Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 29
Jede Woche >SIEBEN TAGE<
Eines Tages kam unser >dritter Mann<. Er hieß Jean Jacoby und stammte aus dem Elsaß. Ein toller Bursche, Olympiasieger in zwei Sparten und ein hervorragender Sportzeichner. Bis dahin hatte er nur für die "BZ AM MITTAG" gearbeitet. Wenn ich sah, wie der jeden Morgen in ein paar Minuten die aktuelle Sportzeichnung für die BZ hinhaute - das war gekonnt.
Wir zwei mochten uns besonders gern und stießen uns später immer wieder an der schrecklichen Prüderie von Kapeller. (Davon könnte ich Histörchen erzählen. Teils zum Totlachen, teils zum Heulen.) Ich taufte Jacoby auf Köbes um, und so nannte ihn kurz darauf der ganze Verlag bis hoch in die verehrte Direktion.
Etwas mehr über Kapeller
Jetzt muß ich dem Leser noch Kapeller vorstellen: 1,75 groß, sehr gut gewachsen und immer toll in Schale. Immer (ich schwöre!) in großkarierten Anzügen mit Pumphosen und nie ohne >Bibi<. Ein Bibi ist eine sogenannte Glocke. Seine Bibis waren alle mausgrau.
Kapeller stand sehr unter der Fuchtel seiner Frau. Sie fühlte sich als die personifizierte Macht der Presse und hatte was gegen den Staatssekretär Bredow und gegen den von allen geliebten Rundfunksprecher und Hörspielregisseur Alfred Braun.
Von beiden wollte sie nie etwas in ihrem "SIEBEN TAGEN" sehen. Beide hatten sie einmal ungenügend hofiert.
Kapeller hatte es druckreif im Kopf
Kapeller schrieb ungefähr jedes Jahr einen Ullstein-Krimi. Sein erster hieß >Staatsanwalt Niendorf< und hatte gut eingeschlagen. Er schrieb - so was gibt's nicht wieder - druckreif! Und alles - zur Qual der armen Setzer - in einer winzig kleinen Druckschrift auf Florpostpapier.
Darunter legte er beim Schreiben ein engzeiliges Linienblatt. Auf seinem Schreibtisch lagen stets zwanzig nadelspitz gespitzte Bleistifte. Die Spezialspitzmaschine mit verstellbarem Anspitzwinkel hatte er sich eigens an seinem Schreibtisch befestigen lassen.
Schon während er die ersten Buchstaben malte, hatte er alles fix und fertig im Kopf. Ich erinnere mich, daß er mir eines Abends im Restaurant >Traube< an der Gedächtniskirche ein Kapitel seines neuen Romans aus dem Kopf vorlas. Ja, vorlas, man kann es nicht anders nennen. Haargenau so stand es später zu lesen. Mit allen Druck- und sonstigen Fehlern.
Genial - die Leute hungrig machen
Aber zurück zu SIEBEN TAGE. War das ein erhebender Augenblick, als ich eines Morgens auf allen Litfaßsäulen der Stadt riesengroße himmelblaue Plakate sah, auf denen in Rosarot - der Papierfarbe unserer Zeitung - zu lesen war: >In sieben Tagen gehört dir die Welt.< Sonst nichts.
Und tags darauf: >Dir haben bisher in jeder Woche sieben Tage gefehlt!< Worauf ein Berliner Steppke sagte: »Und mir neununneunzich Fennje an 'ner Mark!«
Das war Werbung. Davon können sich manche unserer Werbeleute von heute noch dicke Scheiben abschneiden! Und wie's erst weiterging. Jeden Tag wurden die stets neugierigen Berliner mit einer neuen rätselhaften Behauptung überrascht.
Bis dann am Erscheinungstag des Rätsels Lösung kam: >SIEBEN TAGE hören Sie - sieben TAGE lesen Sie!<
Kein Renner - aber sie wurde gelesen.
Dafür sorgten die einfallsreiche Werbeabteilung und der glänzend eingespielte Vertrieb. Aber so ein richtiger rauschender Ullstein-Erfolg sind die SIEBEN TAGE infolge ihres Konstruktionsfehlers nie geworden.
Die Redaktion von >SIEBEN TAGE<
Natürlich bestand unsere Redaktion nicht nur aus Kapeller, Köbes und mir. Da gab es zum Beispiel auch den Decken. Er war ein Baron und hieß Ernst von der Decken, mit ck, sprach sich aber schlicht Deeken mit zwei ee. Er war um die Vierzig, ein heller rothaariger Sachse, der Filmkritiken für die BZ schrieb und zeitweilig auch Chefredakteur der MONTAGSPOST war.
Eine Seele von Mensch. Auch er schrieb Bücher. Charakteristisch sein Buch >Ein Sünder fährt durch heiliges Land<. Er malte mit Worten; er war ein Dichter. Sogar seine Aufsätze hatten immer etwas Besonderes, Versonnenes, Versponnenes.
Ernst von der Decken - Kreativ mit Phantasie
Und er hatte Phantasie. Das bewies er gleich in einem der ersten Hefte. Da passierte nämlich, was ich vorausgesagt hatte: Beim Sonntagsbogen, dessen redaktioneller Teil durch den großen Kopf der Zeitung schon viel zu knapp bemessen war, gab es soviel Stoff, daß wir aus den Nähten platzten. Dafür gab es am Montag rein gar nichts, aus dem man redaktionell etwas hätte machen können. Aber Decken wußte Rat: Er brachte unserem ahnungslosen Köbes ein Bild aus dem Archiv: ein Pärchen auf einer Bank im Tiergarten. Es hatte mit dem Rundfunk so wenig zu tun wie mit der Nähmaschine meiner Großmutter. Doch Decken dichtete eine Bildunterschrift dazu und sagte in der Unterzeile: »Leider war das > Aktuelle Mikrofon< des Rundfunks wieder einmal nicht zu Stelle.«
Die Beziehung zum Rundfunk war hergestellt...
Es ging aber in die Brüche mit Dorothea Wieck
Später, als er die Hauptdarstellerin des Films >Mädchen in Uniform< auf der Leinwand sah, heiratete er >dieselbe von derselben< glatt herunter. Worauf beide nach Hollywood flogen, wo Decken Dutzende von alten Freunden hatte. Man drehte dort einen anspruchsvollen Film mit Dorothea Wieck, aber sie kam nicht an. Es war, wie man in Filmkreisen vorausgesagt hatte, das >Wieck-End<. Die Ehe ging in die Brüche. (Nach dem Krieg wurde Decken stellvertretender Chef der WELT AM SONNTAG.)
Wir nannten ihn Fritze.
Eines Tages erschien in unserer Redaktion ein netter Junge, der bei einem Rundfunksprecher-Wettbewerb den ersten Preis gewonnen hatte und partout zur Rundfunkpresse wollte. Er wurde mir zugeteilt, ein braver, guterzogener und ungewöhnlich talentierter Bursche. Für mich ein Grund, ihm auch nicht den kleinsten Fehler durchrutschen zu lassen. Wir nannten ihn Fritze.
Wenn Fritze von etwas besonders erregt-bewegt war oder einen brillanten Einfall hatte, blähte er die >Nüstern<. Das sah etwas komisch aus. Ich habe ihn bei Kriegsende aus den Augen verloren. Erst viel später trafen wir uns in Köln wieder. Fritze hatte einen >Einfall< ... und blähte die Nüstern wie vor rund 40 Jahren. Heute heißt Fritze Christian von Chmielewsky. Er ist viele Jahre Programmdirektor der >Deutschen Welle< gewesen.
"SIEBEN TAGE" - Programme aller europäischen Sender
Da die SIEBEN TAGE die Programme aller europäischen Sender bringen sollten, brauchten wir Programmredakteure, die die ausländischen Programme aus dem Stegreif übersetzen konnten. Aus der Werbeabteilung des Hauses kam dafür Erwin Lehnow zu uns, und aus Holland Cyril Hart.
Lehnow wollte ich später nach Hamburg holen. Er konnte sich aber von Berlin nicht trennen und starb schon sehr früh. Hart setzte sich während des Krieges ins Ausland ab. Ich traf ihn unverhofft in Hamburg wieder; er war bei den Engländern für die Papierzuteilung an Zeitungen und Zeitschriften zuständig. Später kam er als Chef der Programmredaktion zu HÖR ZU.
Ein genialer Schachzug - die Röhrenprüfung
Bei den SIEBEN TAGEN führte ich gleich zu Beginn die kostenlose Röhrenprüfung für unsere Leser ein. Das war eine feine Sache, denn die Leute wußten nie, welche Röhre nun schlecht oder kaputt war, wenn der Empfänger nicht mehr oder nicht mehr so recht wollte. Die Händler hatten die nötigen Röhrenprüfgeräte nicht - und viele Kunden mißtrauten ihnen auch. Bei uns gab's regelmäßige Röhrenprüfstunden; Leser von außerhalb konnten uns ihre Röhren per Post schicken. Sie bekamen sie dann in mustergültigen Kartons zurück - zu jeder Röhre ein Attest, das besagte, ob beziehungsweise welche Fehler sie hatte und in welcher Reihenfolge die Röhren bei einem weiteren Nachlassen des Gerätes erneuert werden sollten.
Schon im ersten Vierteljahr brachten uns allein die Berliner rund fünfzigtausend Röhren zur Prüfung. Das wirkte sich natürlich auch auf die Auflage aus.
Der SIE-BEN-TAGE-Wellentrenner
Es gab noch eine Sorge aller Rundfunkhörer: Die Wellen der Sender rückten von Tag zu Tag näher aneinander. So bekam man mit den damals üblichen Geradeausempfängern fast nur Wellensalat herein.
Da kam mir ein Gedanke: Wenn man vor den Empfänger einen zusätzlichen Abstimmkreis als Wellentrenner schaltete, müßte das doch die Trennschärfe erheblich steigern... Ich lief zu Wertheim, kaufte eine billige Seifendose, im nächsten Radioladen eine Flachspule und einen winzigen Drehkondensator, lötete die Einzelteile zusammen und - der Erfolg war umwerfend. Der SIE-BEN-TAGE-Wellentrenner war geboren. Er wurde ein großer Erfolg, zumal die ganze Apparatur mit Drehkopf und Steckbuchsen nur 80 Pfennige kostete. Später kam die >Seifendose< für die Nicht-bastler auch in einem sehr hübschen Alu-Gehäuse auf den Markt.
Für die SIEBEN TAGE war es ein großer Erfolg. Das Ding steht heute im Rundfunkmuseum.
- Anmerkung : Das DRM von 1990 gibt es nicht mehr. Es wurde aufgelöst und ist vielleicht ab 2016 in Mannhiem zu bewundern.
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Kapitel 30
Erst lernen - dann schreiben!
Ich hatte mich rasch zu einem richtigen Ullsteiner entwickelt, wurde schon bald von den Chefredakteuren der anderen Blätter zur Mitarbeit aufgefordert und wollte hoch hinaus.
Vor allem mußte ich in die ILLUS. Dort saß jetzt Dr. Ewald Wüsten, der meinen ersten Roman bei der FUNKSTUNDE gebracht hatte.
Wir trafen uns in der ILLUS-Etage und waren uns einig, daß ich in der ILLUS einen Aufsatz über das kommende Zauberinstrument Fernsehen schreiben sollte. Illustriert von Theo Matejko.
Matejko war der größte Journalist des Zeichenstifts
Wer kann ahnen, was dieser Name mir bedeutete! Matejko war der größte Journalist des Zeichenstifts. Und mit ihm durfte ich arbeiten? Wir waren schnell aufeinander eingespielt. Unser erstes gemeinsames Opus wurde ein toller Erfolg: >Wunder des Fernsehens<.
Mich benutzte er gleich als Modell: Seine Freundin und mich porträtierte er für die ILLUS, vor dem Fernsehempfänger sitzend. Meine Kollegen erkannten mich sofort.
Ich sagte in dem Aufsatz voraus, daß die kommenden Olympischen Spiele vom Fernsehen übertragen würden. Diese Vision zeichnete Matejko.
Nicht ganz korrekt : Der Mythos Walter Bruch
Und als Jahre später die Fotos von den Fernsehkameras erschienen, sah es so aus, als hätte man alles nach Matejko arrangiert. Daß an der Kamera damals ein junger Telefunken-Techniker namens Walter Bruch stand, erwähnte niemand.
Sehr viel später wurde er der "Erfinder des PAL-Systems" ??. Ein weltberühmter Professor. Zehn Jahre war er Vorsitzender meiner Stiftung zur Förderung der Fernsehtechnik. Er starb 1990.
- Anmerkung : Da ist Eduard Rhein auch dem Charme des Walter Bruch erlegen - wie Heide Riedel ebenso. Viele der Telefunken Presseinfos wurden noch um 1990 als wahr hingenommen und nicht hinterfragt, auch von Rhein nicht.
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Über die Zeitungen und Zeitschriften von Ullstein
Jede Zeitung und Zeitschrift des Hauses hatte ihren eigenen Stil. Dem mußte man sich anpassen. Wer das nicht konnte, kam nicht an. Wenn er Glück hatte, schrieb man ihn um. Das mir? Kein Wort durfte geändert werden!
Also mußte ich mich den verschiedenen Objekten anpassen: Rotzfrech im TEMPO, reserviert in SIEBEN TAGE, seriös-sensationell in der ILLUS und vornehm zurückhaltend in der DAME.
Denn auch in ihr wollte ich erscheinen. Da gerade die ersten Autoradios auf den Markt kamen, schlug ich ihrem Chefredakteur Reindl das Thema >Operette im Auto< vor.
Reindl sagte sofort ja. Noch heute drücke ich ihm im Geiste die Hand. Er hatte mich damit im Verlag salonfähig gemacht...
Ein Bastion nach der anderen
Und da war noch eine Bastion zu stürmen: die höchst anspruchsvolle VOSSISCHE ZEITUNG, kurz: die Voß. Ich bot meine Mitarbeit an - und wurde akzeptiert.
Noch blieb die KORALLE, Chefredakteurin Cläre With. Man sagte, sie sei sehr schwierig, doch nachdem ich bei ihr meinen populärwissenschaftlichen Aufsatz über die neuartigen Hubschrauber abgeliefert hatte, war das Eis gebrochen.
Warum schmecken gefrorene Kartoffeln süß?
Ich schlug ihr gleich eine ewig laufende Serie vor unter dem Titel: >Weshalb eigentlich ...?
Fragen aus allen Wissensgebieten leichtverständlich beantwortet.
Wenn das kein KORALLE-Thema war! Die With sagte ja. Und nun ging's los: Weshalb eigentlich ... ist der Himmel blau? ... sind bei Nacht alle Katzen grau? ... legt der Kuckuck Kuckuckseier? ... erstickt das Küken nicht im Ei und das Kind nicht im Mutterleib? ... platzen die Kirschen bei Regenwetter? .. . hat das Kamel einen Höcker? ... verbrennen wir uns an der Fleischbrühe so leicht die Zunge?... schmecken gefrorene Kartoffeln süß?
Das waren harte Nüsse.
Das waren harte Nüsse. Allein über das letzte Thema hatte ein deutscher Biologe jahrelang gearbeitet und das Ergebnis in zwei riesigen Folianten niedergelegt. Die mußte ich studieren. Ich mußte überhaupt noch viel studieren. Physik und Elektrotechnik -ja, da war ich zu Hause. Doch bei Biologie und Medizin verfügte ich über nur wenig mehr als mein Schulwissen.
Um über solche Themen schreiben zu können, mußte ich jedoch sehr viel mehr recherchieren und ständig auf dem laufenden bleiben.
So saß ich Tag um Tag und Jahr um Jahr in den Hörsälen der Universitäten und spitzte die Ohren. Das gab Themen über Themen. Ich kaufte mir mit der Zeit eine große Bibliothek zusammen, abonnierte die Fachzeitschriften, las mich von Oswald Bumkes dickem Lehrbuch der Geisteskrankheiten bis zu dem inzwischen weltberühmten Buch über kosmetische Chirurgie von Professor Dr. L. J. Joseph durch. Ich kaufte mir anatomische Atlanten und nagelte sie mir, zum Entsetzen meiner Freunde, an die Wände.
Biologie und Medizin
Biologie und Medizin, das waren die Wissensgebiete, die es mir so leicht machten, bei der Darstellung schwerverständlicher technischer Vorgänge auf Parallelen in der Natur hinzuweisen. Diese Art der Darstellung war neu und ließ meine Leser aufhorchen. Sie schrieben aufmunternde Briefe; und so kam es, daß mir Kapeller schon bald regelmäßig unsere zweite Umschlagsseite, die erste Donnerstagsseite, überließ.
Ich schrieb über den >Spiegel der Seele <, das Auge, über unser Gehör, über Bienen, die unsichtbares Licht sehen, über Schmetterlinge, die sich über Hunderte von Kilometern finden, über das Geheimnis des Vogelzuges, über das Echolot der Fledermäuse und der Fische ...
Ein Buch über die "Wunder der Wellen" war nicht gefragt
Es wurden Aufsatzreihen, die die Leser offensichtlich sammelten. So kamen denn auch bald die ersten Fragen nach einem Buch. Es wurden viele Tausende in einem Jahr.
Mit ihnen ging ich zum Leiter des Buchverlages, Dr. Hans Roe-seler. Aber von einem Buch über die Wunder der Wellen wollte er nichts wissen. »Dafür gibt es nicht genügend Käufer. Im Keller liegen noch etliche Tausend eines Radiobuches wie Blei.«
»Dann muß das ja ein Dreck gewesen sein! Ich schreibe Ihnen einen Bestseller!«
Der Chef wollte immer noch nicht
Im Verlag hatte Roeseler mit Hendrik van Loons >Du und die Erde< nicht nur einen großen Erfolg erzielt, sondern auch die Idee, daraus eine Buchserie zu entwickeln. Das zweite Buch schrieb ein ganz junger, sehr talentierter Physiker, Dr. Paul Karlson. >Du und die Natur, eine Physik für jedermann<. Ein mustergültiger Kollege. (Der Autor ist leider in den letzten Kriegstagen verschollen.)
Jetzt wollte ich mit einem Buch in diese Reihe. Aber Dr. Roeseler wollte partout nicht, obwohl auch Karlson und Kapeller ihn bestürmten. Er gab wohl nur um des lieben Friedens willen nach.
Geschafft! >Wunder der Wellen< erschien 1934
> Wunder der Wellen< erschien 1934 und - er sah's und wollt's nicht sehn - es wurde ein Renner. Im Nu war die erste Auflage weg. Aber ich war verärgert. Man hatte das Buch nicht in der >Du und...<-Reihe herausgebracht, sondern weniger gut ausgestattet und ... billiger.
Nun sollte die zweite Auflage kommen. Ich sagte: »Stopp - aber nicht mehr so! Wenn es für die >Du und...<-Reihe nicht genug ist, gebe ich's einem andern Verlag.«
Also erschien es schön und stolz in der Reihe und wurde gleich in vielen Sprachen nachgedruckt. Während des Krieges sogar als Raubdruck in England.
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Rhein - Du mußt ein Buch machen
»Jetzt müßten wir von Rhein >Du und die Elektrizität< bringen<, sagte der Buchvertrieb. Ich hatte Bedenken.
»Meine besondere Note kennt man nun. Von einem neuen Rhein würden die Kritiker sagen: >Nicht schlecht - aber leider doch nicht ganz von der Zündkraft seines ersten Buchest«
Das ist ein Effekt, den jeder erfolgreiche Buchautor ebensogut kennt wie jeder Operettenkomponist und den er fürchtet. Für mich hieß diese Erkenntnis: Das zweite Buch muß noch besser werden! Ich zögerte, obwohl der Verlag mir einen großen Vorschuß anbot.
Nein, es muß ein Krimi werden
Weiß der Teufel, warum ich es plötzlich "richtiger" fand, einen technisch-utopischen - Ullstein-Krimi zu schreiben. Roeseler schüttelte den Kopf: Wenn es denn partout sein muß! Selbst Kapeller erklärte mich für verrückt.
Durch die Arbeit an den Aufsatzfolgen für die SENDUNG hatte ich eine Tonaufzeichnungsschrift kennengelernt, die mich schon damals auf die Idee gebracht hatte, man müßte auf diese Weise eines Tages Stimmen rein elektrisch erzeugen können.
Und das sollte nun das Thema meines neuen Romans werden:
Eines Tages legt ein Japaner einem jungen, aber total heruntergekommenen Tenor eine Sehallplatte vor, die er nie besungen hat und die doch den ehemaligen Glanz seiner Stimme spiegelt ... - Fortsetzung folgt.
So etwas können oder sollten Sie nicht machen
Ich diktiere den Roman nebenbei in zwei Wochen und gebe ihn dem Lektor des Romanverlages, Wiegler.
Zwei Tage später ruft er mich an: »Sind Sie frei? Ich komme schnell mal zu Ihnen rauf.«
Das ist kein gutes Zeichen. Wiegler ist sechzig, und ich bin ein junger Spund.
»Nein, bitte nicht! Ich komme runter!«
Doch er läßt sich's nicht nehmen.
Ergebnis:
»Ja, der Roman ist gut, den würden wir gerne bringen, aber Sie können doch als Autor der berühmten >Du und.. .<-Reihe nicht einen Krimi veröffentlichen!«
Wählen Sie unbedingt ein Pseudonym
»Wieso nicht? Der Roman ist doch zumindest sehr originell!«
»Das ist eine Stilfrage, und ich fühle mich verpflichtet, Sie vor einer irreparablen Dummheit zu warnen. Also bitte: Wählen Sie für den Krimi ein Pseudonym, und er geht sofort in Druck. Vorschuß 5000 Mark.«
Ich wohnte damals bei einer Frau von Hellborn, nahm kurz entschlossen den Namen Hellborn an - ohne das von -, und so kam ich zu meinem ersten Pseudonym. Wenige Wochen später erschien mein viertes Buch: >Die Jagd nach der Stimmen.
Es fehlte doch nur ein stinklangweiliger Thema
Dann bin ich meinen Fimmel los und gehe nun mit dem nötigen Ernst an >Du und die Elektrizität<. Ich weiß, es wird eine schwere Arbeit sein.
Wie bitter, wie hart habe ich mir diesen Erfolg dann abgerungen! Wie oft hing ich an einem Kapitelanfang fest, weil ich ihn nicht originell genug fand! Allein für das zuletzt geschriebene Vorwort brauchte ich zwei Monate. Beim Kapitel über die elektrischen Haushaltsgeräte packte mich die Verzweiflung. Das Thema war doch stinklangweilig. Aber es mußte sein. Das ganze >Meisterwerk< war schon gesetzt und umbrochen. Der Verlag wartete nur noch auf das mittendrin fehlende Kapitel, für das wir zwei Seiten frei gehalten hatten.
Wie sollte ich das anpacken? Mir fiel und fiel nichts ein. Man wurde ungeduldig. Das Buch sollte zu Weihnachten rechtzeitig auf dem Markt sein. Der Buchhandel hatte groß vorbestellt...
Schon machte mir die Migräne wieder Sorgen
Ich wurde immer nervöser, der Buchhersteller immer böser. Ich sagte: »Mir fällt dazu nichts Gescheites ein!« und man entgegnete: »Ausgerechnet für dieses simple Kapitel fällt Ihnen nichts ein?«
Ich sagte: »So ist es. Eben weil es so simpel ist.«
Ich konnte vor Wut kaum noch schlafen. Wenn ich an dieses verfluchte Kapitel dachte, bekam ich Migräne, weil sich alles in mir verkrampfte.
Ich starb fast vor Migräne. Ich schrieb das Kapitel immer wieder neu und gab es andern zur Kritik. Sie fanden es >ganz gut< - ich fand es verunglückt. So vergingen Monate. Das Buch wurde aus dem Weihnachtsprogramm gestrichen. Ich bekam Komplexe. Sollte ich mich schon >ausgeschrieben< haben?
So etwas gab es doch - wie man sagte.
Der Groschen fiel - bei einem Disney-Film
Da, eines Abends, fiel der Groschen - ausgerechnet im Kino. Ausgerechnet bei einem Disney-Film. Ich stürzte heim an den Schreibtisch...
... und eine Viertelstunde später war das verfluchte Kapitel fertig-
Am nächsten Morgen mühten wir uns in der Redaktion, zu entziffern, was ich da - wie so oft - im Blitztempo hingeworfen hatte.
Es saß!
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Gleich 150.000 Exemplare in der deutschen Ausgabe
>Du und die Elektrizität< erschien. Die Kritik überschlug sich mit Lobeshymnen. Die ersten 150.000 Exemplare der deutschen Ausgabe waren in wenigen Monaten verkauft. Physiker von Weltruf schrieben mir freundliche Anerkennungsbriefe. Unter ihnen Max Planck.
War das nicht ein Grund, die Nase hochzutragen? Nein; der Erfolg war viel zu hart erarbeitet worden ...
Kaum hatte man in der Vereinigung der Elektrizitätswerke mein neues Buch gelesen, da fragte man mich, ob ich nicht Lust hätte, bei der Lehrlingswerbung zu helfen. Es gab da einen großen, immer kritischer werdenden Mangel.
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Eine Broschüre von sechzehn Seiten - für 16.500 Mark
Man dachte an eine Broschüre von sechzehn Seiten.
»Nichts leichter als das, wenn man selber so ein begeisterter Strippenzieher ist«, sagte ich.
»Und an welches Honorar haben Sie gedacht?«
Ich sagte - wie aus der Pistole geschossen: »16.500 Mark.«
»Ist das nicht ein bißchen viel?«
»Ein bißchen? Das ist viel zuviel für einen solchen Zweck. Lassen Sie sich die Broschüre von Kappelmeier, meiner Konkurrenz
bei Scherl, schreiben. Da kriegen Sie's für 500 Mark. Und den kleinen Qualitätsunterschied ...« »Auf den kommt's uns aber an!«
»Ja - der kostet 16.000 Mark.« »Wie kommen Sie denn auf die 16.500 Mark?« »Ich habe heute auf dem Kurfürstendamm das neueste BMW-Sportcoupe gesehen - und das kostet soviel.
Aber damit Sie meine Forderung doch etwas besser verstehen: Wenn ich diese Aufgabe übernehme, muß ich - um bei den jungen Menschen anzukommen - ihre Mentalität kennenlernen. Ich würde also für eine Woche in die Werkstattbetriebe bei Breslau fahren und mich mit den jungen Leuten über ihre beruflichen Probleme unterhalten. Außerdem - wenn ich ein populärwissenschaftliches Buch schreibe, erziele ich noch sehr viel höhere Honorare. Das Honorar ist also eher zu gering. Aber, wie gesagt - bei Scherl...«
Sie winkten ab. Man zahlte mir, was ich verlangt hatte. Ich bekam meinen Zweisitzer, die EW bekamen erst ihre Broschüre >Komm zu uns!< mit Zeichnungen von Hans Liska und anschließend so viele Lehrlinge, wie sie wollten.
Und noch ein Buch - Von der Kohle bis zur ....
Jetzt regten sie ein drittes Buch an: >Von der Kohle bis zur Steckdose<, also die Elektrizitätserzeugung und Weiterleitung. Sie schrieben dem Buchverlag, sie würden von einem solchen Buch gleich eine sehr hohe Auflage für ihre Besucher und ihre Mitarbeiter in Büro und Werk vorherbestellen. Der Verlag war bereit, ich war bereit, der Verlag wollte mir schon den Vertrag geben, da ritt mich wieder einmal der Teufel:
»Erst schreibe ich aber noch >Du und Dein Körper<.«
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Beinahe den Chef verprellt . . .
Dr. Roeseler glaubte nicht recht zu hören. Nein, ich solle bei meinen Leisten bleiben. Den Erfolg eines dritten Bandes über die Elektrizität hätten wir doch schon in der Tasche. Ich blieb eigensinnig wie so oft.
Das Thema reizte mich zu sehr. Außerdem konnte ich meine Leser mit einem solchen Buch wieder einmal überraschen, denn ich hatte dazu eine Idee ...
eine Idee ... Die schönste, die brillanteste Idee meines Lebens!
Die Welt der Mediziner hatte mich fasziniert, der Wissensdurst der jungen Studenten hatte mich angesteckt.
Ja, den Rhein kenne ich, . . .
Weil ich nicht nachgab, sprach Roeseler mit berühmten Berliner Medizinern, die mich kannten. Aber erst als Professor Bergmann von der Charite sagte: »Ja, den Rhein kenne ich, dem traue ich das zu!« war das Eis gebrochen. Halb gebrochen. Ich bekam den Vertrag über den dritten Elektroband, dann den Vertrag über mein Wunschbuch. Es war jedoch nur ein Vorvertrag und darin stand, daß ich erst ein Viertel des Manuskriptes zur Prüfung vorlegen müßte. - Weiß Gott, ein saurer Apfel. Ich biß zähneknirschend hinein und stürzte mich in die Arbeit.
Alle Mediziner versprachen mir zu helfen . .
Zuerst besuchte ich die berühmtesten Spezialärzte Berlins. Durch meine Bücher ausgewiesen und mit ein paar sehr netten Zeilen von Professor Planck, fand ich überall offene Türen. Alle Mediziner versprachen mir, das sie betreffende Kapitel vor Drucklegung kritisch durchzusehen.
Roeseler war beruhigt, die schönste Schaffensperiode meines Lebens konnte beginnen ...
Mein Geschriebenes musste mir auch gefallen
Als ich ihm dann schon nach überraschend kurzer Zeit die ersten Kapitel vorlegen konnte, sagte er spontan: »Diesen Rhein drucken wir als ersten Band auf unserer neuen Maschine - und zwar vierfarbig!«
Das waren Anerkennung und Ansporn zugleich. Ich hätte überglücklich sein können - wenn mir das, was ich dann schrieb, auch so gefallen hätte.
Wieder war mir alles nicht gut genug, nicht flüssig genug formuliert, zu ledern. Ich kämpfte verzweifelt mit Stoff und Stil. Was für eine harte Arbeit hatte ich mir da wieder aus bloßem Übermut aufgeladen! Und das neben all der täglichen Plackerei für die "SIEBEN TAGE" und die übrigen Zeitungen und Zeitschriften des Verlages.