Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 86
Ein Haus am Feenteich
HÖR ZU lief wie geschmiert und brachte Geld wie Heu. Springer kaufte sich ein riesiges, märchenhaft schönes Grundstück mit weitem Blick über die Elbe, den >Falkenstein<. Er ließ sich dort einen Park und einen künstlichen See anlegen und ein architektonisch reizvolles Haus bauen. Ich war dort oft zu Gast.
In der Johnsallee wohnte sich's auch nicht gerade schlecht, aber da wir nicht mehr um unser tägliches Brot zu bangen brauchten, schwoll mir der Kamm, und in meinem tiefsten Innern machte sich eine uralte Erbkrankheit bemerkbar: der Rheinsche Baufimmel.
Heraus mit der Sprache: Ich wollte mir ein Haus bauen. Natürlich in Hamburg und noch natürlicher an einem der schönsten Plätze der Stadt: am Ufer der Außenalster.
Der Feenteich und die Baracken
Ich bat Will, mich an einem Sonntagmorgen mit unserm Käfer so lange um die Außenalster zu fahren, bis der richtige Bauplatz gefunden sei. Den gab es tatsächlich, und zwar an der schönsten Stelle, dort, wo neben der Außenalster ein verlockend romantischer kleiner See liegt: der Feenteich.
Doch dessen Ufer war zum Teil dicht mit Wohnbaracken bebaut.
Wenn man den Bewohnern Wohnungen anbieten könnte . . .
Stopp, das mußte ich mir ansehen! Es war ein verwegenes Unterfangen, denn während ich - elegant gekleidet - zwischen den Baracken, rotznäsigen Kindern, säugenden Müttern und mißtrauisch dreinschauenden Kerlen umherspazierte, sprach mich einer der werten Herren an:
»Was suchen Sie denn hier?«
»Ach«, stammelte ich verlegen, »ich wollte mich nur einmal darüber unterrichten, wie Sie hier untergebracht sind.«
»Aha...! Dann kommen Sie wohl von der Behörde! Untergebracht nennen Sie das? Schlimmer als die Ratten, von denen es hier ohnehin wimmelt. Kein fließend Wasser, keine Toiletten, menschenunwürdig, wenn Sie's genau wissen wollen. Und das melden Sie mal den hohen Herren!«
»Genau das ist meine Absicht. Ich finde, man müßte Ihnen irgendwo am Stadtrand ordentliche Wohnungen bauen!«
»Tschawoll, ordentliche Wohnungen!« sagte er so laut, daß gleich andere Männer hinzukamen. Ich befürchtete eine Demonstration und verdrückte mich so schnell wie möglich.
Wir fanden keine Alternativen
»Na«, sagte Will, »der Platz ist ja traumhaft schön, aber wie wollen Sie die hundert oder zweihundert Leute da rausschmeißen?«
»Schmeißen? Das sind ganz vernünftige Menschen; denen muß man anständige Wohnungen bauen, dann räumen die das Feld lieber heute als morgen.«
»Häuser bauen«, sagte Will kopfschüttelnd. »Und dann«, fuhr er nach einer Weile fort, während er den VW langsam weiterrollen ließ, »dann gehört das Grundstück Ihnen - das meinen Sie doch.«
»Das gehört der Stadt, und die wird froh sein, wenn es ihr einer abkauft, um dort ein schmuckes Haus zu bauen.«
Will steuerte den Wagen noch ein paarmal langsam um die Außenalster, doch eine andere Baustelle war nicht zu finden. Die mußte es also sein.
Da war noch ein fest gemauertes winziges Wohnhaus
Ich sprach mit Arnold Hertz, dem bekanntesten Makler der Stadt. »Auf dem Grundstück hatte sich im Krieg die Flak eingerichtet. Als sie dann nach dem Zusammenbruch abgezogen ist, sind die ausgebombten Leute dort in ihrer Not - ohne erst zu fragen - eingezogen. Daß sie sich da wohl fühlen, ist nicht anzunehmen.«
»Wenn ich ihnen nun solide Wohnungen zur Verfügung stellte - es werden doch schon wieder welche gebaut -, dann könnte mir die Stadt das Grundstück wohl verkaufen?«
»Wenn es ihr gehörte, würde sie darüber sicher mit sich reden lassen, zumal Sie hier besonders geschätzt sind - aber leider gehört es einem der reichsten Hamburger. Und ob der bereit ist, es zu verkaufen...? Er wollte sich dort schon vor dem Krieg ein Tuskulum bauen, und wenn es eines Tages frei ist, wird er das wohl auch nachholen.«
»Kann man ihm das denn nicht ausreden? Denn wenn man den Leuten keine billigen Wohnungen zur Verfügung stellt, werden die das Feld so bald nicht räumen.«
»Verlassen Sie sich darauf, daß wir das ernsthaft versuchen werden, aber...«
Ich war wie der Teufel hinter >meinem< Grundstück her. Täglich fuhr ich daran vorbei, besah es mir von allen Seiten und stellte dabei schließlich zu meinem Entsetzen fest, daß sich darauf, hinter Buschwerk wohl versteckt, ein fest gemauertes winziges Wohnhaus befand. Stabil gebaut, mit Türen und Fenstern.
Was war denn das?
Hertz stellte fest, daß sich dort heimlich ein ausgebombter Hamburger eine Notwohnung für seine Frau und seine zwei kleinen Kinder gebaut hatte.
Und noch ein Schreck: Der Mann war... Rechtsanwalt! Jetzt schwammen mir die Felle noch ein Stück weiter davon. Sollte ich es nun auch noch mit einem Rechtsverdreher aufnehmen müssen - selbst wenn er im Unrecht war?
Hertz fing an, mit ihm zu verhandeln. Dabei zeigte es sich, daß der Jurist durchaus bereit war, das Feld zu räumen, wenn wir ihm zu einer anständigen Wohnung an der Alster verhelfen könnten und ihm die aufgewendeten Kosten ersetzten.
Nun, und dann meldete mir Hertz eines Tages, der Eigentümer sei bereit, das Grundstück gegen Barzahlung zu verkaufen. Er fordere einen reichlich stolzen Preis und betone, daß es dann meine Sache sei, die Barackenbewohner anderswo unterzubringen.
Der Kauf ging über die Bühne.
Jetzt mußte Hertz nur noch die nötigen Billigwohnungen suchen. Er fand sie erstaunlich rasch am Rand der Stadt. Ich konnte die Baracken schon wenige Wochen später abreißen lassen. Das Grundstück wimmelte von Ratten. Jetzt galt es, einen geeigneten Architekten zu suchen.
Welcher Architekt würde mir das Haus bauen, das sich in die Gegend einpaßte? Vielleicht, daß unser Freund Walter Schultz-Dieckmann Rat wußte.
Ein Haus an der schönsten Stelle der Außenalster
»Für Sie gibt es nur einen: Rudolf Lodders. Er ist der Beste weit und breit - aber schwierig wie eine Primadonna. Mit ihm kriegt sich jeder Bauherr in die Wolle.«
»Das macht doch nichts. Alle großen Kunstwerke werden unter Schmerzen geboren. Hauptsache, er baut mir an der schönsten Stelle der Außenalster ein dazu passendes Haus. Das Grundstück habe ich schon. - Also her mit der Primadonna!«
»Ich glaube, ich sollte Ihnen wohl erst mal eines der von ihm gebauten Häuser zeigen. Wer weiß, ob Ihnen der Stil liegt. Ich würde ihm dann ganz nebenbei von Ihnen und Ihren Bauplänen erzählen. Möglich, daß er anbeißt.«
»Wenn er wirklich ein solcher Könner ist - Primadonnen muß man tanzen lassen. Die stolzen Hamburger sind nun mal eine Rasse für sich ...«
Ein hinter Mauern, Hecken und Büschen verstecktes Haus
Walter zeigte mir - wenn auch nur von außen - ein hinter Mauern, Hecken und Büschen verstecktes Haus, das Lodders unmittelbar an der Elbchaussee gebaut hatte.
Ich sah zunächst nur das schiefergedeckte steile Dach und war schon positiv vorgespannt. Dann trat ich dicht an das hohe, engvergitterte Tor und drückte kurz entschlossen die Klingel. Walter wich entsetzt zurück: »Um Himmels willen, Sie können doch nicht einfach ...«
»Warum denn nicht? Wir wollen das Haus doch nur besichtigen - und Kunstwerke gehören nun mal der ganzen Welt!«
Das große Tor sprang auf. Walter verkroch sich in seinem Uralt-DKW. Ich ging einen mehrfach gewundenen Weg entlang, der nur den Zweck haben konnte, das Haus vor indiskreten Blicken zu verstecken.
Was ich dann sah, genügte völlig, mich für diesen Architekten zu begeistern ...
Ich kam erst eine Stunde später zurück.
Geduld war gefragt
»Man hat Sie tatsächlich ins Haus gelassen?«
»Bei meinem Charme! Und als ich erst meinen offenbar schon stadtbekannten Namen genannt hatte... Also, ich bin ganz weg, jetzt fahren wir gleich zu Lodders.«
»Der ist diese Woche in Bremen. Er baut da für Borgward eine neue Werkhalle zu seiner Autofabrik.«
Ich mußte mich also in Geduld üben. Nichts schwerer als das!
Erst zwei schreckliche Wochen später hatte ich die Ehre, den Herrn Architekten in der Johnsallee empfangen zu dürfen.
Die Ehre mit dem Herrn Architekten Lodders
Er wirkte auf mich - rundheraus gesagt - äußerst enttäuschend, fast abschreckend. Meinen werten Namen hatte er noch nie gehört, vom Rundfunkgequäke hielt er nichts, HÖR ZU kannte er nicht, wohl aber Axel Springer...
»Na wissen Sie, der und seine Freunde - die haben doch aufgerissen, was aufzureißen war! Mein Vater hatte eine Kneipe auf der Reeperbahn - ja, auf der Reeperbahn, ich geniere mich nicht, das zu sagen -, und da hört und sieht man mehr als anderswo. Also diese hochnäsigen Burschen sind nie meine Kragenweite gewesen.«
Und Zeit für neue Aufträge hatte er schon gar nicht. Da war ich aber anderer Ansicht: »Es sei denn, das Grundstück und der Auftrag reizen Sie so, daß Sie sich wie eine überreife Jungfer in Ihr Schicksal ergeben.« Soviel Frechheit hatte er bestimmt nicht erwartet. Er lachte.
Überredet - Lodders kommt mit
»Das ist doch die Kack- und Piß-Ecke am Feenteich. Wie wollen Sie denn das Gesindel loswerden, das sich in den halbverfallenen Wehrmachtsbaracken eingenistet hat? Und dazu den Rechtsanwalt, der sich da ohne Genehmigung ein Klosett hingemauert hat? Den werden Sie doch nie und nimmer los!«
»Für die Barackenmieter habe ich Neubauwohnungen gekauft, und mit dem Rechtsanwalt bin ich auch schon einig. Das Grundstück ist frei.« Lodders machte große Augen. »Sie gehn ja ran!«
»Und den einzig möglichen Architekten für dieses schönste Grundstück an der Außenalster habe ich auch schon. Kommen Sie mit, schauen wir uns den Grund an - und es wird Ihnen in den Fingern kribbeln.« - »Nehmen Sie doch meinen Kollegen Firle. Er wird Ihnen schon den nötigen Firlefanz hinsetzen.« Ich erhob mich. »Gehn wir! Und sagen Sie dann noch nein - wenn Sie können!«
Lodders und die Macht der Sterne
Nein sagen wollte er anscheinend schon aus Eigensinn, doch daran hinderte ihn ein ... Tageshoroskop, das Walter ihm klammheimlich in der noch druckfeuchten Nummer von HÖR ZU zugespielt hatte. Er glaubte nämlich - an die Macht der Sterne.
Unser Horoskop erschien im Anzeigenteil
Soviel Aberglaube kann man sich zunutze machen. Warum sollen nur die Sterndeuter davon profitieren? Millionen Zeitungen und Zeitschriften in aller Welt tun es täglich. Warum sollte ich in einem solchen Fall nicht auch einmal Sternmißdeuter spielen?
Ich hatte dafür gesorgt, daß das Manuskript des im Anzeigenteil erscheinenden Horoskops einmal ausnahmsweise über meinen Schreibtisch gerutscht war, und hatte unter >Löwe< statt des üblichen Unsinns geschrieben:
»Ihnen steht schon in nächster Zeit eine schwierige berufliche Aufgabe bevor, die Sie aber meistern können und die dann viel zu Ihrem Ansehen beitragen wird.«
Walter war zwar von diesem >gemeinen Schwindel< wenig begeistert gewesen, hatte aber trotzdem dafür gesorgt, daß sein Horoskop-geiler Freund dieses wahre und wichtige Horoskop zu lesen bekam.
Und das hatte in dieser Situation den Ausschlag gegeben. Lodders zierte sich zwar noch eine Weile, tat dann aber doch die entscheidenden Schritte über das Grundstück.
Lodder macht es
»Daß Ihnen das gelungen ist! - Das ist tatsächlich der schönste Fleck an der ganzen Außenalster!« »Deshalb sollte ihn auch der beste Architekt Hamburgs schmücken.«
»Eine reizvolle Aufgabe - aber ob Ihnen meine Art zu bauen zusagt...« - »Ich habe Ihr Haus an der Elbchaussee gesehn - das genügte mir.« Eine Stunde später saßen wir schon wieder in der Johnsallee. Lodders nahm ein paar Bogen Schreibmaschinenpapier und kritzelte mit seinem Bleistift haardünne Linien darauf.
Es gibt drei Möglichkeiten
»Es gibt drei Möglichkeiten, die sich da anbieten. Nummer eins: eine breite Front zur Straße hin. Nummer zwei: ein zum Feenteich geöffneter Halbbogen, und Nummer drei: ein zweimal gewinkelter Bau.«
Er schob mir die drei Blätter der Reihe nach zu. »Ich werde diese drei Skizzen sauber aufreißen lassen, und dann können wir nächste oder übernächste Woche in aller Ruhe darüber diskutieren.« Ich überflog die drei Skizzen und sagte: »Wir machen die Nummer drei - das ist die beste. Fangen wir also so bald wie möglich an!«
»Daß ein Bauherr sich so blitzschnell entscheidet, habe ich noch nicht erlebt; aber wirklich - das ist die beste Lösung. Ich werde den Entwurf von meinen jungen Architekten sauber zeichnen lassen, und dann gehn wir gleich ins Detail.«
Es war soweit. Ich atmete auf. Und dachte nicht an das viele Geld, das mich meine fixe Idee kosten würde. Um es vorwegzunehmen: Es lief dann alles gut und besser als gedacht.
Lodders erwies sich nicht nur als hervorragender Architekt, er war ein Künstler, der auch die kleinste Einzelheit liebevoll beachtete - genau wie ich -, der alle Schnörkel und Attrappen haßte und sein eigenes Werk immer wieder ebenso kritisch prüfte wie die Zusammensetzung des Betons und die Qualität des zeitweilig knappen oder sogar angerosteten Eisens.
Wieder Krieg - manche Baustoffe waren schwer zu beschaffen
Während wir bauten, tobte der Koreakrieg. Das bedeutete, daß manche Baustoffe, wie Kupfer für Teile des Daches und das harte, aber wetterfeste Teakholz für das sieben Meter breite Garagentor, alle Außentüren, Fenster, Fensterläden und Dachverkleidungen sowie Blei für die Wasserleitungen usw. nur sehr schwer zu beschaffen waren.
Die Zukunft eingebaut
Daß über dem Kamin eine große und breite Nische zum Einbau eines fernbedienbaren Fernsehers vorgesehen werden sollte und daß eine Fernsehkamera zum Beobachten der Straßenpforte nötig sei, ging Lodders nur schwer ein.
Er fragte sich manchmal insgeheim, ob mir bei all diesem Zauber nicht das Geld ausgehen würde.
Das meistfotografierte Privathaus Hamburgs
Das Haus wurde fertig. Der Gartenarchitekt kaufte große Bäume, die nur bei Nacht durch die Stadt transportiert werden konnten und es notwendig machten, daß die Drähte der Straßenbahn vorübergehend abmontiert wurden. Er zauberte mit Büschen und Blumen die nötige >Landschaft< so gut herbei, daß das Haus schon kurze Zeit später das meistfotografierte Privathaus Hamburgs wurde und in allen Druckschriften über Hamburg erschien.
Wenn in späteren Jahren Bürgermeister Brauer Gäste der Stadt zu einer Fahrt auf der Alster einlud, fuhr das Schiff auch jedesmal in den Feenteich, und dann erklärte er seinen Gästen, wer da wohnte.
Königin Eliabeth wohnte sogar mal gegenüber im Gästehaus
Gegenüber meinem Haus stand, dicht am Feenteich, eine unbewohnte alte Villa, deren Besitzer >"verschollen" war. (Anmerkung : Das war die Umschreibung für: Es waren meist Juden, die ins KZ gekommen waren oder plötzlich abgetaucht waren oder frühzeitig ausgewandert waren.) Da die Stadt schon längst ein Gästehaus brauchte ... Welcher Platz wäre da wohl günstiger gewesen als dieser? Das Haus wurde hergerichtet, und der erste Gast war - die damals noch taufrische Königin von England (1954).
Und dann das Nachbarhaus
Mein Haus mit dem großzügig geöffneten Blick über den gepflegten Rasen, den Feenteich mit einem Dutzend stolzer Schwäne und etwa 300 Wildenten, von denen ich meinen Gästen immer vorschwindelte, sie gehörten mir, war ein vielbewundertes Schmuckstück der Stadt geworden.
Ich kaufte eines Tages das links anliegende und später auch noch das nächste Grundstück dazu und ließ Lodders ein Teehäuschen und eine Pergola anbauen.