"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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ACHTER TEIL • DIE RETTUNG
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POMMER FÄHRT NACH USA
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Anfang 1924 - Die UFA ist finanziell nicht sehr gesund.
Das war schon nach Beendigung der Inflation, also Anfang 1924, ziemlich klar. Das Unternehmen hatte rund achtunddreißig Millionen verloren und besaß an liquiden Mitteln nur eine halbe Million.
Davon waren fünftausend Arbeiter und Angestellte zu bezahlen, die jährlich sechzehn Millionen kosteten, und dreiunddreißig Filme zu drehen - zumindest besagte es das Produktionsprogramm.
Zudem stellte es sich eines Tages heraus, daß Fritz Lang viel mehr Geld brauchte, als vorgesehen war, um seinen Film „Metropolis" zu Ende zu drehen, nämlich statt einer Million zwei Millionen.
Auf dem Papier sah sich die Situation noch schlimmer an, als sie in Wirklichkeit war; denn da infolge Geldmangels einige Filme, die auf dem UFA-Programm standen, in letzter Minute geplatzt waren, ging ein großer Teil der laufenden Atelierspesen auf Konto „Metropolis". Irgendwie bzw. irgendwohin mußten diese Summen ja abgebucht werden.
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Die Inflation war zuende - es gibt die stabile "Rentenmark"
Pommer ging in die Deutsche Bank und ließ sich bei Herrn von Stauß melden. Die Miene des Bankdirektors verfinsterte sich, als er den Filmmann sah. „Sie wollen sicher wieder Geld?" Pommer nickte. „Wieviel?" „Um ,Metropolis' fertigzustellen, brauche ich eine Million!"
Herr von Stauß wurde grün im Gesicht. „Ich verliere meine Stellung!" Er verlor sie nicht. Immerhin, es handelte sich bei der Million nicht mehr um Inflationsmark, sondern um gute Rentenmark.
Die UFA bekommt einen Generaldirektor
Also mußte etwas geschehen. Herr von Stauß beschloß, einen Generaldirektor zu bestellen, der im Hauptberuf so etwas wie Sparkommissar sein sollte. Seit zehn Monaten hat die UFA keinen Generaldirektor mehr gehabt.
Die Vorstandsmitglieder waren gleichberechtigt, und keiner ließ sich von dem anderen etwas sagen. Jetzt erklärte Emil Georg von Stauß, dies müsse aufhören. Und da er zu den Männern der Filmindustrie nicht das geringste Vertrauen mehr hatte - was nicht weiter verwunderlich erscheint - holte er einen Kollegen, den Direktor der Württembergischen Vereinsbank, Dr. Ferdinand Bausback, an die Spitze der UFA.
Bausback soll aufräumen und Sparmaßnahmen durchführen. Er ist ein guter Bankdirektor. Aber mit dem Film hat er bisher nie zu tun gehabt, hat auch kein rechtes Verhältnis zu ihm und weiß so gut wie nichts von dem Handwerklichen dieser neuen Industrie. Die Filmleute bekommen das bald heraus.
Aus Dr. Ferdinand Bausback wird alsbald „Staußback"
Und sie geben ihm den Spitznamen „Staußback" - weil er schließlich von Herrn von Stauß eingesetzt wurde.
Erich Pommer hat viele erregte Auseinandersetzungen mit den beiden Herren von Stauß und Bausback. Die deuten an, daß im März 1926 Pommers Vertrag ablaufe. „Schließlich ist es noch gar nicht sicher, ob Ihr Vertrag verlängert wird, Herr Pommer!"
Pommer nimmt solche Drohungen nicht tragisch. Er braucht es auch nicht zu tun. Er hat ein halbes Dutzend Angebote aus Amerika in der Tasche. Er kann sich, wenn es nötig ist, die beste Offerte aussuchen.
Der Banker Stauß möchte die UFA am liebsten verkaufen
Stauß, der den Tag verflucht, an dem er die UFA gegründet hat, möchte sie am liebsten verkaufen. Erich Pommer ist entschieden gegen einen Verkauf. Er steht auf dem Standpunkt, daß die UFA zu retten sei.
Immerhin besitzt die UFA rund zwanzig fertige Filme, die überhaupt noch nicht oder kaum ausgewertet worden sind. Außerdem hat er, Pommer, achthunderttausend Goldmark in Tonfilmexperimente gesteckt. Davon erwartet er sich früher oder später einen großen Gewinn für die UFA.
„Die Filme können wir abschreiben!" erklärt Bausback. Und was die Tonfilmexperimente angeht - da ist jeder Pfennig verloren!"
Er ist so felsenfest davon überzeugt, daß er die Tonfilmerfindungen, die die UFA gemacht hat, sogleich für ein Butterbrot - rund 60.000 RM - an ein Schweizer Konsortium verkauft.
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Pommer beschwört : Wir müssen exportieren!
Pommer gibt das Rennen noch nicht auf. „Wir müssen exportieren! Fünfundsechzig Prozent aller Filme, die in Deutschland laufen, stammen aus Amerika. Wenn die Amerikaner exportieren können, warum sollten wir es nicht auch schaffen?"
Bausback, der sich noch nicht richtig eingearbeitet hat, fragt naiv: „Warum tun wir es denn nicht?" „Weil unsere Filme zu schlecht sind!"
Pommer sagt die Wahrheit. Die vier oder fünf Filme, die er im Jahr produziert, werden auf der ganzen Welt aufgeführt. Der Rest ist Schweigen. Man kann schon von Glück sagen, wenn dieser Rest in Deutschland sein Geld einspielt.
Pommer versucht auch weiterhin, Filme auf die Beine zu stellen, die exportfähig sind. Bausback versucht zu sparen. Seine Devise: „Nichts darf teurer sein als es bisher gewesen ist. Aber nach Möglichkeit soll alles viel, viel weniger kosten ...
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UFA Generaldirektor Bausback fährt nach Babelsberg
Bausback fährt nach Babelsberg und durchmißt die Ateliers, um eine Stelle zu finden, an der er mit seinen Sparmaßnahmen einsetzen könnte. Er findet nichts und niemanden. Denn die Produzenten, Regisseure und Schauspieler flüchten, sobald sie seiner ansichtig werden.
Man erzählt sich in der UFA lustig« Geschichten über den Sparkommissar, die sicher nicht alle stimmen. Eine beginnt damit, daß Bausback eine neue elektrische Kamera besichtigt.
Er fragt den Kameramann: „Was ist das?" „Eine der neuen elektrisch betriebenen Kameras."
Bausbacks Miene verdüstert sich. „Die haben wir jetzt gekauft?" „Ja, vor ein paar Wochen ..." „Sind sie sehr teuer?" „Ich glaube schon ..." „Und diese Ausgabe war notwendig?" „Ich glaube schon ..." Der Sparkommissar wendet sich zum Gehen. Im letzten Moment hat er noch einen Einfall. „Mit wieviel Volt wird die Kamera betrieben?"
Der Kameramann antwortet: „Mit zweihundertzwanzig Volt!" Daraufhin der sparsame Bausback, indem er warnend den Finger hebt: „Dabei muß es aber auch bleiben!"
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Durch Sparmaßnahmen allein ist die UFA nicht zu retten.
Geld, das nicht da ist, kann man nicht einsparen. Woher Geld nehmen? Plötzlich meldet sich ein Interessent, der bereit ist, fünfzehn Millionen Reichsmark an die UFA zu zahlen.
Es handelt sich um Carl Lämmle, einen ehemaligen Deutschen, der in seiner Jugend nach Amerika ging und Präsident und Besitzer der "Universal Studios" in Hollywood ist.
Für fünfzehn Millionen will er die UFA zwar nicht schlucken, wohl aber kontrollieren. Er will insbesondere die Käufe fremder Filme für die UFA-Theater kontrollieren. Das würde bedeuten, daß die UFA-Theater künftig vor allem Universal-Filme spielen müßten.
Und das würde bedeuten, daß die UFA künftighin die Filme der Konkurrenz von der Universal, das sind Paramount und die der Metro-Goldwyn-Mayer, nicht mehr spielen könnte.
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Die Paramount und Metro-Goldwyn-Mayer handeln schnell.
Sie schicken Vertreter zu Herrn von Stauß. Sie schlagen die Gründung einer Vertriebsgesellschaft vor, die vierzig amerikanische Filme - natürlich die Filme der Paramount und der Metro-Goldwyn-Mayer - und zwanzig UFA-Filme jährlich in Deutschland vertreiben soll. Und die UFA-Theater sollen 75 Prozent ihrer Spieltermine dieser neuen Vertriebsgesellschaft zur Verfügung stellen.
Dafür wollen Paramount und Metro-Goldwyn-Mayer einen Kredit von vier Millionen Dollar geben. Auf diese "Weise hoffen Paramount und Metro-Goldwyn-Mayer sich zu sichern, das heißt, ihre Filme werden weiterhin in den großen UFA-Thea-tern gespielt werden.
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Und die deutschen Filme?
Ein solches Abkommen muß doch automatisch auf Kosten der deutschen, das heißt also der UFA-Filme gehen.
Pommer warnt. „Wir geben uns völlig in die Hände der Amerikaner." Aber die Herren von Stauß und Bausback sehen die Falle nicht, in die sie gelockt werden. Und die UFA gründet mit der Metro-Goldwyn-Mayer und der Paramount die vorgeschlagene Vertriebsgesellschaft, die UFA-Film-Vertriebs-GmbH., „Parufamet" genannt.
Der Zweck dieser Vertriebsgesellschaft: sechzig Filme pro Jahr in Deutschland zu vertreiben, je zwanzig von jeder der drei Gesellschafter.
Fünfundsiebzig Prozent der Spielzeit der UFA-Theater müssen, wie von den Amerikanern gefordert, den Filmen der Parufamet reserviert werden. Auf dem Papier hat die UFA freilich auch das Recht, zehn ihrer Filme nach Amerika zu exportieren.
Die amerikanischen Partner übernehmen jedoch nicht die Verpflichtung, sie in ihren Uraufführungstheatern am New Yorker Broadway, in den Kinopalästen von Chikago, Los Angeles, Philadelphia aufzuführen oder sie durch ihre riesigen Theaterketten in die Provinz zu schleusen.
Die beiden Deutsch-Banker laufen voll in die Falle rein
Dr. Bausback, der noch weniger Ahnung vom amerikanischen Filmgeschäft hat als vom deutschen - wenn das überhaupt möglich ist - ahnt nicht, welchen Unterschied es bedeutet, ob ein Film im New Yorker Capitol herauskommt - dem größten Kino der Welt - oder in einem Kintopp in Yorkville, dem deutschsprachigen Viertel New Yorks, im wesentlichen besucht von eingewanderten Dienstmädchen, Handwerkern und Arbeitern.
Nicht einmal Filmkritiker verirren sich nach Yorkville, und das große amerikanische Publikum weiß überhaupt nicht, was dort in der Vorstadt gespielt wird.
Dies alles erfährt Dr. Bausback aber erst im Verlauf der nächsten Monate. Ja, er muß bald darauf feststellen, daß mit ganz wenigen Ausnahmen die UFA-Filme in Amerika überhaupt nicht aufgeführt werden.
Der Parufamet-Vertrag wird der Generalversammlung Anfang Januar 1926 vorgelegt und von ihr gebilligt, von der gleichen Generalversammlung, die das Engagement des Direktors Bausback bestätigt.
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Pommer weiß, was jetzt passiert und zieht die Konsequenzen.
Er bittet um augenblickliche Lösung seines Vertrages. „Und was werden Sie tun?" will Dr. Bausback von Pommer wissen. „Ich habe keine Ahnung!" erwidert dieser. Das entspricht der Wahrheit. Im letzten Augenblick kommen dem Aufsichtsrat doch Bedenken.
Wenn Pommer zu einer Konkurrenzfirma geht - die UFA wäre ruiniert, wenn es überhaupt noch etwas an ihr zu ruinieren gäbe. Es ist vielleicht doch besser, Pommer zu halten. Dr. Bausback muß also wohl oder übel wieder mit Pommer verhandeln.
Der lächelt grimmig: „Ich habe keine Lust mehr, mit Ihnen zu arbeiten. Aber ich weiß, wovor Sie Angst haben. Seien Sie beruhigt, ich gehe nicht zur Konkurrenz. Ich glaube, ich brauche Luftveränderung. Kalifornien hat ein gutes Klima."
Und jetzt enthüllt die Buschtrommel intime Details
Kaum ist Pommer aus der UFA ausgeschieden - er fährt am 10. Februar 1926 mit der „Mauretania" nach New York - da erscheinen in verschiedenen Zeitungen sowohl in Berlin, als auch in Leipzig, Hamburg und in Köln einige Artikel, die die hohen Produktionskosten der Pommer-Filme bejammern.
Die Schreiber dieser Artikel erweisen sich als außerordentlich gut informiert. Sie wissen über Vorfälle Bescheid, die eigentlich nur einige wenige Hochgestellte der UFA kennen können.
Übrigens wird mit keinem Wort erwähnt, daß die teuren Pommer-Filme die einzigen waren, die außerhalb Deutschlands überhaupt gezeigt werden konnten, und die vor allem auch einen überaus wichtigen internationalen Prestigegewinn für die UFA bedeuteten.
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FAUST UND DIOTIMA
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Emil Jannings könnte schon längst in Hollywood sein
Etwa drei Monate vor der Uraufführung von „Metropolis" kommt „Faust" (heraus. Emil Jannings könnte - wie Erich Pommer - längst in Hollywood sein. Er hat seit „Madame Dubarry" fast ununterbrochen amerikanische Angebote erhalten. Er hat sie alle abgelehnt, obwohl die Gagen, die man ihm bot, für deutsche, ja für europäische Begriffe astronomisch waren.
Warum? Genau weiß er es selbst nicht. Er hat ein bißchen Angst. Er kann sich nicht recht vorstellen, wie das drüben sein wird. In Deutschland hat er sich durchgesetzt. Aber wenn es in Amerika nun nicht klappt? Was dann?
Auch Murnau hat seit dem „Letzten Mann" zahlreiche Angebote erhalten. Auch er zögert. Ihm geht es vor allen Dingen darum, Filme zu machen, wie er sie machen will. Was nützen ihm zehntausend, ja, hunderttausend Dollar, wenn er irgendwelche Stoffe verfilmen muß, an die er nicht glaubt?
An welche Stoffe glaubt Murnau denn?
Er ist durch den mißglückten „Tartuffe"-Film nicht entmutigt. Durchaus nicht. Warum soll man Klassiker nicht verfilmen? Er bespricht sich mit Jannings. „Vielleicht hätten wir nicht gerade mit „Tartuffe" beginnen sollen ... Dieses Lustspiel kann man schließlich auf der Bühne mindestens ebenso gut zeigen wie am Film!" „Besser!" bemerkt Jannings trocken. Er macht sich selbst nie etwas vor.
„Aber es gibt auch andere klassische Dramen, die auf der Bühne niemals zu voller Wirkung gelangen können. Nehmen wir zum Beispiel den ,Faust'. Die Szene der Verwandlung des alten in den jungen Faust läßt immer etwas zu wünschen übrig. Die Walpurgisnacht wirkt mehr lächerlich als überzeugend. All die Zaubereien des Mephisto schmecken ranzig. Man sieht, wie sie gemacht sind ..."
„Da ist was dran", muß Jannings zugeben. „,Faust' ist ein Drama, das man wohl besser lesen als sehen sollte." „Nicht unbedingt. Vielleicht sollte man ,Faust' nur nicht im Theater sehen ...." Jannings glaubt nicht recht gehört zu haben. „Sie meinen, Murnau ...?" „Jawohl, ich denke, wir machen einen Faustfilm."
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Carl Mayer lehnt den "Faust" entsetzt ab.
„Faust ist doch ein alter Schinken! Da mache ich auf keinen Fall mit!" Hans Kyserjedoch, ein Schriftsteller von gewissem Rang, ist bereit, unter Benutzung von Goethe, Marlowe, alten Puppenspielen und zahlreichen anderen Quellen einen Faustfilm zu schreiben.
Gerhart Hauptmann ist sogar bereit, die Zwischentitel zu dichten. Den Mephisto soll - natürlich - Jannings spielen. Und die bekannte französische Diseuse Yvette Guilbert die Kupplerin Martine Schwerdtlein.
Und wer das Gretchen? - die völlig unbekannte Camilla Hörn
Aber wer, um Gottes willen, soll im Faustfilm den Faust machen? Und wer das Gretchen? Insbesondere die zweite Frage scheint unlösbar. Hunderte von jungen Schauspielerinnen und solchen, die es werden wollen und nie werden können, machen Probeaufnahmen. Unter anderen auch, mit blonder Perücke, die Tänzerin Leni Riefenstahl.
Schließlich wird die völlig unbekannte Camilla Hörn erwählt, bis dahin Tänzerin in den intimen Revuen, die Rudolf Nelson am Berliner Kurfürstendamm aufführt, und gelegentlich Filmstatistin. Sie ist sehr schön. Eine Schauspielerin ist sie noch nicht.
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Und Faust? Wer kann den Faust spielen ?
Einen Faust, der alt und jung zu gleicher Zeit sein muß, der ein Liebhaber ist und bedeutend wirken soll? Den Männern von der UFA fällt niemand ein.
Übrigens drängt sich auch kein Schauspieler danach, den Faust zu spielen. Denn jeder weiß, daß der Mephisto Jannings den Faust an die Wand spielen wird. Ja, daß der Film vermutlich Mephisto heißen sollte und nicht Faust. Jannings ist großartig.
Der Faust des Schweden Gösta Ekman wird eine einzige Peinlichkeit. Ekman wirkt etwa wie ein Heldentenor ohne Stimme. Er ist glatt, gepflegt, ohne jede Bedeutung und genau das Gegenteil von dem, was man sich unter Faust vorstellt. Camilla Hörn sieht reizend aus und spielt neckisch.
Murnau übertrifft sich manchmal selbst. Gewisse Szenen, besonders die märchenhaften, irrealen, wie etwa die Reise des Mephisto mit dem verjüngten Faust durch die Luft, wirken geradezu atemraubend. Dann wieder entgleist Murnau. Sein Osterspaziergang ist verfilmte Marlitt. Und das gilt nicht nur vom Osterspaziergang.
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Der Faustfilm ist ein großer Film - aber kein Erfolg.
Ein Film, der viel Geld kostet, und der auch mit viel künstlerischem Ehrgeiz gemacht worden ist. Aber ein Erfolg wird er nicht. Das durchschnittliche Kinopublikum lehnt ihn ab, weil er - abgesehen von den Jannings-Szenen - tödlich langweilig ist.
Die Gebildeten lehnen ihn ab, weil sie es für ein Sakrileg halten, den Faust zu verfilmen.
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Jetzt fahren auch Jannings und Murnau nach Amerika
Bald darauf fährt Emil Jannings, von Lubitsch geholt, nach Amerika. Und Murnau folgt ihm auf dem Fuß. Keiner von beiden verläßt Deutschland gern.
Leni Riefenstahl und der „Heilige Berg"
Und was ist aus dem anderen, sozusagen metaphysischen Film der UFA geworden, dem „Heiligen Berg"? Jenem Film, dessen Außenaufnahmen so viele Unglücksfälle hervorriefen, daß die UFA ihn schließlich abblies?
Die UFA hat nicht mit der Hauptdarstellerin gerechnet, mit Leni Riefenstahl, die einen dicken Schädel besitzt. Sie hat Blut geleckt. Jetzt aufgeben, da sie überhaupt erst begriffen hat, was filmen heißt? Sie versetzt ihren Schmuck.
Sie fährt mit dem Kamera-Assistenten Benitz nach Montreux, um dort gewisse Aufnahmen zu machen - es ist kein Tag zu verlieren, denn in diesen Szenen spielen blühende Narzissen eine große Rolle, und die blühen nur ein paar Wochen. Die Aufnahmen gelingen.
Als die UFA-Leute sie im Vorführungsraum sehen, sind sie begeistert. Vielleicht sollte man den Film doch zu Ende drehen? Aber das würde bedeuten, daß man noch ein halbes Jahr warten muß, bis wieder Schnee in den Bergen fällt ......
Die UFA greift für den „Heiligen Berg" noch einmal in die Tasche ...
Und daß man noch einmal tief in die Tasche greifen muß. Die UFA greift noch einmal in die Tasche ..... und wartet.
Leni Riefenstahl tanzt wieder und wartet. Als Tänzerin ist sie berühmter denn je. Bei der UFA sagt man ihr, daß sie ein großer Filmstar werden kann. Aber sie fühlt sich nicht als Filmstar. Sie fühlt sich als Mitglied einer großen Familie, die einen Film macht. Mit Ungeduld zählt sie die Tage bis zum Herbst. Diesmal gibt es auch keine Zwischenfälle mehr.
Die Premiere Weihnachten 1926 im UFA-Palast am Zoo
Innerhalb weniger Wochen wird der Film abgedreht. Die Premiere findet Weihnachten 1926 im UFA-Palast am Zoo statt. Die Reklame verkündet, der Film sei „nach eineinhalbjähriger Arbeit in den Alpen fertiggestellt".
Im Vorspann ist zu lesen: „Die Kunststücke der Bergsteiger sind keine Tricks, sondern echte Leistungen." Bravo!
Während der Film läuft, wird oft spontan geklatscht, freilich auch gelacht, besonders bei den Zwischentiteln, die manchmal hart am Rande des Kitsches sind.
Alles in allem ein Riesenerfolg.
Das beweisen schon die Anzeigen einen Tag nach der Premiere: „Um dem Unwesen der Billetthändler gegenzusteuern, hat sich die UFA entschlossen, einen Vorverkauf numerierter Karten zu Originalpreisen für sieben Tage im voraus für den ,Heiligen Berg' einzurichten." Der Film wird ein Geschäft.
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Auch „Metropolis" wird Anfang 1927 ein Riesenerfolg .......
.... zumindest ein gewaltiger Prestigegewinn für die UFA, allerdings ein teuer erkaufter: Allein eine halbe Million wurde für Dekorationen und Beleuchtung ausgegeben, und über hundertfünfzig Schauspieler wirkten mit, nicht zu sprechen von der riesigen Komparserie, von den Kindern, Japanern, Chinesen und Negern.
Rund 500.000 Meter Negativ wurden verbraucht. Der Film kommt übrigens erst Anfang 1927, also nach dem „Heiligen Berg", im Berliner UFA-Palast am Zoo heraus.
Die UFA klotzt. was das Zeug hält ..
Große Auffahrt. Berittene Polizei, die die Zufahrtsstraßen absperrt. Die Damen in Abendkleidern, die Herren in Frack und Smoking.
Fast die gesamte Reichs-Regierung ist erschienen, sogar der alte Reichspräsident von Hindenburg; er sitzt in der Ehrenloge und wird nachher ein paar lobende Worte sprechen, obwohl böswillige Zuschauer behaupten, er habe während der Vorstellung gerade bei den besten Stellen in seinem Sessel sanft geschlummert. Jedenfalls hat ihn der Film stark beeindruckt.
Als Brigitte Helm und Fritz Lang vor den Vorhang treten, toben die Menschen eine gute halbe Stunde. Ein besonderer Triumph für Fritz Lang ist der Erfolg des Filmes in Amerika.
Denn eigentlich wollten die Amerikaner „Metropolis" zuerst nicht übernehmen. Aber dann stellt sich heraus, daß Fritz Längs Film nicht nur fast amerikanisch, sondern amerikanischer ist als die allermeisten amerikanischen Filme.
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GEFAHR AUS DEM OSTEN
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Auch in der Sowjetunion werden Filme hergestellt
Kaum hat sich die UFA mit den Millionen aus Hollywood saniert - oder glaubt wenigstens, sich saniert zu haben - da taucht eine neue Gefahr auf. Aus dem Osten. Natürlich wußte man in der deutschen Filmindustrie, daß auch in der Sowjetunion Filme hergestellt wurden.
Das kostete die Direktoren und den Generaldirektor, den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Geldgeber kaum ein Lächeln.
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Rußland hungert! Rußland verhungert!
In Rußland laufen die Leute ohne Schuhe und Strümpfe herum! Was können die schon an anständigen Filmen produzieren!
Doch da kommt „Panzerkreuzer Potemkin" heraus. Er läuft in einem ehemaligen Variete-Theater in der unteren Friedrichstraße in Berlin an, in einer typisch „schlechten" Gegend, dort, wohin sich kaum je das zahlungskräftige Publikum verirrt.
Es handelt sich nicht einmal um ein richtiges Kino, die Filmpaläste sind auf Monate, wenn nicht Jahre hinaus mit Programmen versorgt, mit deutschen und amerikanischen Spitzenfilmen, vor allem natürlich mit den Erzeugnissen der Parufamet.
Die Direktoren der Filmpaläste würden den russischen Film auch nicht gespielt haben, wenn sie Termine frei hätten. Warum sollten sie? Dabei kann doch nichts Vernünftiges herauskommen!
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Und dann kommts knüppeldick
Und dies ist, was dabei herauskommt, und was sich über Nacht in Berlin herumspricht: „In der unteren Friedrichstraße läuft ein toller Film!" Und: „Den muß man gesehen haben!" Und: „Kommunistische Propaganda? Schon möglich ... Aber was für ein Film!"
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„Panzerkreuzer Potemkin"
Übrigens ist der Regisseur des Films, Sergej M. Eisenstein, kein Kommunist. Als er bald nach seinem großen Erfolg in Moskau von einem deutschen Journalisten interviewt wird, stellt er das ausdrücklich fest: „Die Partei ist für die Arbeiter da!"
Die Handlung des „Panzerkreuzer Potemkin" spielt sich innerhalb weniger Stunden ab.
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Zeit der Handlung: Der russisch-japanische Krieg 1904.
Ort der Handlung: Der russische Panzerkreuzer „Potemkin". Dort kommt es zu einer Revolte der Matrosen, die keine Lust mehr haben, verdorbenes Fleisch zu essen und unter unmenschlichen Bedingungen zu schuften.
Der Kommandant, flankiert von seinen korrupten, bösen und naturgemäß reaktionären Offizieren, will die Meuternden standrechtlich erschießen lassen. Schon stehen sie vor den Gewehren derer, die nur auf das Kommando warten, um abzudrücken.
Das Kommando kommt, aber sie drücken nicht ab. Plötzlich dämmert es denen vom Liquidationskommando: sie sollen auf ihre Brüder schießen. Nun gehen sie zu ihnen über. Die Revolte an Bord des Panzerkreuzers ist ausgebrochen. Die Offiziere werden über Bord geworfen. Die Revolutionäre übernehmen das Kommando.
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Der Panzerkreuzer läuft den Hafen von Odessa an.
Und sofort spricht es sich in der Stadt herum: Die vom „Potemkin" haben revoltiert! Die gesamte Bevölkerung eilt nun zum Hafen. Viele aus Sensationsgier, viele, weil sie im Herzen mit den revoltierenden Matrosen sympathisieren, weil auch sie genug haben von der Willkürherrschaft des Zaren und seiner Clique.
Aber noch ist es zu früh. Noch verfügt das Regime über genügend Machtmittel, zu verhindern, daß aus der Revolte eine Revolution wird. Plötzlich erscheinen die Kosaken: Hünen in hellen Uniformblusen, die zu zwanzig oder zu dreißig nebeneinander hermarschieren und bei jedem zehnten Schritt in die Menge schießen.
Sie ziehen durch die Stadt, sie schreiten die riesige Treppe zum Hafen hinunter wie Roboter, ohne Gefühl, ohne Reaktion auf das, was sie sehen, wie hypnotisiert von dem Befehl, den Hafen zu säubern. Panik. Alles flüchtet. Jeder versucht, sich zu retten. Niemand vermag sich zu retten. Unaussprechliche Szenen der Verzweiflung spielen sich ab.
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Und dann kommt die Szene mit dem rollenden Kinderwagen
Eine Mutter wird zu Tode getroffen; der Kinderwagen, den sie eben noch vor sich herschob, rollt jetzt in irrem Tempo die Riesentreppe hinunter. Ein junger Mann versucht, mit den Kosaken zu reden - wird über den Haufen geschossen. Eine alte Frau wird von der Menge zertrampelt. - Von den Fliehenden oder den Verfolgern?
Die Revolte an Land ist niedergemetzelt, noch bevor sie in Gang kam. Nun sollen die vom Panzerkreuzer „Potemkin" zur Rechenschaft gezogen werden von Kriegsschiffen des Zaren, die bereits zu diesem Zweck ausgelaufen sind und den Hafen von Odessa umstellt haben.
Aber in letzter Minute geschieht ein Wunder. Die auf den „Potemkin" gerichteten Schiffskanonen schießen nicht. Das Schiff mit den Revolutionären gewinnt die hohe See, verschwindet sozusagen ins Nichts, eine Art „Fliegender Holländer" der Revolution, die erst viele Jahre später ausbrechen wird ...
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Die Wirkung ... Worin eigentlich liegt die Wirkung?
Dies der Inhalt. Er kann die Wirkung des Films kaum andeuten. Die Wirkung ... Worin eigentlich liegt die Wirkung? Sie liegt darin, daß man in dem Film etwas sieht, was man eigentlich noch nie gesehen hat, weder im Film, noch auf dem Theater, noch in der Wirklichkeit, nämlich:
wie eine Revolution entsteht; wie aus dem Nichts plötzlich eine Volksbewegung wird; wie eine Macht, eben noch unbezwinglich, ja, unangreifbar und unverwundbar, sozusagen wie ein Kartenhaus zusammenbricht - durch nichts als einen Windstoß; wie ein Tropfen das Faß zum Überlaufen bringt.
Zweimal wird das gezeigt: einmal, als die bereits verlorenen Meuterer auf dem „Potemkin" plötzlich Sieger werden; zum zweiten Mal, als die geruhsamen Einwohner von Odessa plötzlich begreifen, daß auch sie genug haben von der Gewaltherrschaft des Zaren, daß sie handeln müssen, wenn sie jemals das Joch der Fron abschütteln wollen, daß sie den Empörern um jeden Preis beistehen müssen.
Die Hauptwirkung des „Panzerkreuzer Potemkin" ist eine politische. Der „Panzerkreuzer Potemkin" ist der erste große politische Film unserer Zeit.
Ein junger Mann namens Joseph Goebbels begreift das sofort
Der erste, der das begreift, ist ein junger Mann namens Joseph Goebbels, Mitglied einer noch kleinen, unbedeutenden Partei, die den Kampf gegen den Kommunismus auf ihr Banner geschrieben hat.
Er ist gerade nach Berlin gekommen, zu irgendeiner „Führerbesprechung" - nach Berlin, um das er in wenigen Jahren einen Kampf führen wird, das er zu gleicher Zeit liebt und haßt - liebt, weil die Stadt ihm imponiert; haßt, weil er weiß, daß er sie nie wirklich besiegen kann.
Der junge Propagandist Joseph Goebbels also sitzt in einer Nachmittagsvorstellung des „Panzerkreuzer Potemkin" und ist tief erschüttert. Solche Filme müßte man machen! denkt er, und er denkt es nicht nur, er sagt es auch.
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Goebbels erklärt, der Film sei ein Meisterwerk und übersieht etwas bei Hitler sehr Wichtiges
Er erklärt im kleinen Kreise, daß dieser Film ein Meisterwerk ist und daß, wenn die Partei einmal an der Macht wäre, sie solche Filme herstellen lassen müsse. Ach, er weiß nicht, daß man „solche" Filme nicht herstellen lassen kann, daß es eines großen Künstlers bedarf, ein solches Werk zu konzipieren und zu schaffen.
Und auch später, als Goebbels allmächtiger Propagandaminister ist und immer wieder davon redet, es müsse nun endlich ein deutscher „Potemkin" entstehen, bleibt es bei dem Gerede: es entsteht kein deutscher „Panzerkreuzer Potemkin", weil es im ganzen Dritten Reich nicht einen einzigen Regisseur gibt, der ihn schaffen könnte.
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Der Regisseur die entscheidende Persönlichkeit für einen Film
Immerhin zeugt es von Mut, daß Goebbels immer wieder von dem großen russischen Film spricht, als kleiner Propagandist, der kaum das Geld aufbringen kann, sich eine Kinokarte zu kaufen, und als Propagandaminister mit Millionen hinter sich: denn der Mann, der den „Panzerkreuzer Potemkin" geschaffen hat, ist einer, dem der Nationalsozialismus jede Fähigkeit, ein künstlerisches Werk zu schaffen, rundweg abspricht.
Sergej M. Eisenstein ist nämlich Jude. Seit Ernst Lubitsch, seit Joe May, seit Mauritz Stiller und D. W. Griffith und Cecil B. de Mille, um zwei große Hollywood-Regisseure zu nennen, ist der Regisseur die entscheidende Persönlichkeit für das Gelingen oder Mißlingen eines Films. Von niemandem gilt das mehr als dem Russen Sergej M. Eisenstein.
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Eisenstein braucht keine Schauspieler, keine Stars
Jene anderen Regisseure - alle Filmregisseure - haben Schauspieler zur Verfügung, die im Mittelpunkt ihrer Filme stehen, schlechte und gute Schauspieler für große und kleine Rollen.
Auch Eisenstein hat ein paar gute Schauspieler, aber im „Panzerkreuzer Potemkin" gibt es keine großen Rollen, es gibt niemanden, der im Mittelpunkt der Handlung stände und sich austoben könnte.
Das Besondere der Handlung will es, daß die meisten Figuren nur für Augenblicke vor der Kamera erscheinen. Es kommt also alles auf den Mann an, der die Episoden nahtlos verbindet, der aus der Unzahl von kleinen Szenen ein Ganzes, eine optische Symphonie, macht.
Was ist es, das Eisensteins Film so spannend, so erregend, so - zumindest für die damalige Zeit - einmalig macht? Es ist sein Verzicht auf Schminke - in Wirklichkeit und im übertragenen Sinne.
Er zeigt die Gesichter seiner Menschen, wie die Gesichter der Menschen sind. Man sieht die Poren in der Haut, man sieht die Bartstoppeln, die Schweißtropfen. Die Augen sehen uns an. Die Menschen sehen uns an. Mehr tun sie nicht. Da gibt es kein „großes Spiel", da gibt es keine Gesten. Man hat nicht das Gefühl, gestellte Szenen zu sehen, sondern Wochenschauaufnahmen.
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Sein Publikum vegißt, im Theater zu sein
Eisensteins Fähigkeit ist, sein Publikum vergessen zu lassen, daß es Theaterpublikum ist. Die Zuschauer meinen, einem historischen Ereignis beizuwohnen, nicht einer Szene, die gestellt worden ist.
Dies ist auch der Grund für die Begeisterung von Joseph Goebbels, dies ist auch der Grund für die Innenminister von Bayern und von Württemberg, den „Panzerkreuzer Potemkin" in ihren Ländern zu verbieten.
Im Gegensatz zum jungen Goebbels, der sich als Revolutionär vorkommt, wünschen sie alles andere, als daß die erregten Massen auf den Gedanken kämen, es den Matrosen in Eisensteins Film nachzumachen.
Das Verbot bedeutet unbezahlbare Reklame.
Das Verbot bedeutet unbezahlbare Reklame. Und da dieses Verbot ganz illegal ist, hebt die Filmoberprüfstelle es auf. Bayern und Württemberg erklären nunmehr, die öffentliche Sicherheit sei gefährdet, wenn der Film gezeigt würde, und halten das Verbot aufrecht.
Die öffentliche Sicherheit gefährdet durch einen Film! denkt der junge Goebbels. Das muß ich mir merken! Und er merkt es sich und wird fünf Jahre später eine seiner größten Propagandaaktionen starten, indem er mit weißen Mäusen gegen einen Film vorgeht.
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