"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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DER JUNGE KANN LACHEN
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Ludwig Berger kauft sich widerstrebend ein Auto
Nicht nur ein erfolgreicher Filmregisseur hat ein Auto. Jeder, der im Film erfolgreich ist, muß ein Auto haben. Um diese Zeit, da Ludwig Berger sich widerstrebend ein Auto kauft, erwirbt auch Willy Fritsch seinen ersten Wagen - keineswegs widerstrebend, im Gegenteil mit größter Begeisterung, obwohl er es gar nicht bezahlen kann.
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Willy Fritsch kommt ins Bild
Das Auto wird auf Kredit gekauft. Denn er ist noch nicht so lange dabei. So lange ist es noch gar nicht her, daß er in einem Wartezimmer saß, und sich um eine Rolle bewarb. Mit ihm bewarben sich fünfzehn andere junge Männer um die Rolle. Er hatte also keine großen Chancen. Die Rolle war die eines jungen Mannes, der im Krieg sein Augenlicht verliert.
Er hat geheiratet, dann hat er - durch eine glückliche Operation - sein Augenlicht wiedergewonnen. Die Frau aber befürchtend, daß er sie, wenn er sie erst zu Gesicht bekäme, nicht mehr lieben würde, flieht. Er sucht sie und - braucht man es zu sagen? - findet sie. - Ende gut - alles gut.
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Fritsch ist erst einundzwanzig Jahre
Probeaufnahmen. Fritsch zweifelt daran, daß er der richtige Mann ist, den Schmerz eines Erblindeten zu spielen. Er ist erst einundzwanzig Jahre. Und doch schon ein richtiggehender Schauspieler. Er ist sogar bei Max Reinhardt - allerdings wissen das nicht viele außer ihm.
Es wäre übertrieben, die Rollen, die er spielt, als Rollen zu bezeichnen. Er hat kaum mehr als ein paar Worte zu sagen. Er ist eigentlich nur ein besserer Statist.
Das Erlebnis mit Jannings
Einmal steht er mit Jannings auf der Bühne. Das begeistert ihn so, daß er kein Wort herausbringt. Jannings zerrt ihn geradezu zum Souffleurkasten. Die Souffleuse schreit sich heiser. Aber Fritsch hört nichts.
Da improvisiert Jannings. Er tritt Fritsch in den Hintern und ruft: „Hinaus mit dir!" Fritsch macht einen schnellen Abgang - wenn man das Abgang nennen darf. In „Don Carlos" darf Fritsch - allerdings nur in zweiter Besetzung - jenen Offizier der Leibwache spielen, der hinausstürzen muß, um den König von einer drohenden Revolte zu benachrichtigen.
seine bisher größte Rolle
Fritsch hat acht Zeilen zu sagen - seine bisher größte Rolle:
„Rebellion! Wo ist der König? Ganz Madrid in Waffen! Zu Tausenden umringt der wütende Soldati der Pöbel den Palast. Prinz Carlos, Verbreitet man, sei in Verhaft genommen. Sein Leben in Gefahr. Das Volk will ihn Lebendig sehen oder ganz Madrid In Flammen aufgehen lassen!"
Fritsch ist ungeheuer aufgeregt. Dies ist seine große Chance. Vielleicht ist er ein bißchen zu aufgeregt. Und als er endlich auftreten muß, ruft er:
„Wütender Palast umringt den Pöbel!"
Stille. Und dann eine ungeheure Lachsalve.
Dem bereits toten Marquis Posa, von Alexander Moissi dargestellt, laufen die Tränen übers zuckende Gesicht.
Hierauf Willy Fritsch: „Prinz Carlos steht am Eingang!" Und geht ab. Er möchte sich am liebsten aufhängen. Aber Reinhardt klopft ihm auf die Schulter: „So schön hat sich noch keiner versprochen!" meint er lächelnd.
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Der Anfang von Willy Fritsch war schwer - dann der Zufall
Der Film scheint von der Existenz des großen Schauspielers Fritsch nichts zu ahnen. Obwohl Fritsch einige Male zur Filmbörse wandert, will ihn niemand entdecken. Dann darf er zwei- oder dreimal kleine Rollen spielen. Und nun?
Der Regisseur des Films „Meine Frau, die Unbekannte", der Däne Christensen, ist entsetzt von der Probeaufnahme. „Mein lieber Fritsch, Sie werden niemals ein vernünftiger Blinder werden!" Fritsch findet das komisch - und beginnt zu lachen.
Er lacht lange und schallend. Christensen starrt ihn an. „Lachen Sie, Mensch, lachen Sie! Lachen Sie weiter!"
Fritsch lacht. Er kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Christensen ist begeistert. „Mensch, wie Sie lachen können!" Und dann schreit er den Operateur an: „Kurbeln Sie doch! Kurbeln Sie, wie er lacht!"
Und dann erfährt Fritsch, daß er engagiert ist.
Er ist erstaunt. „Aber es handelt sich doch um einen todernsten Film! Ein Kriegsblinder, der ... Sie haben mir doch selbst den Inhalt erzählt!" Es zeigt sich, daß das ganz einfach in Ordnung zu bringen ist: anstatt vier Fünftel des Films blind zu sein, wird Fritsch gleich zu Anfang sehend.
Und dann beginnt die Jagd nach der Frau, mit der er verheiratet ist, und die er nicht kennt. Diese Frau ist übrigens unbeschreiblich schön.
Sie hat schon einen großen Namen: Lil Dagover. Der Film wird ein großer Erfolg. Erich Pommer hat ihn vorausgeahnt und mit Fritsch einen Jahresvertrag abgeschlossen. Da dieser gerade in Bremen Theater spielt und die dortige Direktion ihn nicht so einfach fortlassen will, zahlt Pommer die Konventionalstrafe. Er weiß, was er tut.
Er weiß, Willy Fritsch wird das Geld hundertfach einspielen. Und deshalb zögert er auch nicht, weitere Summen in Willy Fritsch zu investieren. Er sieht ihn sich an: „Na, Ihr Anzug ... ?" „Ich habe drei Anzüge, und einen Smoking besitze ich auch!" berichtet Fritsch nicht ohne Stolz und Selbstgefühl.
Und einen Frack haben Sie auch ?
„Was Sie nicht sagen! Und einen Frack?" „Einen Frack habe ich nicht. Aber ich habe einen Onkel, der hat einen Frack!" „Einen Onkel haben Sie auch?" Pommer will sich totlachen.
Und dann schickt er Willy Fritsch zu dem elegantesten Herrenschneider Berlins und läßt ihm einen Frack, einen Smoking und ein halbes Dutzend Anzüge machen. Er kauft ihm Hüte, Krawatten und Handschuhe, läßt Hemden für ihn anfertigen.
„Aber ...", beginnt Willy Fritsch. „Das geht auf Geschäftskosten", erklärt ihm Pommer. Für ihn tut er alles!
Ein Jahr nach „Meine Frau, die Unbekannte" macht Willy Fritsch einen Film mit Joe May, bei dem das Wort „Geschäftskosten" sehr groß geschrieben wird.
Es handelt sich um den Film „Farmer aus Texas" nach dem bekannten Lustspiel „Kolportage" von Georg Kaiser.
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Sein erster UFA-Vertrag
Willy Fritsch hat gerade seinen ersten UFA-Vertrag unterschrieben. Die Gage ist gut, aber keineswegs überwältigend. Jedenfalls genügt sie nicht zum Ankauf eines Autos. Infolgedessen kauft sich Willy Fritsch ein Auto. Er zahlt tausendfünfhundert Mark an; wovon er die restlichen zweitausend bezahlen soll, weiß Gott allein.
Joe May hat Fritsch in sein Herz geschlossen. Täglich fragt er ihn mindestens zehnmal: „Bist du auch glücklich, mein Junge?" Es scheint ihm ungeheuer viel daran zu liegen, daß Willy Fritsch „glücklich" ist. „Jawohl, Herr May, ich bin glücklich", erwidert Fritsch vorschriftsmäßig.
Aber er sieht nicht glücklich aus. Er zerbricht sich den Kopf, wie er zweitausend Mark beschaffen könnte. Er sieht geradezu unglücklich aus. Denn er sieht keinen Weg.
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Joe May hat seit langem einen untrüglichen Riecher
May hat nicht umsonst unzählige Detektivfilme gemacht. Das hat entscheidend zur Entwicklung seines Spürsinns beigetragen.
Und es dauert nicht lange, bis er herauskriegt, daß die Gedanken an die Ratenzahlungen seinen jugendlichen Liebhaber unglücklich machen.
„Warum hast du das nicht gleich gesagt?" fragt er vorwurfsvoll und schenkt Fritsch die fehlenden zweitausend Mark. Am nächsten Tag schenkt er ihm auch noch einen Pelzmantel. „Die Hauptsache ist, daß du glücklich bist, mein Junge!" begründet er seine Generosität.
Solche Ausgaben sind für Joe May nicht der Rede wert. Er kann noch mehr ausgeben.
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Eine Szene im „Farmer von Texas"
Da gibt es im „Farmer von Texas" eine Szene, in der Willy Fritsch und der amerikanische Schauspieler Eddie Burns sich von einem mit Bäumen bewachsenen Felsen ins Wasser stürzen müssen.
Auf dem Meer muß sich ein Boot befinden, darin sitzen schwedische Fischer. Als die Szene in Schweden gedreht werden soll, ist es bereits Anfang September und ziemlich kalt. Das Wasser ist noch kälter als die Luft, und das Meer ist ungemein bewegt.
Es besteht die Gefahr, daß Fritsch und Burns ertrinken, wenn sie, wie's das Drehbuch will, ins Wasser springen. „Ihr würdet nicht glücklich sein, wenn Ihr es tun müßtet", erklärt Joe May, und für ihn ist die Angelegenheit damit erledigt. Aber sie ist nicht erledigt.
Die beiden jungen Männer können nicht von irgendeinem Felsen in irgendein anderes Wasser springen. Denn der Felsen ist bereits - um im Jargon der Filmindustrie zu bleiben - „angedreht", das heißt, er ist schon in anderen Szenen vorgekommen.
„Ganz einfach", erklärt May und läßt seinen Aufnahmeleiter rufen. „Sie fahren nach Sorrent! Dort ist es warm. Sie werden dort schon irgendeinen Felsen finden, der genau so aussieht."
„Und die schwedischen Fischer? Die haben wir doch schon fotografiert!" „Ganz einfach! Die schwedischen Fischer engagieren Sie und schicken sie auch nach Sorrent. Mitsamt ihrem Boot! Sie werden ja bald den richtigen Felsen haben."
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Eva May, die Tochter Joe Mays, hat sich das Leben genommen
Eine Depesche trifft ein. Eva May, die dreiundzwanzigjährige Tochter Joe Mays, hat sich in Baden bei Wien durch einen Schuß ins Herz das Leben genommen. Eva May ...
Eine unwahrscheinlich schöne, junge Frau, die schon als Mädchen erstaunliche Filmerfolge hatte, von den Eltern verwöhnt, von den Männern begehrt.
Warum hat sie Selbstmord begangen? Niemand weiß es genau. Es ist übrigens nicht der erste Versuch gewesen. Sie hat sich schon einmal, ein Jahr vorher, die Pulsadern aufgeschnitten. Man spricht von Zerwürfnissen mit der Familie ihres Bräutigams, Fritz Mandls, des österreichischen Munitionskönigs, der später die Wiener Schauspielerin Hedy Lamarr heiratet.
Andere wollen wissen - wie immer - sie wissen viel mehr ?
Andere wollen wissen, daß Eva May, die ungeheuer ehrgeizig und entschlossen war, Deutschlands erster Filmstar zu werden, fürchtete, ihr zukünftiger Mann werde es mit seiner gesellschaftlichen Stellung unvereinbar finden, sie weiterhin filmen zu lassen ... Aber ganz Genaues weiß man nicht. Eva May hat ihr Geheimnis mit ins Grab genommen.
Oder vielleicht gibt es gar kein Geheimnis. Vielleicht hat Eva May ihre Tat aus Hysterie begangen! Vielleicht war sie betrunken? Vielleicht spielte Rauschgift mit ...? Solche und ähnliche Gerüchte schwirren durch die Luft.
Die Mutter Mia May bricht zuammen
Als Mia May von dem Tode ihrer Tochter erfährt, bricht sie zusammen. Und Joe May? Der starke Mann, der das Leben so überlegen meisterte, der Tausende von Komparsen befehlen kann, der alle, die um ihn sind, glücklich sehen will ...
Plötzlich liegt das Leben, das so einfach schien, vor ihm wie ein unüberwindlicher Berg. Wie schwer ist es, innerhalb der wenigen Stunden, die ihm bleiben, bevor er in den Zug steigt, der ihn von Stockholm über Berlin nach Wien bringen soll, die notwendigsten Dispositionen zu treffen!
Und doch: er kann es sich nicht erlauben, seinem Schmerz zu leben. Er steckt mitten in einem Film - und das bedeutet, daß Millionen auf dem Spiele stehen. Er kann sich, wenn er den Zug nicht versäumen will, nicht einmal eine Stunde seinem Schmerz hingeben. Er muß klipp und klar einem Heer von Sekretären und Mitarbeitern ansagen, was nun geschehen soll.
Die letzten Anweisungen gibt er noch aus dem Fenster seines Schlafwagenabteils, während der Zug schon rollt. Berlin-Wien.
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Als die Freunde warteten und sie beide trösten wollten
Zahllose alte Freunde warten auf Joe und Mia May. Sie wollen ihnen wenigstens die Hand drücken, aber die Eltern wollen niemanden sehen. Stunden verbringen sie am Sarg der Tochter.
Die Einäscherung. Joe May sitzt neben seiner Frau, hält ihre Hand, brütet vor sich hin. Schweigt. Er hat seit Tagen nichts gegessen, er sieht grau und verfallen aus.
Diejenigen Freunde, die er an sich heranläßt, flehen ihn an: „Du bist krank, du mußt dich schonen, du mußt ausspannen."
Joe May schüttelt den Kopf. „Ich stecke in einem Film!"
Mia May schweigt. Sie ist ja auch beim Film. Sie weiß, daß der Film unerbittlich ist. Sie fährt allein nach Berlin zurück. Eine Stunde später sitzt May schon im Zug nach Sorrent, wo die anderen warten.
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Das mit dem Felsen in Sorrent funktioniert nicht
Denn inzwischen hat der Aufnahmeleiter aus Sorrent telegrafiert, einen Felsen, wie den in Schweden, gebe es zwar nicht, wohl aber habe er einen Sprengmeister ausfindig gemacht, der bereit sei, mit Dynamit einen Felsen so herzurichten, daß er dem ursprünglichen Felsen ähnlich sehe.
May läßt auch einige Leute aus Schweden kommen mit den Bäumen und Sträuchern, die dort wuchsen. In Italien werden sie von Fachleuten wieder eingegraben. Und jetzt sieht der italienische Felsen genau so aus wie der schwedische. Die schwedischen Fischer, die wochenlang in Sorrent gewartet haben, werden in ihr Boot gesetzt und rudern auf dem italienischen Meer. Die Kameras beginnen zu surren.
„Achtung! Aufnahme!" Eddie Burns und Willy Fritsch springen ins Wasser. Sie können von Glück sagen, daß sie überhaupt wieder hoch kommen, denn an dieser Stelle gibt es unberechenbare Wasserströmungen. Die Strömumngen erfassen die beiden Schauspieler sofort und führen sie einen halben Kilometer weit weg.
Als sie auftauchen, sind sie nicht mehr im Beeich der Kamera, werden recht unsanft gegen Lavariffe geworfen und schließlich mehr tot als lebendig von herbeieilenden Booten aus dem Wasser gezogen. Das alles beeindruckt Joe May nicht im mindesten.
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„Wir werden die Szene eben in Berlin drehen"
.... erklärt er seelenruhig. Also setzt sich die ganze Karawane wieder in Bewegung. Es sind nicht nur die deutschen Filmleute, es sind auch die schwedischen Fischer mit ihrem Boot, es sind auch die Schweden mit den Bäumen und Sträuchern und die italienischen Fachleute, die wissen, wie man sie wieder eingräbt.
In Berlin wird nach den Fotografien, die man in Schweden gemacht hat, ein Gipsfelsen gebaut, gegen den die Wellen des Meeres schlagen. Das Meer ist fünfzig Meter lang und dreißig Meter breit und wird mittels einer Wellenmaschine in Bewegung gehalten. Die Kohlensäure, die notwendig ist, um Schaum zu erzeugen, wird in Röhren nach oben gepumpt. Die schwedischen Fischer, die nun schon manches gesehen haben, was schwedische Fischer im allgemeinen nicht zu sehen bekommen, sind von allem stark beeindruckt.
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Endlich ist alles so weit. Es kann gedreht werden
Die Kameraleute lassen ihre Apparate surren, die Schweden sitzen in ihren Booten. Willy Fritsch und Eddie Burns haben den Gipfelfelsen bestiegen, der jenem schwedischen gleicht wie ein Haar dem andern - worauf die Schweden, die die Bäume und Sträucher ausgegraben, und die Italiener, die sie wieder eingegraben haben, stolz sind - nur das Meer ist noch ruhig.
Joe May brüllt durchs Megaphon: „Wellenmaschine anstellen!" Hierauf gibt es einen gewaltigen Knall. Und bevor irgend jemand begreift, was geschehen ist, hat die erste Meereswoge das Gipsufer zerschmettert. Und nun ist das Meer über seine Ufer getreten und überschwemmt das Atelier.
Alle stehen knietief im Wasser: die Kameraleute, die Beleuchter, die Bühnenarbeiter, die Mannschaft, die die Wellenmaschine bedient, die Regieassistenten und Aufnahmeleiter, ja sogar Joe May höchstpersönlich.
Nur das Boot mit den schwedischen Fischern steht auf dem Trockenen.
Es ist auf den Tag drei Monate her, daß die Szene gefilmt werden sollte. Inzwisehen wurde - natürlich - ein kleines Vermögen an Gagen gezahlt, und die Szene ist immer noch nicht im Kasten. Der Felsen muß noch einmal gebaut werden, diesmal freilich aus Zement. Somit kann er jedem von einer Wellenmaschine entfachten Orkan standhalten. Die Szene wird dann auch abgedreht. Es dauert eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde - und vier Monate. Zusammenaddiert!
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JANNINGS SPIELT ALLES!
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Emil Jannings überragt sie alle
Deutschlands populärster Schauspieler ist um diese Zeit längst Emil Jannings. Er ist mehr gefragt als Harry Liedtke, Bruno Kastner oder der aufkommende Willy Fritsch, ja, sogar mehr als die schönen Frauen des deutschen Films, und das gilt sowohl für die wenigen, die spielen können, als auch für die vielen, die nicht spielen können und dennoch engagiert werden.
Jannings hat bereits Dostojewskis „Brüder Karamasoff" verfilmt und den „Danton". Er geht jetzt daran, den „Othello" auf die Leinwand zu bannen. Da kommt aus Rom ein interessantes Angebot. Jannings soll den Nero in „Quo vadis" spielen.
Die Verfilmung von „Quo vadis" dauert Monate
Es ist dies nicht die erste Verfilmung dieses historischen Schinkens, es wird auch nicht die letzte sein. Emil Jannings fährt also nach Rom. Der Sohn des Dichters d'Annunzio und Georg Jacoby führen gemeinsam Regie. Wochen und Monate vergehen während der Verfilmung von „Quo vadis". Man läßt sich Zeit. Geld scheint keine Rolle zu spielen. Der italienische Staat steht ja hinter dem Projekt.
Ständig erscheinen Besucher im Atelier. Der deutsche Botschafter, ein gewisser Freiherr von Neurath, der später noch eine recht bedeutsame und unglückliche Rolle spielen soll, ist oft anwesend, ebenfalls ein gewisser Benito Mussolini, von dem sich die Leute zuflüstern, daß er eine große Zukunft habe.
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Die Szenen mit den 52 Löwen sind der Clou
Der Clou des Films sind natürlich die Szenen mit den Löwen, das heißt die Szenen, in denen Jannings - Nero zusieht, wie die Löwen die Christen zerreißen.
Für diese Szenen ist der berühmte Kapitän Alfred Schneider engagiert worden, der Dompteur mit den prächtigsten Löwen. Seit Monaten lebt er auf dem Filmgelände mit seinen zweiundfünfzig Tieren. Jannings macht das ein bißchen nervös. Er liebt weder das Gebrüll, noch den Geruch der Löwen. Am wenigsten liebt er die Riesenlöwin „Europa", von den Italienern „Eiroba" ausgesprochen.
Es wird gedreht.
Nero liegt auf seinem Prunkbett im Hofe der Löwen. Die Löwen sind natürlich nicht anwesend. Sie befinden sich im Keller hinter Schloß und Riegel, denkt Jannings. Da sieht er zu seinem Entsetzen, daß „Eiroba" gemächlich die Treppe heraufkommt und sich im Kreise umblickt. Mehr sieht Jannings nicht. Denn mit einem Satz ist er von seinem Prunkbett herunter und flüchtet mit erstaunlicher und höchst unkaiserlicher Eile.
Die Löwin spring in Nero's Bett
Die Löwin scheint verwundert. Sie knurrt ein wenig. Dann springt sie mit einem Satz auf das verwaiste Prunkbett. Sie wirkt dort mindestens so königlich wie Jannings.
Als er jung war, ging Emil Jannings zur See. Er dachte an Piraten und Taifune, an haarsträubende und höchst lebensgefährliche Abenteuer. Jetzt ist er der große Filmstar, und er sagt sich mit Recht, daß sein Leben ziemlich viel wert ist. Er würde sich nur ungern von den Prachtexemplaren des Kapitäns Schneider auffressen lassen.
Jannings wird zunehmend nervöser
Und je länger sich der Film „Quo vadis" hinzieht, um so wahrscheinlicher wird es, daß ihm ein solches Mißgeschick doch noch passieren könnte.
Es naht der Tag, an dem eine der prächtigsten Szenen des Films gedreht werden soll, nämlich jene, in der die Christen den Löwen vorgeworfen werden.
Damit die Löwen in die rechte Stimmung kommen, hat Kapitän Schneider ihnen drei Tage jede Nahrung vorenthalten. Sie brüllen, daß man es kilometerweit hört.
Jannings ist aber zu seinem Leidwesen nicht kilometerweit entfernt. Er sitzt in der Loge des Circus Maximus, um das Schauspiel zu genießen.
Neben ihm sitzen, nicht weniger besorgt, der Philosoph Seneca und Agrippina, seienr (Film-) Gattin, seine (Film-)Mutter.
Jetzt kommt die "Preisfrage" - wie hoch Löwen springen
Jannings winkt Jacoby heran: „Wie hoch ist eigentlich meine Loge?" „Zwei bis drei Meter", sagt Jacoby, und stürzt wieder davon.
„Zwei bis drei Meter", sagt Jacoby und ist ja wirklich ziemlich hoch. Da wird wohl nichts passieren können ... Dann kommt ihm ein entsetzlicher Gedanke.
Er steht auf. „Kapitän Schneider! Kapitän Schneider!" ruft er. Der Dompteur erscheint. „Wie hoch kann ein Löwe springen?" „Kommt drauf an", antwortet Kapitän Schneider nicht ohne Stolz. „Nicht alle Löwen springen so hoch wie die meinen!"
„Das habe ich befürchtet", stöhnt Jannings. „Wie hoch springen Ihre Löwen?" „Sieben bis acht Meter sicher!" Jannings steht auf. „Ich spiele nicht mehr mit", erklärt er und stürzt dann in seine Garderobe. Kein Zureden hilft.
„Ich bin Nero. Ich lasse mich nicht den Löwen vorwerfen! Übrigens steht auch nichts davon im Drehbuch, daß ich mir das gefallen lassen muß!"
Jannings hat sich auf das Sofa gelegt. Majestätisch äußert er: „Keine zehn Löwen bringen mich von hier fort." „Aber was sollen wir tun? Es handelt sich doch wirklich um eine der entscheidendsten, der wichtigsten Szenen des Films!"
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Das Unglück nahm leider doch seinen Lauf - mit dem Double
„Ich will Ihnen sagen, was Sie tun sollen. Sie setzen mein Double in die Loge, und dann drehen Sie die Szene. Und dann, wenn die Szene fertig ist und die Löwen fort sind ... aber sie müssen wirklich fort sein ..., dann komme ich wieder. Und dann machen Sie noch ein paar Großaufnahmen von mir. Die können Sie nachher in die Szene hineinschneiden."
Das Double wird geschminkt und angezogen. Eine Stunde später ist das Double tot. „Eiroba" hat mit einem mächtigen Satz die Loge erklommen. Der Sprung war gar nicht einmal so schwierig, da das kluge Tier den Teppich benutzte, der von der Loge herunterhing, um sich daran festzukrallen, und so ganz gemächlich herauf kam.
Jannings ist erschüttert, als er von dem Unglück hört. Kapitän Schneider will ihn beruhigen. Er vertraut ihm etwas an: „Soeben hat eine meiner Löwinnen ein Junges gekriegt. Wir haben es Jannings' getauft."
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