Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 83
Spielst du meine Schlager, spiel ich deine Schlager.
Schwerwiegende Mißstände beim Kölner Sender
Spielst du meine Schlager, spiel ich deine Schlager. - Um diese Zeit wurde ich von mehreren Schlagerkomponisten und Textdichtern auf schwerwiegende Mißstände beim Kölner Sender aufmerksam gemacht.
Sie behaupteten, daß der dortige Leiter der zuständigen Musikabteilung, der Schlagertextdichter Kurt Feltz, seine Stellung dazu mißbrauche, seine eigenen Schlager anstelle anderer auffällig oft ins Programm zu setzen. Und man nannte mir auch gleich Dutzende von Beispielen.
Wir stellten fest, welche Feltz-Schlager seit seiner Tätigkeit gespielt worden waren und wie oft, dann veröffentlichte ich diese Zahlen in einem geharnischten Leitartikel. Das Ergebnis war selbst für die Geschädigten verblüffend, denn Feltz versteckte seine Texte auch unter anderen Namen. Wer beim Kölner Sender ankommen wollte, der mußte mit Feltz zusammenarbeiten. Und er wiederum setzte für seine Schlager nur die besten Interpreten ein: Catharina Valente und Peter Alexander.
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Anmerkung : Das wurde später auch beim Fernsehen sehr sehr oft festgestellt. Dr. Wagenführ hatte darüber seitenlange Berichte - und auch die Namen - aufgeschrieben.
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Die Hamburger Rundfunkschule des Mr. Mansfield
Mr. Mansfield gründete beim Hamburger Sender eine Rundfunkschule. In ihr haben u. a. Jürgen Roland, Rosemarie von Schwerin, Gerd Ruge und der aus amerikanischer Gefangenschaft heimgekehrte Werner Baecker auf der Schulbank gesessen. Ich habe den Rundfunk-Abc-Schützen dort die ersten primitiven Kenntnisse der Rundfunktechnik vermittelt.
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Dem Intendanten gehe es nur um höchste Qualität
Hartmann sagte - und damit hatte er zum Teil recht -, die Feltzschen Texte seien durchweg besser. Ihm, als dem Intendanten, gehe es aber um höchste Qualität - auch bei den Schlagern. Er sehe deshalb keinen Grund, in dieser Sache etwas zu tun. Der Vorwurf einiger Benachteiligter, er verdiene an dem Millionengeschäft seines ihm von Berlin her bekannten Freundes gehörig mit, konnte nicht belegt werden.
Nun ließ ich nachprüfen, wie oft die Feltz-Schlager bei anderen Sendern gespielt wurden. Wie zu erwarten war, normal. Nur bei einem Sender wurde mit Feltz gekungelt: Spielst du meine Schlager, spiel ich deine Schlager. Die Sache fing an, Kreise zu ziehen. Immer mehr Unrat wurde sichtbar ...
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Hartmann mußte dann gehen
Die vorliegenden Zahlen zwangen Hartmann, Feltz das Heft aus der Hand zu nehmen. Hartmann verlor seinen Intendantenstuhl später bei der üblichen Neuwahl durch Beschluß des Rundfunkrates.
Wir konnten die HÖR ZU auf 40 Seiten erweitern
Die großartige Auflagenentwicklung von HÖR ZU und die ständig wachsenden Inseratenaufträge führten dazu, daß wir den Umfang eines Tages auf vierzig Seiten erweitern konnten.
Ich ließ mir von Berndorff einen neuen Roman schreiben und startete gleichzeitig eine der meistgelesenen Serien: >Mein aufregendstes Erlebnis<, Geschichten aus dem Leben von Prominenten. Den ersten Text schrieb mir Olga Tschechowa, und dann folgten noch viele andere. Die Serie hätte ewig laufen können.
Dann 48 Seiten und "Fragen Sie Frau Irene!"
Kurz darauf achtundvierzig Seiten! Jetzt konnte ich endlich Walther von Hollander seine wichtigsten Beiträge schreiben zu lassen: >Fragen Sie Frau Irene!<
Unsere Leserinnen und Leser machten von diesem Angebot so regen Gebrauch, daß zeitweise bis zu drei Sekretärinnen mit den Antworten der Frau Irene beschäftigt waren. Menschliche Ratschläge waren in dieser Zeit notwendiger als je. Probleme aller Art, Sorgen mit den Nachbarn, Fragen der Kindererziehung, zwischenmenschliche Probleme auf dem sexuellen Sektor ...
Fragen, die es früher kaum gegeben hatte.
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- - Da ist ein Soldat aus der Gefangenschaft zurückgekehrt und findet seine Frau im sechsten Monat schwanger ...
- - Da hat sich eine Frau auf die Heimkehr ihres Mannes gefreut - und er offenbart ihr, daß er inzwischen eine andere gefunden hat, die > besser zu ihm paßt< ...
- - Da hat eine Frau ihren Mann nach endlosen Jahren des Wartens für tot erklären lassen, geheiratet, ein Kind - und nun steht der erste Mann nach bitterer sibirischer Gefangenschaft plötzlich vor ihr, ein Wrack, und will zurück in die Wohnung, deren Möbel er einmal mühsam abgestottert hat ...
- - Da hat eine Frau ihrem geliebten jungen Mann jahrelang die Treue gehalten, sehnsüchtig auf seine Heimkehr gehofft - und muß feststellen, daß er schon seit zwei Jahren in einer benachbarten Großstadt lebt, zum zweitenmal verheiratet ist -, und das sogar mit ihrer ehemals besten Freundin ...
- - Da haben sich zwei unverheiratete Menschen in der Zeit der Trennung auseinandergelebt, jeder ist seiner Wege gegangen, und nun steht die Frau da - mit je einem unehelichen Kind aus zwei Verbindungen ...
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Probleme über Probleme - und immer weiß Frau Irene klugen, menschlich einfühlsamen Rat. Sie wird eine so von Vertrauen getragene Beraterin, daß sie selbst nach dem Tod Walther von Hollanders nicht sterben darf ...
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Kapitel 84
>Lö< und der Alkohol
>Lö< war sein Journalistenkürzel. Keiner nannte ihn anders. Bleiben wir also dabei. Schon als er sich schriftlich beworben hatte und ich mich über ihn erkundigte, wurde ich von Kollegen gewarnt: ein guter Schreiber, aber ein unzuverlässiger, unheilbarer Alkoholiker, der überall nach kurzer Zeit herausfliegt. Ich blätterte in seinen Unterlagen und begann einen seiner Presseberichte zu lesen. Bei diesem einen blieb es nicht.
Es waren kristallklare, von Anfang an fesselnde Berichte aus der Zeit des Zusammenbruchs, der bitteren Nachkriegsmonate und einer lichtlosen Gegenwart, knapp und unverschnörkelt hingeworfen. Harter, gekonnter Journalismus, wie ich ihn dringend brauchte. Konnten die Kritiken an seinem allzu ungenierten Leben und seinem sprichwörtlichen Erfolg bei Frauen und Mädchen nicht auch etwas Neid enthalten?
Wir sollten ihm eine Chance geben . . . .
Ich sprach darüber mit meinem stets sehr besonnenen Bildredakteur. »Sollte ich ihm nicht wenigstens die Chance eines persönlichen Gesprächs geben?«
»Unbedingt. Schon damit Sie diesen Komplex loswerden. Aber schreiben Sie ihm nicht; er wird Ihren Brief gleich in ganz Hamburg herumzeigen und den Spieß umdrehen: >HÖR ZU bemüht sich um mich!< - Lassen Sie Ihre Sekretärin die Verabredung telefonisch treffen.« Eine sanfte Warnung. Ich nahm sie ernst und war auch nicht überrascht, als meine Sekretärin nach dem Telefongespräch gleich von ihm schwärmte ...
Lö war damals Ende Dreißig
Lö war damals Ende Dreißig und sah sehr gut aus, legte aber anscheinend keinen Wert darauf. Schwarze Hose, buntes, offenes Hemd, mal gut, mal nicht rasiert, aber wild verstrubbeltes braunes Haar, eher etwas zu salopp als feingemacht wirkend. So, wie man sich eigentlich nicht anzieht, wenn man sich bewirbt.
Ein Blender war er also keineswegs.
Ich will nicht zu HÖR ZU, ich will zu Ihnen.
»Sie möchten zu HÖR ZU, also zu einer Rundfunkzeitschrift mit einem engbegrenzten Arbeitsgebiet, obwohl Sie bisher nur für die Tagespresse gearbeitet haben. Darf ich fragen, weshalb?«
Seine Antwort kam schnell und verblüffend: »Spielen wir nicht Katz und Maus: Ich will nicht zu HÖR ZU, ich will zu Ihnen. Der hiesige Rahmen ist mir zu eng.« Und nach einer kurzen Pause: »Das ist eine unverblümte Liebeserklärung; bitte nehmen Sie sie ernst!«
Wann könnten Sie bei mir anfangen?
Ich starrte ihn fassungslos an - aber er sah zu Boden. War das nun eine raffinierte, bühnenreife Szene, oder sollte er wirklich den Eindruck haben, bei mir lernen oder mehr leisten zu können als anderswo?
»Wann könnten Sie bei mir anfangen?«
»Sobald Sie für mich einen kleinen Tisch mit einer Schreibmaschine und irgendeine Ecke in der Redaktion haben.«
»Sie werden mit diesem Säufer Probleme über Probleme haben!«
»Sie setzen sich mutwillig eine Laus in den Pelz!«
Ich wagte es trotz aller Warnungen probeweise.
Er zeigte sich dankbar, fleißig, zuverlässig. Er paßte sich reibungslos in die Redaktion ein und wurde von allen - trotz seines Rufes - herzlich aufgenommen. In den täglichen Redaktionskonferenzen zeigte er, was in ihm steckte, und dabei verschaffte er sich zu meiner Freude schnell jene Anerkennung, die ihm anfangs verwehrt worden war. Zwei jüngere, noch nicht voll ausgebildete Redakteure hängten sich an ihn, sie lernten von ihm, befreundeten sich von Tag zu Tag näher mit ihm ... und gingen, wie ich erst später erfuhr, abends zuweilen mit ihm auf die Reeperbahn...
Die dritte Folge war die letze . . . .
Er leistete mustergültige Arbeit. Eines Tages gelang es ihm, sich die Unterlagen über einen besonders rätselhaften Hamburger Kriminalfall zu beschaffen, den er selber schreiben wollte. Also... einen Tatsachenbericht.
Das klang gut. Da er den Bericht in seiner Freizeit zu Hause abfassen würde, konnte ich ihm ein ansehnliches Sonderhonorar anbieten. Er war dankbar und ging mit Feuereifer an die Arbeit. Schon zwei Tage später legte er mir das erste Kapitel vor. Sachlich, klar, keine Gefühle. Das war genau das, was wir suchten.
Drei Tage später lieferte er die zweite Folge.
Weil wir einen derartigen Bericht gerade besonders gut brauchen konnten, begannen wir - wenn auch mit einiger Besorgnis - gleich mit dem Abdruck.
Doch als dann die dritte Folge erschienen war, passierte das, was alle vorausgesagt hatten: Lö erschien nicht. Auskunft seiner besorgten Wirtin: »Er ist die Nacht nicht nach Hause gekommen.« Wir warteten den ganzen Tag. Wachsende Unruhe.
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Erst soll er mal zahlen.
Als er auch am nächsten Vormittag nicht erschien, gerieten wir in Zeitverzug, denn er hatte die fällige Fortsetzung nicht termingemäß geliefert, und niemand kannte den weiteren Gang der Handlung.
In dieser sich nun schon dramatisch zuspitzenden Situation schickte ich seine zwei jungen Freunde los, ihn zu suchen. Sie ahnten wohl, wo er zu finden war, und entdeckten ihn schließlich gegen Abend auf der Reeperbahn, in einer der billigsten Nuttenkneipen, ein Bild des Jammers - bald stöhnend vor sich hin lallend, bald wieder sich plötzlich aufraffend und trotz leerer Taschen großspurige Reden schwingend:
»Ich bin der Macher von HÖR zu! Ich schreibe die Romane und Tatsachenberichte, und in der übernächsten Nummer beginne ich mit meinem sensationellen Bericht über die >Nächte zwischen St. Pauli und Santa Fu<. Da kommt ihr alle drin vor, wie ihr gebacken seid, ihr müden Schweine. Peinlich, peinlich!« »Na, dann sieh dich aber vor, daß du nicht zufällig in ein offenes Messer stolperst!«
Die beiden jungen Männer versuchten, ihn mit sanfter Gewalt an die frische Luft zu ziehen, doch dagegen hatte der Wirt einen ernsten Einwand:
»Erst soll er mal zahlen.«
Nur ein unheilvollen >Ausrutscher< ??
Den beiden Jungredakteuren gelang es nur mit Mühe, ihn den Armen seiner zwei Begleiterinnen zu entreißen und abzuschleppen, nachdem er einen Schuldschein von erschreckender Höhe unterschrieben hatte.
Sie brachten ihn in sein Quartier. Dort warf er sich - angezogen und bedreckt, wie er war - auf sein Bett... Seine Freunde riefen mich an und berichteten.
Am nächsten Morgen erschien er eine halbe Stunde früher als normal, grau und verquollen, setzte sich gleich an seine Schreibmaschine und hackte - von undurchdringlichem Zigarettenqualm umhüllt - in einem wahren Blitztempo die überfällige Folge herunter.
Während der ganzen Zeit sprach er mit keinem ein Wort. Erst als er das satzreife Manuskript beim Chef vom Dienst abgeliefert hatte, meldete er sich bei mir. Er war völlig zerknirscht, das personifizierte schlechte Gewissen, sprach von einem unheilvollen >Ausrutscher< und von mehr als tausend Mark Kneipenschulden. - Tränen.
Damit Sie Ihre Kneipenschulden bezahlen können
»So - und nun schmeißen Sie mich raus; ich werde ja überall rausgeschmissen.«
»Bei mir noch nicht. Ich werde Sie nicht rausschmeißen, aber da wir damit rechnen müssen, daß Ihnen ein solcher... Ausrutscher wieder passiert, bevor Sie Ihren Tatsachenbericht fertig abgeliefert haben, muß ich Sie bitten, ab sofort alles andere liegenzulassen, Ihren Tatsachenbericht bis zur letzten Folge zu schreiben und satzreif abzuliefern. Das Extrahonorar wird Ihnen bei Ablieferung jeder Folge ausbezahlt, damit Sie Ihre Kneipenschulden abstottern können.«