Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 72
Die HÖR ZU entsteht
Endlich, endlich rief Axel Springer an:
»Das Papier ist da!« Seine Stimme klang, als könne er es selber noch nicht glauben. »Können wir die Weihnachtsnummer noch rechtzeitig herausbringen?«
Ich spielte den Gelangweilten, obwohl ich vor Freude am liebsten an die Decke gesprungen wäre.
»Die Weihnachtsnummer? Wenn das Papier da ist, starten wir selbstverständlich schon eine Woche vorher!«
»Das Papier liegt bereits bei Broschek.«
»Wieviel Seiten haben wir denn? Bleibt es bei zwölf?«
»Vorerst. Wir werden so schnell wie möglich auf sechzehn Seiten gehen. Das Papier dazu ist uns schon so gut wie sicher.«
Will und ich wollten sehen . . .
Will und ich stürmten in die Druckerei. Wir hätten uns dort am liebsten gleich eingenistet, obwohl es selbst in der Setzerei bitter kalt war; die Zentralheizung funktionierte nicht. Die Setzer hatten sich aus einer Benzintonne eine Art Ofen gebaut, um sich an ihm ab und zu die steif gewordenen Hände wärmen zu können, denn ihr Arbeitsgerät, die Setzschiffe, die Winkelhaken und die Bleibuchstaben, waren eiskalt und froren ihnen mitunter an den Fingern fest.
Als wir eintrafen, machten sie gerade Mittag: auf der Benzintonne geröstete Steckrübenscheiben und kalten Pfefferminztee. Wir konnten ihnen dazu zwei Päckchen Navy Cut spendieren. Die Überraschung war groß und die Freude noch größer.
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Gut, daß ich etwas vom Handwerk verstand
Daß wir ihnen ein umfangreiches Manuskript mit den Programmen mitbrachten, imponierte ihnen besonders, und daß der Herr Chefredakteur sogar was von ihrem edlen Handwerk und von den gewaltigen Druckwerken verstand, machte die Zusammenarbeit gleich leichter. Wir blieben, bis die ersten Exemplare vorlagen. Dann riefen wir den Verleger an.
8. Dezember 1946 - »Nummer eins läuft vom Band«
..... sagte ich so ruhig, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Zwanzig Minuten später nahm Axel Springer das erste Exemplar seiner neuen Zeitschrift entgegen. Eine Zeitschrift, von der selbst er, als Verleger, bis zur Stunde nichts anderes als ihren Namen kannte und die ihm deshalb noch ebenso fremd war wie dem letzten Käufer auf der Straße. Ebenso fremd und dennoch das Ergebnis einer in schwersten Notzeiten gewachsenen Freundschaft und eines unbegrenzten gegenseitigen Vertrauens.
Der Grundstein für den größten Zeitschriftenerfolg Europas
Er starrte wie ungläubig auf das dünne blaue Heft, blätterte langsam eine Seite nach der anderen um, zog mich dann an sich und sah mir lange schweigend in die Augen ...
Ob er wohl damals ahnen konnte, was dieser Augenblick für sein ganzes Leben bedeuten sollte? Daß damit der größte Zeitschriftenerfolg Europas aus der Taufe gehoben und das Fundament für einen Verlag von Weltgeltung gelegt worden war?
Er drückte allen Setzern und Druckern bewegt die Hand, nahm sich sechs Exemplare und stürmte damit - strahlend wie ein beschenktes Kind - wieder hinaus.
Wir nahmen uns zwei Exemplare und gingen damit zu Paul L'Arronge.
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11. Dezember 1946 - Die erste Rundfunkprogramm- Zeitschrift nach dem Krieg
Es gab zur Feier des Tages Kaffee und heißen Apfelstrudel zum Sattessen.
Drei Tage später war HÖR ZU auf dem Markt: die erste Rundfunkprogramm- Zeitschrift nach dem Kriege. Alle Zeitungen berichteten wohlwollend darüber, und die beiden im Gleichwellenbetrieb arbeitenden Großsender des NWDR schickten mir ihr junges Reporterpaar in die Redaktion.
Ich beantwortete alle ihre Fragen über den Inhalt von HÖR ZU und meine weiteren Pläne, ließ sie aber gleichzeitig von einem Mitarbeiter fotografieren und interviewte die Interviewer dabei, ohne daß sie es merkten.
Wenige Wochen später widmete ich jedem von ihnen eine farbige Rückseite.
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Hör zu! - Hallo, hör doch zu!
Das Magnetband mit der Reportage lief eine Woche lang täglich zweimal über die Sender, und meine beiden Reporter hielten den Passanten auf dem jungfernlosen Hamburger Jungfernstieg im Stil von Marktschreiern lachend unsere erste Nummer entgegen:
»Hör zu! - Hallo, hör doch zu!«
»Ich hör ja schon - was ist denn los?«
»HÖR ZU, die farbig illustrierte Rundfunkzeitung des Nordwestdeutschen Rundfunks, soeben erschienen, mit den Programmen aller europäischen Sender. Wenn Sie sich ranhalten, kriegen Sie noch ein Exemplar bei Ihrem Zeitungshändler für 30 Pfennige!«
»Greif zu HÖR ZU - lies HÖR ZU - und hör zu mit HÖR ZU.«
Wer sie wirklich greifen wollte, mußte sich beeilen, denn die erste Auflage war im Handumdrehen vergriffen.
Kapitel 73
Die Nummer eins
HÖR zu! - Der Titel hatte Funken geschlagen.
Nachmittags gab Axel Springer einen Empfang. »Ich möchte Ihnen eine neue Zeitschrift vorstellen - die es im Straßenhandel leider schon nicht mehr gibt. Die erste Auflage ist bereits vergriffen.«
Axel machte das alles mit seinem unwiderstehlichen Charme. Die Engländer studierten HÖR ZU mit kritischen Blicken und waren voll des Lobes. Nur Hugh Carleton Greene sah mich erstaunt an: »Ihr habt noch nicht die Butter aufs Brot - und Sie schwärmen schon wieder vom Fernsehen!«
Ich antwortete schmunzelnd: »Nur Lumpen sind bescheiden ...«
Doch ehe ich noch anfügen konnte, welcher große Mann das gesagt hatte, ergänzte Greene lächelnd: »Edle freuen sich der Tat! - Johann Wolfgang von Goethe.«
Die übrigen Gäste waren völlig überrascht von dem Umschlag - und als sie erst angefangen hatten zu lesen, noch mehr von dem Inhalt.
Frecher, aber gekonnter Journalismus!
»Frecher, aber gekonnter Journalismus!«
»Der Aufsatz >Das brennende Problem< ist ebenso mutig wie nötig. Das wird Ärger mit den Funkhändlern geben«, glaubte ein Senator mich warnen zu müssen.
»Davon bin ich überzeugt - aber derartigen Ärger bin ich seit fünfundzwanzig Jahren gewöhnt. Er ist einkalkuliert.«
Und der Hamburger Buchverleger Felix Jud zog den strahlenden Verleger Axel Springer beiseite: »Axel - tut mir weh, dir das sagen zu müssen: Alles was dein mit soviel Vorschußlorbeer geschmückter Chefredakteur hat falsch machen können, hat er falsch gemacht. Such dir schleunigst einen anderen, ehe es zu spät ist. Es gibt hier genug, die das besser können! Diese Berliner Schnodderigkeit... ich weiß nicht!«
Aber Axel wußte es und berichtete mir lachend: »Endlich das nötige Körnchen Salz in der Suppe! Sie können sich morgen Ihre Papiere holen.«
Der Kompagnon hieß Karl-Andreas Voß
Axels diskret im Hintergrund lebender Kompagnon Karl-Andreas Voß war politisch ein bißchen vorbelastet. Er nannte sich nur noch Karl statt, wie bis dahin, Andreas, war zehn Jahre älter als ich (Anmerkung : er wären dann 56) - ein äußerst korrekter, stets etwas steif wirkender, aber im Grunde gutmütiger, keineswegs witzloser Herr.
Ihm unterstand die >Finanzgebarung<, und das war gut so, denn er genoß - mehr als der junge Springinsfeld und Frauenheld Axel - das Ansehen und Vertrauen der Banken.
Genauso weitermachen!
An diesem ersten Abend klopfte er mir anerkennend auf die Schulter: »Genauso weitermachen!« sagte er gönnerhaft. »Und nicht beirren lassen!«
Die Sender Hamburg und Köln waren von HÖR ZU so angetan, daß sie unser Blatt am liebsten gleich als >die Programmzeitschrift des Nordwestdeutschen Rundfunks< vereinnahmt und als Hauszeitschrift unter ihre Fittiche genommen hätten. Schon meldeten sich >amtliche< Mitarbeiter und beanspruchten >den ihnen zustehenden Raum<. - Doch dagegen sträubte ich mich mit aller Härte.
DIE PROGRAMMZEITUNG und dann ganz klein "des nwdr"
Springer roch den Braten rechtzeitig und sprach mit den Engländern. Er konnte aber nicht verhindern, daß wir in buchstäblich letzter Minute in die Druckzylinder noch unter die Zeile DIE PROGRAMMZEITUNG klein DES NWDR eingravieren mußten.
Ich veranlaßte es zähneknirschend: »HÖR ZU ist kein amtliches >Organ<, in das die Sender und ihre Pressestellen hineinreden können. Wenn das so gedacht ist, lege ich die Redaktion nieder!«
»Wir könnten ja auch selber eine Programmzeitschrift herausgeben!« drohte man.
Ich lachte sie aus: »Dann backt euch aber erst einmal den Chefredakteur, der das kann!«
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Springer wurde nervös.
Ein paar aufregende Tage, in denen er sich - wie schon vorher - als hervorragender Diplomat erwies, während ich gleich mit der Faust auf den Tisch schlug. - Hugh Carleton Greene sprach schließlich ein Machtwort - er sah als Journalist nur zu gut den gewaltigen Unterschied zwischen der langweiligen >amtlichen< RADIO TIMES und HÖR ZU -, und das ärgerliche >DES NWDR< verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Der Start von HÖR ZU war gelungen, ein glänzender Start. Die Engländer versprachen spontan mehr Papier - und so bald wie möglich.
Ich jammerte um Kohlen - es war saukalt bei uns
Ich jammerte um Kohlen und um halbwegs menschenwürdige Redaktionsräume. Die Johnsallee kam wieder ins Gespräch. Der gute Eindruck, den HÖR ZU gemacht hatte, mußte genutzt werden.
Doch es gab auch damals noch - oder schon wieder - deutsche Behörden... Denn Himmel und Hitler mögen vergehn - die deutschen Behörden bleiben bestehn!
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Kapitel 74
Drei Nummern und dreimal angeeckt
Zwei Männer waren es vor allem, die den Hörern damals wertvolle Einsichten und neue Hoffnungen vermittelten: Axel Eggebrecht und Peter von Zahn. Sie gehörten zum eisernen Bestand des NWDR. Was sie den Hörern in einer klaren, einprägsamen Sprache sagten, ließ aufhorchen, denn sie kannten die Nöte und Zwänge, unter denen alle litten, und beschrieben sie unumwunden. Auch wenn dabei zuweilen Worte gesagt werden mußten, die den Besatzungsmächten nicht schmeckten.
Die Engländer ließen sie ungeschoren, denn sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, in ihrer Zone einen freien demokratischen Rundfunk aufzubauen.
Axel Eggebrecht und Peter von Zahn
Man hörte die beiden fast täglich. Ihre Vorträge waren so wertvoll und beliebt, daß die Engländer Axel Springer schon lange vor Erscheinen von HÖR ZU die Erlaubnis gegeben hatten, sie in kleinen Heften nachzudrucken.
Sie gaben ihm dazu sogar das nötige Papier. Chefredakteur war Walther Hansemann, ein vorsichtiger, erfahrener Journalist von den ehemaligen ALTONAER NACHRICHTEN.
Die NORDWESTDEUTSCHEN HEFTE
Diese NORDWESTDEUTSCHEN HEFTE waren Springers Verbindung zu den Engländern, die er geschickt zu festigen verstand. Sie durften zwar keine Rundfunkprogramme bringen, hatten in ihm aber den ehrgeizigen Plan geweckt, eines Tages eine Rundfunkzeitschrift herauszugeben.
Die neuen Mitarbeiter des Rundfunks kannte man zwar aus vielen ihrer Sendungen, aber sie waren zunächst nur Wort und Klang. Ich begann deshalb schon in der ersten Nummer auf Seite zwei die große Serie:
»Den möcht ich sehn!« und zeigte als ersten den besonders beliebten Peter von Zahn.
»Viele finden seine Stimme zu weich, anderen spricht er zu langsam. Dafür versteht ihn jeder«, schrieb ich dazu unter anderem.
Seine Sprechweise wurde jahrzehntelang immer wieder kopiert, weil man sie dummerweise für das Geheimnis der Zahnschen Beliebtheit hielt. Dabei wußte keiner, daß Zahn damit - wie er mir gestand - nur seine ... sächsische Mundart kaschierte.
>Das brennende Problem<
Der zweiseitige Aufsatz >Das brennende Problem< machte klar, was man von mir zu erwarten hatte. Illustriert wurde er mit einer großen, dramatischen Farbskizze von Hans Liska, die ein erbärmliches altes Ehepaar zeigte, das einem wohlgerundeten Rundfunkhändler mit dicker Zigarre in einem Wäschekorb den Empfänger zur Reparatur brachte.
Was ich dazu zu sagen hatte, war allerdings noch deutlicher und eine einzige Anklage gegen unerträgliche Mißstände im Rundfunkhandel.
Unerträgliche Mißstände im Rundfunkhandel
Hauptargument: Viele Händler nahmen Geräte zur Reparatur an, obwohl sie keine Ersatzteile hatten. Die entnahmen sie dann den Geräten, die mit anderen Fehlern zur Reparatur gebracht wurden. Bis ein solches Gerät bei ihnen landete, konnten Monate vergehen. Man schlachtete Geräte aus, um andere zu reparieren, in der Hoffnung, eines Tages wieder von der Industrie beliefert zu werden.
Daß dabei mancher hochwertige Fernempfänger in einen einfachen Quietscher verwandelt wurde, dafür hatte ich genügend Beweise, und nachdem HÖR ZU diese Mißstände angeprangert hatte, regnete es Bestätigungen von allen Seiten.
Dann kam Gegenwind
»Diesem frechen Hund werden wir's geben!« sagte ein Hamburger Funkhändler, und zwar ausgerechnet der, der mir unbewußt als Modell gedient hatte.
Da mußte natürlich der wiedererwachte Verband der Rundfunkhändler ran! Verbände wirken in solchen Fällen meist einschüchternd. Nur nicht auf mich.
Ich stellte mich dem vernünftigen Verbandsvorsitzenden und belegte - gut vorbereitet - mit vielen Beispielen die Berechtigung meines Vorwurfs. Außerdem erklärte ich mich bereit, seine Erwiderung in vollem Wortlaut zu veröffentlichen - aber zugleich auch die auf dem Tisch liegenden Tatsachen.
Es hat funktioniert - man distanzierte sich von den Untaten
Er war klug genug, zu verzichten. (»Ich kenne doch meine Funkhändler!«)
Wenig später übergab mir der Verband zur Veröffentlichung eine Erklärung, in der er sich von den angeprangerten Methoden distanzierte und sich für saubere Reparaturen verbürgte.
Man hatte schon beim Start von HÖR ZU gemerkt, daß ich ein Fachmann und kein Süßholzraspler war und daß man mit mir zu rechnen hatte.
Dann kam Dank mit hunderten von Briefen
Unsere Leser dankten mir meinen Einsatz für ihre Interessen mit vielen hundert Briefen. Ich hatte überall genau den Eindruck ausgelöst, den ich erwecken wollte - und damit auch den selbstverständlich zu erwartenden Ärger. Der gehörte nun mal zum Geschäft!
- Anmerkung : Hier ist versteckt die Information, das mit der Briefpost funktionierte wieder erstaunlich schnell.
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Ärger mit den wohlwollenden Engländern
In dem Kasten auf Seite zwei zeigte ich Axel Eggebrecht: »Er ist kompromißlos und von beißender Kritik. Einer jener Männer, auf die jede Demokratie stolz sein könnte.« Mit diesem Heft eckte ich aber unbeabsichtigt bei meinen sonst so wohlwollenden Engländern an.
Hans Liska hatte mir wieder eine seiner dramatisch wirksamen farbigen Zeichnungen geliefert: Zehn deutsche Kriegsgefangene, traurig um einen kümmerlichen Weihnachtsbaum hockend. Kleine Geschenke, Briefe aus der Heimat. Und dazu ein zeitgemäßer Text von Walther von Hollander.
Engländer, die den Text nicht lesen konnten, waren empört. Hockten die deutschen Kriegsgefangenen wirklich wie Trauerklöße Heiligabend in England zusammen?
Ganz ganz schnell zu Hugh Carleton Greene ins Funkhaus
Ich hörte etwas von ernster Verstimmung und ging noch am selben Abend zu Hugh Carleton Greene ins Funkhaus. Unterwegs hörte ich aus offenen Fenstern grölende Soldiers. Mistelzweige flogen auf die Straße - torkelnde Engländer winkten mir zu -, es herrschte eine mir völlig unverständliche Besäufnisstimmung.
Ich legte Greene den Aufsatz vor. Als er die Zeichnung sah, weiteten sich seine Augen. »Ja«, sagte ich, »eben hörte ich, wie Ihre Soldaten Weihnachten feiern. Das hat mich zwar verblüfft, aber ich kann es verstehen, wenn ich mir sage, daß Weihnachten ein Fest der Freude ist und auch so gefeiert werden kann. Bei uns ist es ein Fest der inneren Einkehr, der Sentimentalität. Diese Stimmung zeigt die meisterhafte Zeichnung von Liska, und das beschreibt auch der besonders stimmungsvolle Aufsatz von Hollander.
Soll ich HÖR ZU für die Engländer machen ?
Frage: Soll ich HÖR ZU für die Engländer oder für meine Landsleute machen?«
Die Lage war schnell geklärt. Greene hatte zwar jahrelang in Berlin gelebt, Weihnachten aber immer in England verbracht. Er las den Aufsatz und meinte: »Solche Unterschiede in der Mentalität unserer Völker sind interessant. Sie sehen, sogar ich habe noch etwas über die Deutschen hinzulernen müssen.«
»Genau wie ich über Ihre Landsleute! Fröhliche Weihnachten!«
Karl Eduard von Schnitzler in HÖRZU Nummer 3
Nummer 3 zeigte Karl Eduard von Schnitzler: »Seine Sendungen für den Arbeiter finden in der Arbeiterschaft starken Widerhall«, schrieb ich dazu.
In dieser Nummer begann ich eine Folge unter dem Titel: >Die Bühne zum Funkspiel< mit sechs Zeichnungen von Liska zum Zigeunerbaron.
Und wieder gab's Ärger. - Wagenführ sagte mir, ernsthaft besorgt, ein im Funkhaus sitzender emigrierter Berliner in Uniform eines englischen Offiziers hätte sich über den Text einer kurzen Randspalte empört und verlangte, daß ihm HÖR ZU künftig vor der Drucklegung vorgelegt würde.
»Der hat wohl 'n Knall!«
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Die Geschichte mit der Tube Senf
Ich ging gleich in die Höhle des Löwen. Unterwegs sah ich im ewig leeren Schaufenster eines Lebensmittelladens eine Tube Senf. Ich kaufte sie und legte sie dem Exberliner Mister freundlich grinsend auf den Tisch. - »Bitte sehr!«
Er wickelte die Tube aus und sah mich erstaunt an: »Wat is det?«
Ich verfiel - gereizt, wie ich war - sofort in den heißgeliebten Dialekt, den ich zwanzig Jahre lang täglich gehört hatte und sogar schreiben konnte:
»Na, kenn' Se det denn nich mehr?« antwortete ich - wie Cläre Waldoff die Hände in die Hüften gestemmt. »Det is Mostrich. Uff hochdeutsch Senf. Un damit wollt ick Ihn' besenftijen, denn wat in die Randspalte steht, ham Se janz bestimmt in'n falschen Hals jekricht. Aba lassen Se sich det mal von dem Wagenführ auseinanderklabüstern oder von dem Zahn. Die könn' nämlich noch Deutsch.« - Der >Pseudoengländer< sah mich an wie einen Geist.
Ich ging, drehte mich aber in der Tür noch einmal um, wie das seit eh und je alle Helden in allen Filmen tun - und sagte auf hochdeutsch: »Übrigens untersteht HÖR ZU keiner Vorzensur! Ist das klar?«
Ich wartete seine Antwort gar nicht erst ab; der Fall war für mich erledigt. Aber der Witz mit dem Senf lief dank Wagenführ wie ein Lauffeuer durchs ganze Funkhaus und löste schadenfrohes Gelächter aus. - Von da an hat es nie wieder Ärger mit unserer >Besatzungsmacht< gegeben.
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Zum Glück waren bei uns die Engländer . . . .
Wir hatten in dieser Situation allen Grund, dem Schicksal zu danken, daß wir an die Engländer und nicht an andere Besatzer geraten waren.
Im übrigen stelle ich zu meiner Überraschung fest, daß ich schon bei Nummer 3 gelandet bin, wo wir doch damals auch nach dem schönen Anfangserfolg in Wirklichkeit noch vor Kälte schnatterten.
Daß wir die Nummer 2 überhaupt zustande brachten, scheint mir heute wie ein Wunder. Es muß wohl eine Art Aufbaufieber gewesen sein, das uns alle beflügelte und auch das Unmögliche möglich machte. Oder war es die begeisterte Aufnahme, die wir im ganzen Sendebereich gefunden hatten?
Doch es fehlte immer noch an "Allem"
Ich fragte in meinem sprichwörtlichen Optimismus Springer immer wieder: »Können wir diesmal sechzehn Seiten drucken?«
Ob wir sie aber hätten füllen können, war eine andere Frage, denn noch fehlte es an allem: Nicht nur an einem halbwegs geheizten Redaktionsraum; es fehlte an Fotografen, Filmen, brauchbaren Zeichnern, Schriftstellern, sogar an ... Kleister, so lächerlich das auch heute klingt. Und ein Bildarchiv - woher sollten wir das wohl haben?
Wenn nicht ab und zu ein paar Care-Pakete meines Bruders in Frankfurt angekommen wären - Will mußte jedesmal eine qualvolle Weltreise nach Frankfurt antreten, um sie zu holen -, weiß der Teufel, was aus HÖR ZU geworden wäre, denn der Inhalt der Care-Pakete war der einzige Schlüssel zu verhärteten Herzen und verborgenen Schätzen ...
Anmerkung : Das war das Ende von der Seite 318 im Buch.
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