geradezu der geborene Mazeppa!
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Als Josef von Sternberg fasziniert sitzen blieb

Und nachdem er diesen Entschluß gefaßt hat, könnte der Regisseur eigentlich gehen. Aber er denkt nicht daran. Er sitzt wie gebannt in seiner Loge, läßt alle Trivialitäten über sich ergehen, starrt fasziniert auf die Bühne.

Und starrt fasziniert auf eine junge Frau, die einen herrlichen Körper hat, obwohl sie keineswegs besonders schlank genannt werden kann; die - was weit wichtiger ist - sich vollendet zu bewegen weiß.

Ihre Beine, die oft und reichlich gezeigt werden, wirken geradezu aufreizend. Und das Gesicht. Was ist eigentlich an diesem Gesicht, von goldblondem Haar umrahmt? Es ist nicht im klassischen Sinne schön zu nennen, und doch möchte man es sich nicht anders wünschen.

Das Gesicht einer Frau, die ihrer selbst sicher ist und ihrer Wirkung auf die Männer. Das Gesicht einer Frau, die weiß, daß die Männer nach ihr verrückt sind, daß sie bereit sind, sich für sie zu ruinieren; daß sie ihre Lider nur ein ganz klein wenig zu heben braucht - und die Männer würden alles, alles für sie tun. Dies weiß sie, und ihr Mund verrät es.

Dieser Mund mit der Andeutung von Ironie, aber auch von Mitleid mit den Männern, die an ihr leiden müssen, könnte einen verrückt machen.

Diesen Mund müßte man küssen, küssen ......

.... bis ihm das Lächeln vergeht. Wer ist diese wundervolle Frau? fragt sich Josef von Sternberg. Wie kommt es, daß sie in diesem kleinen und keineswegs erstklassigen Theater eine relativ unbedeutende Rolle spielt?

Dies fragt er den Herrn, der neben ihm in der Loge sitzt. „Sie irren*, ist die Antwort. „Die ist froh, daß sie die Rolle überhaupt bekommen hat. Dreißig Mark pro Abend ist auch Geld."

Als der Vorhang sich senkt und das Licht im Zuschauerraum wieder angeht, greift er nach dem Programm und sucht nach dem Namen der blonden Frau mit dem herrlichen Körper, mit den aufreizenden Beinen, den halbgeschlossenen Augen und dem ironischen Lächeln. - Wie heißt sie? Er liest: Marlene Dietrich.
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Marlene Dietrich kommt ins Blickfeld ...

Schon am folgenden Tage erhält Marlene Dietrich ein Schreiben auf dem Briefpapier der UFA - durch Boten zugestellt - in dem ein Mr. von Sternberg um ihren Besuch im Filmatelier Babelsberg bittet.

Als sie erscheint, läßt Sternberg sie durch eine Sekretärin bitten, zu warten. Denn hinter der Szene tobt ein heftiger Kampf zwischen Sternberg, Pommer, Klitzsch und einigen anderen Herren der UFA.

Sternberg hat gerade erklärt, daß er die weibliche Hauptrolle seines Films der jungen Berliner Schauspielerin Marlene Dietrich übertragen will.
Die anderen trauen ihren Ohren kaum.

Marlene Dietrich? Die ist doch gar keine Schauspielerin! Die hat schöne Beine - und das ist alles! Zwei UFA-Direktoren wissen nicht einmal, wer Marlene Dietrich eigentlich ist und müssen erst aufgeklärt werden. Dann protestieren sie um so erbitterter.

Einen 1,5 Millionen Film mit einer Unbekannten machen ??

„Wie, Herr von Sternberg? Mit einer Unbekannten wollen Sie solch einen Film machen?" - „Nach diesem Film wird sie nicht mehr unbekannt sein!"

„Aber bedenken Sie das Risiko. Wir stecken anderthalb Millionen in den Film! Wir brauchen neben Emil Jannings noch einen Star, der die Leute in die Theater zieht!" Josef von Sternberg lächelt. „Es ist ein Risiko, gewiß. Ich bin bereit, es einzugehen."

Einer der Anwesenden äußert: „Sie soll sich gar nicht gut fotografieren lassen. Die Nase, wissen Sie ..., ihre Nase ist doch nicht einwandfrei ..." „Ich kann nichts dafür, meine Herren, wenn Ihnen die Nase von Frau Dietrich nicht gefällt. Mir gefällt sie. Mir gefällt überhaupt die ganze Frau Dietrich."

Und damit dreht sich Josef von Sternberg um und geht hinaus, um Marlene Dietrich zu begrüßen, die im Vorzimmer wartet.
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Für Marlene Dietrich ist das die Chance ihres Lebens

Marlene Dietrich hätte allen Grund, glücklich zu sein. Es ist die Chance ihres Lebens! Aber sie ist nicht glücklich. Sie hat Angst. Sie vermag es auch nicht, dem Rat der Freundin Trude Hesterberg zu folgen, nämlich zuzupacken.

Sie wird ganz klein und verzagt, als Josef von Sternberg über Probeaufnahmen mit ihr spricht. Ja, sie weigert sich sogar, sie bittet Sternberg, eine andere Schauspielerin für die Rolle zu finden.

Vergeblich redet ihr Mann Rudolf Sieber ihr zu, vergeblich versucht Joe May, sie zu überzeugen, vergeblich mischen sich Cläre Waldoff und Mischa Spoliansky ein. Sie will nicht.
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Schließlich wird Willi Forst geholt.

Der redet ihr nicht zu, sondern erklärt mit eisiger Bestimmtheit: „Natürlich wirst du spielen, wenn Sternberg dich will! Jede Schauspielerin Berlins würde sich alle Finger danach lecken!"
„Wenn du meinst", gibt die Dietrich schließlich nach. Probeaufnahme.

Marlene überlegt und dann plötzlich beginnt sie zu singen

Die Dietrich ist unglücklich, nervös, zerfahren, als sie das Atelier betritt. „Singen Sie etwas!" sagt Sternberg. Marlene überlegt. Und dann plötzlich beginnt sie zu singen. Es ist, als habe sie sich entschlossen, in kaltes Wasser zu springen. „Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht? Wenn an der nächsten Ecke schon ein andrer steht!"

Die Dietrich steht ganz still vor der Kamera, sie unterstreicht den Rhythmus des Liedes mit keiner Geste, keiner Bewegung ihrers Körpers. Die Stimme klingt ohne Begleitung ein wenig rauh, fast ungeschult, aber es schwingt etwas wie Trotz in ihr, wie Herausforderung. Wer wird denn weinen? Wer wird denn weinen? Marlene ist alles schnuppe!

Der Kameramann dreht. Die Bühnenarbeiter, die Beleuchter feixen. Sie haben alle den gleichen Gedanken: Wer wird denn weinen, wenn an der nächsten Ecke schon eine andere steht, eine bessere Schauspielerin nämlich, die die Rolle morgen, übermorgen bekommen wird!
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„Sie waren fabelhaft, Frau Dietrich!" - vesteht sie nicht.

Trotzdem oder gerade deshalb ist der Dietrich mehr nach Weinen als nach Lachen zumute. Sie ist überzeugt, daß sie versagt hat. Schon wendet sie sich zur Tür. Aber Josef von Sternberg hält sie zurück.

„Sie waren fabelhaft, Frau Dietrich!" Das ist Marlene Dietrich zu viel. „Ich kann alles vertragen, nur nicht, daß man mich verkohlt!" zischt sie und rauscht wütend davon. Scheußlich, dieser Kerl! Am liebsten möchte sie heulen. In den nächsten Tagen läßt Sternberg die Probeaufnahme immer und immer wieder vorführen. Emil Jannings sieht sie sich an, Hans Albers sieht sie sich an, alle UFA-Direktoren sehen sie sich an, andere Regisseure werden herangezogen, andere Kameramänner.

Leni Riefenstahl sieht sich auch die Aufnahmen an

Eines Tages erscheint auch Leni Riefenstahl im Vorführraum. Sie hat sich mit Josef von Sternberg angefreundet, und er bittet sie um ihre ehrliche Meinung.

Leni sagt: „Die Frau ist großartig." Jannings und seine Ehefrau Gussy Holl lassen sich die Probeaufnahme mehrere Male vorführen. Er murmelt: „Warum eigentlich nicht ..... ?"

Und Frau Gussy Holl: „Ich kann mir vorstellen, daß das etwas wird! Sie sollen mal sehen, wenn die in dem Film singt...!" Albers nickt. „Natürlich wird das was! Das wird ein richtiger Otto-Otto!"
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Bei den Wendehälsen der UFA herrscht eisiges "Schweigen"

Aber wenn die anderen unter sich sind, die Großen der UFA, herrscht eisiges Schweigen, und alle fragen sich, ob Sternberg wirklich beabsichtigt, mit dieser doch völlig untalentierten Person den ersten Emil-Jannings-Tonfllm zu drehen.
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Es ist wichtig, dies hier festzustellen und festzuhalten

....... denn später wird man es oft anders lesen und hören. Später werden alle, alle behaupten, Marlene Dietrich entdeckt zu haben, insbesondere die Herren der UFA, die sich jetzt an den Kopf fassen und Klitzsch fragen, ob dieser Herr von Sternberg aus Hollywood eigens herübergekommen sei, um die UFA zu ruinieren.
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„Ich nehme also Marlene Dietrich..."

Zwei Wochen vergehen. Jeden Morgen erwartet die Dietrich einen Brief, in dem die UFA ihr mitteilt, daß sie leider für die Rolle nicht in Frage käme.

Aber dieser Brief kommt nicht. Ihr wäre fast lieber, die ganze Sache läge hinter ihr. Wieder einmal läßt sich Sternberg die Probeaufnahme vorführen. Außer ihm sitzt nur noch Erich Pommer in dem verdunkelten Raum.

Der sagt: „Wir können Frau Dietrich nun nicht mehr länger warten lassen! Es sind jetzt vierzehn Tage!" „Was meinen Sie denn, Herr Pommer?" „Es ist Ihr Film, Herr von Sternberg." Und da sagt Sternberg in den dunklen Raum hinein: „Ich nehme also Marlene Dietrich..."
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Und jetzt - 1929/1930 - wird es politisch bei der UFA

Telefonanruf des Privatsekretärs von Ludwig Klitzsch bei Pommer: „Es handelt sich um den Film, den Herr von Sternberg mit Jannings dreht ..." Ja ...?" „Nach einem Roman von Thomas Mann, nicht wahr?"

„Nein. Es handelt sich um den Roman ,Professor Unrat' von Heinrich Mann!" Eine Viertelstunde später ist Ludwig Klitzsch selbst am Apparat. „Sie können doch nicht einen Roman von Heinrich Mann bei der UFA verfilmen!" „Warum nicht?"

„Politisch steht Heinrich Mann ..." Pommer wird eisig. „Ich habe in meinem Vertrag einen Passus, der besagt, daß keinerlei politische Erwägungen bei meinen Filmen mitsprechen dürfen!"
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„Es wird leicht Schwierigkeiten geben, Herr Pommer!"

„Ich hoffe nicht", erwidert Pommer. Der Film wird gewissermaßen im vollen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gedreht.

Vieles kommt hier zusammen: Es ist das erste Mal, daß ein großer Hollywood- Regisseur in Berlin arbeitet. Es handelt sich um den ersten Tonfilm von Emil Jannings. Es handelt sich um die erste Verfilmung eines Romans von Heinrich Mann.

Hans Albers spielt mit, der gerade berühmt geworden ist. Und eine gewisse Marlene Dietrich, von der jetzt viele munkeln, man werde sich ihren Namen wahrscheinlich merken müssen ...

Der Autor Heinrich Mann kommt ins Atelier

Täglich kommt Besuch ins Atelier, und das Interesse konzentriert sich größtenteils auf die Dietrich. Sie hat das gewisse Etwas. Sie wirkt gar nicht wie eine Schauspielerin, sie wirkt wie eine Lola-Lola aus irgendeinem Vorstadt-Kabarett, die ihre Chansons singt.

Selbst Heinrich Mann zeigt sich beeindruckt. Zuerst wollte er überhaupt nicht ins Atelier kommen, er war gekränkt, weil seine Freundin Trude Hesterberg nicht die Lola-Lola spielen durfte.

Nun sitzt er steif auf seinem Stuhl und betrachtet durch ein Lorgnon - jawohl, er trägt ein Lorgnon, - was da gefilmt wird. Gerade spielt die Dietrich eine ihrer Szenen. Heinrich Mann beugt sich ein wenig vor, damit ihm auch nichts entgehe, und wendet sich dann an Emil Jannings, der neben ihm sitzt und auf ein ermunterndes Wort des Dichters wartet.

Statt dessen sagt Heinrich Mann: „Herr Jannings, den Erfolg dieses Films werden in erster Linie die nackten Oberschenkel der Frau Dietrich machen!"
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Die Wirkung der nackten Oberschenkel der Marlene Dietrich

Das ist nicht ganz gerecht, wenn man an die große schauspielerische Leistung von Emil Jannings denkt. Der ist besser denn je, weil er ganz einfach geworden ist.

Er hat sich kaum geschminkt, er hat kaum Maske gemacht - ein Nichts an Maske, verglichen etwa mit dem „Letzten Mann". Und trotzdem ist er ein völlig anderer: die Verwandlung der letzten Jahre hat sich von innen heraus vollzogen.

Und doch: Heinrich Mann hat nicht unrecht. Denn was vermag der beste Schauspieler im Konkurrenzkampf gegen die nackten Oberschenkel der Marlene Dietrich?
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Aus „Professor Unrat" wird „Der Blaue Engel"

Erich Pommer hat den Film nicht „Professor Unrat" genannt, das wäre zu literarisch für das Kinopublikum. Der vorläufige Arbeitstitel, der dann nicht mehr geändert wird, ist „Der Blaue Engel".

Warum heißt der Film eigentlich „Der Blaue Engel"? In seinem ganzen Verlauf kommt doch niemand vor, der ein Engel genannt zu werden verdient, weder ein weiblicher, noch ein männlicher.
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Der Inhalt des Films

Dieser „Blaue Engel" ist ein typisches Vorstadt-Kabarett, so genannt wegen der Engels-Putten auf der Balustrade, mit einem Nudelbrett als Varietebühne, auf der gelangweilte Mädchen vor einem gemalten Hintergrund sitzen und Bier aus Maßkrügen trinken, mit vollgepfropften Garderoben, die nach Puder, Schweiß, Schminke, Zigarettenrauch und Schnaps riechen.

In dieser Welt des „Blauen Engel" erscheint plötzlich der nicht mehr ganz junge Professor Rath vom Städtischen Gymnasium, ein Mann, dessen bisheriges Leben auf die Minute festgelegt war, ein Pedant, ein Spießer, ein Beamter.

Des Morgens stand er immer um die gleiche Minute auf, nahm sein Frühstück zu sich, spielte mit seinem Kanarienvogel - und war ein wenig traurig, als er ihn eines Morgens tot im Käfig fand.

Dann zur Schule. Dort unterrichtete er in den höheren Klassen, und die jungen Männer, die seine Schüler sind - jawohl, es handelt sich schon um junge Männer - trieben ihren Schabernack mit ihm. Er mochte sich wichtig machen, er mochte auf seine Autorität pochen - sie fanden doch immer einen Weg, um ihm einen Streich zu spielen, ihn zu hintergehen, ihn lächerlich zu machen. Er wußte es wohl auch, er ahnte es zumindest, und er nahm es keineswegs allzu tragisch.
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Eines Tages findet der Professor einige Photos

Bis er eines Tages bei einem seiner Schüler einige Photos findet, die ihn wirklich entsetzen. Was eigentlich auf diesen Photos zu sehen ist, erfahren wir, die Zuschauer, vorläufig nicht. Aber wir können es erraten.

Denn schon am Abend begibt sich der Professor in den „Blauen Engel", um Lola-Lola zu finden und zur Rede zu stellen. Denn sie ist auf jenen Photos zu sehen - und keineswegs in besonders bekleidetem Zustand.

Vor allen Dingen aber will Professor Rath seine Schüler erwischen. Dies mißlingt. Denn Lola-Lola gestattet es den Gymnasiasten, sich in ihrer Garderobe zu verbergen. Und einer von ihnen, der unter dem Tisch sitzt, stopft dem Professor Rath die Spitzenhöschen Lola-Lolas in die Manteltasche, während der Lehrer der reizenden jungen Frau etwas ratlos gegenübersteht.

Stotternd tritt er schließlich seinen Rückzug an. Am folgenden Abend erscheint der Professor wieder im „Blauen Engel". Warum? Vielleicht, weil er das Spitzenhöschen zurückbringen will. Oder kommt er Lola-Lolas wegen?

Diesmal glückt es seinen Schülern nicht, sich vor ihm verborgen zu halten. Er entdeckt sie und jagt sie mit seinem Regenschirm aus dem „Blauen Engel" hinaus.

Rechtzeitig hat Lola-Lola den Chef der Truppe alarmiert. Ein Gymnasialprofessor, der sittlichen Anstoß nimmt, könnte dem Etablissement gefährlich werden! Also behandelt man Professor Rath mit besonderer Zuvorkommenheit, setzt ihn in die sogenannte Ehrenloge, und nun bleibt er und sieht sich die Vorstellung an, hört sich das Lied an, das Lola-Lola jetzt singen soll.
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Friedrich Holländer sitzt persönlich am Flügel.

Friedrich Holländer, damals der beliebteste Komponist von Chansons und gewagten Liedern, ist mit der Musik für den „Blauen Engel" betreut worden. Und er hat eine Musik geschrieben, die mehr für die Nerven als für das Ohr bestimmt ist, Lieder, die die Dietrich aufreizend und hinreißend singt.

Eines heißt: „Nimm dich in acht vor blonden Fraucn, sie haben so etwas Gewisses!" Ein anderer Song: „Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison!" Dann hat Friedrich Holländer noch etwas geschrieben.

Einen langsamen, schmachtend-sinnlichen Walzer mit vielen Zwischentönen.

Noch hat dieser Walzer keinen Text - nur einen „Schimmel"

Er hat nur einen „Schimmel". Ein Schimmel besteht aus den Worten, die Schlagerkomponisten ihren Melodien unterlegen, aus sinnlosen Worten, die ihnen gerade einfallen und die sie vorsingen. Die Hauptsache, sie reimen sich. Der endgültige Text wird dann später geschrieben.

Diesem langsamen, schmachtend-sinnlichen Walzer, den Holländer für Lola-Lola schrieb, hat er ein paar Worte unterlegt, die ihm gerade einfielen. Und nun trägt er den Walzer vor, während Pommer, Sternberg, Jannings, Gussy Holl und Marlene Dietrich zuhören.

Holländer also singt ohne besondere Überzeugung:

»Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Denn das ist meine Welt und sonst gar nichts!"

Und während er weiterspielt, murmelt er: „Den richtigen Text habe ich noch nicht!" „Aber das ist doch der richtige Text", ruft Gussy Holl. Alle starren sie an.

„Sie dürfen kein Wort daran ändern, Holländer!" fährt Gussy Holl fort. „Ich wette, das wird der Schlager der Saison!" „Na, na", macht Pommer, wohl vor allen Dingen, weil er abergläubisch ist. „Wollen Sie wetten, Gussy?"

Die Wette kommt zustande. Pommer wird sie haushoch verlieren.
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Der langsame, schmachtend - sinnliche Walzer.

Lola-Lola (also Marlene) sitzt dabei auf einem Faß, die Beine übereinander geschlagen, die in den schwarzen Seidenstrümpfen unendlich verführerisch sind. Und man sieht über der schwarzen Seide eine Handbreit weißes Fleisch und schwarze Strumpfbänder.

Marlene hat die Hände in die Hüften gestemmt und singt. Sie singt nicht lieblich, sie singt nicht zärtlich, sie singt wie eine Frau, die weiß, was sie will, und es auch bekommen wird.

Sie singt gar nicht wie eine Frau, sondern wie ein Kerl, ihre Stimme scheint direkt aus dem Bauch zu kommen. Sie ist ebenso aufreizend wie das Stück weißen Fleisches oberhalb der schwarzen Seidenstrümpfe. „Denn das ist meine Welt ... Und sonst gar nichts!"
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Der Professor „Ich komme in amtlicher Eigenschaft!"

Später sitzt sie vor ihrem Schminktisch und macht sich in ihrer winzigen Garderobe für eine neue Nummer zurecht. Neben ihr der Professor, der sie mit gierigen Augen verfolgt. Das stört sie nicht im geringsten. Sie zieht sich aus und bemerkt dazu trocken: „Na, nun sagen Sie gar nichts mehr?*

Und als der Professor vor Verlegenheit sprachlos wird, fährt sie fort: „Ich hab' ja gewußt, daß Sie wiederkommen. Bei mir komm' se alle wieder!"

Professor Rath versucht, sich aus der zweideutigen Situation zu retten. „Ich komme in amtlicher Eigenschaft!" „Und wegen mir kommen Sie gar nicht?"

Dann streichelt sie ihn ganz leise, ganz nebenbei. Es wäre übertrieben, davon zu sprechen, daß sie ihn verführen will. Er tut ihr wohl eher ein wenig leid.

Aber das weiß er nicht, das ahnt er nicht. Schon ist er ihr verfallen. Er bleibt die Nacht bei Lola-Lola. Und am nächsten Morgen, als sie das Frühstück bereitet, lächelt sie ihm gutmütig zu: „Na, siehst du, das könnt'ste alle Tage haben!"
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Das Geheimnis dieser Affäre bleibt nicht lange gewahrt.

Das Städtchen ist viel zu klein. Bald wissen es alle, daß Professor Rath und Lola-Lola ... In der Schule gibt es Schwierigkeiten. Die Schüler rebellieren. Von einem solchen Professor wollen sie sich nichts sagen lassen.

Die Kollegen machen eisige Mienen. Dem alten Professor ist das völlig gleichgültig. Er liebt Lola-Lola, und es ist daher für ihn ganz natürlich, daß er sie bittet, seine Frau zu werden.

Lola-Lola ist darüber starr vor Staunen. Was fühlt sie eigentlich? Sicher keinen Triumph. Eher schon Mitleid. Ahnt sie schon jetzt, was noch alles kommen wird, was kommen muß?

Wir sehen ihr ironisch-überlegenes Lächeln, wir hören sie schallend lachen.
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Aber dann heiratet sie den Professor doch.

Nun ist Professor Rath völlig unmöglich im Städtchen geworden. Aber das bedeutet ihm nichts. Nur Lola-Lola bedeutet ihm etwas. Und da ihre Truppe im Lande herumzieht, reist er mit.

Um sich nützlich zu machen, verkauft er während der Pause Postkarten, auf denen seine Frau in gewagten Posen zu sehen ist, Fotos wie jene, die er seinerzeit bei seinen Schülern konfiszierte.

Schließlich wird er der Clown der Truppe. Seine größte Leistung: die Imitation eines krähenden Hahns.
Er weiß genau, was mit ihm geschieht.

Manchmal lehnt er sich gegen sein Geschick auf, erklärt Lola-Lola, daß er sie verläßt. Aber er kann sie ja nicht verlassen. Sie weiß es. Sie hat nur ein müdes Lächeln, als er ihr gleich darauf wortlos ihre seidenen Strümpfe anzieht.

Und als er verzweifelt zusammenbricht, tröstet sie ihn. Sie ist Geliebte und Mutter in einer Person. Die Truppe kehrt in den „Blauen Engel" zurück. Das ganze Städtchen drängt sich in das Lokal. Denn es hat sich längst herumgesprochen, daß Professor Rath als Clown auftritt.
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Der Professor Rath will nicht als Clown auftreten

Aber er will nicht. Hier nicht. Wenigstens diese letzte Schande muß ihm erspart bleiben! Er will nicht! Und zieht sich dann doch um, schminkt willenlos sein Gesicht. Er will nicht! Plötzlich sieht er seine Frau mit dem jungen Artisten Mazeppa.

Die beiden gehen in seine Garderobe. Die Tür fällt ins Schloß. Will er immer noch nicht? Ach, jetzt ist ihm schon alles gleichgültig. Ohne Gegenwehr läßt er sich auf die Bühne zerren, erlaubt es, daß die anderen ihre Scherze mit ihm treiben, daß sie ihn erniedrigen. Es tut ihm nichts, daß sie auf seinem Kopf rohe Eier zerbrechen.

Er sieht nur immer wieder zur Tür, die sich hinter Lola-Lola und Mazeppa geschlossen hat. Dann aber bricht er los. Plötzlich hat er Riesenkräfte. Er rennt gegen die Tür an, er zertümmert sie, er will der Frau, die ihn vernichtet hat, an die Gurgel.

Lola-Lola ist erstarrt. „Was hast du denn ? Ich habe dir doch gar nichts getan!" Dann begreift sie und flieht in Todesangst vor dem alten Mann. Oder flieht sie, weil sie begriffen hat, wie stark sie selbst ist, wie leicht es ihr fiel, ein Leben zu zertrümmern?

Man muß den Professor in eine Zwangsjacke stecken. Später, als der „Blaue Engel" sich längst geleert hat, befreit ihn der mitleidige Direktor der Truppe, während er kopfschüttelnd murmelt: »Alles wegen eines Weibes!"

Rath antwortet nicht. Er verläßt den „Blauen Engel". Schleicht durch die menschenleeren Straßen des Städtchens, das einmal seine Heimat war. Wohin treibt es ihn? Nach Hause. Aber dieses Zuhause ist nicht die Wohnung, in der er lebte.

Er geht zu der Schule, in der er lehrte. Er wankt die Treppe hinauf in sein altes Klassenzimmer. Mit letzter Kraft durchquert er es. Jetzt sitzt er auf dem Katheder und blickt hinunter, dorthin, wo seine Schüler einst saßen.

Draußen vom nahen Kirchturm ertönt das Glockenspiel: »Üb' immer Treu* und Redlichkeit ..." Seine Hände halten im Todeskampf das Katheder so fest umklammert, daß der Pedell, der ihm gefolgt ist, sie nicht zu lösen vermag. Professor Rath hat heimgefunden.
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Die Premiere des „Blauen Engel" am 1. April 1930 ?

Die Premiere des „Blauen Engel" ist auf den 1. April 1930 im Gloriapalast am Kurfürstendamm festgesetzt.

Aber innerhalb der UFA-Direktion weiß man immer noch nicht, ob der Film je herauskommen wird. Klitzsch äußert düster, Geheimrat Hugenberg wolle einfach nichts mit Heinrich Mann zu tun haben.

Pommer: „Es ist ja wirklich nicht viel von Heinrich Manns Roman übriggeblieben!" Klitzsch: „Ich weiß. Aber davon wird der Geheimrat nicht zu überzeugen sein!" Pommer hat eine geradezu geniale Idee. Er fährt zu Heinrich Mann.

Der ist, wie die meisten Romanautoren, durchaus nicht einverstanden mit den Eingriffen, die die Drehbuchautoren vorgenommen haben. „Im Grunde genommen handelt es sich gar nicht mehr um mein Buch! Ich schrieb eine Fanfare gegen die Obrigkeit! Professor Unrat war die gestürzte Autorität. Jetzt ist er das bedauernswerte Opfer des Vamps!"
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Was die Filmgesellschaften wirklich fürchten

Nichts fürchten Filmgesellschaften mehr als die Behauptung von Romanautoren, der Film stelle gar nicht mehr ihr Werk dar, eigentlich hätten sie nichts mit dem Film zu tun und so weiter und so weiter.

Aber dieses Mal ist Pommer geradezu glücklich, dergleichen von Heinrich Mann zu hören. Er sagt: „Warum bringen Sie Ihre Einwände nicht zu Papier?" „Ich will Ihnen nicht in den Rücken fallen, Herr Pommer!"

„Sie fallen mir nicht in den Rücken!" Pommer verläßt Heinrich Mann mit einigen Zeilen, in denen der Schriftsteller erklärt, der Film sei zwar sehr interessant, habe aber mit seinem Buch im Grunde genommen nichts mehr zu tun. Pommer, weit entfernt davon, diesen Brief verschwinden zu lassen, gibt ihn noch am gleichen Tag weiter.
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Hugenberg will den Film sehen

Am nächsten Morgen Telefonanruf von Klitzsch. „Der Geheimrat will den Film selbst sehen! Ich komme heute nachmittag mit ihm nach Babelsberg!" Noch ein dritter Mann kommt mit, ein gewisser Friedrich Hussong, Leitartikler bei Hugenberg, ein recht übler Bursche, der erst ein paar Jahre später in seiner ganzen Erbärmlichkeit zu erkennen sein wird ...

Erich Pommer sagt zu Klitzsch: „Sie wissen doch, wie das mit der Presse ist! Eigentlich darf Herr Hussong den Film nicht vor den anderen Zeitungsleuten sehen!" „Herr Hussong kommt lediglich als ein Freund des Geheimrats Hugenberg mit!"

„Ich kann mich also darauf verlassen, daß er nichts schreiben wird?" „Sie können sich darauf verlassen!" Zwei Stunden später fahren die drei UFA Leute fort. Ihre Gesichter sind unergründlich.
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„Der Film kann nicht herauskommen!"

Am Abend telefoniert Klitzsch: „Der Film kann nicht herauskommen!" Pommer ruft Jannings an. Der fährt am nächsten Morgen zur Direktion der UFA.

„Wenn der Film nicht herauskommt, werde ich nie wieder für die UFA arbeiten!" erklärt Jannings empört. Vierundzwanzig Stunden später erklärt Klitzsch, Geheimrat Hugenberg habe sich umstimmen lassen .. .

Zwei Tage vor der Premiere erscheint dann in der „Nachtausgabe", einem BlattHugen-bergs, ein Artikel von Friedrich Hussong über den „Blauen Engel".

Hugenbergs Leitartikler, Friedrich Hussong hetzt bereits

Hussong ist begeistert von dem Film. Aber neunzig Prozent seines Artikels bestehen aus bösen Angriffen gegen Heinrich Mann und dessen „zersetzende Kunst".

Die Kritik gipfelt in den Worten: „Es ist der UFA gelungen, aus dem Schandwerk von Heinrich Mann ein Kunstwerk zu machen!" Pommer schäumt.

Es handelt sich um einen glatten Wortbruch von Klitzsch. Oder ist Hugenberg dafür verantwortlich? Oder hat Hussong diesen Artikel geschrieben, ohne dazu autorisiert worden zu sein? Pommer telefoniert mit Klitzsch. „Entweder die ,Nachtausgabe' bringt morgen abend einige Zeilen, daß sie sich von Hussongs Artikel distanziert, oder ich werde mich mit einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit wenden!"
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Der Propaganda- und Medienkrieg beginnt

Die entschuldigenden Zeilen erscheinen in der nächsten Ausgabe der „Nachtausgabe" nicht.

Pommer schreibt einen Brief an das demokratische „Berliner Tageblatt", das ihn am folgenden Morgen, also am Tag der Premiere, bringt.

In diesem Offenen Brief sagt Pommer alles, was er auf dem Herzen hat. Daß Heinrich Manns Roman kein Schandwerk, sondern ein großes Kunstwerk ist, daß die UFA alles daran gesetzt hat, dieses Kunstwerk würdig zu produzieren, daß Herr Hussong sein Wort oder das seines Chefs gebrochen hat. Pommer nimmt kein Blatt vor den Mund.

Klitzsch am Telefon, fast platzend vor Wut: „Sind Sie wahnsinnig geworden?"

Pommer fragt ganz unaufgeregt: „Wollen Sie meine Demission sofort oder genügt es, wenn Sie sie morgen auf Ihrem Schreibtisch haben?" Klitzsch haut den Hörer auf die Gabel.
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Die Premiere vom 1. April wird ein großer Tag im Gloriapalast

Die Premiere vom 1. April 1930 wird ein großer Tag für Billett-Schwarzhändler. Berittene Polizei. Riesenauffahrt. Die ganze Prominenz erscheint.

Pommer ist natürlich schon seit dem Nachmittag im Gloriapalast, hat Hut und Mantel in die Direktionsloge gehängt und ist dann hinter die Bühne gegangen.

Als er sieht, daß Hugenberg und Klitzsch in der Direktionsloge Platz genommen haben, bleibt er hinter der Bühne.

Er bleibt, bis der Film vorbei ist, bis der rauschende Beifall einsetzt, der Jannings und die Dietrich immer wieder vor den Vorhang ruft.
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Der „Blaue Engel" ist ein ganz großer Erfolg.

Etwa eine Viertelstunde, nachdem das Haus sich geleert hat, will Pommer nach Hause fahren. Er erinnert sich seines Hutes und Mantels und geht zur Direktionsloge. Vor der Loge steht Ludwig Klitzsch mit der Garderobe von Pommer.

Er eilt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. „Sie haben einen großen Film gemacht! Einen ganz großen Film!"

Er hilft seinem Produzenten in den Mantel. „Wir haben einiges getan, was nicht in Ordnung war, und Sie haben auch einiges getan, was nicht in Ordnung war! Wir wollen das vergessen!"

Die beiden schütteln sich die Hände. Von diesem Augenblick an wird Klitzsch in jeder Streitfrage automatisch auf der Seite von Erich Pommer stehen.
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Marlene Dietrich entscheidet sich endgültig für Amerika

Polizei bahnt der Dietrich den Weg zu ihrem Auto. Wohin fährt der Wagen? Wo findet die obligate Siegesfeier statt? Im Adlon? Bei Horcher?

Es gibt keine Siegesfeier für Marlene Dietrich. Ihr Auto fährt zum (Berliner-) Lehrter Bahnhof. In wenigen Minuten startet der Expreß nach Bremerhaven.

Morgen früh schon muß sie an Bord der „Bremen* sein, die sie nach New York bringt. Von dort aus geht es nach Hollywood, zur Paramount, mit der sie einen langjährigen Kontrakt abgeschlossen hat.

Wie? Die UFA läßt Marlene Dietrich so einfach ziehen? Hat sie denn keine Klausel in den Vertrag gesetzt, die ihr das Recht gibt, weitere Filme mit der Dietrich zu drehen?
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Wie es dazu kam ?

Natürlich hat Erich Pommer auf einer solchen Klausel bestanden. Aber als er dann so weit war, als der Tag herankam, an dem die UFA sich entscheiden mußte, lag Pommer krank zu Bett. Er war so elend, daß er sich um nichts kümmern konnte. Vor allen Dingen wünschten seine Ärzte, daß ihm jede Aufregung erspart bliebe.

Infolgedessen erfuhr er erst später, daß die UFA in dem Vertrag auf das Recht der Option verzichtet hat.

Grund: Es liege kein Stoff vor, der für Marlene Dietrich geeignet wäre. Pommer ist außer sich, als er das vernehmen muß. „Wir hätten die Dietrich für ein Butterbrot haben können!" „Immerhin sollte sie im nächsten Jahr fünfzigtausend Mark bekommen!"

„Fünfzigtausend Mark sind in diesem Fall ein Butterbrot! Zwei Dietrich-Filme, vielleicht drei für fünfzigtausend Mark. Nach dem „Blauen Engel" wird sie fünfzigtausend Mark und mehr für einen Film bekommen! Ich vermute sogar fünfzigtausend Dollar!"

Der Regisseur Josef von Sternberg bedrängte Marlene

Erich Pommer hat Grund zu dieser Vermutung. Er weiß, daß Josef von Sternberg schon seit Wochen die Dietrich bedrängte, mit ihm nach Amerika zu gehen. Die Paramount hatte ihr auch schon ein sehr anständiges, ein reizvolles Angebot gemacht.

Marlene zögerte. In Berlin hatte sie ihren Mann, ihre Tochter. Ihr wäre am liebsten gewesen, die UFA hätte ihre Option ausgeübt. Da sie nicht ja und nicht nein sagte, verließ Sternberg verstimmt noch vor der Premiere Deutschland, um sich nach New York einzuschiffen. Auf hoher See erhielt er dann ein Radiogramm der Dietrich: „Akzeptiere den Paramountvertrag."
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Am Tage nach der Premiere erscheinen die ersten Kritiken.

Kritiken? Es sind Hymnen. „Der Blaue Engel" verspricht das größte Geschäft zu werden. Aber nicht die herrlichen Kritiken sind es, die Emil Jannings am meisten Freude bereiten.

Jannings erhält Briefe, die nicht so freundlicher Natur sind, und manche sind sogar geradezu unfreundlich, besonders solche, die von den Standesorganisationen der Lehrer stammen. Die fühlen sich nämlich persönlich gekränkt.

Ist nicht der Sündenfall des Professors Rath dazu angetan, die gesamte Lehrerschaft in Mißkredit zu bringen? Pommer überlegt sich, ob er den Lehrern eine Erwiderung schicken soll.

UFA Chef Ludwig Klitzsch beruhigt ihn. „Lassen Sie mal, Herr Pommer! Die Hauptsache, der Film ist ein Geschäft! Und niemand kann uns streitig machen, daß wir ein Meisterwerk der deutschen Filmkunst gedreht haben!

Und daß 'wir' Marlene Dietrich entdeckt haben!". Pommer denkt - so ein verlogenes Volk - Jetzt ist es schon so weit. Er sagt „wir".
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