Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 9
Die Lampen leuchten immer heller
Man wird das zwanzigste Jahrhundert einmal als Jahrhundert der Elektrizität bezeichnen. Mit Recht, denn diesem Jahrhundert hat die neue unsichtbare Kraft zweifellos ihren Stempel aufgedrückt.
Nachdem Werner von Siemens seine Dynamomaschine erfunden hatte, mit der man elektrischen Strom beliebiger Stärke erzeugen konnte, war auch schon das >Elektrizitätswerk< programmiert, denn jetzt konnte man den Strom in einer Zentrale erzeugen und durch Drähte bis in die fernsten Dörfer transportieren. Selbst dort hatte man nun diese blitzsaubere Kraft Tag und Nacht zur Verfügung.
Eine Aufgabe für Generationen.
Man mußte nur ... Ja, und da stand man vor der hohen Mauer, die den Fortschritt noch gewaltig bremsen sollte - man mußte nur erst die nötigen großen Elektrizitätswerke bauen und die elektrischen Drähte an Masten bis in die Wohnungen leiten. Eine Aufgabe von unübersehbaren Dimensionen. Eine Aufgabe für Generationen.
Wir bekamen "Strom" in unsere Wohnung
In unserer Wohnung wurden eines Tages die Gaslampen abgenommen und die offenen Rohre mit Stöpseln verschlossen.
»Endlich!« brummte mein Vater.
Eine neue Art von Handwerkern kam und legte auf kleine Porzellanrollen verdrillte isolierte Drähte: Männer, die mit dieser neuen, ebenso dienstbereiten wie gefährlichen Kraft umzugehen verstanden. Man nannte sie ein bißchen neidvoll >Stehkragenmonteure <, weil einige von ihnen tatsächlich mit Stehkragen und Krawatte zur Montage kamen.
In die Deckenhaken wurden neuartige Leuchten mit Glühlampen gehängt, neben den Türen die nötigen Schalter angebracht, Dutzende von Steckdosen an den Wänden montiert.
Der Elektrizitätszähler
Und neben dem Gasmesser ein schwarzer, geheimnisvoller Blechkasten mit einem kleinen Fenster angebracht. Das war der Elektrizitätszähler.
Auch dieses wichtige Bestandteil jeder elektrischen Anlage hatte erst erfunden und in eine möglichst kleine, billige Form gebracht werden müssen.
Und die alten Gas- und Kerzenkronleuchter?
Und die alten, teils schmucken und kostbaren, mit Kristallprismen reichlich behängten Gas- und Kerzenkronleuchter?
Viele von ihnen wurden umgebaut: In die dünnen Gasrohre zog man mit zuweilen unendlicher Geduld die nötigen Leitungen, und an die massiven Arme der Kerzenträger band man dünne, messingfarbene Litze. Die Gasbrenner und Kerzenhalter wurden durch Fassungen für kerzenförmige Glühlampen ersetzt.
Wie umfangreich dieser Umbau gewesen ist, möge der Leser daran ermessen, daß ich noch nach dem Ersten Weltkrieg, während der vorgeschriebenen praktischen Volontärzeit, viele solcher Lampen >elektrifizieren< mußte.
Eine rein mechanische Arbeit, vor der ich mich nach Möglichkeit drückte, weil sie mit Elektrizität herzlich wenig zu tun hatte.
Glühlampen machen >heimeliges< Licht
Statt der empfindlichen Gasglühstrümpfe spendeten nun also elektrische Glühlampen ihr >heimeliges< Licht.
Das etwas altmodisch klingende Wörtchen heimelig benutze ich nicht ohne Nebensinn, denn die ersten Glühlampen, die nun unser Dasein erhellen sollten, waren noch recht seltsame Gebilde.
Man nannte sie Glühbirnen
Man nannte sie Glühbirnen, weil sie tatsächlich Birnenform hatten. In diese Birne war ein ewig zitternder Glühfaden eingeschmolzen, der oben eine Kreisschleife bildete und so gewissermaßen freihändig in den Raum ragte. Dieser Raum war luftleer gepumpt, denn sonst wäre der glühende Faden in Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft sofort verbrannt.
Ganz oben hatte die Glühbirne eine empfindliche Glasspitze. Das war der zugeschmolzene Rest eines kleinen Röhrchens, durch das man bei der Fabrikation die Luft aus dem Glaskolben herausgesaugt hatte.
Aus der Birne wird ein Barometer
Wenn die Birne nach ein paar hundert Stunden durchgebrannt war, drückten wir Kinder sie in einen Eimer mit Wasser, nahmen heimlich Mamas gute Schere und schnitten mit ihr die feine Glasspitze ab.
Zisch - saugte sich die Birne voll Wasser, und schon hatten wir ein >Barometer<, denn wenn man die Birne nun mit dem Loch nach unten aufhängte, mußte doch bei wechselndem Luftdruck unten an der Spitze ein mehr oder weniger großer Wassertropfen erscheinen. Er erschien auch, aber mich hat er damit leider nicht zu einem erfolgreichen Wetterfrosch machen können.
Glühbirnen strahlen ein rötlichgelbes Licht aus
Doch zurück zu dem Wörtchen >heimelig<! Da der Glühfaden nur bis zu einer gewissen Temperatur erhitzt werden konnte, weil er sonst durchbrannte, strahlte er nur ein rötlichgelbes Licht aus. Blaue Strahlen enthielt dieses Licht überhaupt nicht.
Welch ein Rückschritt gegenüber dem weißen Gasglühlicht!
Doch man nahm das in Kauf, denn dieses > moderne< Licht verbreitete eine Atmosphäre, die man damals mit dem inzwischen höchst unmodernen Wörtchen >traut < bezeichnete und die an die seligen Zeiten der Petroleumlampe erinnerte ...
Der Osmium-Draht brachte ein helles Licht
Zu glauben, daß die Lichttechniker mit ihrem Anfangserfolg zufrieden gewesen wären - weit gefehlt! Sie kannten die Schwächen ihrer modernen Lampen nur zu gut und ahnten, daß zwischen dem strahlend hellen Gaslicht und ihren Glühdrahtbirnen ein zäher Konkurrenzkampf ausbrechen würde.
Der Glühfaden war die Schwachstelle. Kein Wunder, daß man fieberhaft nach besseren Drähten suchte.
Edison ließ 1600 Versuche mit anderen Drähten durchführen, doch erst der von Auer schon 1888 vorgeschlagene Osmium-Draht brachte die Entwicklung entscheidend weiter. Er ließ sich sehr hoch erhitzen, ohne zu schmelzen, strahlte also sehr viel mehr Licht aus. Vor allem Licht, dessen Farbe dem Sonnenlicht schon erheblich näher kam.
Leider ließ sich dieser Draht nicht mit der nötigen Gleichmäßigkeit herstellen. War er an einer Stelle auch nur ein bißchen dünner, so brannte er dort vorzeitig durch. Ähnliche Schwierigkeiten hatte man auch mit dem etwas später erfundenen Tantal.
Aus dem Wolframdraht wurde die Forma OSRAM
Erst als die Firma Siemens 1916 den mit wesentlich höherer Präzision herstellbaren Wolframdraht erfunden hatte, war man diese Sorgen los. Heute kann man die Dicke dieser Drähte mit einer Genauigkeit von einem Hundertstelmillimeter fertigen.
Die Leute vom Gaswerk sahen dieser Entwicklung selbstverständlich nicht untätig zu. Sie schalteten vorsichtshalber selber auf die verdammte Elektrizität um, und die nach dem Erfinder des Glühstrumpfes benannte Gasglühlicht-Auer-Gesellschaft stellte nun auch elektrische Glühlampen her. Mit Fug und Recht, denn schließlich hatte Auer ja auch den Osmium-Glühdraht erfunden.
Schließlich setzten sich die Hersteller der verschiedenen elektrischen Glühdrahtlampen an einen Tisch und gründeten - statt sich gegenseitig das Leben schwerzumachen — eine gemeinsame, selbständige Firma. Man nahm vom OSmium die erste und vom WolfRAM die letzte Silbe und schweißte sie zu dem Firmennamen OSRAM zusammen. Er wurde auf der ganzen Welt ein Zeichen für Qualität und ständigen Fortschritt.
Kapitel 10
Lebensfreuden - Kriegsleiden (vor 1914 bis 1918)
Freut euch des Lebens ... »Jauchzen möcht' ich, singen möcht' ich, in die Welt es schrei'n: Mein ist die schönste der Frauen, mein allein!« Sie sangen es in allen Küchen, auf allen Straßen, sie tanzten dazu beseligt im Walzertakt.
Sie tanzten Polka, Polka-Mazurka und bis zum Schwitzen die endlosen Strauß-Walzer. Sie tanzten den Tango Argentino - nicht ruck, zuck wie heute, als wollten sie die Partnerin in Stücke reißen - sie tanzten ihn exotisch, sinnlich, erotisch, ein sanftes wollüstiges Dahingleiten ...
Sie tanzten den brav-biederen Ländler und hinterher den ordinärsten aller Tänze, den Schieber - herausfordernd frech und so frivol, so sexbetont, daß >anständige< Tanzlokale draußen warnten (sie warnten vergebens oder vielleicht auch nur der Polizei wegen): »Schieber wird hier nicht geduldet.«
Der "Schieber" und die Schlagertexte
Oho, wieso? - Schwierig, das zu erklären, schwieriger, als ihn zu tanzen. Sie müßten es sehen: die Unterkörper enger als eng aneinander-geschmiegt, jeder mit einem Oberschenkel fest in den Schritt des Partners gepreßt und dazu diese Bewegungen ... wie wir heute beim Lambada. Das war's. Und das hatte es eben in sich.
Dazu der Schlagertext, der alles schlug und den jeder sang - auch die Kinder auf der Straße: »Immer noch ein bißchen tiefer!«
Oh, unsere Väter waren nicht prüde. Auf den Tanzböden schon gar nicht ...
»Fräulein, woll'n Se linksrum tanzen? Linksrum ist der Clou vom Ganzen.« Sie wußten, weshalb ...
Und zum Donauwellenwalzer: »Oh, welch ein Malheur, meine Unschuld, die hab ich nicht mehr!« - Oder harmlos trällernd: »Puppchen, du bist mein Augenstern ...«
Man sieht, dies ist nicht nur ein schlichter Bericht, dies ist auch ein Geständnis: Alles das habe ich als Vierzehnjähriger mitgesungen, mitgetanzt — und so verstanden, wie's gemeint war ...
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Es war eine unbeschwerte Zeit - bis 1914
Selbst heute noch sehe ich manchmal im Traum den schwarzbefrackten >Maitre de plaisir<, wie er - mitten in den Tanzsaal tretend - mit einem Wink alle und alles zum Schweigen brachte, wie die Tanzkapelle dann einsetzte und er mit seiner grellen Stimme sang:
»Jubel, Trubel, Heiterkeit, Wollust, Wonne, Seligkeit, Lustigkeit und Fröhlichkeit bis in alle Ewigkeit.« - Und wie dann alle - von einem rauschenden Tusch unterstützt -grölten: »A-m-e-n!«
Schlauberger sagen heute gnädig-verständnisvoll: »Ja, das war eben ein Tanz auf dem Vulkan.« - Unsinn. - Es war ungehemmte Lebensfreude und nicht mehr. Sie sangen und tanzten wie die Kinder. Es war eine unbeschwerte Zeit.
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Laut Opa war Papa ein Faulenzer und Tunichtgut
Außerdem ging es damals allen mehr oder weniger gut. Auch in der eigenen Familie. Mehr - weil wir keine finanziellen Sorgen hatten: weniger - weil die Beziehungen zum Großvater mit der Zeit immer schlechter wurden. Er war nicht zu versöhnen, sosehr Mama sich auch bemühte. Sein Sohn war eben >aus der Art geschlagen<, ein Faulenzer und Tunichtgut. Selbst wir Enkel trauten uns nur selten zum Großvater.
Aus der Art geschlagen - so sah es doch auch aus.
Aus der Art geschlagen - gewiß. Was wußte man aber damals über jene Erbkrankheit, die nach der Trigeminus-Neuralgie die schmerzvollste von allen ist.
Mit ihr zu leben ist schwer. Wenn ich davon absehen darf, daß Papa fast immer mit einem nassen Lappen oder einem Eisbeutel auf Kopf und Stirn zu sehen war, könnte ich sagen, es ging uns glänzend, denn in den wenigen Stunden und Tagen, in denen er sich schmerzfrei fühlte, war er der lustigste, gutmütigste Familienvater und Freund seiner Freunde.
Mama und ihre Hüte
Papa legte Wert darauf, daß Mama stets modisch gekleidet war. Das galt auch - oder vielleicht vor allem - für die Hüte, die damals geradezu sensationell waren. Mal waren sie mit teuren schwarzen oder weißen Straußenfedern geschmückt, die schmeichelnd bis auf die Schultern herunterrieselten, mal mit Blumen und Früchten überladen, mal waren sie riesengroß wie Wagenräder.
Die dazugehörigen Hutnadeln waren so lang, daß ich auf den Straßenbahnwagen den Hinweis fand: >Damen mit ungeschützten Hutnadeln ist die Mitfahrt untersagt.<
Da gabs noch die Schleier
Und dann die Schleier mit immer neuen reizvollen Mustern, die unter dem Kinn zusammengebunden wurden. Oder die koketten Halbschleier, die nur bis zum Mund reichten...
An Lippen- und Augenbrauenstifte erinnere ich mich ebensowenig wie an kurze Röcke. Wohl aber an das Puderpapier, das Mama in ihrem Pompadour stets zur Hand hatte.
Papa war "solide"
Papa trank keinen Alkohol und rauchte nicht. Er war nach den stürmisch verlebten Jugendjahren ein grundsolider Ehemann geworden und lebte nur seiner Familie und seinen Tieren.
Von der Volksschule ins Gymnasium
Ich wurde eines Tages aus der Volksschule mit einem recht freundlichen Abgangszeugnis entlassen und gleich dem Gymnasium anvertraut.
Eine gewaltige Umstellung: Neue Lehrer, neue Schulfächer, neue Schulbücher, neue aufgeweckte Mitschüler - es war aufregend und interessant, aber ein bißchen viel auf einmal.
Die unerläßlichen Sonaten und Sonatinen kratzte ich auf meiner Geige lieblos herunter. Manchmal verfluchte ich die Stunde, in der ich damit angefangen hatte, denn unter Musik und beseligendem Geigenspiel hatte ich mir was ganz anderes vorgestellt.