Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 120
Ausklang - Ich bin jetzt 91 Jahre alt . . .
Anläßlich meines 90. Geburtstages und der Verleihung der Ehrenbürgerrechte meiner Heimatstadt wurde das auf dem Petersberg in Königswinter errichtete neue Gästehaus der Bundesregierung dem Betrieb übergeben.
Ein denkwürdiger Tag in meinem Leben. Ein Tag, der nicht nur zu Einkehr und Besinnung mahnt, sondern auch zur Selbstkritik. Was mir das Schicksal wie ein Geschenk der Götter in die Wiege gelegt hat, ist nicht mein Verdienst; ich habe versucht, das Beste daraus zu machen. Ob es mir gelungen ist, mögen andere beurteilen.
Vor 70 Jahren weg von Zuhause
Siebzig Jahre sind vergangen, seit ich mein heimatliches Nest verlassen habe, um dem dunklen Ruf des Unbewußten in die glitzernde Weltstadt Berlin zu folgen. Sie hat mich geformt, gefordert und gefördert.
Berlin wurde mir zu einer neuen Heimat. Ihr danke ich die Möglichkeiten ungehemmter Entfaltung. In ihr erlebte ich die erste leidenschaftliche Liebe meines Lebens.
Unter ihren Trümmern liegen . . . .
Unter ihren Trümmern liegen meine besten und liebsten Freunde und Kollegen. Geblieben sind vierzig Jahre einer unstillbaren Trauer um diese unvergleichliche Stadt und ihre Menschen. Nun ist sie endlich wieder frei. Und wenn ich erst 60 wäre - nichts könnte mich halten!
Siebzig Jahre liegen zwischen einem stillen Abschied und dieser stolzen Wiederkehr. Siebzig Jahre eines Lebens, das bis zum Rand ausgefüllt war mit harter Arbeit.
Vom Erfolg verwöhnt und verfolgt
Gewiß: Es ist ein ungewöhnlich erfolgreiches Leben gewesen. Es hat kaum einen Mißerfolg gegeben, kaum etwas, was ich zu bereuen, nichts, was ich angefangen und nicht auch zu einem guten Ende geführt hätte. Aber war es ein Leben, das nachzuleben sich lohnt?
Ich war ein vom Erfolg Verfolgter, ein von Erfolg zu Erfolg gepeitschter Ruheloser. Geld habe ich für meine Arbeit nie gefordert - die höchsten Honorare wurden mir immer wie selbstverständlich angeboten. Doch dieses Geld wurde mir nie zu einem Ruhepolster. Ehrungen, wie sie nur wenigen zuteil werden, spornten mich nur zu noch mehr Arbeit an.
Mein gespeichertes Leben wiegt gerade mal 1Gramm
Vor mir liegen die vielen Seiten dieser Lebensbeichte: Vier hauchdünne Magnetfolien von 7cm Durchmesser. Zusammen nur 1mm dick. Gewicht 1 Gramm. Mehr wiegt ein nicht. Eine technische Spitzenleistung unseres Jahrhunderts? Keineswegs; längst überholter Stand der Technik.
Unsere Forscher sind praktisch schon unvorstellbar viel weiter. Sie arbeiten bereits an einem Biocomputer, der uns eines Tages einen Teil unserer Denkarbeit abnehmen soll. Also nicht ein Speicher, der blitzschnell wiedergeben kann, was ihm vorher langsam eingegeben wurde. Nein, ein Computer, der aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung selber Entscheidungen treffen und deshalb - wie wir Menschen - zuweilen auch irren kann . . .
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Ich bin jetzt einundneunzig ud schalte den Computer aus
Meinen Computer schalte ich jetzt aus; wer weiß, für wie lange. Daß ich einmal Tausende von Aufsätzen, Dutzende von Büchern mühselig mit der Hand geschrieben und handschriftlich überarbeitet habe, kann ich mir heute kaum noch vorstellen.
Ich bin jetzteinundneunzig. Aber arbeitslos herumsitzen, vor mich hindösen und einen wohlverdienten Lebensabend< genießen - nein!
Vielleicht, daß ich doch noch einen der drei Romane schreibe, die ich schon seit Jahren mit mir herumtrage ...
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Die Voraussagen aus 1990 - sind alle in Erfüllung gegangen - heute in 2015
Nur zehn Jahre trennen uns vom Ende dieses Jahrhunderts, das unser Leben auf diesem Planeten gewaltig verändert hat. Unseres Planeten, der langsam anfängt, uns zu eng zu werden, weil die am wenigsten entwickelten Völker sich - einem unseligen Drange folgend - vermehren und vermehren.
Ich sehe sie schon - den Himmel verdunkelnd - wie Heuschreckenschwärme über das Mittelmeer kommen, eine unaufhaltsame, vom Hunger getriebene Sintflut, die alles überschwemmt und vernichtet, was Generationen Steinchen für Steinchen aufgebaut haben.
Erleben die Franzosen nicht schon den Beginn dieses kühnen und beängstigenden Zukunftsromans? Zeit, daß ihn einer schreibt ...
- Anmerkung : Den Roman braucht keiner mehr zu schreiben, die Wirklichkeit hat Eduard Rhein bzw. uns hier in Deutschland eingeholt im Jahr 2015. - 1 Million sind bereits gekommen.
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Sind wir im Jahr 2000 beim Aufbruch ins Weltall ?
Aber sehen wir nicht auch schon den Aufbruch der Menschen ins Weltall?
Schon im Jahre 2000 könnten Menschen auf einem nahen Planeten siedeln. Und ein anderer Schriftsteller wird dazu einen neuen Bibeltext schreiben:
- "Aber diese neue Erde war wüst und leer. Finsternis bedeckte den Abgrund, und der Geist ferner Götter schwebte über den Wassern ..."
Diese neuen Götter - sind das wir?
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Das Kostbarste, das sie hatten, war ihre Heimat.
Am Ende des Jahres 1989 fluteten über Nacht Massen von Menschen von Ost nach West. Millionen, von Lebensangst getrieben, vollbrachten, was kein noch so starker Despot je vermocht hätte: eine Revolution ohne Blut; eine Revolution mit den Füßen.
Sie verließen das Kostbarste, was sie außer ihrem Leben hatten - die Heimat.
Eine Idee war es gewesen, die Idee des Deutschen Karl Marx, die das Unheil heraufbeschworen hatte. Irregeleitete Anhänger hatten versucht, sie blindlings zu verwirklichen. Nationen zerbrachen, Regime stürzten.
Bis dann - wieder nur - ein einzelner kam und mit seiner Idee die Erlösung brachte: der Russe Michail Gorbatschow.
Denn die ganz großen Dinge - die wirklich großen Dinge, ob gut oder schlecht - bewirkt immer nur ein Einzelner...
Kapitel 121
Das Nachwort
Sie werden gewiß schon oft das Bild einer Autobahn gesehen haben, auf der Hunderte von Autos hintereinander wie von einer Riesenfaust zusammengepreßt sind. So, als gäbe es zwischen ihnen keinen Raum, ja, als zerquetsche ein Auto das andere.
Ist das die Wirklichkeit?
Nein: das Bild ist durch die Teleoptik völlig falsch wiedergegeben. Alle Wagen haben den üblichen Abstand. Das heißt, alle haben in dem Verbund begrenzte Freiheiten, und sie wissen, daß es aus diesem Verbund zunächst kein Entrinnen gibt.
Zu behaupten, die Autos wären 1990 alle Stoßstange an Stoßstange gefahren, wäre also falsch.
Wie sehen die Jüngeren die Zeit von damals ?
Sehen Sie, und so kommt es mir immer wieder vor, wenn ich mich mit >Jüngeren< (das können 50jährige sein) über die Nazijahre unterhalte. Sie alle - fast alle - sehen diese Zeit so zusammengeschoben, so ineinander verkeilt wie die Autos auf unserem Foto, denn in den dramatischen Schilderungen jener Schreckensjahre ist überall der >Zwischenraum< als unwichtig herausgelassen worden. Die Ereignisse schieben sich - Stoßstange an Stoßstange - durch die Jahre.
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Wieviele Jahre waren es wirklich ? Die Fragen kommen immer und immer wieder hoch
Halt: die Jahre! Mal schnell: wieviele Jahre waren es denn? Zwei oder drei oder gar vier?
Es ist heute leicht, Hitler einen Vollidioten zu nennen. Ach, und wer waren dann die 60 Millionen Deutsche, die ihm erstaunt und zum Teil begeistert an den Lautsprechern zuhörten und erst mit der Zeit gemerkt haben, wie dieser Mann sich fehlentwickelte, den Boden unter den Füßen verlor und schließlich den Niedergang eines ganzen, hochintelligenten Volkes heraufbeschwor? Weshalb hat man ihn damals denn nicht gleich in ein Irrenhaus gesteckt?
Man macht es sich verdammt leicht mit solchen Fragen.
Die Zeit hatte mitgeholfen
So ist es nämlich nicht gewesen: Alles entwickelte sich >mit der Zeit<. Da gab es Wochen, ja Monate, in denen alles gut und richtig zu laufen schien. Zeiten, in denen man hoffen konnte, daß der >Führer< langsam eine andere Gangart und eine andere Richtung einschlagen würde, als die, die er in seinem Buch angezeigt hatte. Da gab es frohe Tage, ja Wochen mit Jubel und Trubel.
Man tanzte auf einem Vulkan - damals.
(Die Bomben platzten in wohlbemessenen Zeitabständen.)
Und weil das so ist, habe ich meinen Zeitbericht mit einigen Episoden durchsetzt, die ich für wichtig halte, weil sie zeigen, daß damals auch für zwischenmenschliche Beziehungen Raum gewesen ist. Wir haben - wir, die Nazigegner - die unter diesem Despoten gelitten und Angst ausgestanden, aber auch immer wieder gehofft haben -, wir haben nicht ständig heulend und zähneklappernd an den Weiden des Flusses unsere Harfen aufgehängt und gewehklagt.
Es geschah alles in 4482 Tagen
Was geschehen ist, wissen wir alle, aber man soll uns nicht für so närrisch halten, als hätten wir in Handschellen >Heil Hitler!< gerufen. Das wäre so wirklichkeitsfern und falsch wie das Autobahnfoto. Die Naziherrschaft hat zwar nicht tausend Jahre, wohl aber vier-tausend-vierhundert-zweiundachtzig Tage gedauert!
Und noch etwas: Mein Fazit über die Jahre mit Axel Springer
Einige Abschnitte am Schluß dieses Buches haben mir heftiges Kopfzerbrechen bereitet. Was mich besorgte, war die naheliegende Frage, ob ich die letzten Jahre mit Springer nicht allzu subjektiv gesehen und geschildert habe.
Daß Springer mich eines Tages - wie so viele Menschen seiner Umgebung - einfach abservieren ließ, daß er tüchtige Berater und international geschätzte Chefredakteure von einem Tag auf den andern in die Verbannung schickte, zurückholte und wieder abbaute, hatte ich oft mit Sorge und Entsetzen zur Kenntnis nehmen müssen.
Aber von dieser gewiß verständlichen Verbitterung sollte nichts oder doch nur wenig sichtbar werden. Wie einem Schriftsteller zumute ist, dessen Bücher einfach aus dem Verkehr gezogen und verramscht werden - 15 Jahre lang sind meine Bücher nicht mehr im Buchhandel erschienen -, das werden wohl nur wenige nachempfinden. Ein Aussätziger kann nicht rücksichtsloser isoliert werden ... Manch einer wäre daran zerbrochen.
Im Herzen war er doch anständig, . . . . . .
Unter welchem Einfluß konnte dieser im Grunde seines Herzens anständige, weichherzige und großzügige Mann solche Entscheidungen treffen?
Ich glaube: jene alte Hexe, die dem Sternengläubigen ständig messianische (!) Berufung und Unfehlbarkeit suggerierte, ist die geheime satanische Triebkraft gewesen. (Er hat sie wohlweislich versteckt). Eine andere Erklärung gibt es nicht.
Trotzdem ... Ich habe mich bemüht, Springer nicht zu verzeichnen. Ob es mir immer ganz gelungen ist, weiß ich nicht.
Besser konnte ich's nicht
Selbstverständlich habe ich dieses Manuskript vor der Drucklegung einigen Freunden und verantwortungsbewußten Kennern der Sachlage mit der Bitte um harte Kritik gegeben. Ihnen verdanke ich wertvolle Hinweise und Ratschläge.
Frau Rosemarie Springer sagte mir anläßlich meines 90. Geburtstages, Springer hätte in den letzten Jahren die Unsinnigkeit der Astrologie erkannt. Einige Anzeichen deuten darauf hin.
Ich habe die Dinge - wie ich im Vorwort versprach - so geschildert, wie ich sie gesehen habe. Nun geht das Buch seinen Weg. Wenn es Mängel hat - besser konnte ich's nicht.
Eduard Rhein in 1991
Nachtrag von Gert Redlich
Wie in der Einleitung geschrieben, hatte ich erst kürzlich die Briefe von und an Günter Bartosch aufgearbeitet und im Bereich Zeitzeugen untergbracht. Und jetzt im Januar 2016 vor ganz wenigen Tagen ist mir das Buch von Hoimar von Ditfurt in die Finger gefallen.
Er beschreibt die Zeit ab 1930 aus einer sehr ähnlichen realistisch plastischen Perspektive, die unbedingt zur Ergänzung herangezogen werden sollte.
Auszüge und Absätze wird es in Kürze im Bereich über die "Wahrheit" geben.
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