Das Fernsehen in Deutschland bis zum Jahre 1945
(28) Französisch-deutsches Fernsehen
In Deutschland war Ende Juni 1941 nach dem Frankreich-Feldzug der Plan entstanden, auf friedlicher und freundschaftlicher Basis eine "Europäische Television" einzurichten, die zunächst Frankreich, Italien und Deutschland umfassen sollte. Da die beiden letzten Länder bereits die 441-Zeilen-Norm eingeführt hatten, mußte man versuchen, die Franzosen ebenfalls für diese Norm zu gewinnen, indem man ihnen die Möglichkeit gab, während des Krieges an einem in Frankreich aufzuziehenden deutschen Fernsehbetrieb mitzuarbeiten.
1941 - Fernsehdarbietungen im Dienst der Truppenbetreuung
Um dieses Vorhaben den deutschen militärischen Stellen gegenüber motivieren zu können, schlug der damalige Leiter der Propaganda-Abteilung beim Militärbefehlshaber in Frankreich, Intendant A. Bofinger, vor, die in Paris geplanten Fernsehdarbietungen in den Dienst der Truppenbetreuung zu stellen.
1942 - Laut Beschluß Fernsehen nach Berliner Muster
Besprechungen in Paris zwischen dem Direktor des technischen Dienstes der Radiodiffusion Francaise, M. Braillard, und A. Bofinger sowie in Berlin zwischen M. Braillard, F. Stumpf (RFG), K. Hinzmann (RRG) und militärischen Stellen hatten ein durchaus positives Ergebnis und führten im März 1942 zu dem Beschluß, in Paris einen Fernsehbetrieb nach Berliner Muster, jedoch in wesentlich größerem Umfange aufzuziehen.
1942 - Der bis dahin stärkste UKW Bildsender mit 343kW stand seit 1939 in Paris unter dem Eiffelturm und wurde repariert
Paris besaß damals einen UKW-Tonsender von etwa 10kW aus dem Jahre 1937 und den überhaupt stärksten UKW-Bildsender mit 343kW Oberstrichleistung aus dem Jahre 1939. Beide Sender, die von den Firmen SFR und Le Materiel Telephonique gebaut worden waren, standen in einem Bunker am Fuße des Eiffelturms. Sie waren von den Franzosen bei der Besetzung Frankreichs teilweise zerstört worden.
Im Juni 1942 begann die Radiodiffusion Francaise in Verbindung mit der Firma LMT und dem deutschen Funk-Einsatztrupp 60 unter der Führung von H. Krätzer mit dem Wiederaufbau der Sender, der im August 1942 beendet war.
1942 - Ein Studio mit 6 x 8m und einer Bühne von 4 x 5m
Inzwischen hatten RFG und RRG mit zwei Speicherrohr-Kameras in der Unterkunft des Funkeinsatztrupps 60, in der Av. Charles Floquet, nahe beim Eiffelturm, ein provisorisches Fernseh-Studio von etwa 6 x 8m mit einer Bühnenfläche von 4 x 5m eingerichtet, in dem man Kameraleute, Beleuchter, Regisseure, Ansager, Maskenbildner und andere Mitarbeiter des künftigen Pariser Fernsehrundfunks schulte. Von diesem behelfsmäßigen Aufnahmeraum aus wurde der Eiffelturm-Sender etwa zwei Monate lang moduliert.
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Für das endgültige Fernseh-Studio standen damals drei Gebäude zur Diskussion:
- 1. das Theater der Champs Elysees, das aber wegen unzureichender Stromversorgung ausschied,
- 2. das Museum Palais Tokio, das jedoch vom deutschen Konservator für die französischen Kunstschätze nicht freigegeben wurde,
- 3. ein etwa 800m vom Eifelturm entfernt gelegenes Vergnügungsetablissement „Magic City" in der Rue de l'Universite 180 (Bild 146), das damals leer stand.
Es wurde von der "französischen Regierung" beschlagnahmt und von der Radiodiffusion Francaise zusammen mit einem angrenzenden Garagenkomplex gekauft.
1942 - Geplant: Der größte Fernsehbetrieb der Welt
Da diese Räume für den geplanten größten Fernsehbetrieb der Welt nicht ausreichten, ließ K. Hinzmann in seiner Eigenschaft als Intendant des Fernsehsenders Paris noch ein in der parallel zur Rue de TUniversite verlaufenden Rue Cognacq-Jay gelegenes achtstöckiges Logierhaus (Nr. 13/15), das rückseitig an das Grundstück von Magic-City angrenzte, beschlagnahmen und ankaufen. Damit stand inmitten der Stadt ein für Studiozwecke nahezu idealer Gebäudekomplex mit Arbeitsräumen von insgesamt etwa 5.000m2 zur Verfügung.
Von nun an hieß es "Magic-City"
Im ersten Stock von Magic-City (Bild 147) wurde - nach dem Muster des Berliner Kuppelsaals - ein Großraumstudio von etwa 20 x 30m mit einer erhöhten Bühne (Bild 148), einer Beleuchtungsanlage für 3.000 Lux, gummibelegten Rollbahnen für die Fernseh-Kameras (Bild 149) und nach hinten ansteigenden Sitzreihen für rund 300 Zuschauer errichtet. An der Rückwand des Saales, gegenüber der Bühne, lag der durch ein schalldichtes Fenster gegen den Zuschauerraum abgegrenzte Bild- und Ton- Regieraum, der im Endausbau bis zu 20 verschiedene Kontrollbilder und ebenso viele Toneingänge aufnehmen sollte.
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In dem unter diesem Theaterstudio „I" gelegenen Raum sollte ein „Studio II" mit einem Bassin für Unterwasseraufnahmen und ähnliche Sonderzwecke errichtet werden, das jedoch erst 1946 fertig wurde. Der zwischen dem Theater und dem Sendehaus gelegene Garagenbau diente als Lagerraum für Dekorationen, Requisiten und dergleichen. Er sollte später in ein Studio umgebaut werden.
Technikräume in der Straße des Cognacq "Rue Cognacq"
Das an der Rue Cognacq-Jay gelegene Wohnhaus, das durch eine gedeckte Brücke mit dem Studio Magic-City verbunden war, enthielt im Erdgeschoß ein Filmatelier, Schneideräume und einen kleinen Vorführraum, ferner eine Schnell-Kopieranstalt für die ständig beschäftigten französischen Filmtrupps, die das Material für die aktuellen Sendungen lieferten.
In den oberen Geschossen des Sendehauses richtete man kleine Studios für Reportagen, kabarettistische Sendungen, einzelne Fernsehspiel-Komplexe, ferner die technischen Räume für Zentraltaktgeber, Filmabtaster, Verstärker, Kontpölleinrichtungen, endlich Archive und Verwaltungsräume ein, während die Garderoben und Maskenbildnerräume hinter und unter der Bühne von Magic-City untergebracht waren.
Das Studiogebäude wurde durch ein eigens ausgelegtes Breitbandkabel mit dem UKW-Sender unter dem Eiffelturm verbunden. Geplant war, im Laufe des folgenden Jahres in Paris ein ausgedehntes Breitbandkabelnetz mit etwa 15 Anschlußstellen für Reportagen und Außenübertragungen auszulegen.
Von Anfang an deutsche 441 Zeilen Norm
Die Bildtechnik hatte man von Anfang an auf die deutsche Norm mit 441 Zeilen, Zeilensprungverfahren, Positiv-Modulation mit 30% Schwarzwert und Austastung des Senders zur Gewinnung der Synchronisier-Impulse abgestellt. Zur Verfügung standen im Anfang zwei Speicherrohr-Kameras und zwei Filmgeber mit Farnsworth-Abtaster der Fernseh A.G., ferner zwei der von Telefunken für die Olympischen Spiele in Helsinki gebauten Reportage-Kameras.
Die Radiodiffusion Francaise bestellte zusätzlich noch eine Kamera bei der Societe Thomson-Houston, einen Filmabtaster und zwei Kameras bei der Telefunken nahestehenden „Compagnie pour la Fabrication des Compteurs et Materiels d'Usines ä Gaz" (CdC), die auch die beiden Telefunken-Reportage-Kameras für Studiozwecke umbaute.
Die DRP verlangte - auch in Frankreich die gesamte Technik zu übernehmen
Ursprünglich hatte wahrscheinlich bei der RRG die Absicht bestanden, in Paris nicht nur den Fernseh-Programmbetrieb, sondern auch die Studio-Technik zu übernehmen. Zu diesem Zweck wurde auf Betreiben K. Hinzmanns der technische Leiter der Fernseh-Abteilung bei der Radiodiffusion Francaise, S. Mallein, mit zweien seiner Mitarbeiter aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassen.
Die DRP bestand jedoch unter Hinweis auf den weiter unten erwähnten Erlaß vom 11. Dezember 1935 darauf, daß auch in Frankreich die gesamte Fernseh-Aufnahmetechnik zum Aufgabenbereich der DRP gehöre und daß sich die RRG nur auf die Programmgestaltung beschränke.
Dementsprechend übernahm der aus Angehörigen des RPZ und der RFG zusammengesetzte uniformierte Funkeinsatztrupp 60 mit etwa 6 bis 8 Mann im Verein mit etwa 12 bis 15 deutschen und 80 französischen Spezialkräften der Radiodiffusion Francaise den technischen Ausbau der Studios und deren späteren Betrieb, während Programmgestaltung, künstlerische Regie und Durchführung des Programms in den Händen von K. Hinzmann, P. A.J Hörn, zwei deutschen und 323 fest angestellten Kräften verschiedener Nationalität lagen.
1943 - Im April ging es los - 3 Monate nach Stalingrad
Ein Teil des Studios wurde im April 1943 in Betrieb genommen. Die ersten Bühnensendungen begannen im Juni 1943. Das Tagesprogramm des Fernsehsenders Paris umfaßte drei Hauptabschnitte: Von 10 bis 12 Uhr wurden Kulturfilme übertragen, an zwei bis drei Tagen der Woche lief von 14.30 bis 18 Uhr ein „Bunter Nachmittag", ein kleines Fernsehspiel, oder eine Kinderstunde. Dazu gehörte auch die Übertragung der Darbietungen eines französischen Marionettentheaters, die als fernsehtechnische Neuheit besonderen Anklang fanden.
Gesendet wurde meißt von 20.30 bis 23.00 Uhr
Der Schwerpunkt des Programms lag in der Zeit von 20.30 bis 23.00 Uhr, wenn große Sendespiele, Variete-Vorführungen, Balletts oder französische und deutsche Spielfilme übertragen wurden. Dazu kam dreimal am Tage die Wiedergabe der Deutschen Wochenschau, ferner eine aktuelle Zeitdienstsendung, zu der die Pariser Filmtrupps das Material lieferten. Obwohl das Programm von deutscher Seite zusammengestellt wurde, herrschte die französische Sprache vor.
Diese im Rahmen der Truppenbetreuung veranstalteten Fernsehsendungen wurden von etwa 200 teils von der RRG, teils von der RFG in Lazaretten, Unterkünften und dergleichen aufgestellten Empfangsgeräten sowie von rund 800 bis 1000 privaten Empfängern aufgenommen.
Hier etwas über die damaligen Kosten
Die für die Lazarette bestimmten Geräte waren von der französischen Fernseh-Industrie, und zwar vorwiegend von der CdC (Bild 150) und der der Firma D. S. Loewe nahestehenden Societe Grammont nach deutschen Bauvorschriften zum Peise von etwa 20.000 - 50.000 Francs (heute entsprechend etwa 1.000 - 2.500 DM) hergestellt worden.
Die Kosten für den technischen Ausbau der Studios und die Gehälter des technischen Personals wurden anfangs von der RFG bestritten, während das der RRG unterstellte Personal von der Propaganda-Abteilung und der Wehrmachtkommandantur Paris bezahlt wurde. Die Programmkosten beliefen sich auf monatlich rund 120.000 RM; ein einziger bunter Abend kostete etwa 8 - 10.000 RM.
Als die Transferierung von Geldmitteln aus Deutschland immer schwieriger wurde, sah sich der Beauftragte der DRP für das Fernsehen in Paris, O. Dollmann, gezwungen, am 12. August 1944 den größten Teil der technischen Studio-Einrichtungen der Radiodiffusion Francaise zu übereignen, nachdem diese der Außenstelle der RFG bereits die Kosten für die verauslagten Baugelder und die noch zu begleichenden Baukostenrechnungen gezahlt hatte.
Die Sender und der Eiffelturm wurden 1944 nicht gesprengt
Unbekümmert um die alliierte Invasion am 6. Juni 1944 führte der Fernsehsender Paris sein Programm bis zum 18. August fort. Erst am 20. August 1944 verließ das deutsche Personal Paris, nachdem lediglich der Bild- und Tonsender durch Verschalten vorübergehend außer Betrieb gesetzt waren. Die Ausführung des unsinnigen Befehls, die Sender zu sprengen und dadurch den Eiffelturm aufs schwerste zu gefährden, war von den Beteiligten stillschweigend vereitelt worden.
1944 - Ein Lob des CBS Chefkorrespondenten . . .
Über das französisch-deutsche Fernsehen schrieb der Chefkorrespondent des „Columbia Broadcasting System" (CBS), der unmittelbar nach der Besetzung in Paris eintraf, das Fernsehen habe durch die Deutschen „erstaunliche Fortschritte gemacht".
- „Während das Fernsehen in allen kriegführenden Ländern stillgestanden hätte, war es in Frankreich stetig vorangegangen ... in Paris gab es ein Fernsehen, dessen Bilder klarer und schärfer waren als irgendein Fernsehen in England oder Frankreich vor dem Kriege" [546].
Noch heute bildet das inzwischen modernisierte Studio Rue de l'Universite-Cognacq-Jay den Televisions-Schwerpunkt der Radiodiffusion Francaise.