Historisches Wissen (Fernsehen) aus den Jahren 1954 bis 1958
Diese Artikel stammen aus den Anfängen des deutschen Nachkriegsfernsehens etwa ab 1952 bis 1958 (schwarz/weiß), als das neue deutsche ARD Fernsehen die ersten Gehversuche startete und die bereits farbige Kinowelt einen neuen Konkurrenten entdeckte.
Die Psychologie des Fernsehens
Sehen ist sowohl eine biologische Funktion, die optischen, chemischen und elektrischen Gesetzen folgt, als auch ein geistiger Vorgang, bei dem Gedächtnis, Erziehung und Kombinationsgabe (Assoziation) mitwirken.
Das Fernsehbild muß daher einerseits den physiologischen Eigenschaften des Gesichtssinns Rechnung tragen und andererseits psychologisch Zustimmung finden. Der Entwicklung der fernsehtechnischen Verfahren ist das Studium des Auges parallel gegangen. Ziel dieser Untersuchungen war, die Grenze festzustellen, die bei erträglichem technischem Aufwand zu Fernsehbildern von annehmbarer Qualität führt.
Folgende Eigenschaften des Sehorganes fordern Berücksichtigung:
Das Gesichtsfeld
Bei Betrachtung eines zu kleinen Fernsehbildes aus einer gegebenen Entfernung erkennt das Auge zu wenig Einzelheiten und wird zudem in eine starre, schnell ermüdende Blickrichtung gezwungen. Infolgedessen darf der Betrachtungswinkel, also der Winkel, den die seitlichen Bildränder vom senkrecht davor befindlichen Auge aus einschließen, und der ein Maß für die scheinbare Bildgröße darstellt, einen gewissen Mindestwert nicht unterschreiten.
Aus der Erfahrung der Filmtheater hat sich ein kleiner Bildwinkel von 10—12 ° ergeben. Beim häuslichen Fernsehen folgt hieraus für eine Schirmbreite von etwa 36 cm (Anmerkung: wir schreiben 1956) ein Betrachtungsabstand von ca. 2 m. Damit ist die Zahl der Zuschauer, die neben und hintereinander sitzen können, auf 4—6 beschränkt. Falls mehr Personen einen befriedigenden Bildeindruck haben sollen, müssten Bildformat und Betrachtungsabstand gleichzeitig vergrößert werden.
Da die heutige Fernsehtechnik auf diese Maße abgestellt ist, hat es keinen Sinn, den Bildwinkel zu vergrößern, indem der Abstand verkleinert wird. Das Auge sieht dann zwar die Bildstruktur genauer, nimmt jedoch keine zusätzlichen Einzelheiten wahr, weil dieses Mehr an Information im technischen Übertragungskanal nicht vorhanden ist.
Die Helligkeit
Das Auge regelt seine Sehempfindlichkeit nach der mittleren Helligkeit des betrachteten Objektes. Bei zu hellem Fernsehbild wird das Auge geblendet, bei zu dunklem Bild treten Ermüdungserscheinungen ein. Das Fernsehbild soll daher etwa eine mittlere Helligkeit besitzen, die der einer gut beleuchteten Buchseite (~ 300 Iux) entspricht. Das Sehorgan besitzt eine gewisse Reaktionsgeschwindigkeit, die mit der mittleren Helligkeit zunimmt.
Daher ist es auch für die Verfolgung bewegter Bildinhalte wichtig, dem Auge eine ausreichende Bildhelligkeit anzubieten. Da das Fernsehbild unter den oben definierten Betrachtungsbedingungen weniger als 1 Prozent des gesamten Gesichtsfeldes einnimmt, wird die Empfindlichkeitseinstellung des Auges wesentlich von der Helligkeit des Umfeldes bestimmt. Ein zu dunkles Umfeld verursacht eine Adaptation, bei der das helle Fernsehbild blendet. Ein erprobter Wert für die Helligkeit der Bildumgebung ist 1/50 der größten Bildhelligkeit.
Die Helligkeitsstufen
Leuchtdichte (Luminanz) ist die durch einen Querschnitt von 1 cm ² strömende Lichtmenge, die entweder direkt von einer Lichtquelle oder von einer Licht reflektierenden Fläche herrührt. Die Leuchtdichte ist das physikalische Maß für die physiologisch empfundene Helligkeit eines Bildelements. Bei gleicher Beleuchtungsstärke richtet sich die Leuchtdichte nach dem Reflexionsvermögen des Materials.
Blankes Metall kann 90 Prozent des Lichtes reflektieren und erscheint sehr hell, schwarzer Samt wirft weniger als 1 Prozent des Lichtes zurück und wirkt dadurch sehr dunkel. So erscheint ein Betrachtungsgegenstand mehr oder weniger kontrastreich, wobei die Art der Beleuchtung eine große Rolle spielt. Der Kontrastumfang drückt das Verhältnis von größter zu kleinster Leuchtdichte aus. Eine effektvoll beleuchtete Szene im Fernsehstudio kann sehr hohen Kontrastumfang besitzen, bis zu einem Verhältnis 1000 :1. Viel geringere Kontraste kann eine trübe beleuchtete Landschaft zeigen, etwa 5 :1.
Da das Auge im günstigsten Falle zwei Grauwerte dann voneinander unterscheiden kann, wenn ihre Leuchtdichten um 3 Prozent verschieden sind, ergeben sich im ersten Beispiel mehrere Hundert erkennbare Graustufen. Im zweiten Beispiel werden es nur wenige Stufen sein. Bisher ist aber weder die Fernsehtechnik in der Lage, ein größeres Kontrastverhältnis als 50 :1 herzustellen, noch wäre dies wegen der kleinen scheinbaren Bildgröße dem Auge verträglich.
Daher werden alle kontrastreichen Fernsehobjekte auf einen Kontrastumfang von 30-50 komprimiert, das bei der Praxis der heutigen Bildwiedergabe etwa 30-70 erkennbare Graustufen ergibt. Ähnliche Verhältnisse liegen bei allen grafischen Künsten, bei Fotografie und Film vor und pflegen die psychologisch als solche empfundene Natürlichkeit und die künstlerische Aussage nicht zu beeinträchtigen.
Die Gradation
Als Gradation bezeichnet man die Abstufung der in einem Bild vorhandenen Leuchtdichtewerte zueinander. Für das Empfinden sind jedoch nicht die physikalischen Werte der Leuchtdichte maßgebend. Vielmehr gilt für das Auge (wie für das Ohr) das Weber Fechnersche Gesetz, wonach die Empfindungsstärke dem Logarithmus der Reizstärke proportional ist.
Die Helligkeitsempfindung ist somit eine lineare Funktion des Logarithmus der Leuchtdichte. Bei einer idealen Fernsehübertragung sind daher die Logarithmen der Leuchtdichte beim aufgenommenen und wiedergegebenen Bild in jedem Bildpunkt proportional. Mit logarithmischen Maßstäben aufgetragen (siehe Abb.) stellt die ideale Übertragungskennlinie eines Fernsehsystems eine Gerade mit der Neigung a = 45 ° dar. Ihre Steigung (Tangens), die auch als Gamma (y) bezeichnet wird, hat den Wert 1. Schwächer geneigte Geraden (z. B. y = 0,5) führen zu flauen, weichen Bildern, stärker geneigte (z. B. y = 2) zu kontrastreichen, harten Bildern.
Derlei Abweichungen sind in gewissem Maße erträglich und unterliegen sogar dem persönlichen Geschmack. In der Regel sollte jedoch das technische System zwischen Objekt und wiedergegebenem Bild ein Gamma = 1 aufweisen, wenn die mittleren Leuchtdichten in beiden Fällen von gleicher Größenordnung sind. Besonders schlecht wird ein Fernsehbild, wenn die Beziehung zwischen den Logarithmen der Leuchtdichten keine Gerade mehr ist, sondern - wie es aus technischen Gründen vorkommen kann - etwa eine S-förmig gekrümmte Linie wird (Abb.).
Hierbei sind weder in dunklen noch in hellen Bildpartien deutliche Helligkeitsunterschiede zu erkennen, was zu schmierigen Schatten und kalkigen Lichtern führt. In solchen Fällen muß durch gegenläufige Gamma Korrektur dafür gesorgt werden, daß das Produkt der Gamma aller Einzelglieder der Übertragungskette wiederum zu 1 wird (y = 1/ Goldberg- Bedingung). Immerhin bleiben 10-20 Prozent Abweichung von der Geraden unbemerkt. Das Auge ist also nichtlinearen Verzerrungen gegenüber weit weniger empfindlich als das Ohr.
Die Sehschärfe
Die Fähigkeit des Auges, zwei benachbarte Bildpunkte unterscheiden zu können, wird als Sehschärfe bezeichnet. Sie ist am größten im gelben Fleck der Netzhaut, nimmt mit der Beleuchtungsstärke schnell zu und bleibt bis zur Blendung ziemlich konstant. Sie hängt aber auch vom Kontrastumfang, vom Adaptationszustand, von der scheinbaren Bildgröße, von der Lichtfarbe ab und schwankt von Mensch zu Mensch.
Ein durchschnittliches, normales Auge unterscheidet bei heller Beleuchtung zwei Punkte, die 2' (Winkelminuten) auseinander liegen (60 Winkelminuten sind 1 Winkelgrad ; 360 ° = 1 Umdrehung). Da das Fernsehbild nicht homogen ist, sondern eine Rasterstruktur hat, muß die Feinheit des Rasters der Sehschärfe angepaßt sein. Bildgröße, Betrachtungsabstand, Helligkeit usw. müssen daher so aufeinander abgestimmt werden, daß der normalsichtige Zuschauer das Bild als scharf anspricht.
Die Geometrietreue
Die Erkennbarkeit von geometrischen Verzerrungen hängt sehr vom Formeninhalt des Bildes ab. Gegenüber der Verkrümmung von erfahrungsgemäß geraden Linien ist das Auge empfindlich. Da derartige Verzerrungen psychisch besonders wirksam sind, z. B. zum Lachen reizen, müssen sie klein bleiben. Bei ruhenden Bildern darf die Lage eines Punktes um nicht mehr als 1/70 der Bildbreite von der Lage im Original abweichen.
Auf Grund der angewendeten Technik können sich derartige Verzerrungen aus Gründen, die mit dem Bildinhalt nichts zu tun haben, auch bewegen; sie können z. B. dem Bild ein unruhiges Schwanken geben. Solchen Störungen gegenüber ist das Auge besonders empfindlich, so daß Geometrie- Schwankungen unterhalb 1/1ooo der Bildbreite bleiben müssen.
Dagegen werden Verzerrungen, die durch schräge Blickrichtung oder Wölbung des Bildschirms entstehen, verhältnismäßig willig hingenommen. Bei der heutigen Praxis der leicht gewölbten Schirmoberfläche (Anmerkung: wir schreiben 1956) sind um ± 300 von der Normalen abweichende Blickrichtungen gerade noch erträglich.
Die Bildfolge
Die Darbietung von zeitlich aufeinanderfolgenden Bildern mit dem Ziel, dem Auge fließende Bewegungen vorzu-täuschen, ist ein der Natur fremder Vorgang, der von der Filmtechnik her bekannt ist. Da sich die Fernsehtechnik eines ähnlichen Verfahrens bedient, gelten viele filmtechnische Erkenntnisse auch für das Fernsehen.
Indessen besteht zwischen beiden der wichtige Unterschied, daß beim Film das einzelne Bild mit allen seinen Elementen gleichzeitig als Ganzes vorhanden ist, während das Fernsehbild aus der Spur eines über den Bildschirm bewegten Punktes variabler Leuchtdichte ständig neu zusammengesetzt wird. Jeder der vielen hunderttausend Bildpunkte, aus denen man sich das Bild entstanden denken kann, leuchtet nur sehr kurz auf.
Aus den Besonderheiten der angewendeten Technik resultieren einige dem Fernsehbild eigentümliche Flimmereffekte, die den Eigenschaften des Auges entsprechend um so deutlicher werden, je größer die Bildhelligkeit ist. Mit einer Bildzahl von 50 je Sekunde läßt sich jedoch bei der für die Betrachtung maximalen Beleuchtungsstärke von 300 Iux völlige Flimmerfreiheit erzielen.
Die Orthochromasie
Das Auge empfindet elektromagnetische Wellen als Licht, wenn deren Wellenlänge zwischen 400 nm (blau) und 700 nm (rot) liegt. (1 nm = 1 Nanometer = 10‾9 m = 1 Millionstel Millimeter.) Dieses Wellenband umfaßt alle Farben, für die das Auge, allerdings unterschiedliche Empfindlichkeit besitzt (Abb.).
Wie bei Fotografie und Film muß verlangt werden, daß die Umsetzung der Farben in Graustufen nach der Augenkurve, orthochromatisch, erfolgt, wobei allerdings gewisse Freiheiten, die der Erzielung besonderer Effekte dienen, ebenso wie beim fotografischen Verfahren zugelassen sind.