Zum Auffrischen und Erinnern . . . .
. . . sind diese Seiten hier gedacht, denn viele wissen nicht mehr oder noch nicht, wie es damals angefangen hat und wie das wirklich funktioniert mit dem Fernsehen, den Kameras, den Videorecordern, den Tonband- und den Magnetband- geräten aus alter Zeit. Viele Bilder können Sie durch Anklicken vergrößern.
Aus der Geschichte des Fernsehens - Die ersten fünfzig Jahre
Von Dipl. Ing. Gerhart Goebel - Darmstadt (aus 1978)
(Anmerkung der Redaktion: Diese Artikel wurden aus den Fese Publikationen ohne Korrektur übernommen, auch wenn hin und wieder "Großdeutsche Wunschvorstellungen" oder leichte Geschichtsklitterung zu erkennen ist.)
Das Problem des „Fernsehens", der Umwandlung beliebiger Bilder in analoge elektrische Werte und deren Rückverwandlung in ein dem Original ähnliches sichtbares Bild, tauchte vor etwa hundert Jahren im Anschluß an Bells Telephon auf, nachdem durch Zufall die photoelektrische Wandlereigenschaft des Selens entdeckt worden war.
Anhand zeitgenössischer Veröffentlichungen und Patente wird gezeigt, wie sich rund ein halbes Hundert Erfinder bemüht haben, die Aufgabe mit den ihnen jeweils bekannten technischen Mitteln zu lösen, bis Mitte der zwanziger Jahre das Fernsehen verwirklicht werden konnte.
1 Der Ursprung 1873
Am 4. Februar 1873 berichtete der Chef-Elektriker der englischen Telegraph Construction Company, Willoughby Smith, dem Vizepräsidenten der Society of Telegraph Engineers von einer Beobachtung seines Assistenten Joseph May: Smith hatte 1866 während der Auslegung des Atlantik-Kabels zwischen Valentia und Heart's Content bei konti-nuierlichen Überwachungsmessungen als Vergleichswiderstände Stäbe aus kristallinem Selen benutzt, einem 1817 von Jons Jakob Berzelius entdeckten Element mit hohem spezifischem Widerstand. Das Selen erwies sich indes für Meßzwecke als ungeeignet, weil seine Leitfähigkeit - abhängig von der Intensität des auffallenden Lichts - „von 15% bis auf 100%" zunahm. Nachdem Graham Bell 1876 sein Telephon erfunden hatte, erschienen in der Fachliteratur unter Titeln wie „Seeing by electricity", „Voir par le telegraphe", „Elektrische Teleskopie" u. a. zahlreiche Vorschläge, die photoelektrische Wandler-Eigenschaft des Selens auszunutzen, um „mit Hilfe der Elektricität in die Ferne zu sehen".
2 Das spekulative Zeitalter
2.1 DePaiva 1878
Im März 1878 veröffentlichte die in Coimbra erscheinende wissenschaftlich literarische Zeitschrift Instituto einen am 20. Februar eingereichten Artikel „Die Telephonie, die Telegraphie und die Telescopie" von Adriano de Paiva, Professor der Physik an der Polytechnischen Akademie von Porto. Nach einer Würdigung des Bellschen Telephons im Vergleich zum Telegraphen sprach der Verfasser darin von einer bevorstehenden neuen „wissenschaftlichen Entdeckung... der Anwendung der Elektrizität auf die Telescopie". Er stellte sich eine Camera obscura vor, deren optisches Bild auf eine „empfindliche Platte" aus Selen projiziert werden sollte, „wobei es ... die verschiedenen Regionen der Platte in verschiedener Weise beeinflussen würde.
Man müßte also nur noch das Mittel entdecken, um die nicht als unmöglich zu betrachtende Umwandlung dieser durch die Platte absorbierten Energie in elektrische Ströme durchzuführen, die darauf das Bild wieder zusammensetzten". In der Antwort auf einen Leserbrief de Paivas nannte die Zeitschrift La Nature am 23. August 1879 seinen Gedanken „originell und kühn"; die von ihm erträumte Lösung „würde glänzend sein" - Literatur darüber gebe es vermutlich nicht. Im Oktober 1879 bestätigte ihm der Commercio do Porto ausdrücklich seine Priorität, die Grundidee der elektrischen Teleskopie veröffentlicht zu haben, obwohl de Paiva „mangels ausreichender Hilfsquellen" seinen Apparat nicht hatte bauen lassen; aber seine Angaben, meinte er, kämen „der Nachwelt zugute".
2.2 Senlecq 1878
Anfänglich gab es während des spekulativen Zeitalters nur diese Art von "Fernseher".
Im November 1878 legte der französische Rechtsanwalt Constantin Senlecq aus Ardres der Zeitschrift L'Electriäte den Plan eines Apparats zur telegraphischen Übermittlung optischer Bilder vor, den er "Telectroscope" nannte. (Das Wort wurde später in der zeitgenössischen Literatur als Gattungsname wahllos auch für andere "Fernseher" verwendet.) Beim Geber sollte das vom Objektiv einer Camera obscura auf die Mattscheibe projizierte Bild des fernzusehenden Gegenstands von einer Selenspitze abgetastet werden, die von "irgendeinem" aus der Faksi-mile-Telegraphie bekannten Mechanismus über das Bildfeld geführt wurde.
Auf einer einzigen Leitung sollten die der Helligkeit der verschiedenen Bildelemente entsprechenden Bildsignalströme sequentiell zum Empfänger gelangen und dort den Elektromagneten eines Fernhörers erregen, an dessen Membran ein weicher Bleistift (!) befestigt war. Dieser synchron und konphas mit der Selenspitze bewegte Schreibstift würde - so meinte Senlecq - je nach der Intensität des Bildstroms mit mehr oder weniger starkem Druck auf einem Papierblatt aufliegen und so durch wechselnde Schwärzung das ferne Bild reproduzieren. Senlecqs Verdienst ist es, daß er als erster die von Alexander Bain 1843 für die Faksimile-Telegraphie eingeführte, damals noch galvanische Rasterung des Bildfeldes für sein "Telectroscope" übernahm und das Nebeneinander der Bildelemente im Raum durch ein Nacheinander der Bildsignale in der Zeit ersetzte.
Die Vision von 1880 "Le Telectroscope"
Senlecq, der wahrscheinlich selbst die Untauglichkeit seines naiven Vorschlags von 1878 erkannt hatte, veröffentlichte 1880 unter dem Titel "Le Telectroscope" ein Buch, in dem er einen neuen Fernseher mit kommutiertem Vielzellen-Raster beschrieb: Auf der Geberseite wollte er das zu übertragende optische Bild auf eine Kupferplatte mit einer Vielzahl kleiner Bohrungen projizieren, die mit Selen gefüllt waren. Von jeder dieser Elementar-Selenzellen führte ein Draht als Gegenelektrode zu den Kontakten eines linearen Kommutators, dessen auf einem Schlitten angebrachte Kontaktbürste die Zellen über eine Batterie nacheinander an eine einzige Übertragungsleitung legte. Gleichzeitig gab eine zweite Kontaktbürste des Schlittens über eine zweite Leitung Stromimpulse auf einen Elektromagneten im Empfänger, dessen Anker durch eine Sperrklinke die von einem Uhrwerk angetriebene Kontaktbürste eines rotierenden Empfangskommutators freigab.
Dieser verteilte die Bildsignalströme auf Drähte, deren Enden in einer Hartgummiplatte lagengleich zu den Selenzellen auf der Geberseite angeordnet waren und auf präpariertem Papier elektrochemisch das Empfangsbild erzeugen sollten. Sooft der Schlitten des vertikalen Sendekommutators durch sein Eigengewicht herabfiel, sollte das Bild "fast augenblicklich" reproduziert werden. "Wenn man am Empfänger Platindrähte benutzt, die mit dem negativen Pol verbunden sind" - meinte Senlecq -, "kann man durch das Glühen (!) dieser Drähte entsprechend den verschiedenen Stromstärken ein zwar flüchtiges, aber so intensives Bild erlangen, daß der Eindruck auf der Netzhaut während der relativ sehr kurzen Zeit, die der Schlitten baucht, um alle Kontakte zu durchlaufen, nicht erlischt. Auch kann ein Ruhmkorff-Induk-tor benutzt werden, um anstelle des Glühens der Drähte Funken zu erhalten, die dem Sendestrom entsprechen". Wenn auch Senlecqs zweiter Vorschlag für einen Fernseher schon aus physikalischen Gründen nicht ausführbar war, so enthält er doch zwei weiterführende Ideen: den kommutierten Zellenraster und die starre Kopplung zwischen Bildsignalen und Synchronisierimpulsen.