Das Fernsehen in Deutschland bis zum Jahre 1945
(11) Die Elektronenoptik
Der Übergang von mechanischen zu elektronischen Bildabtastern und Bildschreibern in der Fernsehtechnik hatte zur Voraussetzung, daß man die Bahnen der Elektronen in der Kathodenstrahlröhre ebenso zu beherrschen lernte wie den Verlauf des Strahlenganges in der geometrischen Optik.
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1837 - W. R. Hamilton
Eine solche analoge Betrachtungsweise war seit langem bekannt: Schon um 1837 hatte W. R. Hamilton [368] gezeigt, „daß die Bahn eines Massenpunktes in einem aus einem Potential ... ableitbaren Kraftfelde und die Bahn eines Lichtstrahls in einem optischen Medium mit örtlich veränderlichem Brechungsindex ... identisch werden", wenn die Brechungszahl gleich der Wurzel aus dem Potential ist.
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1869 - W. Hittorf
W. Hittorf, der Entdecker der Kathodenstrahlen 15) [369] hatte bereits 1869 die „geradlinige Fortpflanzung des Glimmens" festgestellt und auch den Schattenwurf der Strahlung beobachtet: „Befindet sich ... irgendein Gegenstand in dem mit Glimmlicht erfüllten Raum, so wirft er einen scharfen Schatten auf die fluoreszierende Wand."
15) Die Bezeichnung „Kathodenstrahlen" wurde erst 1876 von E. Goldstein eingeführt.
1879 - W. Crookes
Ähnliche Beobachtungen über den Schattenwurf machte 1879 - unabhängig von Hittorf - W. Crookes [370], über dessen Demonstrationsversuche Ph. Lenard 1906 sagte: „Die hier erwähnten Strahlbeobachtungen hatten seinerzeit offenbar erst die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß man mit Kathodenstrahlen im Vakuum ebenso saubere, sozusagen geometrisch-optische Versuche ausführen könne wie mit Lichtstrahlen" [371].
1876 - E. Goldstein
E. Goldstein beschrieb 1876 als erster die elektronenoptische Abbildung einer Münze [372].
1881 - E. Riecke
1881 behandelte E. Riecke die Theorie der konzentrierenden Wirkung eines homogenen magnetischen Feldes auf ein divergierendes Kathodenstrahlenbündel [373].
1897 - Ferdinand Braun
1897 gab F. Braun eine für Demonstrationszwecke und Experimental- Untersuchungen besonders geeignete Form eines Kathodenstrahlrohrs an und veröffentlichte als erster die damit möglichen grundsätzlichen Untersuchungsmethoden [374] [375].
1899 - E. Wiechert
Zwei Jahre später führte E. Wiechert [376] für die Braunsche Röhre die lange, koaxiale Konzentrationsspule zur Erhöhung der Fleckschärfe ein. Im selben Jahre beschrieb J. Zenneck die zeitliche Ablenkung des Kathodenstrahls mit zeitproportionalen, zur Netzfrequenz synchronen Gleichströmen [377].
1904 - A. Wehnelt
1904 führte A. Wehnelt auch für die Braunsche Röhre die Glühkathode ein [94] und kam dadurch mit wesentlich geringeren Anodenspannungen als bei Kaltkathodenröhren aus. Infolge der verringerten Elektronengeschwindigkeit erreichte er eine größere Ablenkempfindlichkeit und - dank der höheren Emission der Oxydkathode - eine vermehrte Intensität des Leuchtflecks.
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1905 - Zur Konzentration der aus dem Glühdraht austretenden Elektronen benutzte Wehnelt ein Jahr später eine die Kathode umgebende, negativ vorgespannte Zylinder-Elektrode, die später nach ihm benannt wurde, obwohl er nichts darüber veröffentlicht hat [378].
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1925/27 - W. Rogowski, E. Flegler und W. Grösser
Eine Sammelspule, die die von der Kathode ausgehenden, kegelförmig streuenden Elektronen genau auf die Anodenblende vereinigte, und eine Konzentrierungsspule, die die Elektronen im Ablenkraum zum zweiten Male sammelte, wandten W. Rogowski, E. Flegler und W. Grösser bereits 1925/27 bei ihrem Hochspannungs-Kathodenstrahl- Oszillographen an [379] [380].
Man benutzte also schon Darstellungen und Begriffe, die denen der Lichtoptik nahe kamen; es fehlte jedoch damals offenbar noch die klare Erkenntnis der Wirkungsweise solcher Elemente, - „die theoretische Begründung, daß rotationssymmetrische elektrische und magnetische Felder auf Elektronenbündel so wirken, wie optische Linsen auf Lichtkegel" - und „der experimentelle Beweis, daß einwandfreie Abbildungen von Elektronenquellen durch die von ihnen ausgehenden Kathodenstrahlen mit Hilfe stromdurchflossener Spulen bzw. geeigneter aufgeladenen Kondensatorenanwendungen wirklich erzielbar sind" [381].
1927 - H. Busch
Beides lieferte H. Busch im März 1927 in seiner Arbeit „Über die Wirkungsweise der Konzentrierspule bei der Braunschen Röhre" [382]. Hatte man bei der Konzentrierung mit magnetischen Feldern bis dahin immer nur mit dem homogenen, d. h. der Strahl-Achse parallelen Magnetfeld der Spule gerechnet, so zeigte Busch, daß die echte Linsenwirkung mit der Möglichkeit, verkleinert und vergrößert abzubilden, erst durch das magnetische Querfeld im inhomogenen Feldbereich der Spule entstand [383].
Er wies nach: „Ein Magnetfeld, das nur in einem gegen die Röhrenlänge kurzen Bereich merklich von Null verschieden ist, (wie es angenähert durch eine kurze, enge Spule geliefert wird) wirkt auf die Elektronenbahnen genau wie eine Linse auf Lichtstrahlen.
Mit dieser Erkenntnis wurde Busch zum Begründer der geometrischen Elektronenoptik, deren Wesen er später zusammengefaßt hat in dem Satz: „Jedes beliebige stetige magnetische oder elektrostatische Feld, sofern es nur Rotationssymmetrie zur Bündelachse besitzt, übt auf enge Bündel, d. h. achsennahe Strahlen, eine echte Konzentrierungswirkung aus und besitzt daher Abbildungseigenschaften" [382].
1933 - Die Braunsche Hochvakuum- Bildschreibröhre
Die wichtigste Anwendung fand die Elektronenoptik bei der Braunschen Hochvakuum-Bildschreibröhre, die sich nach 1933 für den Empfang von Fernsehbildern allgemein durchsetzte. Solange man die Analogie zwischen Licht- und Elektronenoptik noch nicht voll erkannt hatte - also etwa bis zum Jahre 1932 - half man sich zur Herstellung eines kleinen und intensiven Fluoreszenzflecks mit der Gaskonzentration (Selbstkonzentration) des Strahls, die in erster Annäherung einer langen elektrischen Linse in der Mitte zwischen Kathode und Schirm entsprach [384].
Erst als man gelernt hatte, die Braunsche Fernseh-Bildschreibröhre als elektronenoptisches Gerät aufzufassen und das Problem der Fokussierung des Fluoreszenzflecks nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu behandeln, gelangte man 1933 in der Fernseh-Technik zu den noch heute benutzten elektronenoptischen Abbildungs-Systemen: einer Immersionslinse in unmittelbarer Nähe der Kathode, die ein verkleinertes Bild der Kathode entwarf, und einer aus mehreren konzentrischen Zylindern mit verschiedenem positivem Potential bestehenden Abbildungslinse, die dieses verkleinerte Kathodenbild auf den Leuchtschirm abbildete.
Durch Anlegen der Bildsignalspannungen an den Wehnelt-Zylinder erreichten Zworykin [385] und Ardenne als erste eine der Betätigung der Irisblende in der Optik entsprechende trägheitslose Helligkeitssteurung des Leuchtflecks.
1934 - E. Hudec und W. Reusse
Einen wesentlichen Beitrag zum experimentellen Studium der elektronenoptischen Abbildungs-Vorgänge leisteten 1934 E. Hudec und W. Reusse (RPZ) durch den Bau einer elektronenoptischen Bank im Halse einer besonders großen, ständig an der Pumpe liegenden Braunschen Röhre (Bild 81):
Auf einem prismatischen Quarzsteg waren die verschiedenen Zylinder-Elektroden auf kleinen eisenbeschwerten Reitern beweglich geordnet, so daß sie während des Betriebes der Röhre von außen durch Magnete beliebig verschoben werden konnten.
Magnetische Elektronenlinsen in Gestalt stromdurchflossener Spulen an Stelle der elektrostatischen Linsen besaßen neben der Billigkeit den Vorteil, daß sie nicht im Vakuum aufgebaut zu werden brauchten und daher jederzeit nach justiert werden konnten.
Sie lieferten bei verkürztem Röhrentubus Bilder größerer Helligkeit als die elektrostatischen Linsen und wurden deshalb von 1936/37 an vorwiegend bei Empfangsröhren verwendet, während man bei Bildabtaströhren wegen der erreichbaren Verkleinerung gewöhnlich elektrostatische Linsen benutzte [386] [369].
Über die "Bildwandler-Geräte"
Von der einfachsten Form der elektronischen Abbildung ohne Zerlegung in Bildpunkte machten die Bildwandler-Geräte Gebrauch: Die von einer halbdurchlässigen Photokathode emittierten Photo-Elektronen bewegten sich unter dem Einfluß eines beschleunigenden elektrischen Feldes gegen die mit einer Fluoreszenz-Schicht bedeckte Anodenplatte und erzeugten auf dieser ein dem Original entsprechendes Leuchtbild, dessen Schärfe - ähnlich wie bei einer photographischen Kontaktkopie - um so größer war, je geringer der Abstand zwischen Kathode und Anode gewählt wurde [387].
Da dieser Abstand aus elektrischen Gründen nicht beliebig klein gemacht werden konnte, wählten 1934 Ardenne mit Unterstützung der Reichspost [388] [389], 1935 W. Schaffernicht (AEG) [390] und W. Heimann (RPZ) [391] für Bildwandler die elektronenoptische Abbildung des lichtschwachen Primärbildes durch Beschleunigung und Fokussierung der an der Photokathode ausgelösten Elektronen mit magnetischen oder elektrostatischen Linsen. Die dadurch gesteigerte Bewegungsenergie der Ladungsträger erzeugte beim Aufprall auf den Leuchtschirm gegenüber dem optischen Bilde ein Fluoreszenzbild erhöhter Helligkeit.
Unsichtbare optische Bilder sichtbar machen
Wurde für die Photokathode ein Material verwendet, dessen Hauptemissionsbereich im Infrarot lag (0,85u), so ließen sich mit solchen spektralen Bildwandlern unsichtbare optische Bilder sichtbar machen.
Das Verfahren wurde von W. Schaffernicht bei der AEG und W. Heimann bei der RPF [392] während des zweiten Weltkrieges für Nachtsichtgeräte weiter ausgebildet.
Vom Iconoscope zum Supericonoscope
Die einfache elektronische Abbildung von Photokathoden bildete auch die Grundlage der von M. Dieckmann und R. Hell 1925 angegebenen Bildsondenröhre, die 1928/34 von Ph. Farnsworth, 1936 von W. Heimann und der Fernseh A.G. [393] durch Anwendung einer Elektronenlinse und die hierdurch erreichte exakte Abbildung der Photokathoden-Emission in die Blendenebene verbessert wurde.
Bei den Bildspeicherröhren (besser Ladungsspeicherröhren) erreichte man durch Abtasten eines durch eine Elektronenoptik auf die Mosaikkathode projizierten Bildwandlerbildes im Supericonoscope eine etwa 10- bis 20mal höhere Empfindlichkeit als beim gewöhnlichen Iconoscope [394].