Mechau verläßt Zeiss nach 10 Jahren
Dr. Siedentopf, der Mechau nicht für Zeiss verlieren möchte, setzt danach noch durch, dass er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in sein Laboratorium für optische Sondergeräte versetzt werden kann. Er teilt dies Mechau am 31. 12. 1909 mit, der jedoch das Angebot dankend ablehnt. So verlässt Mechau nach fast zehnjähriger Tätigkeit und unter Verzicht auf die während dieser Zeit erworbenen Ansprüche an die Abbe-Stiftung das Zeisswerk. Zur Beendigung seines Studiums an der Universität fehlt ihm nur noch je eine Vorlesung über Zahlentheorie und Differentialgleichungen.
Damit sitzt Mechau natürlich nicht auf der Straße und sein Ultimatum war auch keine leere Drohung. Er war für diese Situation gut vorbereitet, da er sich inzwischen umgesehen hatte, wo er wohl seine Ideen endlich in die Wirklichkeit umsetzen und seine Fähigkeiten besser anwenden kann, als hier bei Carl Zeiss in Jena.
Leitz Wetzlar wäre die richtige Firma
Auf seiner Suche nach einem neuen Arbeitgeber während seines Krankseins erinnert sich Mechau eines früheren Gesprächs mit einem Mechanikermeister, der ihm von seiner großzügigen Selbständigkeit als Abteilungsleiter und Konstrukteur bei Leitz erzählt hatte.
Deshalb richtet Mechau seinen Blick nach Wetzlar, um dort sein Glück zu versuchen. Seit einigen Jahren hat die Firma Ernst Leitz, als ein aufstrebender, mittelgroßer Hersteller von Präzisionsinstrumenten, besonders Mikroskopen, weit über den hessischen Raum hinaus von sich einen Namen gemacht.
Bereits am 30. Oktober 1909 bewirbt sich Mechau mit dem folgendem Schreiben:
Firma Ernst Leitz, Wetzlar
Sehr geehrter Herr!
Erlaube mir hiermit die höfliche Anfrage, ob Sie vielleicht geneigt sind, mich in Ihrem Betriebe für eine Stellung aufzunehmen, in der es mir möglich ist, mich auf irgend einem Ihrer Fabrikationsgebiete wissenschaftlich und technisch zu betätigen.
Ich lasse in folgendem eine kurze Beschreibung meiner bisherigen Tätigkeit und wissenschaftlichen Ausbildung folgen.
Nach Beendigung meiner vierjährigen Lehrzeit als Mechaniker bei der Firma Robert Reiß in Liebenwerda, wo ich im Bau geodätischer Instrumente unterrichtet worden bin, trat ich am 24. April 1900 bei der Firma Carl Zeiss hier als Gehilfe ein und bin heute noch bei ihr tätig. Anfangs war ich einige Jahre in der damaligen Versuchswerkstätte mit dem Bau vollständiger Apparate verschiedener Arbeitsgebiete meiner Firma beschäftigt und wurde dort unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Dr. Siedentopf bekannt.
Auf seinem Wunsch erfolgte bald darauf meine Aufnahme in dem von ihm geleiteten Laboratorium für optische Sonderaufgaben, welches sich später aber als Speziallaboratorium zur Ausarbeitung von mikroskopischen Apparaten etc. ausbildete. Hier hatte ich sechs Jahre hindurch Gelegenheit, mir im optischen Instrumentenbau, von den ersten Versuchsanfängen bis zur rationellen Fabrikation der Optik und Mechanik sowie in der praktischen Anwendung der Optik, Kenntnisse zu erwerben, die mir in Verbindung mit den an hiesiger Universität gewonnenen theoretischen Kenntnissen, in der gewünschten Stellung gut zu statten kommen dürften.
Ich stand in dieser Stellung einer kleinen Versuchswerkstatt vor in der die einschlägigen Apparate nach meinen Angaben hergestellt wurden. Ich fand dadurch Gelegenheit mich konstruktiv zu betätigen. Ferner war es in dieser Stellung möglich, mich mit der Herstellung nichtsphärischer Linsenflächen und den erforderlichen Kontrollmethoden vertraut zu machen, wobei ich zur Konstruktion einiger Fabrikationsmaschinen und Kontrollapparate geführt wurde.
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Der größte Teil meiner Beschäftigung bestand jedoch im Experimentieren auf dem Gebiet der Mikroskopie im allgemeinen, Ultramikroskopie und Dunkelfeldbe-leuchtung, Mikroprojektion und Mikrophotographie. Auf diesen Gebieten habe ich mir vollständige Selbständigkeit angeeignet. Ferner habe ich die Mikroskopie bei hohen Temperaturen selbständig bearbeitet und glaube auch, mir in Bezug auf Polarisationseinrichtungen volle Selbständigkeit in der Bearbeitung dieses Gebietes zutrauen zu dürfen. Auch zur Demonstration meiner Apparate wurde mir des öfteren Gelegenheit gegeben. Auf Reisen, welche ich zu diesem Zweck unternahm, besuchte ich auch die Kongresse der Naturforscher und Ärzte.
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Parallel zu dieser meiner sehr technischen Ausbildung erfolgte an hiesiger Universität die theoretische. In meiner freien Zeit besuchte ich dort folgende Vorlesungen:
Sphärische Astronomie,
Analytische Geometrie der Ebene und des Raumes,
Differential- und Integralrechnung,
Technische Elastizität- und Festigkeitslehre,
Technische Thermodynamik,
Grundlagen der neueren Elektrizitätslehre,
Wahrscheinlichkeitsrechnung und Methode der kleinsten Quadrate,
Einleitung in die Theorie des Mikroskops,
Grenzen der mikroskopischen Wahrnehmung und ihre Erweiterung durch die Mikrophotographie,
Übungen zu den angeführten Vorlesungen.
Die allgemeine Physik habe ich nach guten Lehrbüchern betrieben, ebenfalls geometrische und rechnende Optik. Meine Fähigkeiten auf letzterem Gebiet schließen zunächst die Berechnungen photographischer und mikroskopischer Objekte aus, jedoch wäre ich nicht abgeneigt, diesem Arbeitsfeld näher zu treten.
Den Grund dieser Zeilen bildet meine vor einem Jahr erfolgte Versetzung in unser Konstruktionsbüro, in dem mir die zum Teil recht vorwiegende zeichnerische Tätigkeit nicht behagen will und die Aussichtslosigkeit, da alle Abteilungen reichlich datiert sind, hier zu einer meinen Fähigkeiten angemessenen Stellung und Bezahlung zu gelangen.
Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß ich die mir gebotenen Ausbildungsmöglichkeiten gut ausgenutzt zu haben glaube.
Auskunft über meine Fähigkeiten zu erteilen dürften folgende Herren die Liebenswürdigkeit besitzen:
Herr Fr. Gresitza Werkmeister, Jahnstraße, JenaHerr Prof. Dr. Ambronn Universitätslehrer, Engelstraße, Jena
Herr Dr. von Ignatowski1, Aufenthalt unbekannt.
Auch wäre es möglich, daß sich einer Ihrer Herren von den Naturforscher-Kongressen her sich meiner erinnerte.
Ich zeichne mit größter Hochachtung ehrerbietigst
Emil Mechau
Talstr. 6
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Die Antwort
Schon am 6. November erhält er die folgende Antwort:
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- Herrn Emil Mechem,
Jena.
Talstraße 6
Auf Ihre geschätzte Zuschrift vom 30. v. M. zurückkommend teile ich Ihnen mit, dass ich eventl. nicht abgeneigt bin von Ihrem gefäll. Dienstanerbieten Gebrauch zu machen, zuvor möchte ich Sie aber bitten, sich zunächst persönlich hier vorzustellen.
Die Ihnen durch die Reise entstehenden Kosten sowie den eventl. Lohnausfall bin ich bereit, Ihnen in jedem Fall zu vergüten.
Ihren diesbezüglichen weiteren Nachrichten entgegensehend, zeichne ich,
Hochachtungsvoll!
E. Leitz
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Mechau fährt im Nov. 1909 nach Wetzlar
Bei strömendem Regen trifft Mechau schon am 11. November mit dem Zug in Wetzlar ein. In der Nähe des Bahnhofs fragt er nach dem Weg zur Firma Leitz.
Als er dann an dem Gebäude ankommt, das man ihm als das der Leitzwerke angegeben hat, will er sogleich wieder umkehren, da man ihm irrtümlicherweise den Weg zu einem Gießereibetrieb gezeigt hat. Im Hotel "Zum Herzoglichen Haus" erzählt ihm dann auch noch der Oberkellner, dass bei der Firma Hensoldt Präzisionsinstrumente gebaut werden, bei Leitz dagegen stellt man Marktware, so genannte ‚blanke Sachen’, her. Mechau ist durch diese Bemerkungen nun noch mehr enttäuscht und sieht seiner Vorstellung bei Leitz am nächsten Tag mit sehr gemischten Gefühlen entgegen.
Wie überrascht ist er jedoch, als er dann am nächsten Morgen den Gründer der Leitzwerke und seinen 38-jährigen Sohn kennen lernt; zwei charaktervolle Männer, ohne Überheblichkeit und Kastengeist, wie er bemerkt.
Die Besprechung verläuft zu Mechaus vollster Zufriedenheit; man kommt ihm
weitgehend entgegen und behandelt ihn mit von Zeiss her ungewohnten, gebührendem Respekt. Auch seine Frage, ob er Gelegenheit erhält, an seinem Kinoprojektor mit optischem Ausgleich weiter arbeiten zu können, wird positiv beantwortet.
Den stärksten Eindruck erhält er jedoch am Abend vor seiner Rückreise nach Jena auf einem Gang zum nahe gelegenen Ort Naunheim. Ernst Leitz jr. hatte nämlich während der Unterredung in der Firma erwähnt, dass dort eine Wahlversammlung stattfinden soll.
Zu Mechaus Überraschung tritt Ernst Leitz jr. dort selbst als Wahlredner auf. Dieser Umstand und die in der Rede zum Ausdruck gebrachten, für jeden Anwesenden verständlich vorgetragenen sozialpolitischen Ansichten beeindrucken ihn tief und nachhaltig. Das Erlebnis ist so intensiv, dass es ihm für sein ganzes Leben greifbar nahe und lebendig bleibt. Da ihn eigentlich nur noch ‚Stimmungsmomente’, wie er es selbst bezeichnet, in Jena zurückhalten, fällt er an diesem Abend für sich selbst schon die Entscheidung, seine bei Zeiss begonnene Arbeit bei Leitz fortzuführen; eine Entscheidung, die er nie in seiner langen, wechselreichen Karriere bereuen wird.
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Mechau ist bei Leitz willkommen
Nachdem er seine Lage nach seiner Rückkehr in Jena nochmals überdenkt und mit seiner Frau bespricht, teilt er Ernst Leitz am 23. November mit, dass er bereit ist, seine Arbeit in Wetzlar aufzunehmen.
Sechs Tage später trifft dann auch schon die schriftliche Bestätigung von dort ein.
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- Herrn Emil Mechau, Jena.
In höflicher Beantwortung Ihres werten Schreibens vom 23. crt. teilen wir Ihnen mit, dass Ihr zukünftiges Arbeitszimmer mit den von Ihnen gewünschten Inventarien, sowie Zeichenutensilien bis zu Ihrem Eintritt eingerichtet wird.
Laut unseren mündlichen Abmachungen beträgt die Höhe Ihres Gehaltes M. 3000.- pro Jahr mit entsprechender Weihnachts Gratification nach einem Jahre, sowie einen 14tägigen Urlaub.
Die Arbeitszeit ist 8 Stunden und zwar Vormittags von 8-12, Nachmittags von 2-6 Uhr und 1/4 jährliche Kündigungsfrist.
Was nun die Eigentumsrechte an Ihren privaten Erfindungen auf kinematographischem Gebiet anbelangt, werden wir Ihnen dieselben überlassen; sollten wir uns jedoch später auf diesem Gebiete bestätigen, dann würde die Firma auf die Erfindungen welche Sie von diesem Zeitpunkt ab machen, Anspruch erheben. - Hochachtend
E. Leitz
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N.B. Eine kurze Mitteilung über den Zeitpunkt Ihres Eintrittes wäre mir angenehm.
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In seinem Brief vom 7. Dezember 1909 beanstandet Mechau die kurze Urlaubsdauer und die fehlende Einstellung als wissenschaftlichen Mitarbeiter unter Hinweis auf die geführten Unterhaltungen. Als Anreisetag wird von ihm der 2. Januar 1910 angegeben.
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Postwendend antwortet Ernst Leitz am 8. Dezember mit dem folgenden Brief:
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Emil Mechau wird bei Leitz "Wissenschaftlicher Mitarbeiter"
Mechau erhält hier nicht nur eine neue Arbeitsstelle, die ihm neben einem besseren Gehalt auch ungewöhnliche Freiheit in seiner Beschäftigung und erfinderischen Entfaltung bietet, sondern auch endlich den schon bei Zeiss lange angestrebten Titel eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters. Letzteren hat er nun offenbar durch geschickte Verhandlungsmanipulation erhalten. Aber was macht das schon.
Was ihm bei Zeiss wahrscheinlich nie gelungen wäre, nämlich sich aus seinem Mechanikerstand herauszuheben, hat er durch diesen Stellenwechsel gewissermaßen als Zugabe erhalten. Alles in allem gesehen hat er ja auch inzwischen bewiesen, dass er längst mehr als ein Feinmechaniker ist. Seine Vorgesetzten in der sehr streng strukturierten Organisation bei Zeiss waren einfach nicht in der Lage, Mechaus Erfinderpotential zu erkennen. Durch deren ‚Kastengeist’, wie Mechau es selbst bezeichnet, haben sie einen jungen, genialen Mitarbeiter verloren. Wie sich noch herausstellen wird, hat Mechau auch bewirkt, noch einen Zeiss-Kollegen mir ähnlicher Qualifikation dazu zu bewegen, die Firma zu verlassen und nach Wetzlar zu kommen.
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Warum Mechau bei Zeiss ausstieg . . .
Einen Einblick in Mechaus Gemütszustand zu dieser Zeit und seine tiefe Enttäuschung über die unnachgiebige Haltung der Geschäftsleitung von Zeiss lässt auch der Briefwechsel zwischen ihm und Herrn Willy Berger und Frau Hauswald, die beide in Magdeburg leben, erkennen.
Es geht dabei um die über viele Jahre von Dr. Hauswald zusammengetragene, wertvolle Flussspatsammlung, ein Mineral, das zur Herstellung von Linsen für Mikroskop Objektive verwendet wird. Herr Berger ist der Inhaber des angesehenen Magdeburger Uhren- und Schmuckgeschäfts und ein sehr guter Freund des im Spätsommer verstorbenen Dr. Hauswald, Inhaber der größten deutschen Kakao- und Schokoladenfabrik. Dr. Hauswald war aus Liebhaberei Sammler und Wissenschaftler. Herr Berger hat nach dessen Tod Zeiss, im Auftrag der Witwe, die seltene Sammlung angeboten.
Da Frau Hauswald es ablehnt, die von Zeiss angebotene Vergütung für die Sammlung anzunehmen, stimmt sie schließlich Herrn Bergers Vorschlag zu, Mechau den recht ansehnlichen Betrag von 500.- Mark (Anmerkung: es müssen Goldmark gewesen sein - also wirklich wertvoll) zukommen zu lassen.
Es geschieht in Anerkennung dafür, dass Mechau selbstlos jahrelang an der Entwicklung und Herstellung des wissenschaftlichen Instrumentariums des Verstorbenen als Mechaniker und Konstrukteur mitgearbeitet hat. Am 8. Dezember schreibt Mechau den folgenden Brief an Frau Hauswald, in dem er auch sofort im ersten Satz seines Dankschreibens zu dem Thema kommt, das ihm so schwer auf der Seele liegt. Man hat den Eindruck, dass dieser Brief für ihn ein guter Anlass ist, einer außen stehenden Person sein Herz auszuschütten und dabei seinen ganzen Unwillen Zeiss gegenüber zum Ausdruck zu bringen.
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Der Brief an Frau Hauswald
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Sehr geehrte Frau Doktor!
Ihre gütige Zuwendung durch den seinerzeit der Firma C. Zeiss überlassenen Flußspath verpflichtet mich, sie von meinem am 1. Januar bevorstehenden Austritt aus der Firma C. Zeiss höflichst zu unterrichten und ihn zu begründen. Die Hauptursache besteht in der Aussichtslosigkeit hier zu einer meinen Fähigkeiten angemessenen Stellung zu gelangen. Nach meiner Überzeugung bin und bleibe ich für die Firma meiner früheren Beschäftigung gemäß, trotz aller Strebsamkeit auf mathematischem und physikalischem Gebiet, der ehemalige Mechaniker.
Die äußere Veranlassung bildet meine vor etwa einem Jahr erfolgte Versetzung nach dem Konstruktionsbüro, wobei ich meine Tätigkeit unter Herrn Dr. Siedentopfs Leitung mit einer zum weitaus größten Teil zeichnerischen Beschäftigung vertauschen mußte, die mir nicht behagen wollte und auch wenig Aussicht bietet, äußerlich weiter zu kommen. Gleichzeitig, und dies ist ebenso wesentlich, wurden mir aus Konsequenzrücksichten Grenzen gezogen, welche eine Fortsetzung und Beendigung meiner Universitätsstudien unmöglich machten. Es wurde mir der Besuch von Vorlesungen während der Arbeitszeit untersagt.
Zunächst hatten zwar einige Professoren die Güte, einige der mir noch fehlenden Vorlesungen in die arbeitsfreie Zeit zu verlegen. Da nun aber auch diese Möglichkeit mit Rücksicht auf den Universitätslehrplan erschöpft ist und ich in der Beendigung der begonnenen Studien die einzige Möglichkeit erblicke, hier das erstrebte Ziel zu erreichen, blieb mir nur noch der letzte Weg, die Firma vor die Alternative zu stellen, übrig.
Die Entscheidung der Geschäftsleitung, nicht in der Lage zu sein, mir eine meinen Wünschen entsprechende Stellung anbieten zu können, bestätigte denn auch die Eingangs erwähnte Ursache meines Austritts. Aus dem Umstand, daß mir auch keine Aussichten auf eine spätere Befriedigung meiner Wünsche gemacht wurden, muß ich leider folgern, daß überhaupt keine Neigung bestanden haben muß, mir irgendwie entgegenzukommen. Dazu kommt noch, daß ich mich mit einem verhältnismäßig bescheidenen Verdienst gewissermaßen als Äquivalent für das Entgegenkommen bezüglich der Arbeitszeit begnügt habe.
Um noch einem eventuellen Einwande der Undankbarkeit zu begegnen, der aus der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Siedentopf mir den Vorlesungsbesuch während der Arbeitszeit zu gestatten, hergeleitet werden könnte, möchte ich noch erwähnen, daß ich diese Erlaubnis unter der Voraussetzung erhielt, die versäumte Zeit mittags oder abends nachzuholen. Ich habe dies stets als Ehrenpflicht angesehen. In allen Fällen, wo mir ein Nachholen nicht möglich war, ist dann mein Arbeitslohn entsprechend gekürzt worden.
Ich scheide von Jena mit schwacher Hoffnung auf Verwirklichung Abbe'scher Ideale, soweit sein Wille nicht statutengemäß erzwungen werden kann, jedoch mit dem Bewußtsein alles getan zu haben um hier eine angemessene Stellung zu erringen und in der Hoffnung bald den Nachweis erbringen zu können, daß mein Wunsch nach anderer Beschäftigung keine Selbstüberhöhung war.
Zum Schluß möchte ich nicht verfehlen, nochmals für Ihre außerordentliche Liebenswürdigkeit bestens zu danken und zu versichern, daß ich bestrebt sein werde, in meiner neuen Stellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Firma E. Leitz in Wetzlar stets im Sinne Abbes und zum Wohle strebsamer Menschen zu wirken.
Mit großer Ehrerbietung und ergebendst
Emil Mechau.
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Die erste Zeit bei Leitz in Wetzlar
Mechau beginnt bei Leitz, ohne dass zunächst für ihn ein festes Arbeitsgebiet bestimmt ist. Er befasst sich intensiv mit der Verbesserung der bei Leitz hergestellten Projektionsapparate und konstruiert den Prototyp eines Diaskops. In diesem Zusammenhang führt er als Ergebnis insbesondere ein Lampenhaus mit parabolisch-elliptischem Hohlspiegel ein. Die erste Anwendung erfolgt bei einer Einrichtung zur Beleuchtung von Operationstischen. Helligkeitsmessungen der von ihm erfundenen Spiegellampe zeitigen die eindeutige Überlegenheit über den bisher hierfür verwandten Kondensor. Diese von ihm neu entwickelten Geräte lassen schon erkennen, dass die hierfür verwandte Lichtquelle im Prinzip die gleiche ist, die demnächst als Lampenhaus für seinen geplanten Reflexkinematograph verwendet wird. Die sich noch ergebenden Schwierigkeiten bei der Projektion mikroskopischer Präparate werden von ihm auch bald überwunden.
Um rationeller und zielstrebiger neue Produkte entwickeln zu können folgt Ernst Leitz seinem Vorschlag, nach Zeiss’schem Vorbild auch bei Leitz, ein Konstruktionsbüro einzurichten.
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Mechau will Oskar Barnack von Zeiss abwerben
Als Mechau erfährt, dass bei Leitz ein Meister für die Versuchsabteilung für Mikroskopie gesucht wird, setzt er sich sogleich mit Oskar Barnack, einem Freund und Kollegen, den er von Zeiss her kennt, in Verbindung und schlägt ihm vor, sich zu bewerben. Am 21. Juni 1910 erhält er von Barnack aus Dresden dessen Antwort.
Barnack lehnt erstmal ab :
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- Sehr geehrter Herr Mechau!
Vor ein paar Tagen erhielt [ich] Ihr mich sehr überraschendes Schreiben von Jena durch meine Frau nach hier zugesandt. Vorerst muß ich erläuternd erwähnen, daß ich seit 3 Wochen in Dresden bei der IKA als Instrukteur tätig bin (selbstverständlich als Zeissgeschäftsangehöriger) und bin mit den gegenwärtigen Stand der Dinge nicht unzufrieden. Meine hiesige Tätigkeit wird sich etwa auf 1 - 2 Monate noch erstrecken. Was nun Ihren freundlichen Vorschlag betrifft, so haben Sie erstlich mal vielen Dank für Ihr Bemühen, es hat mich sehr gefreut.
Ich habe nun die Sache einige Tage mir durch den Kopf gehen lassen. Es ist doch immerhin eine Handlung, die man nicht jeden Tag vornehmen kann, daß ich mich entschließen mußte, auf Ihr freundliches Angebot zu verzichten, ist in erster Linie u. überhaupt auf mein altes Übel zurückzuführen, auf meinen chronischen Bronchialkatarrh, welches mich gerade in letzter Zeit wieder viel Unbehagen verursacht und mich nötigt, zum mindesten nächsten Frühjahr wieder [Bad] Salzungen aufzusuchen, was ja als Arbeiter mich nichts kostet.
Es kann einem Geschäft nicht angenehm sein, wenn ein junger, sich in einer neuen Materie einzuarbeitender Angestellter, sich alle Jahre ein bis zwei Monate aus Gesundheitsgründen dispensieren lassen muß, ganz abgesehen, daß mir dann eine Kur als Privatmann zu teuer kommen würde. Da ich gerade in Dresden bin, will ich nicht verfehlen, zu Bilz zu pilgern und eventuell eine Kur hier unternehmen, welche vielleicht nachhaltiger wirkt wie Salzungen.
Also, lieber Herr Mechau, daß ich zu obigem Entschluß gekommen bin, ist unter diesem Gesichtspunkt doch verständlich, vielleicht geboten, mit Rücksicht auf Familie schon. Denn wenn mir mein Geschäft auch weiter nichts bieten kann, man hat die Beruhigung, daß, falls mein Katarrh statt besser schlechter werden sollte, was ich natürlich nicht hoffe, doch für meine Familie leidlich gesorgt ist.
Ich werde jedenfalls abwarten, wie die Bilzmethode ansprechen wird, vielleicht kann ich Ihnen in nicht allzuferner Zeit ein günstiges Resultat mitteilen.
Also haben Sie nochmals besten Dank und seien Sie sowie Ihre Frau Gemahlin bestens gegrüßt
von Ihrem
Oskar Barnack
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Jetzt wird es interessant :
Die hier von Barnack vorgebrachten Besorgnisse werden dank Mechaus geschickter Vermittlung zwischen Barnack und Ernst Leitz II bald entkräftet, was auch klar aus Barnacks Brief vom 3. November aus Jena hervorgeht.
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- Lieber Herr Mechau!
Nach nochmals 4-wöchentlichem Überlegen bin ich endlich zu einem Entschluß gekommen und habe mit diesem Brief gleichzeitig Herrn Leitz junior ein Schreiben übermittelt, in dem Sinne, wie wir es verabredeten.
Ich bat mir von Herrn Leitz diesbezüglichen Bescheid aus, und daß ich es für zweckmäßiger hielt, persönlich mit ihm darüber zu sprechen. Es ist deshalb möglich, daß wir uns im Laufe des November noch in Wetzlar begrüßen werden, für einen Tag einstweilen natürlich, und wollen mal sehen, ob wir uns einigen werden.
Herr M. wird mich jedenfalls mit Betrübnis scheiden sehen, habe in letzter Zeit verschiedene Verbesserungen dort eingeführt, unter anderem eine Einrichtung zum automatischen Übertragen von Theodolitenkreisen mittels Diamant, das hat ihm imponiert. Bin jetzt übrigens einer der höchstbezahlten Meßjustierer.
Sonst gibt es hier wenig neues zu berichten. 8% Dividende voraussichtlich; vor kurzer Zeit hat das Geschäft 1500 Zentner Kartoffeln für seine Angehörigen kommen lassen, habe auch 3 Ztr., @ 3 M. im Keller. Mstr. Falke hat sich nun auch verheiratet, drollig, was?
Wie geht es denn Ihnen und Ihrer l. Familie? Jedenfalls doch gut, hier ist gleichfalls alles wohlauf bis auf die sogenannten Äquinoktialkrankheiten, als da sind Schnupfen usw.
Neuheiten habe ich bis jetzt weniger erzeugt, will in nächster Zeit einen Versuch machen, teilen von Kreisen u. Meßstäben in sehr feiner Teilung mittels routierender Diamanten. (soll das Erzeugen von Grat auf ein Minimum beschränken). Also für heute genug, hoffentlich mündlich mehr, etwa Ende d. M. eher reichts noch nicht.
Es grüßt Sie sowie Ihre liebe Familie herzlich
Ihr Oskar Barnack
Meine l. Frau schließt sich dem an.
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Schließlich kommt Barnack Ende November nach Wetzlar und hat Gelegenheit, alle offenen Fragen persönlich mit den Herren Leitz zu besprechen. Nach seiner Rückkehr nach Jena berichtet er dann Mechau am 2. Dezember über seine Entscheidung mit dem folgenden Brief:
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- Lieber Herr Mechau !
Meine 8 Tage Bedenkzeit sind nun abgelaufen und ich habe der Firma Leitz meinen endgültigen Entschluß kundgetan, daß ich die Sache machen und zum 1. Januar n. J. meine Tätigkeit dort aufnehmen werde. Gleichzeitig sandte [ich] mein ärztliches Attest ein, wonach ich gesund bin, bis auf einen gutartigen Bronchialkatarrh.
Als ich selbiges gerade abgeschickt hatte, erhielt ich ein vorgedrucktes Formular, mit verschiedenen Rubriken, was mein Arzt auszufüllen hat, um es wieder einzusenden. (Unter anderem stand darauf, ob Angestellter auch keinen Lungenkatarrh hat, und selbiger wird, wie (Dr.) Feuerstein meinte, mit Bronchialkatarrh identifiziert) Nun, ich hoffe, daß mir nicht darauf hin hier noch Schwierigkeiten entstehen. Ich soll nach Durchberatung des Attests dann Bescheid erhalten, ob ich eintreten soll oder nicht.
Was die Prozente betrifft, so kam ein Anschlag heraus, daß es noch nicht möglich war, (in 7 Wochen also!) die gesamte Bilanz zu ziehen und sollen wir am 10. Dezember Auskunft über eventuelle Dividendenauszahlungen bekommen. Viel verheißend ist es nicht.
Ferner war noch zu bemerken, daß unsere Frau Gericke einen Jungen als Familienzuwachs erhalten hat. Freut sich natürlich sehr. Hoffentlich erhalte ich von Herrn Leitz rechtzeitig Bescheid, damit meine eventuelle Kündigung ich bald einreichen kann.
Mit herzl. Gruß an Sie und Ihre lieb. Frau Gemahlin u. Babi
verbl. Ihr
O. Barnack
Meine Frau läßt gleichfalls schön grüßen.
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Oskar Barnack fängt bei Leitz an
Natürlich kommt der erwartete Bescheid von Leitz, und Barnack fängt mit Beginn des neuen Jahres bei Leitz an, um schließlich mit seiner großartigen Erfindung, der ersten in Serien hergestellten Kleinbildkamera, der Leica (Leitz Camera), Weltberühmtheit zu erlangen.
Dazu beigetragen zu haben und diesen genialen Mann bewegt zu haben, Zeiss zu verlassen und seine Erfindung Leitz zugute kommen zu lassen, hat Emil Mechau immer mit großer Genugtuung erfüllt.
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1911 - Mechaus durchbrechende Idee - Das Modell I
Nach einjähriger Tätigkeit in Wetzlar beginnt sich Mechaus Lieblingsidee wieder zu regen. Er weiß, dass die Aufgabe inzwischen nicht leichter geworden ist. Aus der Patentliteratur erkennt er, dass sich viele fähige Konstrukteure im In- und Ausland ebenfalls mit ‚seiner’ Idee befassen. Die erste durchbrechende Lösung gelingt Mechau dann schon 1911 mit seinen beiden Patenten DRP Nr. 242 128 und Nr. 268 041.
Bereits 1912 läuft sein Versuchsprojektor, das Modell 1, erstmalig im Wetzlarer Kaiserkino und von da an ununterbrochen bis Weihnachten 1913. Es enthält jedoch nicht, wie in seiner Patentschrift 242128 als Beispiel angegebenen Prismen-Pyramiden, sondern vier mit der Rotationsachse fest verbundene Spiegelpaare. Da die ablenkende Wirkung eines solchen Paares nicht dem Drehungswinkel der Achse, sondern seinem Sinus proportional ist, muss der Film während jeder Bildwanderung mit einer Vorrichtung nach Mechaus DRP 268 041 ungleichförmig transportiert werden. Diese Ungleichförmigkeit ist jedoch bei keiner Geschwindigkeit mit dem Auge als solche wahrnehmbar.
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Es entspricht seinem Charakter, dass er oft viele Stunden nach Arbeitsschluss damit verbringt, den Projektor selbst zu bedienen, um aus erster Hand Schwächen zu erkennen, um sie am nächsten Tag in der Firma auch gleich abstellen zu können.
Dieser Projektor enthält ferner eine separate Vorrichtung zur Mitführung des beleuchtenden Lichtbüschels, außerdem horizontale Filmtrommeln und eine während des Betriebs um die eigene Achse zusätzlich drehbare Filmschaltwelle zur Bildstricheinstellung. Hierzu wird das Automatik- Differential- getriebe von ihm neu erfunden. Auch die Spiegelbogenlampe fehlt nicht. Sie erhält sogar von ihm ein automatisches, von der Flammenbogenspannung abhängiges Nachschubwerk.
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1912 - Der erste Mechau Projektor funktioniert
Von weiteren Patentanmeldungen wird abgesehen, da die bereits angemeldeten Patente ausreichen. Insbesondere wird die Anwendung der Spiegellampe als nicht patentfähig angesehen, da es sich um eine nahe liegende Übertragung handele, denn die Lampe selbst wird für Projektions- und Fotografierzwecke ganz allgemein benutzt.
Neu ist jedoch z. B. die horizontale Lage der Filmtrommeln, die Bildeinstellung durch Drehung der Schaltrolle um ihre Achse, außerdem eingesetzte, gehärtete Zähne in den Winkelrollen, den Kühler (Kondensor) als Linse auszubilden, usw. Ein Patentbüro gibt es noch nicht bei Leitz und Mechau fehlt einfach die Zeit für derartige ‚Nebensächlichkeiten’, wie er sie nennt. Er arbeitet unablässig, förmlich Tag und Nacht und gönnt sich kaum körperliche Ruhe, auch sein Erfindergeist kommt nie zur Ruhe. Er hat immer neben dem Bett auf dem Nachttisch Papier und Bleistift liegen.
Nicht selten wacht er nachts mit einer neuen Idee auf, die er dann sofort skizziert und, wenn erforderlich, auch gleich die nötigen Berechnungen schon im Schlafzimmer ausführt.
Der Einsatz des ersten Versuchsprojektors bleibt der Öffentlichkeit nicht unbemerkt wie dem folgenden Artikel des Wetzlarer Anzeigers vom 29. November 1912 zu entnehmen ist:
April 1914 - Ein neuer Kinematographen-Apparat.
In der Fachzeitschrift Der Kinomatograph - Düsseldorf erscheint in der Ausgabe No. 382 am 22. April 1914 der folgende Artikel von A. Lechleder:
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- In der Karwoche war’s, an einem der schönen sonnigen Tage, als ich nach genußreicher Wanderung im Lahntal Wetzlar erreichte. Auf einem Rundgang durch das alte Städtchen, welches neben dem Dom eine Menge alter Bauten aufweist, gelangte ich auf den Markt und gewahrte an einem großen mittelalterlichen Bau das Firmenschild des Kaiser-Kinomategraph. Um etwas auszuruhen nach den Anstrengungen des Tages trat ich ein und fand, wie in vielen kleinen und Mittelstädtchen einen zu Festzwecken errichteten, der Neuzeit aber nicht mehr entsprechenden Saal verdunkelt und zum Kino eingerichtet. Es war gerade eine Pause in der Vorführung eingetreten, und eine um wenige Sekunden verzögerte Einschaltung der Beleuchtung ließ erkennen, daß hinter der Projektionswand ein Fenster nicht gut abgedichtet war, so daß Außenlicht durch eine an und für sich mangelhafte Wand scheinen konnte. Das stimmte meine Erwartungen auf den bevorstehenden Kunstgenuß ziemlich herunter. Doch ich sollte bald angenehm überrascht werden.
Der nächste Film erschien in voller Klarheit, sogar weit über dem Mittelmäßigen, die Einstellung war mit unfehlbarer Sicherheit geschehen, kurzum, ich vermutete etwas ganz besonderes, entweder es dem Licht oder einem außergewöhnlich gut zeichnenden Objektiv zuzuschreibenden in der Projektionsanlage vorhanden. Das mußte ich ergründen, umsomehr als mir plötzlich einfiel, daß Wetzlar der Sitz der altbekannten optischen Leitz’schen Werke ist. Wird wohl sicher ein hervorragendes Objektiv sein, war ich nunmehr überzeugt, und suchte den Vorführer auf. Zuerst wollte der gute Mann nicht recht mit der Sprache heraus, als ich mich aber als Mitarbeiter unseres Kinematograph vorstellte, wurde der Herr zugänglich und verriet mir, daß er einen ganz neuen Apparat, einen Reflexkino in Gebrauch habe. Wenn ich etwas Zeit habe, werde der Erfinder, der jeden Augenblick eintreffen müsse, mir den Apparat jedenfalls gerne erklären. Daß ich unter diesen Umständen Zeit hatte, ist selbstverständlich, und meine Geduld sollte reichlich belohnt werden.
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Herr Mechau, Ingenieur der Leitz’schen Werke, erschien alsbald, führte mich zu seinem Werk und erklärte mir ungefähr Folgendes:
- Unser Reflexkino unterscheidet sich von den eben gebräuchlichen Apparaten zunächst durch ein stetig bewegtes Filmband, die Projektion desselben geschieht also nicht mehr, wie bisher während einer Ruhepause des ruckweise vorgezogenen Films, sondern in einer fortwährenden Weiterbewegung. Um nun eine dadurch eintretende Bildverschiebung auf dem Projektionsschirm zu verhindern, ist zwischen Objekt und Schirm eine aus gedrehten Planspiegeln bestehende Vorrichtung in den Strahlengang eingeschaltet, welche das abbildende Strahlenbüschel geeignet ablenkt, sodaß auf dem Schirm von einer Bildverschiebung nichts zu bemerken ist. Die Spiegel selbst sind gegen ihre gemeinsame Rotationsachse etwas geneigt und schalten sich bei der Rotation paarweise nacheinander in den Strahlengang ein, bzw. aus. Jedem Filmbildchen ist dabei ein aus zwei gegenüberliegenden Spiegeln bestehendes Paar zugeordnet. Da nun diese ausgleichenden Spiegelpaare lückenlos aufeinander folgen, entsteht auf dem Schirm während des Bildwechsels keine Dunkelpause, sondern es findet während dieser Zeit vielmehr eine Verschmelzung zweier aufeinander folgenden Bildchen zu einem einzigen statt. Das ausscheidende Bildchen verliert dabei an Helligkeit gerade soviel, als das eintretende zunimmt. Malteserkreuz und Flügelblende sind also überflüssig geworden.
Zwischen Film und Lichtquelle ist noch eine in ihrer Wirkung der beschriebenen ähnliche Vorrichtung angebracht. Sie ist optisch und mechanisch wesentlich einfacher gehalten und hat den Zweck, das beleuchtende Lichtbündel dem wandernden Film nach zu bewegen, um einerseits eine genügend scharfe horizontale Bildbegrenzung zu bewirken, andererseits die Helligkeit zu steigern, da sonst eine Fläche beleuchtet werden müßte, die doppelt so groß ist als diejenige, die ein Filmbild einnimmt. Sie verrichtet also die umgekehrte Aufgabe wie die Vorrichtung zum Ausgleich der Bildwanderung. Die scharfe Bildbegrenzung wird noch dadurch erzielt, daß über diese vereinfachte Vorrichtung hinweg in der Filmebene ein Bild einer rechteckigen Öffnung entworfen wird. Sowohl Film wie das Bild der rechteckigen Öffnung werden dann über die Vorrichtung zum Ausgleich der Bildwanderung hinweg auf den Projektionsschirm geworfen.
Die Vorzüge des Reflexkinos, soweit sie sich bisher ergeben haben, sind:
- 1. Filmschonung infolge stetiger Bildbandschaltung. Dies dürfte besonders für schwer entflammbare Films von großem Wert sein, da ihre Haltbarkeit bezüglich Perforation noch nicht genügend erwiesen ist.
- 2. Fortfall der Dunkelpausen beim Bildwechsel. Also wirkliche Beseitigung des Helligkeitsflimmerns.
- 3. Verbesserung des Bewegungsflimmerns durch stetige Verschmelzung aufeinander folgender Bilder beim Bildwechsel, während bisher ein sprunghafter Übergang stattfand.
- 4. Beliebig schnelles oder langsames Wiedergabetempo. Letzteres ist nicht mehr an eine untere Geschwindigkeitsgrenze der Flügelblende gebunden, auch nicht mehr nach oben durch evtl. Überanstrengung der Filmschaltvorrichtung beschränkt, sondern richtet sich lediglich nach dem Gang der Handlung auf dem Projektionsschirm. Von diesem Vorteil kann man z. B. bei kurzem Programm und kurzen Zwischentexten im Film oder auch zur Anpassung an ein korrektes Musiktempo Gebrauch machen. Bei Schriften ist es zulässig, das Tempo bis auf einige Bildwechsel in der Sekunde zu reduzieren.
- 5. Verminderung der Feuersgefahr infolge eines Minimums von Filmrissen. Es ist eine Folge der kontinuierlichen Filmschaltung. Der Film wird nicht mehr von einer Schaltrolle von 24mm Durchmesser weiter gerissen, sondern von einer doppelt so großen langsam und gleichmäßig weiter gezogen. Die Geschwindigkeit dieser Rolle ist die gleiche wie die der Vor- oder Nachwickelrolle bei den jetzt gebräuchlichen Apparaten. Während also bei der kleinen Schaltrolle der Film sehr stark gekrümmt wird, so daß ein Aufbrechen mangelhafter Klebstellen an dieser Stelle öfters vorkommt, ist dieser Fall während einer 11/4 jährlichen Betriebsdauer des Reflexkinos noch nicht eingetreten. (Ein Versagen der Schaltrolle infolge aufgegangener Klebstoffe hat bekanntlich ein Stillstehen des Films an der belichteten Stelle, also bei Unachtsamkeit des Operateurs einen Filmbrand zur Folge). Während bei den jetzigen Apparaten mit kleiner Schaltrolle auf jeder Seite nur etwa 3 bis 4 Zähne wirklich in den Film eingreifen, tun dies bei der größeren Rolle des Reflexkinos etwa 8 bis 9 Zähne auf jeder Seite. Es ist bisher bei allen Filmrissen, die bei unserem Apparat vorgekommen sind, noch nicht einmal der Fall gewesen, daß der Film im Fenster stehen geblieben ist.
- 6. Geringste Abnutzung und größte Betriebssicherheit, da sämtliche ununterbrochen bewegten optischen und mechanischen Teile langsame Rotation ausführen und in staubsicheren Gehäusen eingeschlossen sind.
Soweit Herr Mechau. Das Gesagte leuchtete mir vollständig ein, ja ich möchte in Anbetracht der eingangs erwähnten ungünstigen Verhältnisse, unter denen der Apparat arbeitet, noch an eine ziemliche Stromersparnis glauben, denn wie ich nachträglich feststellte, war die Entfernung vom Apparat zum Bild ca. 30 Meter, die Bildgröße ca. 5 Meter im Quadrat und es wurde mit 20 Ampere auf einer miserablen Wand projiziert.
Als ich an diesem Abend mein Nachtquartier erreicht habe, mußte ich noch lange über den neuen Apparat nachdenken und beschloß, am nächsten Tag die Fabrik selbst aufzusuchen und meine Weiterwanderung um einen Tag zu verschieben. Auch diesen Entschluß hatte ich nicht zu bereuen. Ich fand freundliche Aufnahme und auf meine Bitte wurde mir eine Photographie der neuen Projektionsmaschine überlassen mit der Erlaubnis, sie im Kinomategraph wiederzugeben.
Vielleicht komme ich gelegentlich einmal auf das Leitz’sche Werk zurück. Für heute sei nur gesagt, daß in einem musterhaft eingerichteten riesigen Eisenbetonbau ca. 900 Arbeiter mit der Herstellung von Projektionsapparaten, Mikroskopen, Feldstechern usw. beschäftigt sind, die in der ganzen Welt geschätzt werden. Bereits im Jahre 1907 verließ das 100.000. Mikroskop die Fabrik.
1914 war es eine umwälzende Erfingung
Weitere Artikel erscheinen in diesem Jahr in verschiedenen Fachzeitschriften und die Autoren haben nur Gutes über diese umwälzende Erfindung in der Kinowiedergabetechnik zu berichten. So berichtet auch Friedrich Felix im Heft 8 der Lichtbildbühne vom 18. April 1914 unter dem Titel Reflex-Kino über Mechaus Erfindung. Einleitend stellt er jedoch die Benennung des Wiedergabeprojektors in Frage.
- Der Name sei eigentümlich gewählt. Reflex sagt alles, unter Kino versteht man aber gewöhnlich das Lichtbild-Etablissement, nicht den Kino-Apparat.
Offenbar ist diese Feststellung auf fruchtbaren Boden gefallen, denn kurz danach wird von Leitz und Mechau nicht mehr vom Reflexkino oder Reflexkinematograph gesprochen. Man entscheidet sich, den Apparat Mechau Projektor zu nennen, was Emil Mechau sicher nur recht sein kann. Felix fährt dann fort,
- Um diesen handelt es sich, um eine deutsche Erfindung, die Konstruktion einer hervorragenden Industriefirma Preußens. Erdacht und verwirklicht wurde ein Kinematograph, ohne Blende, ohne Flimmern, ohne ruckweisen Filmtransport, der die Leinwandbilder während ununterbrochenen Laufes des Bildbandes durch Spiegelreflexe projiziert. Der Ingenieur E. Mechau in Wetzlar hatte das Problem schon zur Zeit der Kinoausstellung Berlin 1912 gelöst, die optischen Werke von Ernst Leitz ebenda den Apparat gebaut, allein die Neuheit wurde nicht bekannt gemacht, sondern erst 1 1/4 Jahre hindurch im Kaisertheater in Wetzlar ausprobiert. Es bedeutet, sobald er in den Handel kommt, einen Umschwung in der Kinomatographie, der nicht aufzuhalten sein wird, denn auch Amerika will Apparate ohne ruckweise Fortbewegung des Films einführen.
Offenbar trägt diese und viele andere Publikationen über Mechaus Erfindung dazu bei, die Nachricht schnell zu verbreiten, dass eine brauchbare und produktionsreife Lösung des optischen Ausgleichs gefunden ist. Ein amerikanischer Konkurrent, der ebenfalls seit Jahren mit seinem Kinoprojektor Vanoskop an der Lösung des optischen Ausgleichs arbeitet, steigt kurz nach diesen Veröffentlichungen aus. Die Firma geht 1915 mit 1 Million Dollar in Konkurs.
Allgemeine Beachtung in Fachkreisen, besonders aber bei Theaterbesitzern, findet ein Artikel desselben Verfassers in der Mai - Ausgabe 1914 Fachzeitschrift Film und Lichtbild. Es handelt sich hierbei um die erste Veröffentlichung der Neuheit mit einer detaillierten Funktionsbeschreibung und gleichzeitiger Bezugnahme auf eine technische Zeichnung des Reflexkinematograph.
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Nach den vorliegenden Erfahrungen kann auf eine früher gestellte Bedingung, wonach einer möglichst großen Bewegung der optischen Teile, eine möglichst kleine Wirkung in der Filmbahn entsprechen soll, verzichtet werden. Das Streben zielt auf einen Kompromiss ab, welcher die Klippen einer vielleicht optisch oder mechanisch besonders günstigen Lösung umgeht und einen Mittelweg einhält. Damit wird zugleich die Forderung des idealen optischen Ausgleichs fallengelassen, eines Ausgleichs, der nur rotierende, aber keine schwingenden Teile kennt.
Es hat den Anschein, als ob es prinzipiell technisch unmöglich ist, eine einzige so genannte ideale Ausgleichsvorrichtung auf beiden Seiten des Films zu benutzen, so wie es beim Modell 3 geschehen ist. Die beiden Bedingungen,
- die vor und hinter dem Film den Strahlen ganz durchschneidenden optischen Elemente müssen in der Filmbahn eine gleiche und gleichgerichtete optische Wirkung haben;
- dieselben Lichtstrahlen dürfen nur die vorne hinter dem Film zusammengehörigen optischen Elemente und Filmbilder durchsetzen,
scheinen zugleich nicht erfüllbar zu sein. Mit durch Kurven gesteuerten, ausschwingenden Elementen ist diese Schwierigkeit jedoch beseitigt. Nach dem derzeitigen Stand der Technik (1916) besteht nur die Alternative, entweder bei einer einzigen Ausgleichsvorrichtung vor und hinter dem Film doppelt bewegte Ausgleichselemente zu verwenden oder je eine vor und hinter dem Film angeordnet ideale Ausgleichsvorrichtung zu benutzen.
Das Modell III muß erst mal warten
Die Aufgabe darf also nicht mehr in der Konstruktion einer brauchbaren Ausgleichsvorrichtung gesehen werden, sondern stellt die Frage, welche Ausgleichsvorrichtung eignet sich für die Erfüllung einer Anzahl von Bedingungen am besten unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung, Betriebssicherheit und der Kosten. Auch die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Kreuzmaschinen muss beachtet werden. Auf dieser Grundlage entsteht dann während des Krieges im Konzept das Modell 3.
Bereits 1913 muss Mechau, sicher nicht gerne, zwischendurch ein Unterstands-Fernrohr-Periskop (Bild rechts) konstruieren, wovon 150 Exemplare nach Österreich verkauft werden. Der Ausbruch des Krieges 1914 erlaubt es ihm kaum noch, sich praktisch weiter mit seinem Kinoprojektor zu befassen. Seine Ideen sammelt er jedoch als Skizzen in seinem Notizbuch weiter.
Erster Weltkrieg - besondere Bedingungen
Mechau erhält nun auch den Auftrag, notgedrungen die Massenproduktion von Granatzündern einzurichten, wofür Leitz vom kaiserlich-militärischen Beschaffungsamt größere Aufträge erhält. 1916 konstruiert er ein Bombenzielgerät, das seitlich außen neben dem offenen Sitz des Beobachters eines Doppeldeckers montiert wird.
Da der Krieg zunehmend stationär wird, d. h. von Schützengräben aus geführt wird, entwickelt er im Juli 1916 ein Schützengraben-Fernrohr mit Tag- und Nachtaufsatz. Von dem von ihm 1917 konstruierten Zielfernrohr werden 30.000 Stück hergestellt. In enger Zusammenarbeit zwischen der Waffen- Entwicklungsstelle der kaiserlichen Armee und Leitz konstruiert Mechau 1918 noch den Wecker’schen Leucht-Diopter zum Anschneiden von Mündungsfeuer bei Nacht, ein Messfernrohr für Artillerie und ein Scherenfernrohr mit Teilkopf, die aber z. T. nicht mehr ihren Zweck erfüllen, da das Kriegsende die Arbeiten beendet.
1917 - ein Schicksalsschlag
Ein schwerer Schicksalsschlag trifft Emil Mechau, als seine einzige Tochter Lieselotte am 27. Mai 1917 im Alter von gerade neun Jahren an den Folgen einer Fleischvergiftung in seinen Armen stirbt. Sie wird im Wetzlarer Waldfriedhof beigesetzt.
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1918 - Die Stirnlupe für Ärzte,
Mechau entwickelt dann 1918 noch die von Professor Dr. von Eicken (Bild) von der nahe gelegenen Universitätsklinik in Giessen angeregten Stirnlupe für Ärzte, die von da an im Prinzip fast unverändert tagaus, tagein von Ärzten der verschiedensten medizinischen Fakultäten in der ganzen Welt verwandt wird.
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Nach dem Krieg - Mechau braucht viel Überzeugungskraft
Der Krieg kommt zum Ende und schon einen Tag vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands in Compiégne greift Mechau am 10. November 1918 wieder zum Bleistift und zieht den ersten Strich zur Konstruktion des so genannten Spiegelwerkes für seinen Projektor. Offiziell war ihm während des Krieges nicht erlaubt an seiner Idee weiter zu arbeiten, trotzdem entwickelt er im Stillen neue Ideen, um seinen Projektor weiter zu verbessern. Jetzt ist er so ungeduldig, dass nicht erst, wie sonst üblich, die Fertigstellung der Konstruktion abgewartet wird, sondern parallel zur Entwicklung wird gleich mit der Herstellung von einer Serie von 23 Projektoren begonnen.
Parallel dazu müssen Kurvenschleifvorrichtungen, Kontrollmaschinen, Justiergeräte und Spezialmaschinen zum Schleifen der Zahnräder entwickelt und gebaut werden. Was für ein Projekt für Mechau und seine Leute, und was für ein finanzielles Risiko für die Geschäftsführung der Leitzwerke in dieser ungewissen Krisenzeit unmittelbar nach Beendigung des Krieges! Trotz der Schwere der Zeit gelingt es Mechau immer wieder mit seiner unerschütterlichen Überzeugungskraft alle, Geschäftsleitung und Mitarbeiter mitzuziehen und seine Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen.
Juli 1920 - Ernst Leitz sen. stirbt
Als Ernst Leitz senior am 12. Juli 1920 stirbt, verliert Mechau seinen Mentor, der mit der Bewilligung nicht unerheblicher Mittel in sehr unsicheren Zeiten sein Vertrauen in Mechaus Erfindung und in den Erfinder selbst bezeugt hatte. Da jedoch sein Sohn Ernst Leitz II bei Mechaus Anstellung persönlich mit entschied und schon seit 1906 Teilhaber der Firma ist, kann die Arbeit am Mechau-Projektor ununterbrochen fortgesetzt werden.
Das Mechau Model II wird im Schauburg-Film-Palastes in Münster, aufgestellt
Mitte 1921 ist es dann soweit, ein vorgezogenes Muster des Mechau-Projektors Modell 3 kann im Lichtspielhaus in Wetzlar aufgestellt werden. Da alles gut verläuft, wird bereits am 14. Oktober die erste Vorführmaschine an die Schauburg in Münster in Westfalen verkauft. Unmittelbar nach der ersten Vorführung, anlässlich der Einweihung des neuen Schauburg-Film-Palastes in Münster, schreibt die Westdeutsche Filmzeitung u.a. folgenden Bericht :
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Die Hauptstadt Westfalens hat damit eine Sehenswürdigkeit und die Kinematographie eine mustergültige Pflegestelle erhalten. Mit einem Kostenaufwand von ca. 6 Millionen Mark ist in der unglaublich kurzen Zeit von 4 Monaten zwischen der Promenade und Winkelstraße ein großes Theater mit zwei Rängen für 1.500 Personen errichtet worden. Die Hauptfront liegt vis-à-vis dem demnächst neu zu erbauenden Stadttheaters an der Promenade, die an dieser Stelle in Zukunft Theaterplatz heißen wird fällt sofort die schöne Architektur, die wohltuende Behaglichkeit und die leichte Orientierung auf. Das einer Großstadt würdige und vornehm eingerichtete Theater enthält eigene Maschinenanlagen zur Erzeugung des benötigten elektrischen Stromes, eine Zentral- Lüftungs- und Heizungsanlage, eigene Werkstätten für Tischlerei und Installation, etc. Ganz besondere Sorgfalt ist auf Feuersicherheit und schnelle Entleerung des Theaters in Fällen etwaiger Panik verwendet worden. 12 Türen führen nach drei Straßen direkt ins Freie. Eine Luft-Filter-Anlage sorgt für stets reine Luft im Theater, und im Winter für warme, im Sommer für frische mit Wasser gekühlte Luft, so dass der Aufenthalt im Theater zu jeder Jahreszeit der denkbar angenehmste ist.
Die Eröffnungsfeierlichkeiten gestalteten sich besonders eindrucksvoll. Kaum je zuvor waren bei einer privaten Veranstaltung die höchsten Beamten der Provinz, Regierung, Stadt, Universität und Schulbehörden so vollzählig erschienen, wie zur Eröffnung der Schauburg. Unter anderem sah man Seine Durchlaucht, den Prinzen von Ratibor, Exzellenz Generaloberst von Einem, Prälat Msgr. Dr. Schwarz und Reg.-Präsident Graf von Merfeld. Der erste Balkon war in der Mitte für die Spitzen der Behörden reserviert, die eine Seite für die Vertreter der Presse mit dem Erfinder Ingenieur Mechau, Prof. Dr. Forch vom Patentamt; Paul Liesegang u. anderen, und die andere Seite für die Vertreter der Filmindustrie. In der festlich mit Blumengirlanden geschmückten Loge hatte Frau Henny Porten mit Gemahl Platz genommen. Privatpersonen versuchten vergeblich, Einlass zu bekommen und es sollen 500 Mk. für einen Platz geboten worden sein. Es war eben ein Ereignis für Münster von stadtgeschichtlicher Bedeutung.
Unterstützt durch kurze technische Erläuterungen des Ingenieurs Chr. Winter jr. rollte darauf der erste Film "Das Haus der Kinder" ab, wobei zunächst der alte Projektionsapparat und dann, um den Unterschied zu zeigen, der neue in Tätigkeit trat. Bei diesem neuen handelt es sich um die zum ersten Mal in Anwendung gebrachte Erfindung des Ingenieurs Mechau. Die Vorteile des neuen Vorführapparates waren in die Augen springend. Fest und sicher stand das Bild auf der Leinwand, selbst beim langsamsten Abrollen. Unter Umstellung des Programms gelangte jetzt ein Film von Henny Porten Die Geyer-Wally zur Darstellung.
Die Erfindung des Ingenieurs E. Mechau der optischen Werke E. Leitz in Wetzlar soll nicht nur das unangenehme Flimmern beim Beschauen kinematografischer Aufnahmen beseitigen, sondern auch die Bilder in plastischerer Wirkung zeigen und vor allem die Gefahr der Entzündung des Films beim Zerreißen desselben während der Vorführung vermeiden, die Filme bei der Vorführung überhaupt vor Beschädigung schützen und eine bedeutend geringere Lichtstärke benötigen. Der Vorgang ist so, dass die Bilder nicht in dem Fensterchen stehen bleiben, sondern ununterbrochen durch gleiten und durch eine Anzahl sich folgender, den Bewegungen der Bilder sich anpassender Spiegel in das Objektiv und auf die Bildfläche geworfen werden. Die genaue Übereinstimmung der Bewegung der Spiegel mit dem beweglichen Filmband und die Konstruktion der Spiegel sind ein Meisterwerk deutscher Optik und erforderte jahrelange Versuche.
Der Erfolg in Münster findet in der Kinobranche große Beachtung und Anerkennung. Schon am 18. Oktober erhält Mechau vom Inhaber der Ernemann-Werke AG in Dresden den folgenden Brief:
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- Sehr geehrter Herr Mechau!
Gelegentlich des Vortrages des Herrn Dr. Klughardt in der Kinotechnischen Gesellschaft hatte ich das Vergnügen Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich beglückwünsche Sie zu dem Erfolge, den Ihre rastlosen Arbeiten mit der Verwendung eines neuen Apparates mit optischem Ausgleich in Münster davongetragen haben. Sie wissen, daß die Arbeiten am optischen Ausgleich in unserem Hause eine besondere Pflege erfahren haben, wie ja die Erfolge der Zeitlupe beweisen, und ich würde es begrüßen, wenn mein Werk auch die Anfertigung eines Wiedergabeapparates mit optischem Ausgleich durchsetzen würde.
Gelegentlich hörte ich einmal, daß Sie Ihre Beziehung zur Firma Leitz abgebrochen haben. Nachdem aber Ihr neuer Apparat von Leitz gebaut ist, glaube ich annehmen zu sollen, daß Ihre Beziehungen zu Leitz nach wie vor weiterbestehen. Offenbar baut die Fa. Leitz Ihre Apparate weiter.
Ich glaube aber nicht, daß die Firma in der Lage sein wird, die große Serienfabrikation der Apparate in solchem Umfange aufzunehmen, welche den voraussichtlichen Anforderungen des Marktes entspricht. Deshalb erscheint es mir nicht ausgeschlossen, daß Sie auch weitere erstklassige Fabrikationsfirmen mit der Anfertigung des Apparates zu betrauen bedenken. Sollte meine Annahme richtig sein, so würde ich grundsätzlich gern bereit sein, mein Werk für die Übernahme der Fabrikation zu interessieren.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gelegentlich über Ihre diesbezüglichen Pläne Auskunft geben würden und begrüße Sie mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
gez. Ernemann
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Mechaus Antwort auf diesen unmissverständlichen Brief lässt nicht lange auf sich warten und ist im gleichen Geist verfasst.
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- Sehr geehrter Herr Ernemann!
Ihre Glückwünsche zu der Einführung meines Kino-Apparates in Münster haben mich mit aufrichtiger Freude erfüllt, ganz besonders deshalb, weil sie von einer Seite kommen, welche die überwundenen Schwierigkeiten voll und ganz zu würdigen versteht. Denn auch Ihr Haus wird den, in der Zeitlupe zum Ausdruck gebrachten Erfolg nicht im ersten Anlauf errungen haben. Gestatten Sie mir daher, mich für Ihre Glückwünsche zu bedanken.
Münster war jedoch die erste Etappe auf dem Wege zum eigentlichen Ziel. Der dort aufgestellte Apparat ist noch unter meiner persönlichen Leitung und persönlichen Mitarbeit entstanden. Nunmehr gilt es, meine Funktionen auf andere Personen zu übertragen und die Schwierigkeiten der Serien-Fertigung zu überwinden. Diese Arbeiten sind zwar im vollen Gange; sie werden aber wohl noch einige Zeit fordern. Denn es hat sich als unvermeidlich herausgestellt, daß beinahe für jedes genaue Apparate-Teil eine oder mehrere Spezialmaschinen angefertigt werden müssen, da das neue Modell gegenüber dem Reflexkino zwar optisch einfacher, mechanisch aber komplizierter geworden ist.
Ich möchte deshalb empfehlen, die aufgeworfenen Fragen bis zur Fertigstellung der ersten Serie zu verschieben, denn bis dahin dürften die Fabrikationsschwierigkeiten überwunden sein und ebenso die Preisanfrage sich besser beurteilen lassen. Zugleich läuft mit diesem Zeitpunkt mein Vertrag mit der Firma Leitz ab. Heute kann ich jedoch schon soviel sagen, daß ich grundsätzlich bereit bin, auch noch andere Firmen an der Herstellung teilnehmen zu lassen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich auch noch andere Wege als der von Ihnen ins Auge gefaßte als gangbar erweisen.
Ich habe mir über die eigentliche Ausbeutung meiner Patente noch nicht viel Gedanken machen können, da das rein Technische bezw. die Überwindung von Fabrikations-Schwierigkeiten mich vollständig in Anspruch genommen hat und mich noch in Anspruch nimmt.
Ich begrüße Sie mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung als Ihr ergebener
gez. Emil Mechau
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