Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 19
Musikalisches Intermezzo
Ich stand zwar vor dem Nichts, aber ich lag nicht auf der Straße; Frau Wangemann hätte mir nötigenfalls die Miete auch ein paar Monate gestundet.
In dieser Situation lernte ich die >Majorin< erst richtig kennen. Ich hatte ihr meine Tiergeschichte gezeigt und damit offenbar eine besondere Saite in ihr zum Schwingen gebracht.
»Das ist die empfindsamste Tiergeschichte, die ich je gelesen habe«, schwärmte sie. »In Ihnen steckt ja ein Dichter!«
Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt und gewann wieder etwas Mut. Nicht zum Schreiben, denn das Risiko war angesichts meiner Lage zu groß, aber Mut, dieser klugen Frau meine Lage zu schildern.
Ich brauchte möglichst schnell wieder einen Job
Die Schreiberei war ein zu unsicherer Job. Ich mußte möglichst rasch wieder in einer Firma unterkriechen. Aber wo?
Es ist eine seltsame Tatsache: Mögen die Zeiten noch so schlecht und die Zahl der Arbeitslosen noch so groß sein, in den Zeitungen erscheinen täglich Hunderte von Stellenangeboten. Das hat seinen Grund wohl darin, daß es immer zuerst die ungelernten Arbeiter oder aussterbende Industriezweige trifft.
Die Majorin hielt die Morgenpost und schob mir nun jeden Morgen den Teil mit den Stellenangeboten unter der Tür durch. Ich studierte sie - fand aber kein Angebot, von dem ich mir Erfolg versprechen konnte, wohl aber in meiner mageren Geldbörse eine hingekritzelte Telefonnummer ohne nähere Angaben.
Was hatte sie zu bedeuten?
Machen wir doch einfach "Musik"
Endlich fiel mir ein - die Nummer hatte mir vor vielen Monaten einer der Musikstudenten aufgeschrieben. Und zwar der, der dringend Geld brauchte und mich damals überreden wollte, eine kleine Tanzkapelle mit Studenten zu gründen.
Ob ich ihn einmal anrufen sollte? Viel versprechen konnte ich mir davon zwar nicht, aber für Musiker habe ich schon immer eine Schwäche gehabt.
Er hauste mit zwei anderen in einer billigen Studentenbude, erinnerte sich sofort und sagte, wir müßten uns unbedingt sehen. Er hätte eine ebenso wichtige wie interessante Neuigkeit für mich.
Studenten, die einen dringend sprechen wollen, sind fast immer knapp bei Kasse. Ich nannte ihm meine Adresse, und zwanzig Minuten später stand er vor der Tür. Ein quicklebendiger Typ mit einem Optimismus, der sogar Selbstmordanwärter aufgerichtet hätte.
Die Chance meines Lebens ?
»Mensch, wohnst du vornehm, und sogar mit Drahtkommode. Paßt ja großartig in meinen Plan.« Er setzte sich an das seit Jahren unberührte Klavier und hackte sein Bravourstück >Revel of the Witches< in einem Tempo herunter, als nähme er an einem musikalischen Wettrennen teil.
»Spielt sich toll!« rief er.
»Du sprachst von einem Plan?«
»Wir machen Musik ...«
»... auf dem Kurfürstendamm?«
»Irrtum, bißchen weiter nordwärts, in der Budapester. Im Eden.«
»Ph, warum nicht gleich im Adlon?«
»Also, jetzt paß genau auf: Du kennst doch den Sakados.«
»Ist das nicht der Grieche mit dem Ohrring?«
»Ohrring? Weiß ich nicht, aber neuerdings mit einem schwer goldenen Armbandwecker Marke Rollfix oder so. - Und der hat im Eden einen guten Bekannten. Irgendein großes Tier.«
Ich pfiff durch die Zähne: »Mann!«
»Wenn der Sakados sich bei dem für uns einsetzte, das wäre eine Mordschance.«
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Sie war es, die Chance meines Lebens
Zwei Wochen später machten wir in der kleinen, intimen Bar intime Musik. Drei Mann in schicken dunkelblauen Hosen mit schrägen Taschen und hellgrauen Seidenhemden. Vom Hotel als >Uniform< geliefert.
Ich glaube, wir waren eine ganz gute Band, denn wir bekamen zur Freude des Direktors sehr viel Beifall. Ich wirkte mit meiner dunkelbraunen Tolle wie ein Zigeuner und legte es wohl auch ein bißchen darauf an, denn ich stand nie brav wie ein Cafehausgeiger neben dem Klavier, sondern spazierte fiedelnd in der Bar herum.
Wenn sich jemand ein bestimmtes Stück wünschte, ging ich wie ein richtiger Zigeunerprimas an seinen Tisch. Dabei wurden mir oft ganz ansehnliche Trinkgelder in die Hosentasche gesteckt.
Eines Abends . . . . .
Eines Abends brachte mir ein älterer Gast das Manuskript eines Liedes. Ob wir das wohl spielen könnten? Da war nichts zu >können<, aber wenn wir es nicht nur spielen, sondern vortragen sollten, mußten wir es uns erst einmal ansehen. Das fand er gut.
Der Klavierspieler stellte das Blatt vor sich hin, der Cellist und ich sahen ihm über die Schulter, ich summte die Melodie, und dann erlebten wir alle eine kleine Uraufführung, denn schon nach der Vorstrophe sang eine süße Frauenstimme leise mit:
»Dann nehm ich meine kleine Zigarette, und blas die Wölkchen vor mich hin ...«
Es war das Lied, das in Granichstädtens neuester Operette >Der Orloff< am nächsten Abend begeisterte Aufnahme fand. Granichstädten fiel mir um den Hals, spendierte der >Kapelle< Champagner und steckte mir einen Hundertmarkschein in die Tasche. Ein Riesentrinkgeld für uns drei.
Viele Jahre später wurde das Lied eines der erfolgreichsten im Repertoire von Johannes Heesters.
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Von nun nun ging es aufwärts
Wir spielten alle frechen Schlager der Zeit, die modernsten Tanzrhythmen, Lehars Lied vom blauen Himmelbett und seinen musikalisch reizvollen Schlager >Eine kleine Freundin hat doch jeder Mann<, Kalmans schon damals vielgesungenen Gruß an die >süßen, die reizenden Frauen im schonen Wien<, Benatzkys >Ich weiß auf der Wieden ein kleines Hotel< und von Sienkevitz >Wien, Wien nur du allein .. .<
Dann und wann - so zwischendurch - legten wir auch die unverwüstliche Toselli-Serenade ein und, wenn ich mich nicht irre, sogar den ungemein erfolgreichen, auch heute noch in aller Welt hochgeschätzten Tango >Jalousie< von J. H. Gade, der 1963 arm und halbverhungert starb, während sein Verleger viele Millionen einheimste.
. . . . reichlich Trinkgelder
Wir wurden beliebt, verdienten gut und ernteten reichlich Trinkgelder. Die zu nehmen - ich muß zugeben, das erinnerte mich allzu sehr und allzu peinlich an die Kellner unserer Hotels. Aber die Kollegen fanden das als >Werkstudenten< ganz in Ordnung. Trinkgelder abzulehnen war ohnehin völlig unmöglich. Ich hätte dann auf diese sorglose und nebenbei recht reizvolle >Arbeit<, die mir selber viel Spaß machte, verzichten müssen.
Es war eine Arbeit, bei der ich mich auch finanziell großartig erholen konnte.
Ich war in der Stadt meiner Träume
Tagsüber bummelte ich durch die Stadt und bewunderte die Berliner bei ihrer Lieblingsbeschäftigung - beim Buddeln. Sie rissen bald die, bald jene Straße auf, legten Wasserrohre, schaufelten alles zu, rissen dieselbe Straße wenige Monate später wieder auf, um ein Telefon- oder Starkstromkabel zu verlegen, und kaum daß die Wunden verheilt waren, rissen sie das Trottoir ein drittes Mal auf, um Gasrohre oder meterdicke Betonrohre einzugraben ...
Eine fast unvermeidliche Folge des schnellen Wachstums, bei dem die Verwaltung, sprich Organisation, nicht immer Tritt fassen konnte.
In diesen Monaten war ich restlos glücklich, obwohl ich mir darüber klar war, daß es nur eine Übergangszeit sein konnte und durfte. Eine Art Urlaub von der Karriere. Ich war in der Stadt meiner Träume und fühlte mich frei wie die Spatzen am Wittenbergplatz.
Kunst bringt Gunst:
Kaum ein Abend, an dem ich nicht die eine oder andere Einladung zu einer >näheren Bekanntschaft< ablehnen mußte. Diese menschlichen Beziehungen reizten mich nicht; einige wirkten in ihrer Eindeutigkeit fast verletzend.
Was wollte ich eigentlich in Berlin ?
Ich war nach Berlin gekommen, um zu arbeiten, Karriere zu machen ... Was denn sonst?
Oder?
Machte ich mir da nicht selber etwas vor? War da nicht doch in einer Ecke meines blitzhellen Verstandes auch das Wissen um eine sehr geheime Sehnsucht...?
Sehnsucht nach was denn?
Hatte mich da nicht auch noch etwas anderes getrieben? Eine noch ungewisse, noch unbestimmte Suche nach Liebe, nach Freundschaft? Nach dem Zusammensein mit Menschen aus Fleisch und Blut?
Hatte ich nicht genau gewußt, weshalb ich nur in einer Weltstadt glücklich werden würde? Ein Unbekannter unter Millionen? Ja, ich habe es schon sehr früh gewußt.
Ich war gebildet, in mancher Hinsicht begabter und interessanter als die meisten. Ein Typ, der nicht nur maßlos neugierig war, sondern auch neugierig machte.
Ich war kein Keuschheitsapostel und kein Kirchengänger, kein Sittlichkeitsfex und kein Astlochgucker, kein Bettschnüffler und Heuchler. Und ich hatte schon sehr früh gelesen, was Ibsen seine Hedda Gabler sagen läßt: »Was immer auch geschehen mag, laß es in Schönheit geschehen.«
Ich war ein lebenshungriger Sohn meines leichtblütigen Vaters, aber ich wußte auch, daß ich gefährdet war.
Das mag genügen ...
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Meine kleine Schreibmaschine
Vormittags saß ich oft am Schreibtisch und schrieb Geschichten.
Für wen? Für mich. Die Enttäuschung nach der ersten, vielversprechenden Veröffentlichung war hart. Eine zweite Abfuhr hätte ich nicht ertragen.
Aber ich kaufte mir trotzdem eine kleine Schreibmaschine... Statt nun systematisch das Zehnfingersystem zu lernen - ich hatte doch genügend Zeit und Gelegenheit dazu -, tippte ich gleich los, und natürlich immer mit zwei Fingern. Wie oft habe ich das bereut. Ich bereue es, vor der Tastatur meines Computers sitzend, heute noch.
Kapitel 20
Erbkrankheit Migräne
Der Tag, an dem ein schwerer Schatten über mein Leben fallen und meine ganze Zukunft entscheidend beeinflussen sollte, war ein Dienstag.
Am Montag vorher war die Bar, wie üblich, geschlossen. Wir hatten aber nachmittags zwei Stunden lang musiziert, um ein paar neue, besonders reizvolle Tanzschlager einzustudieren, denn wir spielten abends grundsätzlich ohne Noten.
Abends hatte uns Sakados dann - nett und kameradschaftlich wie immer - in ein Spezialitätenlokal zum Muschelessen eingeladen. Er erzählte uns, daß sich die Gäste sehr lobend über uns ausgesprochen hätten und daß sein Freund beabsichtige, unser Fixum mit Beginn des vierten Monats zu erhöhen.
Am Dienstag morgen erwachte ich mit bohrendem Kopfschmerz. Ich nahm Aspirin - der Kopfschmerz blieb. Zwei andere Mittel waren ebenfalls erfolglos. Ich kühlte Stirn und Schläfen mit kaltem Wasser, die einzige Methode, um wenigstens die schlimmsten Schmerzen zu mildern. Später flimmerten und tränten mir die Augen. Helles Licht wirkte wie Nadelstiche.
Ein Abend voller Schmerzen
Als es gegen Abend ging, verkrampfte sich alles in mir. Mit diesen Schmerzen zu spielen war unmöglich. Ich ging zu einem Arzt und bat ihn um ein anderes Medikament. Er tippte auf eine Muschelvergiftung und gab mir für den Abend eine Tablette gegen besonders schwere Schmerzen, weigerte sich jedoch, dafür ein Rezept auszustellen. Die Tablette half zwar, löste jedoch ein leichtes Schwindelgefühl aus.
Als ich abends im Hotel erschien, nahm niemand die Sache schwer - eine Muschelvergiftung, so was kennt man ja. Morgen wird alles wieder vergessen sein.
Ich hielt mich an diesem Abend mühevoll aufrecht, obwohl mir bei der Musik der Kopf dröhnte. Die Geige dicht neben dem linken Ohr - es war kaum auszuhalten.
Morgens war alles wieder weg
Am nächsten Morgen waren die Kopfschmerzen wie weggeblasen. Ich fühlte mich zwar sehr elend und blieb bis gegen zwei im Bett, aber dann stand ich auf, duschte mich kalt und schwor mir, nie wieder eine der verdammten Muscheln zu essen.
Wenn es doch die Muscheln gewesen wären! Abends in der Bar lief alles wieder wie am Schnürchen. Auch am nächsten Abend. Doch dann erwachte ich wieder mit diesem dumpfen Druck, der sich in wenigen Minuten zu unerträglichen Kopfschmerzen auswuchs.
Ich ging wieder zum Arzt.
Er untersuchte mich von Kopf bis Fuß und stellte fest: »Ihnen fehlt nichts als ein paar Wochen absolute Ruhe. Die nächtliche Arbeit in der Bar ist Gift für Sie.«
»Diese Arbeit macht mir Spaß und wird gut bezahlt.«
»Sie sollen ja auch nur ein paar Wochen aussetzen.«
»Das ist unmöglich; das hieße unser Trio auflösen.«
Der Arzt machte ein besorgtes Gesicht, aber einen anderen Rat hatte er nicht für mich. Stärkere Medikamente als Baldrian oder ähnliche Beruhigungsmittel seien mehr schädlich als nützlich.
Ich lief in meiner Verzweiflung gleich hinterher zu einem Spezialarzt.
Als ich ihm erzählte, daß auch schon meine Großmutter und mein Vater unter schwersten Kopfschmerzen gelitten hätten, wurde er nachdenklich.
Eine Erbkrankheit - wie ein Damoklesschwert
»Ich hoffe, daß es sich bei Ihren Kopfschmerzen nicht um eine Erbkrankheit handelt, denn dann ...« Er sprach diesen Satz nicht zu Ende, aber er hing von dieser Stunde an wie ein Damoklesschwert über mir. Wenn ich daran dachte, daß mein Vater die Stirn fast täglich mit einem Eisbeutel oder feuchten Kompressen hatte kühlen müssen ...
Ich mußte die >Nachtmusik< aufgeben.
Sein Rezept war das gleiche: Ich mußte die >Nachtmusik< aufgeben. Mit Kopfschmerzen zu musizieren war unmöglich.
Die Nachricht traf meine Kollegen nicht weniger als mich. Ich sagte: »Sucht euch rasch einen andern Geiger und macht weiter, als ob nichts geschehen wäre. In ein paar Wochen bin ich wieder bei euch.« Das glaubte ich allerdings selber nicht.
Die Schmerzen kamen und gingen
Vier Tage blieb ich schmerzfrei - ich genoß sie wie ein Kind. Doch dann, ganz unvermittelt, brach die Migräne wieder aus. Die Schmerzen kamen und gingen ohne jede erkennbare Ursache.
"meine Majorin" - ein Engel
Finanzielle Sorgen hatte ich zunächst noch nicht, aber ich drehte nun wieder jeden Pfennig zweimal um, ehe ich ihn ausgab.
Auch in dieser Situation erwies sich meine Majorin als ein wahrer Schutzengel. Sie hatte keine Sorgen - aber sie machte sich Sorgen um mich. Täglich studierte sie die Stellenangebote in der MORGENPOST und strich alle rot an, die vielleicht in Frage kamen. Doch ich fand nicht den Mut, mich zu bewerben. Zur Not konnte ich ja meine Eltern um Hilfe angehen und - vor allem - den Testamentsvollstrecker. Doch das verbot mir mein Stolz.
Stellensuche ? Die Majorin nahm das in die Hand
Ich war gegen den Rat aller nach Berlin gegangen und sollte nun um Hilfe bitten?
Zwei Wochen saß und lief ich untätig herum, da klopfte die Majorin eines Morgens schon um acht an meine Tür - sie hatte eine Anzeige entdeckt, die für mich nach Maß geschneidert zu sein schien.
Die AEG-Fabrik für Installationsmaterial suchte in einem sehr großen Inserat einen jungen Ingenieur zur Bearbeitung von Preislisten, Propaganda- und Prospektmaterial, Patentschriften und Normungsangelegenheiten.
»Na, wäre das nicht was für Sie?«
Das wäre was für ein Universalgenie, denn alles das in einem Kopf - so was gibt's nicht.
Doch die Majorin war anderer Meinung. Sie nahm das Telefon, verlangte den Direktor zu sprechen und, als der nicht erreichbar war, den Personalchef.
Sie wäre eine tolle Agentin geworden
Ihm erzählte sie von einem jungen, ungewöhnlich begabten Ingenieur, der schon bei der angesehenen Ziegenberg AG einen ähnlichen Posten bekleidet hätte und wegen der Liquidation der Firma zur Zeit frei sei. Ihn müsse er sich unbedingt einmal ansehen. Er sei zwar gerade bei Herrn Kommerzialrat von Knobeisdorf für ein paar Tage zu Gast, würde aber sicher bereit sein, unverzüglich... Sie nannte ihre Telefonnummer nebst Namen und Majorstitel. - Ich traute meinen Ohren nicht.
Als sie den Hörer eingehängt hatte, atmete sie durch. - »Der hat sich zwar ein bißchen dumm angestellt von wegen schriftlicher Bewerbung mit Zeugnisabschriften und so, aber passen Sie auf, der ruft an!«
Vier lange, bange Wochen des Wartens
Das tat er wirklich, wenn auch erst nach vier langen, bangen Wochen, als wir schon längst nicht mehr gewagt hatten, seinen Anruf zu erwarten.
Diesmal war ich tatsächlich nicht da, doch als ich spätabends heimkam, lag auf meinem Tisch ein großer Zettel: »Morgen 10 Uhr bei AEG, Dr. Hermanni, Gerichtstraße, vorstellen. Wir müssen aber vorher noch darüber sprechen!«
Eine Mordsüberraschung in der Abendstunde. Ich konnte vor Aufregung die halbe Nacht nicht schlafen. Hoffentlich blieb ich morgen ohne Kopfschmerzen.
Gesellschaft beim Frühstück mit der Majorin
Die Majorin bat mich schon um acht, ihr beim Frühstück Gesellschaft zu leisten, das heißt, eine Tasse Kaffee mitzutrinken.
Vor ihr lag das Inserat. - »Was sagt Ihnen dieses Inserat schon auf den ersten Blick?«
»Daß ich da kaum Chancen habe!«
»Falsch. Mir sagt es, daß es sich da um eine sehr bedeutende Stellung handelt, denn mit so großen und teuren Inseraten sucht man keine besseren Büroschreiber.«
Ich nickte wie die Eselchen vom Drachenfels.
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Zum ersten Male richtig "gebrieft" worden
»Ja, und solche Posten werden auch entsprechend bezahlt. Das heißt, daß Sie sich gut anziehen, sehr selbstbewußt auftreten und sechshundert Mark als Anfangsgehalt fordern müssen.«
Ich kratzte mich hinter den Ohren, doch die Majorin hatte noch was Wichtiges zu sagen:
»Dieser Personalchef hat erst gestern angerufen. Wissen Sie, was das heißt? Er hat erst einige andere Bewerber kommen lassen, vielleicht sogar einen auf Probe angestellt und... gleich wieder abgebaut. Die brauchen jetzt also dringend jemanden und haben nur noch Sie auf der Speisekarte.«
Oje, das klang alles reichlich kühn, doch die Majorin hatte wohl etwas von ihrem verflossenen Generalfeldmarschall gelernt und schickte mich siegessicher an die Front.
Die AEG war "janz weit draußen" - am Puff
Die Gerichtstraße war j-w-d, das heißt auf Berlinisch, "janz weit draußen", und außerdem - trotz Gerichtsnähe - eine vielbesuchte Nutten-Rennbahn. Beim Anblick der riesigen Fabrik aus roten Ziegeln, einem häßlichen klotzigen, schmutzigen Zweckbau, fröstelte mich. Nein, in diesem Zuchthaus werde ich nicht arbeiten! Einfach kehrt und vergessen!
Und die Majorin? Ich ging widerwillig durch das riesige Tor und verlangte Herrn Dr. Hermanni zu sprechen.
Große Augen. »In welcher Angelegenheit?«
»Ich heiße Rhein; Herr Hermanni erwartet mich!«
»Und in welcher Angelegenheit?« Das klang reichlich spitz und aggressiv.
»Ich sagte Ihnen schon, daß Herr Hermanni mich erwartet. Wenn Sie mehr wissen wollen, dann fragen Sie ihn bitte selber. Also!« Ich machte eine eindeutig ungeduldige Geste.
Die Person am Empfang tippte eine Taste und sagte: »Hier ist ein gewisser Herr Rhein.«
»Den gewissen können Sie sich sparen«, sagte ich. »Ich heiße ganz einfach Rhein.«
Dann erschien eine schicke Person, eine Lichtgestalt in diesem fiesen Haus, und sagte höflich: »Ah, Herr Rhein - darf ich bitten?«
Es käme auf einen Versuch an
Dr. Hermanni war ein elegant gekleideter Vierziger mit leicht angegrauten Schläfen. Ein Herr, der in dieser Umgebung ebenso fremdartig wirkte wie seine Sekretärin.
»Sie haben unsere Anzeige gelesen. Trauen Sie sich also zu, diese reichlich komplizierte Aufgabe zu bewältigen?«
»Bewältigen ist ein großes Wort, aber da sie zugleich vielseitig ist, wirkt sie wenigstens nicht einschläfernd.«
»Und Sie verstehen von all diesen Dingen genügend?«
»Sagen wir, von einigen! Aber der geistige Notstand wäre wohl mit etwas Grips und Fleiß zu überwinden. Es käme auf einen Versuch an.«
Hermanni lachte: »Ihre Aufrichtigkeit wirkt entwaffnend. Versuchen wir's?«
Ich hatte die Fabrik nur betreten, um sie als freier, sprich stellungsloser Mann wieder zu verlassen, doch schon dieses kurze Gespräch mit dem Direktor hatte mich beeindruckt. Vielleicht gab es hier doch irgendeine Chance. Der Versuch mochte so oder so ausfallen, ich streckte dem Direktor die Hand entgegen:
»Gut - versuchen wir's!«
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