Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 36
Mein Weg nach Metropolis
Die Technik des Rundfunkempfangs machte damals rasche Fortschritte. Die wachsende Zahl der Sender ließ den Fernempfang immer reizvoller erscheinen.
Der beliebte Berliner >Radioprofessor< Leithäuser hatte sich am Rande Berlins eine Empfangsstelle errichtet. Dort holte er an manchen Abenden mit besonders guten Empfängern und fern von den damals noch wild störenden elektrischen Geräten aller Art einen weniger genußreichen als sensationellen Fernempfang heran. Ihn gab er über Telefonleitungen direkt auf den Berliner Sender, und der sprühte dann Musikprogramme aus allen Ecken Europas über die Stadt.
Was viele bisher nicht gewußt und schon gar nicht für möglich gehalten hatten, war damit bewiesen: Man konnte auch ferne Sender hören. Viele versuchten es mit dem vorhandenen Detektorgerät, doch damit hatte man nur in äußerst seltenen Fällen Augenblickserfolge. Auch mit den billigen Dreiröhren- Ortsempfängern war in dieser Hinsicht nicht viel zu holen.
Man ging auf die Wellenjagd
Doch Fernempfang war nun die Parole, und die Industrie beeilte sich, geeignete Geräte zu bauen. Dabei mußte man selbstverständlich die umständlichen Akkus und die teuren Anodenbatterien durch Netzanschlußgeräte ersetzen.
Die wunderfreudigen Hörer kauften sich teure Fernempfänger und ließen sich dazu hochwertige Empfangsantennen bauen, meine Parole: Eine gute Antenne ist der beste Empfangsverstärker.
So gerüstet ging man auf die Wellenjagd.
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Der Fernempfänger - ein Statussymbol - als "Stilmöbel"
Der Fernempfänger wurde mit der Zeit zu einem Statussymbol, und wie das bei solchen Symbolen ist - denken Sie nur an unsere Autos! -, geraten sie rasch unter den geschmacklichen Einfluß der Massen. Mit Chrom und Kitsch, mit Neu-Barock, Neu-Biedermeier und Jugendstilranken wurde der notwendige technische Teil verunstaltet. Der Fernempfänger wurde - wie vor ihm der Grammophonschrank - zum >Stilmöbel<.
Telefunken - Die Weltmarke (wer kennt sie noch ?)
Gegen diese Tendenz kämpfte von der erste Stunde die Firma Telefunken an, die sich mit berechtigtem Selbstbewußtsein als >Die Weltmarke< bezeichnete und ihren achtzackigen Stern mit demselben Stolz auf ihre Erzeugnisse heftete wie Mercedes seinen Dreizack.
Mit einem halbwegs hellhörigen Fernempfänger hatte man theoretisch (!) allabendlich die Wahl zwischen 50 bis 80 Sendern. Theoretisch soll heißen: Wenn der Wettergott gut gelaunt war und die wetter- und tageszeitbedingten Lautstärkeschwankungen, die sogenannten >Fadings<, es nicht allzu bunt trieben.
Die Skala - das Gesicht des Empfängers
Sie wurden zum Gesicht des Empfängers: Verlockung und Versprechung zugleich. Nie ist in ein technisches Gerät auch nur ein Bruchteil von dem Einfallsreichtum und Aufwand gesteckt worden wie in die ersten Fernempfänger. Hunderte von Patenten kennzeichnen diese Entwicklung. Für sie wurde zuweilen mehr getan als für die >Innereien<.
Und gerade da haperte es, denn die Sender waren durchweg recht schwach auf der Brust. Und auf ihrem Weg durch den Äther wurden sie vom Wetter so geschüttelt, daß ihre Lautstärke zwischen Pianissimo und Fortissimo ebenso schwankte wie sie selber. Jedem war zwar mit der Zeit ein fester Platz im Äther eingeräumt worden - aber den zu halten, das war schwierig. Sie torkelten mitunter wie betrunken hin und her. Auch auf der Skala mit den vielen verheißungsvollen Namen.
Der Katzenkopf von Telefunken
Telefunken fand eine teure, aber vernünftige Lösung: den Katzenkopf, denn so sah diese Skala aus, die man selber eichen konnte. Und das war ein Spaß für sich: Man setzte sich abends an den Empfänger und ging auf Wellenjagd. Hörte man einen Sender, dann wartete man geduldig wie der Wildschütz auf seinem >Anstand<, bis er seinen Namen verriet, griff sich von der mitgelieferten Platte eines der 60 schmalen Schildchen mit den Sendernamen und klemmte es an seinem Platz fest. Wenn der Wettergott es dann gut meinte, fand man ihn dort - dann und wann - auch wieder.
Eine Europakarte als Skala
Eine andere Firma machte aus der Skala eine ... Europakarte mit den Namen aller Sender. Drehte man am Abstimmknopf, dann leuchtete die gefundene Station auf, sofern ... s. o. Auch eine teure, aber hübsche Lösung.
Skalen, Skalen. Blaupunkt tat sich dabei mit besonders wirksamen Einfällen hervor. Der blaue Punkt schwebte in einem Glasrohr beim Sendersuchen auf und ab. Wo sonst die Temperatur zu lesen ist, stand der Name des Senders.
Einfälle wie Sand am Meer. Lockende, aber unsichere Lotsen durch einen Äther, der an allzu vielen Tagen einer Treibsandwüste glich.
Mein Flachdachhaus als Radio - von Telefunken
Bei der Suche nach einer ganz besonders geschmackvollen und vielversprechenden Skala fand ich - nebenbei - mein Haus in dem vornehmen Berlin-Dahlem.
Und das kam so: Eines Tages lud Telefunken zu einem kleinen Empfang der Fachpresse. Der Anlaß war ungewöhnlich: Zwei vielgelobte und - umstrittene - Berliner Architekten, die Brüder Luckhardt, hatten sich mit den Gehäuseformen auseinandergesetzt und Telefunken angeboten, sie bei etwa auftretenden Problemen zu beraten. Nun stand das nach monatelanger Arbeit geschaffene Modell auf dem Tisch - und zur Debatte.
Eine 40cm breite, 20cm hohe, schrägliegende Glasscheibe, zwei große und zwei kleine Drehknöpfe aus Preßglas an der nur 10cm hohen Stirnwand - ja, und ringsum dunkelbraunes Nußbaumholz. Das war alles. Die Lautsprecher baute man damals noch nicht ein. Die riesige Glas- oder Plexiglasscheibe war die Skala.
Ein Empfänger also, der schon von weitem sichtbar machte, daß er gedacht und gemacht war, um ganz Europa ins Heim zu holen. - Allgemeine Begeisterung.
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Fritz Lang und sein Film "Metropolis" - ein Riesenfiasko
Die Luckhardts hatten in Berlin schon vor Jahren mit ihren Flachdachhäusern Aufsehen erregt. Ihre vielbesprochene Visitenkarte war die Schorlemer Allee in Dahlem. Die Berliner nannten sie aber nach dem Fritz-Lang-Film Metropolis-Allee.
Lang und seine erste Frau, die Romanautorin Thea von Harbou, hatten nämlich das erste Luckhardt-Haus in der Schorlemer Allee - und das damit zusammenhängende Eckhaus in der Spilstraße - gemietet. Der mit riesigem Aufwand gedrehte Metropolis-Film war dann aber ein finanzielles Riesenfiasko geworden; er ist heute trotzdem ein gerühmtes Museumsstück.
Lang ging , Thea blieb in Berlin
Fritz Lang hatte für seinen nächsten Film >Die Frau im Mond< (1928) kaum noch Geldgeber gefunden, mit seinem letzten in Deutschland gedrehten Film >M< dann aber einen seiner größten Erfolge erzielt und sich 1932 vor den Nazis nach Frankreich und 1934 nach den USA abgesetzt. Thea von Harbou war in Berlin geblieben, aber umgezogen.
Das leerstehende Haus der Luckhardts
Nach der Telefunken-Veranstaltung boten mir die Luckhardts das seit langem leerstehende Haus in der Schorlemer Allee zu sehr günstigen Bedingungen an. Einen Teil des Kaufpreises konnte ich sogar abstottern.
Ich verkaufte meine Dachwohnung mit allen Möbeln und zog in die Schorlemer Allee, die durch die modernen Häuser mit den riesigen Fenstern, ihren Terrassen und flachen Dächern damals erhebliches Aufsehen erregt hatte.
Und plötzlich hatte ich einen Steinway
Mein >Umzugsgut< bestand aus einem Steinway-Flügel, meiner Geige, Bettzeug und der geliebten Noiseless. Den Flügel hatte ich beim Verkauf der Möbel für 15.000 Mark in Zahlung nehmen müssen. Ein Muß, das mir nicht schwergefallen war, denn in der himmelblauen Halle würde er einen hervorragenden Platz finden und wundervoll klingen... Was sonst hätte ich auch in die Mitte des großen Vestibüls stellen können ...
Das riesige leere Haus hatte sogar einen "Boxraum"
So zog ich in ein fast leeres Haus ohne Vorhänge, aber mit einem 30 Meter langen Lichtband aus meterlangen ultramodernen Leuchtröhren, die sich von der hohen Halle in den höher liegenden Wohnraum zogen.
In ihm befanden sich eine acht Meter lange, bis zur Decke reichende leere Bibliothek aus feinstem kaukasischem Nußbaum, ein großes luxuriöses Ecksofa nebst dem dazugehörigen niedrigen Marmortisch und eine bildschöne filmreife Bar. Ein offenbar sehr teures Meisterstück aus Kupfer, Chrom und Glas, hinter dem sich Fritz Lang wohl hundertmal als Barkeeper mit seinen Gästen hatte fotografieren lassen.
Im Obergeschoß lagen die Schlafzimmer mit eingebauten Schränken, riesigen Spiegeln an Decken (!) und Wänden und seltsamen Massagegeräten.
Die größte Überraschung aber war für mich der mit allen Schikanen ausgebaute ... Boxraum. Ihn ließ ich sofort ausräumen. Er wurde das Gästezimmer.
Fast wie der Herrscher von Metropolis ...
»Mein Gott, all diesen sündhaft teuren Filmkram zu kaufen!« Das war die erste und wichtigste Äußerung aller Besucher, die schon aus verständlicher Neugier kamen, um mir Salz und Brot zu bringen und Glück zu wünschen.
Ich konnte sie trösten: »Die ganzen Einbauten haben mich nicht einen Pfennig gekostet. Jetzt muß ich mir nur einen Innenarchitekten kommen lassen und etwas Vernünftiges daraus machen.«
Ich kam mir dabei fast vor wie der Herrscher von Metropolis ...
Später fand ich im Keller unter Bergen von Akten die oft erst nach vielen Mahnungen und Drohungen mit Ach und Krach beglichenen, haarsträubend hohen Rechnungen der Handwerker und der ... Elektrizitätswerke. Nichts Ehrenrühriges - nur typisch für das ganze Filmmilieu.
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Besuch bei Fritz Lang in meinem späteren Haus
Wenige Tage vor seiner Flucht hatte Lang mich telefonisch eingeladen, ihn in >seinem< Haus zu besuchen; er wolle mit mir über einen Filmstoff sprechen. Ich glaubte an eine Verwechslung und nannte vorsichtshalber noch einmal meinen vollen Namen.
»Ja, ja«, sagte Lang, »ist schon richtig. - Ich glaube, wir sollten uns einmal zusammensetzen.«
Die rote Haustür lag versteckt hinter einem Windfang aus faustdicken Glasprismen. Kein Namensschild. Ein Diener öffnete. »Herr Lang erwartet Sie schon.«
Eine kurze Treppe, dann ein vier Meter hoher großer Raum. Hellblaues Linoleum.
An der rechten Wand ein langes, meterhohes Bücherregal, davor Längs übergroßer, überladener Schreibtisch. Die Rückwand in mattem Silber, die gegenüberliegende in hellblauem, spiegelglattem Lack.
Ein runder Glastisch auf Chromfüßen, vier Chromstühle und ein gigantischer Ascher, umgeben von einem guten Dutzend Zigarettenpackungen zur Auswahl. Metropolis im eigenen Heim.
»Sie kennen doch Frau Vicki Baum ...?«
»Na klar; wir wohnen bei den Ullsteins in derselben Straße.«
»Vicki Baum hat mir von Ihnen erzählt. Sie haben ihr von einem Roman erzählt, an dem Sie zur Zeit arbeiten ...«
»... wollen!« ergänzte ich. »Als sie mich vor etlichen Monaten in meiner Redaktion besuchte, fragte sie mich, ob ich wieder an einem Roman arbeitete. Bei dieser Gelegenheit erzählte ich ihr die Idee zu meinem geplanten Roman >Der rote Rausch<.«
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>Der rote Rausch< - Bitte ein Expose
»Richtig!« sagte Lang. »Und Vicki meinte kurz vor ihrer Abreise nach Hollywood, das wäre vielleicht ein Stoff, der gut in die geplante Abkehr von Zukunftsfilmen zu Realitätsfilmen wie >M< passe. - Um was geht es in diesem Roman?«
Ich erzählte ihm kurz die Handlung. Lang hörte aufmerksam zu und unterbrach mich zuweilen mit Zwischenfragen, die mir zeigten, daß ihn der Stoff reizte. Dann sagte er: »Die Szene, in der der schizophrene Mörder einer Puppe, ohne es zu wollen und zu wissen, in seinem Schoß den Kopf abdreht... als Sie das schilderten, da sah ich es direkt vor mir.«
Und nach einer kurzen Pause. »Würden Sie mir über diesen Stoff ein Expose von etwa 15 Seiten schreiben? - Das wäre nach >M< vielleicht ein Thema für mich, und ich bin sicher, daß sich auch die Ufa dafür interessieren wird.«
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Die braunen Kolonnen kamen
Ich sagte freudig zu. Doch dann schob ich diese Arbeit immer wieder vor mir her, weil ich zu wissen glaubte, wie es einem solchen Expose geht, bis es zu einem Entschluß kommt... Und ich hatte mehr als genug für den Tag zu tun!
Ich vergaß es - und Lang meldete sich nicht.
Wenig später hatte eine braune Kolonne auf die Glasprismenwand blutrot das Wort >Jude< geschmiert...
Kapitel 37
Vicki Baums Schreibmaschinchen
Mit Vicki Baum war ich durch das Laboratorium bekannt geworden, das wir bei "SIEBEN TAGE" unterhielten. Daß man unsere Hilfe dort in Anspruch nehmen konnte, hatte sich unter den Redakteuren bald herumgesprochen - und wir halfen gern.
Eines Tages erschien bei mir die in einem winzigen Zimmerchen des Ullstein-Hauses sitzende Redakteurin, Romanbearbeiterin und Schriftstellerin Vicki Baum mit einer kleinen, seltsamen Schreibmaschine, an der sich die Typenplatte gelöst hatte.
Obwohl es diese billigen Dinger, die wie Kinderspielzeuge aussahen, schon viele Jahre gab, hatte ich sie noch nie gesehen. - »Schreiben Sie mit diesem Unikum?« fragte ich erstaunt.
»Ja«, stöhnte sie, »seit hundert Jahren! Aber ich bin an dieses komische Ding gewöhnt und finde in diesem wirbelnden Betrieb nie die nötige Zeit und Geduld, um mich auf eine dieser wuchtigen Tippmaschinen umzustellen. Sie ist - wenn Sie so wollen -eine schlechte Angewohnheit, aber in letzter Zeit... Na, Sie sehen ja.«
Das Ding kam von der AEG - eine Walze mit Buchstaben
Was ich zuerst sah, war das Firmenzeichen der AEG. Daß die große AEG so etwas baute? Dann entdeckte ich eine zehn Zentimeter lange, drei Zentimeter dicke Metallwalze, die alle Buchstaben und Zeichen des Alphabets in erhabener Schrift trug. Und dann eine leicht gewölbte Platte. Sie sah aus, als hätte sie einmal gold- oder messingfarben geglänzt. Das war wohl die Tastatur. Über ihr schwebte ein Stift, mit dem man auf der Platte von Zeichen zu Zeichen wandern konnte. Wenn man auf dem gewünschten Zeichen landete, drückte man mit dem Daumen der linken Hand eine stabile Taste. Die Typenwalze, die sich inzwischen auf-oder abwärts bewegt und sich gleichzeitig links- oder rechtsherum gedreht hatte, stürzte sich auf das Papier, und dort erschien - o Wunder der Technik! - der gewählte Buchstabe.
Wir reparieren das Ding sofort
Es ist zweifellos die originellste und billigste Schreibmaschine gewesen. Später entwickelte die IBM aus der Walze den weltbekannten Kugelkopf für ihre Schreibmaschinen.
Ich gab das Maschinchen meinem Techniker zur Reparatur. Wie Vicki Baum sich auf der total zerkratzten Platte noch zurechtfand, war mir allerdings unverständlich.
»Wir machen das sofort«, sagte ich. »Sie können darauf warten, wenn Sie wollen.« Sie entschloß sich zu warten.
Unser Gespräch über "den roten Rausch"
»Ich habe Ihren Roman >Die Jagd nach der Stimme< gelesen«, begann sie. »Ein hochinteressantes Thema. Schreiben Sie schon einen neuen?«
»Ich möchte - wenn ich nur dazu käme! Nachdem ich mich mühsam durch das Lehrbuch der Geisteskrankheiten gequält habe, würde ich gern einen Roman schreiben, in dem ein Schizophrener die Hauptrolle spielt. Aber dieser Plan liegt noch auf Eis.«
Ich erzählte ihr die Handlung. Das hatte dann die oben erwähnten Folgen bei Fritz Lang.
Vicki Baums Roman "Menschen im Hotel"
Der Mechaniker brachte die reparierte Schreibmaschine. »Es war eine Kleinigkeit. Zwei Schrauben hatten sich gelockert.«
»Vielleicht kaufe ich mir demnächst doch eine von diesen neuen, mordsmäßig großen Biestern«, sagte Vicki Baum. »Aber erst muß ich mit diesem Unikum noch meinen Roman zu Ende bringen.«
»Wie soll er heißen?«
>»Menschen im Hotel<, ein Kolportageroman mit Hintergründen.«
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Kapitel 38 - Zwischenspiel mit Borsalino
Diese Kapitel über die damals lustige Geschichte von einem teuren Hut in der Ullstein Redaktion ist weit weg vom eigentlichen Thema und wird deshalb übersprungen.
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Kapitel 39
Juli 1929 - Der Tonfilm und The Singing Fool
Am 3. Juli 1929, einem sonnigen Sommertag, standen die Berliner vor dem Gloria-Palast in Viererreihen Schlange. Angelockt von einem großen Plakat mit einem Neger oder der Karikatur eines Negers. Schwarz, mit hell geschminkten Lippen, wie das Negativ eines Weißen.
In der Luft hing - leise von irgendwoher geweht - eine gutturale Stimme über einer zuckersüß-wehmütigen Melodie: Der Singing Fool (Al Jonson) sang sein Lied vom Sonny Boy. Und die Berliner summten es mit.
Was war da los?
Ein rührseliger Schwarzweißfilm - an Farbe wagte damals noch kein Filmproduzent zu denken - hatte sprechen und singen gelernt.
- »Climb up on my knee, sonny boy...!«
»Tja«, sagten die Leute, »die Amerikaner!«
So, wie wir heute manchmal sagen: »Ja, die Japaner!«
Eigentlich hatten die >Triergon<-Leute den Tonfilm entwickelt
Und dabei hatten doch die >Triergon<-Leute Vogt, Engl und Massolle schon einige Zeit vorher hier in Berlin ihren ersten kurzen Tonfilmstreifen öffentlich vorgeführt, doch dann hatte die verdammte Inflation ihnen wie so vielen andern den Hals gebrochen. Das Papiergeld war ihnen zwischen den Fingern zerronnen. Ihre wertvollen Schutzrechte hatten sie für ein Spottgeld verkaufen müssen.
Dann geschah so etwas wie ein Wunder: Aus den USA war ein Tonfilm gekommen und hatte Millionen in aller Welt begeistert. Mit seinem Lied vom Sonny Boy hatte er die Welt erobert.
Ausgerechenet die Amerikaner
Hatten die Amerikaner inzwischen alle technischen Probleme gelöst? Ausgerechnet die vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehenden Warner Brothers?
Der Nadelton kam von vier 40cm-Schallplatten
Keine Spur: Sie hatten alle Schwierigkeiten verwegen, aber geschickt umgangen, indem sie Sprache und Musik auf vier 40cm-Schallplatten aufnahmen, um sie einfach im Gleichlauf mit dem Bildstreifen abzuspielen. Das System nannte sich "Vitaphone".
War das wirklich die Lösung?
Nein. Sie konnte es nicht sein und nicht werden. Sie war schon im Prinzip so mangelhaft, daß das Interesse der Kinobesucher erlahmen mußte, sobald der Sensationseffekt verblaßt sein würde.
Trotzdem: Dieser Film hat das Eis der Interesselosigkeit bei den Filmproduzenten und den Kinobesitzern gebrochen - wenn auch viel zu spät für die drei deutschen Pioniere. Aber noch zur rechten Zeit für die andern, die nun schnell mit viel Geld und Mut und neuen Ideen an die Arbeit gingen.
Die Filmleute mussten gewaltig umlernen
Der Tonfilm wurde nach der grundlegenden Idee der >Triergon<-Leute langsam brauchbar. Damit aber wurde für alle Filmschaffenden eine erschreckende Tatsache sichtbar: Sie mußten gewaltig umlernen. Vor allem die Schauspieler - wenn sie konnten. Asta Nielsen konnte es nicht wegen ihres dänischen Sprachkolorits, wohl aber Henny Porten. Sie schaffte mit ihrem Lustspiel >Kohlhiesels Töchter< den Anschluß an den Tonfilm spielend.
Ratlosigkeit und wachsende Sorgen bei den Filmherstellern und den Schauspielern. Der Film hatte eines der schwierigsten Probleme seiner Geschichte zu bewältigen.
Der letzte Stummfilm der UFA
Als Abschluß dieser Epoche drehte die Ufa dann ihren letzten großen Stummfilm: >Der letzte Mann<. Emil Jannings spielte darin einen hochnäsigen Hotelportier, der schließlich als Toilettenwärter endet.
In diesem Film wurde kein Wort gesprochen. Er lief im Ufa am Zoo und blieb dort monatelang auf dem Spielplan. Höhepunkt und Denkmal einer sterbenden Kunst.
Vorbei die Zeit, in der Zwischentexte oder pausenlos schwadronierende Filmerklärer, von einem wild drauflosphantasierenden Klavierspieler unterstützt, erzählen mußten, was da auf der flimmernden Leinwand passierte.
Vorbei die Zeit, in der große Lichtspielhäuser die Filme von einem Orchester begleiten ließen und die Handlung mit Musik sekundengenau untermalten.
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Ein Name aus Italien war Guiseppe Becce
Vorbei die Zeit, in der Komponisten diese Musik eigens für jeden Film schrieben. Unter ihnen der Italiener Guiseppe Becce, der sogar eine musikalische Spezialkartei schuf, die nach Stimmungen gegliedert war: Blätterrauschen, Frühlingsstürme, zarte Liebe, Leidenschaft, Brutalität, Straßenlärm einer Großstadt, ländliche Szene usw.
Guiseppe Becce war ein hervorragender Geiger und hat Serenaden geschrieben, die der Toselli-Serenade kaum nachstanden. Seine Serenata d'Amalfi habe ich als Barmusiker oft wirkungsvoll hingeschmust.
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