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März 2025 - Was ist so "aufregend" an diesen Artikeln ?

Im März 2025 eskalkierte der relativ friedliche langjährige Zusammenhalt "der Amerikaner" mit den westlichen Staaten Europas in Form der transatlantischen Staaten-Gruppe - der "NATO". Der greise Präsident Donald Trump (78 Jahre) kündigte alle vormaligen Zusagen und Versprechungen Kraft seines Amtes als gewählter Präsident der USA auf.

Und auf einmal war alles anders - für die meisten Europäer angeblich unerwartet. Weiterhin ließ er sich von seinem Gegner in Russland - also ganz bestimmt nicht von seinem "Freund" Wladimir Putin" (72 Jahre) - mit der versprochenen schnellen bzw. sofortigen Lösung des Ukraine Kriegs an der Nase herum führen und über den Tisch ziehen.

Verblüffend ist jetzt in diesen 1948er Artikeln, - es sind ja in 2025 immerhin 75 Jahre vergangen - einige der Autoren haben das taktische hinterlistige Prozedere des geschulten Geheimdienstlers Putin so viele Jahre vorher vorausgesagt.
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Ein weiterer Vergleich zeigt hier auf die schriftlich niedergelegten Erfahrungen des amerikanisch deutschen Presseoffiziers Curt Riess von 1957 - aber lesen Sie selbst : Berlin 1945 bis 1953

Wortlaut von 1953
: (Ein eigenartiger Vorschlag. "Einer" (Anmerkung : gemeint ist ein Politiker aus Bayern), der wirklich so tut, als könne man mit den Sowjets und den Kommunisten Verträge schließen, die auch eingehalten würden, als würden die auf der andern Seite aufhören, die Menschen zu terrorisieren, in ihre Armee zu pressen und in Zuchthäuser zu sperren, nur, weil die Menschen keine Fluchtmöglichkeiten mehr haben! ..........)

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"Der Monat"
1. JAHRGANG - NOVEMBER 1948 - NUMMER 2

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DREI GRUNDZÜGE WESTLICHEN DENKENS

SIDNEY HOOK

Von den Philosophen verlangt man heutzutage eine Philosophie, die den Frieden und die Demokratie sichert, die klassische Tradition vor dem Untergang bewahrt, die Religion in Theorie und Praxis unterstützt, die Zahl der Ehescheidungen verringert, das freie Unternehmertum rechtfertigt oder den Vereinten Nationen den Rücken stärkt.

Ob der Glaube an die Rolle der Philosophie bei der Beseitigung der Nöte dieser Welt berechtigt ist oder nicht, er beweist jedenfalls das Vertrauen auf die Macht der Ideen selbst bei denen, die immer nur vom Konkreten sprechen — das jemand einmal die irreführendste Abstraktion unserer Sprache genannt hat.

Dieser Glaube sollte die Philosophie an ihre ewige Mission mahnen. Denn in der jüngsten Vergangenheit haben sich die Berufsphilosophen nicht allzu viel mit der großen Frage nach den ethischen Werten befaßt, deren kritisches Studium den wahren Kern der Philosophie in ihrer großen Tradition darstellt.

Nun unterscheidet sich der echte Philosoph vom bloßen ideologischen Denker dadurch, daß er nicht im Dienste irgendwelcher nationalen oder parteipolitischen Interessen steht.
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Sein vornehmstes Streben gilt der Wahrheit

Sein vornehmstes Streben gilt der Wahrheit; möge sie auch noch so schwer zu finden sein, und wenn sie endlich gefunden ist, noch so unangenehm anzuhören sein. Er hat seinen Mitmenschen keine besonderen Gaben voraus, die ihm bei der Entdeckung oder Beurteilung der Werte helfen könnten.

Seine kritische Schulung sollte ihn jedoch in die Lage versetzen, die Bedeutung der Werte zu erkennen, auf die wir uns verpflichtet haben, die sich ergebenden Alternativen, ihre Beziehung zu unseren Bedürfnissen und die Art des Beweises, die erforderlich ist, um eine vernunftgemäße Wahl zu treffen, ohne die eine Selbsterkenntnis unmöglich ist.

Das dankbarste Gebiet der philosophischen Analyse ist der Konflikt der Werte innerhalb unserer eigenen Tradition und zwischen den Werten der unsrigen und fremder Traditionen. Um ihm erfolgreich zu Leibe zu gehen, bedarf es einer Kenntnis sozialer, politischer und wirtschaftlicher Tatsachen, wie sie meiner Ansicht nach nur wenige Philosophen besitzen.

Das erklärt zum Teil, warum die Philosophen diesen Themen aus dem Wege gehen oder doch so außergewöhnliche Dinge darüber sagen wie der amerikanische Philosoph, der den Konflikt zwischen Demokratie und Kommunismus im wesentlichen als „einen Konflikt zwischen der englischen prä-kantianischen Erkenntnistheorie und der deutschen post-kantianischen Erkenntnistheorie" bezeichnete, und nach dessen Meinung die Zukunft des Weltfriedens von der Verbreitung der einzig richtigen Theorie abhängt - es ist zufällig seine eigene - die sich mit der Beziehung zwischen Wahrnehmung, Erinnerung und wissenschaftlichen Tatsachen befaßt.
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Vom Kreuzzug des Totalitarismus

Auf jeden Fall wird uns die Krise unserer Zeit, die unter anderem auch in dem Kreuzzug des Totalitarismus gegen die westlichen Demokratien in Erscheinung tritt, immer mehr zwingen, das Verfahren einer kulturellen Selbsterkenntnis einzuleiten.

Vor allem müssen wir uns darüber klarwerden, was vom geistigen Erbe der westlichen Völker noch gültig ist. Natürlich sollten wir erkennen, daß eine derartige Wertung der Geschichte unvermeidlich über die bloße Beschreibung dessen, was diese Tradition war oder noch ist, hinausgeht.

Bis zu einem gewissen Grade schreiben wir ihr auch vor, wie sie sein sollte. Jede Abweichung von der Tradition wird nur allzu gern mit Gründen belegt, die aus eben dieser Tradition abgeleitet sind. Wilhelm von Occam bestand hartnäckig darauf, daß er lediglich auf Aristoteles zurückginge, ebenso wie Luther nur auf das primitive Christentum und Lenin nur auf Marx zurückgegangen sein wollten.

Es wird kaum jemand bestreiten, daß sowohl Hamilton wie Jefferson, Lincoln wie Jefferson Davis, Huey Long wie Roosevelt zur amerikanischen Tradition gehören.
Zur französischen Tradition gehört Napoleon ebenso wie Emile Zola, Leon Daudet ebenso wie Leon Blum; zur deutschen Bismarck und Marx, Treitschke und von Ossietzky.

Die gleiche Zwiespältigkeit tritt in England in Erscheinung, ob wir nun Philosophen wie Hobbes und Locke, Carlyle und Mill ins Auge fassen, oder Politiker wie Cobden und Disraeli, Churchill und Morrison.
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Über die Tradition der demokratischen Kultur

Die Geschichte aller Völker weist krasse Übergänge und scharfe Kehrtwendungen auf. Ihre Traditionen sind teilweise das Ergebnis von Bürgerkriegen, Eroberungen und Revolutionen. Niemand kann aus der Vergangenheit oder Gegenwart einer Tradition vorhersagen, wie ihre Zukunft aussehen wird.

Darum sind wir zu Recht mißtrauisch gegen alle, die von der Tradition eines Landes sprechen, als stelle sie das endgültige Patent der Legitimität aus. Die Erforschung einer Tradition gleicht der Suche nach einem Ahnen auf einer Geschlechtertafel - wir gehen über das Unangenehme und Peinliche hinweg wie über einen fremden Einschlag und halten uns dafür an das, was uns als Ursprung unserer Tradition beispielhaft erscheint.

Bei diesem Versuch, die wesentlichsten Merkmale der westlichen Tradition zu beschreiben, bin ich mir wohl bewußt, daß die von mir ausgewählten Züge keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Aber bei aller Zwiespältigkeit scheint mir doch eine Tendenz vorzuherrschen.

Wenn man die Tradition der demokratischen Kultur betrachtet, scheinen sich drei besonders wichtige Dinge hervorzuheben.

  • Erstens das Prinzip des freien Einverständnisses, das sich in ihren Institutionen verkörpert;
  • zweitens die Entwicklung einer experimentellen, empirischen Geisteshaltung, die man, wenn das Wort nicht zu unvermeidlichen Mißverständnissen führen müßte, als „pragmatisch" bezeichnen könnte;
  • drittens die Erkenntnis vom Wert der Verschiedenartigkeit und die Einsicht, daß viele verschiedene Varianten des Vorzüglichen möglich sind.


Alle drei Prinzipien werden offensichtlich nur unvollkommen verwirklicht, aber man kann meiner Ansicht nach doch unterstellen, daß unsere Kultur sich in diesen drei Richtungen entwickelt hat und daß diese drei innerhalb unserer Kultur mehr bedeuten als innerhalb anderer Kulturen, etwa der chinesischen oder der russischen.
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Über die Wahrheit von Behauptungen, Fakten und Werte

Heute müssen wir diesen Werten ganz besonderes Verständnis entgegenbringen, weil sie von anderen Völkern oder besser gesagt: anderen Regierungen scharf angegriffen werden.

Und ein zweiter, ebenso wesentlicher Grund ist, daß sie, wenn sie auch ein homogener Bestandteil unserer eigenen Tradition sind, doch unter gewissen günstigen Bedingungen weiter ausgedehnt und zum integrierenden Bestandteil einer Weltkultur werden können, in der verschiedene nationale Kulturen bei Wahrung ihrer Unterschiede sich doch in der Behandlung gemeinsamer Probleme vereinigen würden.

Das wichtigste von diesen drei Merkmalen ist offensichtlich die experimentell-empirische Einstellung. Sie beurteilt die Wahrheit von Behauptungen, ob diese sich auf Fakten oder Werte beziehen, je nach der Bedeutung der sich ergebenden Konsequenzen.

Sie wertet ein Bekenntnis nach den Taten, die es auslöst. Sie betrachtet Prinzipien als Richtlinien des Handelns. Sie geht Abstraktionen nicht aus dem Wege, denn ohne Abstraktionen kann man nicht denken, aber sie verbindet sie mit dem, was allgemeine Erfahrung ist oder sein könnte.

Sie billigt den „Erscheinungen" keinen geringeren Anspruch auf Wahrheit zu als der „Realität", weil die Erscheinungen, das heißt das Wahrnehmbare, immer Teil einer Realität sind. Die empirische Einstellung hält das Reale nur in dem gleichen Maße für rational wie die wahrnehmbaren Erscheinungen.

Eine Realität, die in den tatsächlichen Erfahrungen unseres Lebens keinen Raum hat, gilt ihr als eine Schimäre. Diese Haltung ist in ihren Urteilen experimentell, aber da sie überhaupt Urteile fällt, ist sie nicht irresolut.

Sie ist von vornherein skeptisch gegenüber allen hochgeschraubten Behauptungen, aber sie ist nicht zynisch, denn sie gibt zu, daß einige darunter bessere Wegweiser sind als andere. Sie ist profan, auf der Ebene des gesunden Menschenverstandes; sie ist weitherzig gegenüber Möglichkeiten, aber streng gegenüber Beweisen.
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Die vorherrschende Philosophie der angelsächsischen Völker

Diese Einstellung scheint mir die vorherrschende Philosophie der angelsächsischen Völker zu sein - wenn sie auch von anderen Völkern oft mißverstanden und verachtet und auch aus dem eigenen Lager angegriffen wird.

Der Fanatismus politischer und sozialer Lehren, die auf „Weltanschauungen" basieren, ist ihr fremd - so fremd, daß ihr das Verständnis dafür schwerfällt, wofür sie mitunter schwer hat bezahlen müssen.

Wie weise diese Haltung ist, wird besonders aus der Tatsache deutlich, daß sie ohne jede „offizielle" Metaphysik oder Religion ein weitgehendes Einverständnis mit grundsätzlichen politischen Einrichtungen zuwege gebracht hat. Innerhalb der demokratischen Gemeinschaft vom anglo-amerikanischen Typus leben Gruppen und Individuen, die völlig gegensätzliche Ansichten über die Natur Gottes und das Universum, über den Ursprung des Lebens und seinen Sinn vertreten.

Jedoch erkennen sie alle die Werte und den Mechanismus des demokratischen Lebens an - auch wenn ihre jeweiligen theoretischen Begründungen einander widersprechen.

Daß diese praktische Übereinstimmung trotz der Vielfalt der Voraussetzungen, von denen das demokratische Leben angeblich ausgeht, erzielt werden kann, läßt zwei Schlüsse zu.

Erstens, daß keine metaphysische oder theologische Lehre die Annahme irgendeiner sozialen oder politischen Lebensform erfordert. Ich glaube, es ließe sich beweisen, daß keine bestimmte Ideologie die alleinige Voraussetzung für die Demokratie ist.

Welche Doktrin man auch immer wählen mag, es könnte immer Individuen und Gruppen geben - und tatsächlich hat es sie gegeben -, die gute Demokraten sind, ohne sich ihr zu verschreiben.

Zweitens kann man meiner Meinung nach behaupten, daß sogar in nichtdemokratischen Ländern die offiziell vorgeschriebenen metaphysischen, religiösen oder wissenschaftlichen Theorien in sich selbst noch keine logische Rechtfertigung für die diktatorischen Praktiken auf politischem und sozialem Gebiet sind, die in diesen Ländern herrschen. Diese Praktiken werden nicht aus metaphysischen Grundsätzen heraus geübt, sondern weil sie den materiellen Interessen der jeweilig an der Macht befindlichen Gruppe entgegenkommen.
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Die empirische Geisteshaltung

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Warum übernehmen nun Protestanten und Katholiken, Juden, Christen und Mohammedaner, Gottgläubige und Atheisten, absolute Idealisten, Solipsisten und Materialisten trotz aller zwischen ihnen herrschenden Gegensätze bewußt und verstandesmäßig die demokratischen Gebräuche und Einrichtungen, die für die westliche Kultur charakteristisch sind?

Die Antwort, die bereits in der Tatsache dieser Übereinstimmung enthalten ist, lautet: weil sie ihre politischen Urteile auf empirischem Wege bilden. Weil sie die Auswirkungen ihrer Haltung an ihrem eigenen Leben und dem der Gemeinschaft beobachten, und weil sie dabei im Prinzip die gleichen Mittel anwenden - so ungenügend diese auch sein mögen -, mit denen sie zuverlässige Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen ihres privaten Alltagslebens zu ziehen versuchen.

Daß sie politische und soziale Angelegenheiten oftmals nicht bewußt und rational beurteilen, steht auf einem anderen Blatt. Ich spreche hier von den Fällen, in denen sie es tun. Wir stimmen mit ihren Urteilen vielleicht nicht überein. Uns macht vielleicht die Nachlässigkeit oder mangelnde Bereitschaft ungeduldig, mit der sie die empirischen Folgen von Vorschlägen und die Ursachen bestimmter Wirkungen untersuchen.

Aber ganz gleich, ob wir nun Konservative oder Radikale, Sozialisten oder Liberale sind, wir stützen unsere Kritik an der Gemeinschaft nicht auf metaphysische Betrachtungen, sondern auf empirische Tatsachen.

Dieser oder jener Vorschlag, sagen wir, wird diese oder jene bestimmten, wahrnehmbaren Folgen haben. Kein politisches Prinzip wiederum ist so heilig, daß es nicht verworfen werden könnte, wenn es zu untragbaren praktischen Folgen führt. Und es bestehen unter den Menschen weit einheitlichere Ansichten darüber, was tragbar oder untragbar ist, als über die einfachsten Grundsätze der Metaphysik oder der Religion.
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Grundsätze als Wegweiser für das Handeln

Der empirische Zug in der westlichen Tradition tritt vielleicht am deutlichsten in ihrer Weigerung zutage, sich allen logischen Schlußfolgerungen der theoretischen Vorschläge für das soziale und politische Leben zu beugen oder auch nur an sie zu glauben.

Gerade diese elementare Überlegung lenkt unser besonderes Augenmerk mehr auf das, was im Namen von Grundsätzen getan, als auf das, was gesagt oder geschrieben wird, mehr auf die Reaktion, zu der diese Grundsätze in der Öffentlichkeit führen, als auf die persönlichen,gefühlsmäßigen Vorstellungen, die sie hervorrufen.

Wenn mitunter gesagt wird, die Engländer und Amerikaner seien Grundsätzen gegenüber gleichgültig, dann handelt es sich oftmals nicht um Indifferenz, sondern um die Erkenntnis, daß im allgemeinen mehr als ein Grundsatz in einer bestimmten Situation oder zur Lösung irgendeines Problems anwendbar ist und daß Grundsätze als Wegweiser für das Handeln angesehen werden müssen.

Ganz nach der Lage des Falles bekommt einmal der, einmal jener Grundsatz mehr Gewicht - ein Vorgang, den man oft verächtlich als Durchwursteln bezeichnet hat.
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Wenn die Engländer zum Beispiel Sozialismus und Freiheit wollen

Wenn die Engländer zum Beispiel nur den üblichen Sozialismus haben wollten, dann hätten sie ihn mit Hilfe einer Reihe von sorgfältig durchdachten und rücksichtslos durchgeführten drakonischen Verordnungen leicht bekommen können. Wenn sie Freiheit um jeden Preis haben wollten, hätten sie nur zu dem Wirtschaftssystem der dreißiger Jahre zurückzukehren brauchen, unter dem alles verrostete und verkam. Da sie aber beides, Sozialismus und Freiheit, haben wollen, müssen sie Kompromisse schließen, die aus mehreren Gründen die Doktrinäre in den verschiedenen Lagern vor den Kopf stoßen werden.

Im großen und ganzen ist es unsere Tendenz, die Politiker nicht nach ihren Parteiprogrammen zu beurteilen, sondern nach dem, was in ihrem Namen praktisch geleistet wird. Wenn wir uns unter den neuen Demokratien in Rußland und Osteuropa oder den organischen Demokratien von Spanien und Argentinien umsehen, dann gilt unsere Aufmerksamkeit zu ihrem großen Unbehagen natürlich mehr dem tatsächlichen Lebensstandard der Menschen, die Untertanen dieser Regierungsformen sind, als den propagandistischen Dokumenten und Reden, die ihre Verteidiger uns vorsetzen.

Es gibt allerdings intellektuelle Kreise, nach deren Ansicht das wahre Verständnis der politischen Tatsachen in anderen Ländern allein durch ideologische Analyse möglich ist.

Vor kurzem haben einige Philosophen behauptet, daß eine starke Ähnlichkeit zwischen der angelsächsischen Demokratie und dem sowjetischen Kommunismus bestehe, mit der Begründung, die Schlagworte und offiziellen Dokumente der sowjetischen Ideologie seien denen der anderen Seite außerordentlich ähnlich.

Was einen an diesem Meisterstück politischer Ahnungslosigkeit aber besonders verwundern muß, ist die Tatsache, daß diese Philosophen (mit Recht) die Behauptung zurückweisen würden, die Diktaturen von Spanien und Portugal seien Mitglieder derselben Familie wie die angelsächsischen Demokratien, weil sie sich ebenfalls zur „Brüderschaft der Menschen unter der Vaterschaft Gottes" bekennen und an die „unendliche Würde und den Wert des Individuums" glauben. Franco wird von ihnen nach seinen Taten beurteilt - Stalin aber nach seinen Worten.

Und selbst aus Stalins Worten wird sorgfältig nur das herausgesucht, das den Eindruck verstärkt, er sei ein Demokrat, der lediglich mit russischem Akzent spreche. Wenn sie darauf hingewiesen werden, daß zwischen dem grundsätzlichen Inhalt solcher propagandistischen Feststellungen und den tragischen Tatsachen eine ganze Welt liegt, dann lautet die Antwort todsicher:

„Schon möglich, aber auch wir sind nicht vollkommen - auch zwischen unseren Idealen und Handlungen besteht ein Unterschied."
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Der Unterschied zwischen Idealen und Handlungen

Daß diese Unterschiede, wenn wir sie nicht billigen, schrittweise ausgeglichen werden können und tatsächlich ausgeglichen worden sind, indem wir auf Grund der "Bill of Rights" unser Recht auf Kritik und Opposition ausüben, während in Sowjet-Rußland überhaupt keine Opposition erlaubt ist - das wird als unwesentlich übergangen.

Meiner Meinung nach ist es jedoch der Kern des Problems. Gewiß ist beispielsweise die Lage der Neger in den Vereinigten Staaten nicht angenehm, aber sie hat sich seit der Aufhebung der Sklaverei gebessert; und was das wichtigste ist: das Verfahren, mit dessen Hilfe sie weiter gebessert werden kann, bleibt intakt und wird weiter ausgebaut. In Bezug auf die Insassen der sowjetischen Sklavenarbeitslager kann man nicht das gleiche sagen.

Die Behauptung, daß die atlantischen Demokratien und Sowjet-Rußland beide demokratisch seien und nur im Grad ihrer Demokratie variieren, ist eine Vergewaltigung unserer Sprache. Es sei denn, daß wir angesichts solcher Feststellungen einräumen, daß in gewissem Sinne auch der Unterschied zwischen Leben und Tod nur graduell sei.

Wenn offizielle Verteidiger des russischen Regimes so sprechen, lassen sie bemerkenswerterweise eines ihrer beliebtesten Zitate aus Hegel außer acht, wonach ein Unterschied im Grad ein Unterschied in der Art sein kann.

Wenn wir nicht weiter die empirische Geisteshaltung lehren, laufen wir Gefahr, unserer ganzen geistigen Währung die Deckung zu entziehen und die Begriffe der Pressefreiheit, der wirtschaftlichen Demokratie, des nationalen Selbstbestimmungsrechts und freier, unbeeinflußter Wahlen so zu verwirren, daß schließlich nur noch die Logik der nackten Gewalt verständlich scheint.
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Das Prinzip des freien Einverständnisses

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Warum ist frei gewährte Zustimmung besser als Zwang?

Ein anderes wesentliches Merkmal der demokratischen Gesellschaftsform ist der Grundsatz des freien Einverständnisses mit ihren Institutionen.

Da es unsere Aufgabe ist, alle ungeprüften Behauptungen unter die Lupe zu nehmen, wollen wir fragen: Warum ist frei gewährte Zustimmung besser als Zwang?

Auch hier beruht die Rechtfertigung des freien Einverständnisses in den menschlichen Beziehungen letzten Endes auf empirischen Erkenntnissen. Wo Anordnungen, Gesetze und Pläne sich auf freie Zustimmung stützen, gibt es weniger Reibungsflächen, weniger Furcht und sehr viele größere Möglichkeiten für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von vielen.

Diesen Punkt näher zu erläutern erübrigt sich. Auf fast jedem Gebiet menschlicher Beziehungen, auf dem Entscheidungen gefällt werden müssen, die andere betreffen, erhöht das Mitwirken dieser anderen und die daraus sich ergebende freie Zustimmung die erzielten Vorteile und die Qualität der Leistungen.

Die freiwillige Zustimmung ist zwar offensichtlich keine Garantie dafür, daß gerechte und weise Entscheidungen gefällt werden. Aber solange diese Zustimmung gewährt, verweigert oder periodisch erneuert werden kann, ist es wahrscheinlicher, daß die Folgen unserer Maßnahmen von den durch sie Betroffenen nicht vergessen werden.

Es ist daher besser, selbst die unsinnige Entscheidung einer demokratischen Gemeinschaft zu akzeptieren, sofern wir uns grundsätzlich dagegen auflehnen können, als ihr unsere Dosis Weisheit, die übrigens auch falsch sein kann, mit Gewalt einzuflößen.

Denn jedes Risiko, das wir bei der Annahme von Entscheidungen eingehen, die direkt oder indirekt auf freier Zustimmung beruhen, ist weit geringer als die Gefahr, die mit ihren beiden einzigen Alternativen - Anarchie und Despotie - verbunden ist.
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Voraussetzungen sind, daß die Menschen genug Verstand haben

Die Annahme des Grundsatzes der frei gewährten Zustimmung als bindende Regel für das menschliche Zusammenleben setzt eine ganz bestimmte Auffassung von der empirischen Natur des Menschen voraus.

Die beiden wichtigsten dieser Voraussetzungen sind: erstens, daß die Menschen verantwortlich sind, zweitens, daß sie Verstand genug haben, um zu wissen, ob, wann und wo sie der Schuh drückt. Kein normaler Mensch würde die Demokratie in einem Irrenhaus oder in einer Nervenheilanstalt einführen wollen.

Sind diese empirischen Annahmen richtig? Ich glaube, ja. Da aber der Beweis schwierig zu führen ist, mischt sich ein gewisses Element des Glaubens - eines vernünftigen Glaubens, da er ja nicht völlig willkürlich ist - in unsere Verbundenheit mit den demokratischen Gebräuchen.

  • Anmerkung : Sind diese empirischen Annahmen richtig? Ich glaube, NEIN, was uns die Zeit von 2000 bis 2024 gezeigt hatte.


Das beste Mittel, diesen Glauben zu erhärten, wenn die historische Beweisführung unsicher erscheint, ist die Herstellung von Bedingungen, unter denen freiwillige Zustimmung wirklich einwandfrei erreicht werden kann.
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Was sind das für Bedingungen?

Wann ist die Zustimmung frei - und wann nicht? Es genügt nicht, daß mir eine Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten offen steht. Der Mann, der mir eine Pistole vor die Brust hält und sagt: „Geld oder das Leben!", läßt mir auch eine Wahl, aber er kann nicht ernstlich behaupten wollen, daß sie frei sei.

Das Vorhandensein physischen Zwanges, die Drohung mit dem Konzentrationslager gegenüber Andersdenkenden einschließlich ihrer Angehörigen - Dinge, die zu jeder Wahl und Volksabstimmung in den totalitären Staaten gehören - machen die Behauptungen dieser Regierungen, sich auf die Abstimmung ihrer Völker zu stützen, zur Farce.

Zwang kann natürlich auch andere als physische Formen annehmen. Es gibt kaum etwas, dem ein Verhungernder nicht zustimmen würde. Eine wirtschaftliche Machtkonzentration kann ein Einverständnis erzwingen, das unter Bedingungen wirtschaftlicher Gerechtigkeit nicht gegeben werden würde. Aber selbst an den Stellen (Orten), an denen es weder physischen noch wirtschaftlichen Zwang gibt, ist die Zustimmung nicht frei, wenn sie nur auf Unwissenheit zurückzuführen ist.

Diese Überlegungen sind elementarer, aber auch entscheidender Natur. Aus ihnen können wir die Rechtfertigung für die Freiheiten der Bill of Rights ableiten, die die politische Demokratie darstellen; ebenso für die wirtschaftliche Demokratie und für eine Opposition, die grundsätzlich immer vorhanden sein wird.

Das schwierige Problem der Minderheitenrechte

Doch auch unter Regierungen, die auf freiwilliger Zustimmung zu basieren behaupten, besteht das schwierige Problem der Minderheitenrechte gegenüber der Herrschaft einer Mehrheit.

Minderheiten können von Mehrheiten ebenso wie von Despoten unterdrückt werden. Die traditionelle Lehre, nach der alle Menschen absolute und unveräußerliche Rechte besitzen, die von keiner staatlichen Behörde beschnitten werden können, ist mehr Gefühls- als Verstandessache.

Ihr Sinn ist zweideutig oder - falsch. Sie ist eine sehr unsichere Anleitung zum Handeln. Denn in den meisten politischen Situationen gerät ein angeblich absolutes Recht mit einem anderen angeblich ebenso absoluten in Konflikt.

Keine Methode ist durch etwas gekennzeichnet, wodurch wir nach absoluten Graden messen oder die Priorität des Absoluten im Verhältnis untereinander einstufen können. Ja, mehr noch, es ist zweifelhaft, ob irgend jemand wirklich an absolute Rechte glaubt, die ohne Rücksicht auf ihre Konsequenzen unbedingt gültig sind.

Jedes Recht in der Bill of Rights, der Magna Carta der Demokratie, ist der Beschneidung und Einschränkung unterworfen, wenn es in der Praxis Elend und Gefahr für viele bedeutet.
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Die Einschränkungen der "Bill of Rights"

In einer Demokratie ist jedoch die Einschränkung der Bill of Rights - einerlei ob sie mit guter oder schlechter Absicht erfolgt - eine Krisenerscheinung von begrenzter Dauer. Sie bedarf der Zustimmung, wenn nicht zu ihrer Einführung, so doch zu ihrem Weiterbestehen.

In einer Diktatur ist die Einschränkung der Bill of Rights keine Episode mehr, sondern sie gehört zum System, das von den willkürlichen Anordnungen einer kleinen Minderheit abhängt.

So wird etwa die Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion, die nach Stalin „in Wahrheit die Diktatur der Kommunistischen Partei" ist, als Übergangsstadium bezeichnet. Wer aber entscheidet, wann dieser Übergang beendet ist - das russische Volk oder seine Herren?
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Toleranz gegenüber fremden Werten

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Wenn in der Demokratie die Mehrheit entscheidet

Die Demokratie beruht auf der Möglichkeit, zwischen widerstreitenden Interessen einen Kompromiß zu schließen oder einen Ausgleich zu finden. Um das größere Übel des Bürgerkrieges zu vermeiden, nehmen wir das kleinere Übel einer ungerechten Majoritätsentscheidung auf uns, wobei wir hoffen, daß fortgesetzte politische Erziehung zu einer Revision des Mehrheitsbeschlusses führen wird.

In einer Diktatur kann man höchstens, wenn der betrunkene Ley eine Entscheidung gefällt hat, an den nüchternen Ley appellieren. In der Demokratie gibt es die Berufung an eine nach anfänglichem Irrtum aufgeklärte Mehrheit.

Der amerikanische Bundesrichter Felix Frankfurter hat dies in einer seiner Entscheidungen in bewundernswerter Klarheit ausgedrückt:

„Wenn alle wirkungsvollen Mittel zur Herbeiführung politischer Veränderungen von fremden Einflüssen frei bleiben, ist die Erziehung zur Abschaffung einer unklugen Gesetzgebung schon an sich eine Übung in der Freiheit."

Die Demokraten haben für diese Lehre einen hohen Preis bezahlt, aber nun haben sie sich zu eigen gemacht. Nun ist sie ein Teil ihrer Tradition, trotz der gelegentlichen Entgleisungen einzelner Staatsbehörden.
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Die Erkenntnis vom Wert der Verschiedenartigkeit

Kommen wir zu unserem dritten Wesensmerkmal, der Erkenntnis vom Wert der Verschiedenartigkeit aus der Toleranz gegenüber fremden Werten. Auf dem Gebiet der Kultur und der Politik sind die Traditionen und gegenwärtigen Tendenzen der demokratischen Länder, trotz einiger schwerer Mängel in der Rassenfrage, einer vernünftigen, praktischen Lösung des Problems der kulturellen Einheit und Verschiedenheit näher als in irgendeiner anderen größeren geschichtlichen Gemeinschaft.

(Wenn ich „näher" sage, will ich damit nicht leugnen, daß noch ein beträchtlicher Weg zurückzulegen bleibt.)

Wir haben in den vergangenen Jahren viel über die Notwendigkeit einer grundsätzlich einheitlichen Kultur gehört, um eine gemeinsame Basis des Geschmacks, des Urteils und der Ideale zu schaffen, ohne die das soziale Leben sich angeblich in einem Zustand drohenden Bürgerkriegs befindet.

Ein großer Teil dieser Diskussion hat sich ohne Voraussetzungen und unter Mißachtung offensichtlicher Tatsachen abgespielt. Daß gemeinsame Religion, Sprache oder Herkunft noch keine Garantie für den Frieden, sind, haben der spanische und auch der amerikanische Bürgerkrieg bewiesen, der zu einer Zeit ausbrach, in der die Staaten der Union in vielfacher Hinsicht kulturell einheitlicher als heute waren.

Daß umgekehrt kulturelle Einheit keine unerläßliche Vorbedingung für den Frieden ist, zeigt die schweizerische, die kanadische und der größere Teil der amerikanischen Geschichte.
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Das Recht anders zu sein

Welche kulturellen Unterschiede aber auch bestehen und wie wir uns zu ihnen auch stellen mögen, sie bedeuten so lange keine Bedrohung des Gemeinschaftslebens, als sie nicht von Praktiken begleitet sind, die anderen das Recht verweigern, anders zu sein.

Eine feste Gemeinschaft vieler einzelner entsteht in dem Augenblick, in dem zugestanden wird, daß alle unterschiedlichen Partner gleichberechtigt sind, sofern sie eine gemeinsame Verhandlungsmethode anerkennen.

Diese Betonung der Methode (wichtiger als jedes Einzelergebnis) sichert meiner Ansicht nach einen Fortschritt ohne Anarchie und scheint allen drei Hauptbestandteilen unserer Tradition zugrunde zu liegen - der empirischen Haltung, dem demokratischen Prinzip der Einwilligung und unserer kulturellen Mannigfaltigkeit.

Die fundamentalen Fragen der Menscheit

Der italienische Romanschriftsteller Ignazio Silone hat kürzlich erklärt, daß die Menschen in einigen fundamentalen Fragen - z. B. was gut und was böse sei, was richtig und was falsch - einig sein müssen, um sich nicht gegenseitig umzubringen.

Ich halte es für "richtiger" (???), daß sie sich über eine grundsätzliche Methode zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Prüfung des Guten einig sein müssen, und nicht so sehr darüber, was im einzelnen wahr oder gut ist.

Solange sie sich über diese Methode einig sind, kann grundsätzlich in jedem einzelnen Falle entschieden werden, ob etwas wahr und gut ist.

Eine genaue Analogie hierzu besteht in unserem politischen Leben. Was immer unser politischer Glaube und unsere Überzeugung in einer Demokratie sein mögen, solange wir ihre grundsätzlichen Spielregeln aufrichtig einhalten, solange wir bereit sind, das Hinüber und Herüber einer kritischen Auseinandersetzung anzuerkennen, solange können wir mit Recht jede beliebige Vorstellung oder Meinung haben oder verwirklichen.

Gerade unsere Meinungsverschiedenheiten können wertvolle Einsichten und Wahrheiten ans Licht bringen, die uns verborgen geblieben wären, wenn niemand, der nicht von vornherein unsere Version des Wahren und Wünschenswerten anerkennt, nach diesen Regeln mitspielen dürfte.
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Das Gebiet der kulturellen Verschiedenheiten

Dieselbe Analogie gilt für das noch weitere Gebiet der kulturellen Verschiedenheiten. Wir gestatten - oder sollten gestatten -, daß jede Gruppe ihre eigenen kulturellen Wege geht und weiterverfolgt, sofern sie nicht versucht, ihren besonderen Charakter anderen aufzuzwingen, und sofern sie es ihren einzelnen Mitgliedern überläßt, unter den verschiedenen, miteinander wetteifernden Traditionen auszuwählen.

Es dürfte einleuchten, daß die kulturelle und die völkische Demokratie genausowenig ohne politische Demokratie möglich sind wie die wirtschaftliche Demokratie. Das ist gerade von denen geleugnet worden, die auf Sowjet-Rußland als das Muster einer kulturellen und ethnologischen Demokratie hinweisen.

Die Prinzipien und die Praxis Sowjet-Rußlands verlangen, daß „die Kultur ihrem Inhalt nach sozialistisch und ihrer Form nach national sein muß".

Aber das einzige nationale Unterscheidungsmerkmal, das anerkannt wird, ist eigentlich die Sprache. Die Trennung von Inhalt und Form ist jedoch nur ein Mythos. Es gibt einfach keine Möglichkeit für die freie Entwicklung der Kulturen der einzelnen sowjetischen Bundesrepubliken, weil ihnen der ganze sogenannte sozialistische Inhalt der Kultur, von der bildenden Kunst und Musik bis zur Astronomie und Zoologie, vom Kreml vorgeschrieben wird.

Ohne das Recht, die herrschenden kulturellen Dogmen zu kritisieren oder sogar abzulehnen - und das schließt die Freiheit der Presse, zusammen mit anderen politischen Freiheiten ein - ist die völkische Demokratie nur eine neue betrügerische Phrase.

Aus all dem muß man folgern, daß zum gedeihlichen und friedlichen Zusammenleben nicht eine festgelegte gemeinsame Doktrin oder ein klar umrissener Komplex von Wahrheiten notwendig ist, sondern eine gemeinsame Methode oder eine Summe von Regeln, nach denen wir trotz unserer Differenzen nebeneinander leben und sie nach Belieben abschwächen, ergänzen oder überwinden können oder sie auch so belassen, wie sie sind. Wir körinen aus Doktrinen, Geschmacksrichtungen oder Prinzipien keine absoluten Werte machen, ohne zum Fanatismus herauszufordern.
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Etwas Absolutes, bei dem es keinen Kompromiß gibt, die Spielregeln

Nichtsdestoweniger müssen wir etwas Absolutes haben, bei dem es keinen Kompromiß gibt und an dem wir fanatisch festhalten müssen - und dieses Absolutum sind die Spielregeln, nach denen wir unsere Differenzen beilegen.

Wer von den Regeln abweicht, wer seine eigenen Regeln aufzustellen
versucht, gibt damit von vornherein eindeutig zu verstehen, daß er die Meinungsverschiedenheiten als "ipso facfo"- Beweis der Feindseligkeit zu interpretieren gedenkt. Tatsächlich hat er damit einen Krieg erklärt, der nur vermieden werden könnte, wenn wir jeder beliebigen willkürlichen Forderung nachgeben.

Es liegt durchaus keine Inkonsequenz darin, denen gegenüber intolerant zu sein, die selbst eine aktive Intoleranz an den Tag legen. Tatsächlich ist die Toleranz gegenüber solchen aktiv Intoleranten nicht nur ein Beweis geistiger Verkümmerung, sondern geradezu Mittäterschaft am Verbrechen der Intoleranz selbst.

Wer es ablehnt, sich an die Spielregeln zu halten, muß wissen, daß er damit bei seinem Partner die Möglichkeit verliert, sich auf die Vorzüge und den Schutz der Regeln zu berufen.
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Das demokratische Prinzip der Einwilligung

Die empirisch-experimentelle Haltung, das demokratische Prinzip der Einwilligung und der kulturellen Vielfältigkeit sind aufgeschlossen, aber dennoch ganz robust. Sie sind eine dauernde Einladung, sich angesichts von Differenzen zusammenzusetzen und zu diskutieren, den Tatbestand zu prüfen, Gegenvorschläge zu erforschen, etwaige Folgen abzuschätzen und die Entscheidung - wenn allgemein-menschliche Fragen zur Debatte stehen - der Zustimmung derjenigen zu überlassen, die von den Vorschlägen betroffen werden.

Diese Methode gewährleistet keine Ergebnisse. Nicht einmal das Ergebnis der Übereinstimmung. Werte sind relativ, wo es sich um menschliche Interessen handelt, und wenn sie auch objektiv richtig sein mögen, so können sie doch in einen echten Konflikt miteinander geraten. Der Konflikt kann so tief gehen, daß ein Beschluß unmöglich ist, selbst wenn wir zu verhandeln bereit sind.

Die Annahme, daß in jedem besonderen Falle eine Einigung über widerstrebende Interessen und Werte erzielt werden kann, beruht auf dem Glauben (oder der Bereitschaft, die Annahme zu wagen), daß die Menschen einander ähnlich genug sind, um nach der Methode zu suchen, sich noch ähnlicher zu werden, oder doch ähnlich genug, um über die erlaubten Grenzen der Verschiedenheit zu einem Übereinkommen zu gelangen.
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Über die Inhalte der westlichen Demokratien

Die Einzelzüge, die ich aus der Tradition der westlichen Demokratien ausgewählt habe, haben nicht immer zu ihrem Bestand gehört; sie sind erst in ihr heimisch geworden.

Sie können auch in der Tradition anderer Völker und Kulturen heimisch werden, sie waren z. B. auf dem besten Wege, feste Tradition in Westeuropa zu werden, ehe der erste Weltkrieg den Boden für Lenin, Trotzki und Stalin, für Mussolini, Hitler und Franco bereitete.

Wenn sie sich mit der nationalökonomischen Versorgungstheorie der Sozialdemokratie vereinigen lassen, können sie allgemeiner Besitz, nicht nur Europas, sondern auch des Ostens, werden.

Wir müssen zweifellos viel von der indischen und chinesischen Weisheit lernen, aber die Sikhs, Moslems und Hindus können auch etwas von uns über religiöse Freiheit und Toleranz lernen und die Chinesen etwas über parlamentarische Regierungsformen.

Die westliche Lebensform bedroht außerhalb ihres eigenen Bereiches keinen anderen Lebensstil, es sei denn, daß sie in die Verteidigung gedrängt wird. Dessen ungeachtet ist sie ihrerseits schwer gefährdet worden, erst durch den Nationalsozialismus, jetzt vom Sowjet-Kommunismus.
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Die Fünfte Kolonne der Sowjetregierung in den demokratischen Ländern

Wer den Expansionstrieb der Nationalsozialisten für eine Bedrohung der Institutionen der Demokratie gehalten hat, muß mit derselben Logik und derselben Beweisführung schlußfolgern, daß der Sowjet-Kommunismus heute eine noch größere Gefahr für uns darstellt, weil die mögliche Opposition gegen den Totalitarismus heute infolge des Krieges viel schwächer geworden ist und weil die Sowjetregierung in den demokratischen Ländern eine sehr viel stärkere Fünfte Kolonne unterhält, als Hitler oder Franco es je für möglich gehalten hätten.

Wie kann diesem furchtbaren Kreuzzug gegen alles, was in der Tradition des Westens von dauerndem Wert ist, begegnet werden? So notwendig es ist, eine anständige soziale Ordnung aufzubauen und Ungerechtigkeiten in unseren eigenen Ländern zu beseitigen, um die Ausbreitung des Totalitarismus aus innerpolitischen Gründen zu verhindern, würde dies doch genau so wenig ausreichen, um Stalin in Schach zu halten, wie seinerzeit soziale Reformen in England und Frankreich genügt hätten, um Hitler aufzuhalten.

Das Hauptproblem ist, die westliche Außen- und Innenpolitik so zu handhaben, daß immer mehr Völker sich freiwillig in einer Weltunion zusammenschließen, in der auf der Basis unbedingten Festhaltens an den demokratischen Gepflogenheiten die weiteste Entwicklung kulturellen Eigenlebens gefördert wird. Auf dem Wege zu diesem Ziel können gewisse Perspektiven als Hinweise auf die nächstliegenden Probleme angedeutet werden.
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Der Schwerpunkt der gegenwärtigen Krise - die Politik

Zum ersten ist es wichtig, wie unlösbar der Komplex der wirtschaftlichen und politischen Faktoren heute auch verknotet sein mag, zwischen ihnen zu unterscheiden und zu erkennen, daß der Schwerpunkt der gegenwärtigen Krise auf dem Gebiet der Politik liegt.

Der fundamentale Konflikt von heute besteht nicht zwischen dem freien Unternehmertum und dem Kollektivismus, sondern zwischen der politischen Demokratie und dem Totalitarismus. Rudolf Hilferding, den eine gründliche marxistische Schulung für die Lehren der Geschichte nicht blind gemacht hat, erkannte vor einigen Jahren, daß es unmöglich geworden sei, politische Ereignisse mit wirtschaftlichen Veränderungen zu erklären.

Es wird im Gegenteil immer klarer, daß die bloße Existenz einer sich ausdehnenden totalitären Macht einen wirtschaftlichen Strukturwandel in den weiterhin demokratisch bleibenden Ländern notwendig macht, und zwar aus politischen Gründen. Das erfordert, daß wir die Bedeutung dieses notwendigen Prozesses erkennen und versuchen, die demokratischen Kräfte durch wirtschaftliche Maßnahmen zu stärken und nicht etwa den wirtschaftlichen Kräften ungeachtet der politischen Folgen den Vorrang geben. Kein wirklicher Demokrat wird die „gemischte" sozialistische Wirtschaft Großbritanniens mit der total gelenkten der Sowjetunion in einen Topf werfen.
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Keinen offenen Konflikt mit der Sowjetunion suchen

Zum zweiten sollte keine Mühe gescheut werden, um einen offenen Konflikt mit der Sowjetunion zu vermeiden. Die Initiative zu einem solchen Krieg kann niemals von den Vereinigten Staaten ausgehen, weil die Macht der Exekutive dort beschränkt ist.

Unter einem totalitären Regime aber genügt, wie wir gesehen haben, ein einziges Wort des Staatsoberhauptes, um Armeen über die Grenzen zu schicken und den Befehl zu einem Pearl Harbor zu erteilen.

Zum dritten sollte ein erzieherischer, aber nicht eigentlich ideologischer Werbefeldzug in der ganzen Welt organisiert werden, um die Vorzüge und Leistungen der Demokratie gegenüber denen des Totalitarismus unter Beweis zu stellen.

Das können keine staatlichen Behörden übernehmen, weil sie natürlich als subjektiv verdächtigt würden und begreiflicherweise dazu neigen, weniger offen über unsere eigenen Schwächen zu sein, die aber als ein Bestandteil des Gesamtbildes gleichfalls dargestellt werden sollten.

Deshalb sollte der Feldzug in erster Linie von Privatorganisationen und Berufsverbänden der westlichen Welt getragen werden, um unabhängig von den Launen der wirtschaftlich denkenden Politiker abzulaufen. Außerdem sollte er - und das ist das wichtigste - von Erziehern und Publizisten geleitet werden, die sich selbst nicht mehr als Engländer oder Franzosen, Deutsche oder Amerikaner betrachten, sondern als Mitglieder einer übernationalen Gemeinschaft.
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