Dokumente aus dem Nachlass des Günter Bartosch (2013†)
von Gert Redlich im Dez. 2015 - Günter Bartosch hatte sie alle aufgehoben, die Dokumente von vor über 70 Jahren, die belegen, so war es 1945 wirklich: "Der Weg aus 12 Jahren Diktatur in die Freiheit."
Und sie stimmen überein mit den Geschichten des Wolfgang Hasselbach, Professor Michael Hausdörfer, Eduard Rhein, Artur Braun, Herrman Brunner-Schwer und auch Max Grundig. Doch wohin damit ? Wo passen diese Zeitzeugen- Geschichten und -Bilder hin ? Mehr über berufliche Erlebnisse und seine ZDF-Zeit lesen Sie bei den Sendern.
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Dies sind Aufzeichnung von meinem Klassenkameraden -
"Das Kriegsende Mai 1945 zeichnet sich ab"
- Er war damals - wie ich auch - 16 Jahre und fünf Monate alt. -
Texte, Schreibmaschinenseiten und Bilder aufgearbeitet von Gert Redlich im Dezember 2015.
Die Erlebnisse im April 1945
Aufzeichnung von einem Klassenkameraden von Günter Bartosch - Kriegsende Mai 1945
Seit dem 30. April 1945 war es bei uns bekannt, dass wir vor einem Sondereinsatz standen. Wir lagen nun schon zwei Tage im Keller der Deutschen Bank in der Mauerstrasse, also nahe am Regierungsviertel, und warteten auf neuen Einsatz. Dieser kam dann auch in der Nacht vom 1. zum 2. Mai .
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Die Russen waren fast überall
Berlin war ja zu diesem Zeitpunkt bis auf die Gegend, die innerhalb der Linie Bahnhof Friedrichstrasse, Spree, Schlossbrücke, Dönhoffplatz, Leipziger Strasse, Potsdamer Platz, Brandenburger Tor, Spree lag, schon völlig von den Russen besetzt, und wir bekamen so den Auftrag, mit noch anderen Streitkräften zusammen, längs der Friedrichstrasse (später Chaussee- und Müllerstrasse) nach Norden durch die russische Front durchzubrechen und uns bei Oranienburg mit den angeblich dort stehenden Entsatzarmeen der Marine unter Dönitz zu vereinigen.
Wir planen einen Durchbruch
Wir fingen also bereits am Nachmittag des 1. Mai mit den Vorbereitungen zu jenem geplanten Durchbruch an, indem wir unsere Waffen reinigten, prüften und durchluden, die Handgranaten und Panzerfäuste scharf machten, jeder sich mit mindestens 120 Schuss Gewehrmunition versah, und, nicht zu vergessen, ordentlich Verpflegung einsteckte. Jeder bekam für drei Tage Verpflegung, bestehend aus Brot, Butter, Ölsardinen, Büchsenfleisch und -wurst, Kandiszucker, Bonbons und Einsatzverpflegungspäckchen.
Dies war zwar schon eine Unmenge, und ich wusste kaum, wo ich das alles verstauen sollte, aber 24 Stunden später ärgerte ich mich gewaltig, dass ich nicht statt der 120 Patronen und der Handgranaten noch mehr Verpflegung eingesteckt habe. Nachdem wir dann noch eine warme Mahlzeit zu uns genommen hatten, legten wir uns schlafen, um die Zeit bis Mitternacht nutzbringend zu verwenden.
Um 23 Uhr gings los
Gegen 23 Uhr verließ unsere Kompanie, die aus drei Zügen mit zusammen etwa 120 Mann bestand, das Bankgebäude durch die dahinter liegenden Gärten, und wir kamen so an der Wilhelmstrasse raus. In unserer Gruppe hatte jeder ausser seinen Waffen noch etwas zusätzlich zu tragen, entweder das M.G. oder dessen Ersatzlauf, oder Munitionskästen dazu, oder eine Panzerfaust. Ich hatte das Pech, eine solche tragen zu müssen (denn sie war mit ihren 8 kg von allen das Schwerste).
Berlin - ein einziges Trümmerfeld
Wir gingen dann in Schützenkette die Wilhelmstrasse hoch, bogen rechts in die "Linden" ein, um dann an der "Kranzler-Ecke" auf die Friedrichstrasse zu gelangen. Rings um uns blitzte es dauernd am Himmel auf und die Abschüsse und Einschläge der Artillerie liessen die Luft erzittern.
Die "Linden" bildeten ein einziges Trümmerfeld, und zu den durch den Luftkrieg schon ohnehin zerstörten Gebäuden war nun noch die Zerstörung auf dem Fahrdamm getreten. Ein Granattrichter reihte sich dort neben den anderen, und dazwischen sperrten zerschossene Fahrzeuge den Weg. In der Gegend des Brandenburger Tors konnte man deutlich Schützenfeuer bemerken.
Wir kamen bis Bahnhof Friedrichstrasse
Wir hatten alle Mühe, in der langen Reihe nicht den Anschluss zu verlieren, denn bei dem anhaltenden Streufeuer der feindlichen Artillerie musste man sich alle paar Minuten in den Dreck schmeissen, bzw. eine Deckung suchen. So gelangten wir durch die ebenso trostlos aussehende Friedrichstrasse zum Bahnhof Friedrichstrasse. Dass hier jedoch etwas im Gange war, merkte man auf den ersten Blick.
Unter der grossen Eisenbahnbrücke standen Fahrzeuge über Fahrzeuge, um vor dem andauernden Artilleriefeuer geschützt zu sein. Der Durchbruch musste also schon ziemlich weitläufig angelegt sein, denn hier standen neben Panzern und Sturmgeschützen auch Feldgeschütze mittleren und schweren Kalibers. Bei entsprechender Führung sah also die Sache garnicht so aussichtslos aus, und das erhöhte unsere Stimmung.
Mitternacht am Bahnhof Friedrichstrasse
Es wimmelte geradezu von Soldaten aller Waffen, und es war hier um Mitternacht am Bahnhof Friedrichstrasse ein Betrieb, wie man ihn zu Friedenszeiten nicht stärker hätte finden können. Wir schlängelten uns also durch bis zum Admiralscafe, das man durch die grossen, zerbrochenen Schaufenster leicht betreten konnte. Hier in den Sesseln und Sofas machten wir erst nochmal eine kurze Esspause, und zogen dann weiter bis zur Weidendammer Brücke, die wegen Feindeinsicht im "Sprung auf", "marsch, marsch!" überschritten werden musste.
Als die ersten Kugeln zwitscherten
Gleich hinter der Brücke war eine Panzersperre, die aber in der Mitte noch offen gelassen war. Hier zwitscherten bereits die ersten Kugeln. An der nächsten Ecke rechts, es war die Ziegelstrasse, befand sich nämlich ein feindliches M.G.-Nest, das auf jede unvorsichtige Bewegung hinter der Spree sofort mit Scharfschützen- und Maschinengewehrfeuer antwortete. Im toten Winkel der Spree hockten bereits eine ganze Anzahl Landser, die auf eine Feuerpause warteten, um durch die Öffnung der Sperre in eins der davor liegenden Häuser oder in eine Ruine zu gelangen.
"totsicher" war die russische Treffsicherheit
Ich nahm zuerst an, dass es sich hier um ein M.G.-Nest von Partisanen, z.B. ausländischen Arbeitern handele, (diese gab es während der Kämpfe ziemlich häufig), musste jedoch später feststellen, dass es bereits die sowjetische HKL war. Das Feuer wurde von unserer Seite durch drei Schützenpanzerwagen erwidert, die mit ihren 2cm Flaks kräftig beim Iwan reinfunkten. Jedoch, obwohl nach menschlichem Ermessen sich dort schon längst keine Seele mehr rühren konnte, setzte, sobald die Flak schwieg, das Gewehrfeuer wieder ein, und zwar mit einer Treffsicherheit, die im wahrsten Sinne des Wortes nur mit "totsicher" bezeichnet werden konnte.
Das Haus musste eine ziemlich dicke Mauer haben, hinter die sich die Russen bei jedem Feuerschlag zurückzogen. Als einmal einer der Schützenpanzer näher an die Sperröffnung kam und uns mit seiner Kanone Feuerschutz gab, sprangen wir einzeln vor in die Trümmer eines Hauses auf der rechten Strassenseite, wo wir noch durch ein heiles Haus gedeckt waren.
Die Russen im Nahkampf auszuräuchern
Langsam sammelten sich hier immer mehr Soldaten, und wir warteten darauf, dass diese Sperrstellung endlich beseitigt würde, damit wir vorgehen konnten. Aber vergebens. Die 2cm mochte noch so wütend dort drüben reinhalten, es regte sich immer noch Leben. Da bekam unsere Kompanie den Auftrag, über die Ziegel Strasse hinüber in den Hausflur jenes Hauses zu springen und dann den Stützpunkt im Nahkampf auszuräuchern.
Welche Gefühle mir dabei kamen, als ich den Befehl hörte, wird sich wohl jeder selbst denken können, der weiss, was Nahkampf bedeutet.
Ein Krach wie bei einem Bombeneinschlag
Gleichzeitig wurde ein Sturmgeschütz vorgezogen, das nun mit seiner 7,5cm Kanone, die mittlerweile lästig gewordene Sperre ausheben sollte. Der Führer unseres 1. Zuges, ein Gefolgschaftsführer, war inzwischen schon drüben mit seinem Zug eingedrungen, aber anscheinend vom Feind noch nicht bemerkt worden. Mit dem Sturmgeschütz als Deckung war inzwischen ein ganzer Haufen Soldaten hinter der Panzersperre hervorgekommen, sodass sich jetzt Streitkräfte von etwa drei Kompanien hier befanden.
Gerade sollte der 2. Zug, zu dem auch ich gehörte, über die Strasse setzen, als es einen Krach wie bei einem Bombeneinschlag gab und jeder schleunigst sich langzumachen versuchte. Nun stelle man sich aber mal einen Strassenbahnwagen, der vollbesetzt ist, vor, in dem jeder versucht sich auf den Boden zu werfen. So ist dies Chaos am besten zu beschreiben.
Was war geschehen? Die Russen hatten auf das Sturmgeschütz eine Panzerfaust abgeschossen, die dicht daneben explodiert war, ohne das Sturmgeschütz weiter zu beschädigen. Da aber am und um das Geschütz dicht gedrängt Menschen standen, war die Wirkung verheerend. Eine zweite Panzerfaust erhöhte dann die Wirkung der ersten.
"Wenn die Russen jetzt angreifen . . . ."
Mein erster Gedanke war: "Endlich ein Grund, die Panzerfaust los zu werden!" Ich liess das Ding liegen, wo ich mich hingeworfen hatte, und versuchte, im allgemeinen Wirrwarr hinter die schützende Strassensperre zu kommen. Der Durchlass lag zwar unter Feuer, aber mit ein paar raschen Sprüngene erreichte ich dann doch die Brücke. Von meinen Kameraden war keine Spur mehr zu sehen, überall riefen Soldaten nach ihren Einheiten, und ich musste denken: "Wenn die Russen jetzt angreifen, haben sie mit diesem führungslosen Haufen leichtes Spiel, und wir sind alle verloren!". Aber der Gegner mutzte die Chance nicht aus, er hatte es anscheinend garnicht mehr nötig.
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Mitten im Kampf - eine Runde schlafen
Ich ging dann zurück zum Admiralscafe, wo ich mich in einen Polstersessel setzte und bis zum Morgengrauen schlief. Als es dann hellgeworden war, bemerkte ich erst, dass während ich schlief, die sowjetische Artillerie die ganze Fahrzeugansammlung um den Bahnhof herum zerschlagen hatte. Nur die paar Wagen, die unter der Brücke standen, waren heil geblieben. Sonst hatte auch das Schiessen aufgehört, und man sah, wie sich überall Gruppen von Landsern zusammenschlössen, um in Ermangelung ihrer Truppe sich mit so einem Haufen zusammen durchzuschlagen.
Durchs Brandenburger Tor nach Westen
Da ich immer noch keinen Kameraden wiedergetroffen hatte, schloss ich mich auch so einer Gruppe an, die versuchen wollte, vom Brandenburger Tor aus nach Westen hinauszugelangen. Wir zogen also durch die Dorotheenstrasse und wollte gerade am Reichstag zum Tiergarten hinüber, als es aus diesem ganz unangenehm knallte und uns um die Ohren pfiff. Als die Vordersten die Schüsse hörten, machten sie sofort kehrt und liefen zurück. Die Mittleren, die überhaupt noch nicht begriffen hatten, was eigentlich los war, sahen nur die Ersten zurückrennen, und gingen dann ihrerseits zurück, wodurch die Letzten dann natürlich in der Annahme, der Feind greife an, ebenfalls das Hasenpanier ergriffen. Es war ein bedauerlicher Anblick eine führerlosen Truppe, in der es keine Disziplin mehr gab und jeder nur an die eigene Rettung dachte.
Die Hoffung auf Entsatztruppen am Stettiner Bahnhof
In der Hoffnung, am Bahnhof Friedrichstrasse mich an eine Truppe anschliessen zu können, die noch einen Führer hatte, machte ich mich auf den Weg dahin zurück. Unterwegs nahm ich noch von einem halbzerstörten Lkw ein paar Büchsen ölsardinen und Zigarettenschachteln mit, und hatte dann das Glück, zwei meiner Kameraden zu treffen. Diese hatten versucht, über die Eisenbahnbrücke am Pergamon-Museum aus dem Kessel hinauszukommen, was ihnen aber wegen des starken Infantriefeuers vom Lustgarten her nicht gelungen war. So beschlossen wir, da ja auch die Schleusen der Spreeunterquerung der S- und U-Bahn geschlossen waren, auf dem Fussübergang unter der Eisenbahnbrücke über die Spree am Schiffbauerdamm hinüberzugehen, was uns auch ohne weiteres gelang.
Hier trafen wir noch etwa 200 Mann verschiedener Truppenteile, die sich in Berlin nicht auskannten und sich nun uns als Berliner anschlossen. Ohne irgendwelche Feindberührung kamen wir durch eine Parallelstrasse der Friedrichstrasse zum Deutschen Theater. Der Gegner, der in der Nacht vorn an der Ziegelstrasse gesessen hatte, war anscheinend zurückgegeangen.
Durch einen kleinen Friedhof kamen wir dann auf die Chausseestrasse. Einige Schlauköpfe wollten sogar wissen, dass unsere Entsatztruppen bereits am Stettiner Bahnhof ständen. Als wir jedoch dort vorbeikamen, konnten wir zu unserer grössten Enttäuschung nichts davon bemerken.
Jetzt erst wissen wir es - Hitler ist tot, Dönitz ist Chef
Die erste Feindberührung bekamen wir erst wieder kurz vor der Polizeikaserne aus einer Toreinfahrt. Hier erfuhren wir von Zivilisten, dass die Kaserne von Russen besetzt sei, und von hier ab im Wedding ein Russe nach dem anderen läge, also an ein Durchkommen überhaupt nicht zu denken sei. Sie sagten uns unter anderem auch, dass Hitler tot sei und Dönitz die Regierung übernommen habe.
Das Ende des T34
Ein paar von uns hatten inzwischen in einer Seitenstrasse einen T34 bemerkt, den sie zu knacken Lust verspürten. Dazu fehlte ihnen aber eine Panzerfaust. Ein etwa zehnjähriger Junge sagte aber, dass drüben in der Kaserne auf dem Flur ein ganzer Stapel läge, und dass sie nur einen Moment warten sollten, er werde ihnen dann welche holen.
Er lief auch los, und kam nach kurzer Zeit mit zwei Panzerfäusten zurück, die er aus der von Russen besetzten Kaserne geholt hatte. Damit zogen dann die drei Panzerknacker los, und nach ein paar Minuten verkündete ein ohrenbetäubender Krach und eine dicke Rauchwolke das Ende des T34.
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Berlin hat heute vormittag kapituliert
Wir anderen waren nun inzwischen an den Rand des Kasernenhofes geschlichen und wollten nun von hier aus durch das Polizeistadion weiter.
Da bemerkten wir, wie etwa 100m vor uns auf dem Hof ein paar deutsche Soldaten mit zwei Russen standen und sich ganz friedlich unterhielten. Als die Russen uns bemerkten, riefen sie: "Halt, stoi, Kameraden, nix schiessen! Woina (Krieg) kaputt, Hitler kaputt, germanski Soldat gut Kamerad!" Nun kamen auch ein paar von unseren Soldaten auf uns zu und sagten:
"Kameraden, es hat keinen Zweck, weiter zu kämpfen, von hier ab ist alles besetzt, und ihr kommt niemals durch. Berlin hat heute vormittag (es war jetzt 14 Uhr) kapituliert, der Waffenstillstand tritt heute um 16 Uhr in Kraft, und dann könnt ihr alle, soweit ihr in Berlin wohnt, nach Hause gehen. Legt also die Waffen nieder und ergebt Euch!"
Solln wir oder solln wir nicht ?
Daraufhin setzte eine aufgeregte Diskussion ein, ob man auf das Angebot eingehen solle oder nicht. Ein Teil war dafür, wozu mein Kamerad D. und ich gehörten, während der andere, weit geringere Teil, zu dem mein Freund B. gehörte, dagegen war. Er vertrat seinen Standpunkt mit der Begründung, dass das alles doch bloss eine Finte sei, die der Gegner anwendet, uns zu überrumpeln. Wenn wir nur erst unsere Waffen aus der Hand gelegt hätten, dann würden wir schon sehen, was sie mit uns machten.
Er war eben noch sehr von jener Legende erfüllt, wonach die Sowjets alle Gefangenen nach Sibirien schickten. Ich muss ja nun sagen, dass ich früher auch daran geglaubt hatte, aber in diesem Moment war mir das alles egal, und ich schenkte den Russen bedingungslos Glauben, insbesondere auch der Versprechung, dass wir alle noch heute entlassen würden.
Mein großer Fehler
Dies war mein Fehler. Während sich B. auf dem Sportplatz verkrümelte und sich dann später nach Hause durchschlug, kamen D. und ich der Aufforderung, uns zu ergeben, nach, und liessen uns dann, nachdem wir unsere Waffen zerschlagen hatten, gefangen nehmen.
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15 Monate im Kriegsgefangenenlager
Mein Klassenkamerad kam in ein Kriegsgefangenenlager nach Landsberg /Warthe, aus dem er im August 1945 entlassen wurde.
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