Eduard Rheins Buch über sein Leben (1990)
Der langjährige Chefredakteur der HÖRZU schreibt über sein Leben, seine Jugend, seine Zeit in Berlin bis 1945, den Wiederanfang 1946 und die Zeit im Springer-Verlag in Hamburg. So sind es fast 480 Seiten, bei uns im Fernsehmuseum etwa 120 Kapitel, in denen so gut wie alle "Größen" dieser Zeit vorkommen. Und er schreibt als 90jähriger rückblickend über die Zeit und sich selbst. Darum lesen Sie hier natürlich seine Sicht der Ereignisse bzw. "seinen Blick" teilweise durch die "rosarote Brille". Das sollte man beachten und verstehen. Die Inhaltsübersicht finden Sie hier.
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Kapitel 7
Rudi, der "Seeräuber"
Die Seefahrer- und Räuberromantik hatte es geschafft: Der semmelblonde, blauäugige Rudi erklärte der Familie eines Sonntagmorgens, daß er zwar sein Abitur noch machen, aber keinesfalls weiter studieren wolle. - Tableau!
Papa und Mama fielen trotz des strahlenden Himmels aus allen Wolken. Papa sagte: »Nie und nimmer! Du sollst später doch einmal das Geschäft übernehmen!«. Rudi konterte: »Obwohl du selber tausendmal gesagt hast, wer nichts wird, wird Wirt! Ich will Kapitän eines Passagierdampfers werden.«
»Aber hier kannst du dich eines Tages ins gemachte Bett legen, und der Laden läuft prima, wie du siehst.«
Rudi - von den Seeräuberschmökern fasziniert
Doch Rudi war für gemachte Betten nicht zu erwärmen; ihm hatten die Seeräuberschmöker den Weg gewiesen. Er machte sein Abitur. Papas Prügel und Mamas Tränen blieben wirkungslos. Mit dem Abitur in der Tasche fuhr er heimlich zum Großvater nach Königswinter und schwindelte ihm die Hucke derart voll, daß der gute Alte - bei dem Rudi schon immer einen Stein im Brett hatte - kurz entschlossen mit ihm nach Bremen fuhr und ihn eigenhändig dem Norddeutschen Lloyd zur Ausbildung übergab.
Die Erkenntnis : Die größte Dumheit seines Lebens
Den stets gespannten Beziehungen zwischen Großvater und Vater kam das allerdings nicht zugute, denn damals verfrachtete man nur mißratene Söhne mit hundert Mark in der Tasche ins sternen-weite Amerika, und dieser naheliegenden Mißdeutung mochte Papa seinen Erstgeborenen und mit ihm die hochangesehene Familie denn doch nicht ausgesetzt sehen.
Rudi war sozusagen über Nacht verschwunden. Nur eine riesengroße Ansichtskarte aus Bremen teilte dem wütenden Papa und der weinenden Mutter mit, daß er auf der Dampfyacht Clara >in See steche< und überglücklich sei, nun etwas von der schönen weiten Welt zu sehen.
»Meine Welt ist das Meer«, schloß er pathetisch.
Viel später sagte er mir einmal, das sei die größte Dummheit seines Lebens gewesen ...
Mamas Gedanken : Mariechen saß weinend im Garten
Erst als die stolze Dampfyacht Clara einmal ganz groß auf der Titelseite der BERLINER ILLUSTRIRTEN gezeigt worden war und unser Rudi in schmucker Seemannskluft sehr dekorativ ganz vorn an einer Strickleiter baumelte, schlug Mamas mütterliches Herz ein bißchen ruhiger.
Was sich wieder änderte, als eines Abends ein Bänkelsänger mit seiner bunten Drehorgel, einem Affchen und einer großen bebilderten Tafel in unserm Hotelgarten auftauchte und nach der herzzerreißenden Dienstmädchenballade: >Mariechen saß weinend im Garten, ihr Liebster ging treulos davon< eine neue, noch größere, noch dramatischere Bildertafel mit dem Titel >Seemannslos< aufstellte.
Das Lied vom heldenhaften Untergang
»Stürmisch die Nacht, und die See geht hoch, tapfer noch kämpft das Schiff... Warum die Glocke so schaurig klingt? Dort zeigt sich ein Riff!«
Es ist die schreckliche Geschichte eines mehr oder weniger heldenhaften Untergangs und endet mit der keineswegs trostvollen Zeile:
»Wir gehen schlafen am Grunde des Meeres, Gott sei mit uns!«
Zu jedem dieser dramatisch gefühlvollen Verse wanderte der lange, phosphoreszierende Zeigestock des Bänkelsängers langsam von einem Schreckensbild zum andern. Wenn das nicht herzzerreißend war!
Es war. Ich sah Tränen in den Augen meiner armen Mutter.
»Daß der Junge mir das antun mußte!«
Ich sagte nichts. Auch mir war beklommen ums Herz.
April 1917 - Ende des Traums
Die so schön gezeigte Fahrt auf der Dampfyacht Clara wurde Rudis letzte Seefahrt, trotz des schmucken Illustriertenbildes, denn das stolze Schulschiff legte just an jenem Tag im New Yorker Hafen an, an dem Amerika in den Krieg eintrat (6. 4. 1917) und das schwarzweißrot beflaggte stolze Schiff Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät wie einen räudigen Köter an die Kette legte.
Rudi betrat das Land der unbegrenzten Möglichkeiten (wann wirklich?), fing tatsächlich (!) als Tellerwäscher an und wurde - blond und blauäugig - Amerikaner.
Für mich war er praktisch verschollen.
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- Anmerkung: Hier stimmt etwas von den Jahreszahlen nicht. Denn dann müsste Rudi sein Abitur erst mit 25 oder 26 gemacht haben, wenn er mit 27 - also 1917 - endgültig an Land gegangen sein soll.
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Kapitel 8
Die sogenannten Flegeljahre
Etwas Ablenkung von den größeren und kleineren Plackereien des Alltags ermöglichte den Eltern die unmittelbare Nähe Bonns.
Das hieß aber nicht, daß wir Beueler über die neue Brücke zwischen Beuel und Bonn ungehemmt und kostenlos hin- und herfluten durften; das kostete jedesmal soviel wie ein Brötchen.
Die schöne Brücke war allerdings für Bonn und Beuel ein ständiger Stein des Anstoßes, weil die Beueler sich geweigert hatten, ihren Teil zu den Baukosten beizutragen.
Das Brückemännche mit dem nackten Hintern
Ein witziger Steinbildhauer, dem viele fromme und wohlbekleidete Figuren am Kölner Dom ihr gottgefälliges Dasein verdankten, hatte nämlich an einem der mächtigen Pfeiler eine symbolische Aufforderung angebracht: das >Brückemännche<, das den Beuelern einladend den nackten Hintern entgegenstreckte.
Und auf den eifrig verbreiteten Ansichtskarten mit dem nackten Hinterteil standen die Spottverse:
- Am Brückenpfeiler gen Beuel gewandt
- dies kleine Männchen sein Plätzchen fand
- Zum Hohne der Beueler ruft es laut:
- Bonn hat die Brücke allein gebaut.
Das war schon schlimm, aber einige Bonner wollten auf diesen Karten am liebsten Goethe zitieren, denn der Reim:
- Zum Hohne der Beueler ruft es barsch:
- Ihr kniestigen Beueler leckt uns im Arsch!
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dieser Reim bot sich geradezu von selber an.
Doch man wollte den Streit nicht zu weit treiben und ließ es bei der weniger klassischen, dafür aber >vornehmeren< Fassung. Sie war angesichts der heruntergelassenen Hose ohnehin deutlich genug. Das Brückemännche wurde eine Sehenswürdigkeit und die Ansichtskarte ein Mordsschlager.
Ich war als angehender Abc-Schütze nach Beuel gekommen und verbrachte dort meine wichtigsten Schul- und Flegeljahre.
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Wir bekamen "Telefon", das singen konnte
Es waren Jahre, in denen die Technik mit Riesenschritten voranstürmte.
Da war zunächst das Telefon. Mein Vater war unter den ersten, die es sich legen ließen. Von draußen war das schon an zwei blanken Kupferdrähten zu erkennen, die an hohen Holzmasten auf Porzellanisolatoren ins Haus führten und wohl nicht ganz schalldicht waren, denn manchmal hörte ich ein leises Summen.
Ich legte mein Ohr an den Holzmast, konnte aber kein Wort verstehen. Erst viele Jahre später erklärte ich meinen Lesern in der Ullstein-Zeitschrift KORALLE das Phänomen: Es war der Wind, der auf den straffgespannten Drähten wie auf einer Harfe spielte.
und man mußte kurbeln
Die Kupferdrähte endeten in einem hölzernen Gerät, das im >Empfang< des Hotels an der Wand befestigt wurde und wie ein kleines Schreibpult aussah. Rechts hatte es eine Kurbel. Wenn man daran drehte, erzeugte die im Innern des Schreibpultes angebrachte Dynamomaschine einen elektrischen Strom, der in der fernen Telefonzentrale eine kleine Relaisklappe zum Ansprechen brachte und dem >Fräulein vom Amt< anzeigte, daß man mit einem andern Teilnehmer verbunden werden wollte.
An der linken Seite hing ein großer Hörer, und über dem Schreibpult schwebte, in der Höhe verstellbar, die Sprechkapsel, das Mikrophon.
Anfangs gab es nur einige wenige Fernsprechteilnehmer, doch ihre Zahl wuchs erstaunlich rasch, und das Telefon machte sich fürs Hotel schon bald bezahlt.
Verblüffend, der Trick mit schwebenden Jungfrau
Alljährlich bauten fahrende Schausteller am Beueler Rheinufer eine kleine Zauberstadt auf mit Karussells, Schiffsschaukeln, Glücksrädern, Geisterbahn, Schießständen und Zauberern, mit Wahrsagerinnen, mit einer Dame ohne Unterleib und der schwebenden Jungfrau. Vor ihr habe ich oft stundenlang gestanden, um den technischen Trick herauszukriegen, aber es dauerte doch etliche Tage, bis ich dahinterkam. Ähnlich ging es mir mit Zauberern, denen ich immer wieder mißtrauisch und bewundernd auf die Finger sah.
Da gab es ein Zelt, >Bayams Panoptikum<, in dem die schauerlichsten menschlichen und tierischen Mißgeburten zu sehen waren. Da gab es die garantiert echten siamesischen Zwillinge und den aus Sibirien stammenden Wladimir Retnikoff, den größten Mann der Erde, den man sogar völlig nackt bewundern durfte. Allerdings nur auf Fotos und nur von hinten.
Das Kinematographen-Theater
Zentraler Höhepunkt der Kirmes aber war das Kinematographen-Theater mit seiner glanzvoll pompösen Front und dem riesigen Orchestrion, das den ganzen Kirmesrummel übertönte und schon äußerlich alles in den Schatten stellte.
Da glitzerten elektrische Lampen in allen Farben, da bewegten sich Puppen, da dirigierte ein im Mittelpunkt stehender automatischer Dirigent ein Potpourri aus Verdis Troubadour, da sangen die Geigen, jubilierten die Flöten, rasselten die Trommeln, kurz und gut, ein ganzes Orchester lockte zur Schau der zappelnden Leinwand.
Erwähnte ich eben elektrische Lampen?
Sie gab es in der Tat. Man führte eine Dampfmaschine mit, die einen Dynamo antrieb, und erzeugte sich den elektrischen Strom selber, getreu der Devise: Licht lockt Leute. Der Strom war aber nicht nur für diese Lichtspielereien gedacht, sondern vor allem für das Kinematographen-Theater.
Die gezeigten Stummfilme wurden von einem Sprecher mit schwülstigen Worten erklärt und von einem Klavierspieler stimmungsvoll untermalt. Das >Frühlingsrauschen< von Sinding und das >Ave Maria< von Bach wirkten dabei immer tränenlösend.
Sie wollten unser Hotel abreißen . . .
Eines Tages teilte die Stadtverwaltung meinen Eltern mit, daß das Hotel aus städtebaulichen Gründen abgerissen werden müßte. Man bedauerte - und zahlte Papa, wohl zur Vermeidung eines Rechtsstreites, eine recht ansehnliche Abfindung. Ein paar Monate später zogen wir aus. Sechs bewegte und praktisch sorglose Jahre nahmen damit ein jähes und schmerzliches Ende.
Meine Mutter war verzweifelt. Papa suchte zwar sofort ein anderes Hotel in Beuel oder Bonn, aber bis ein geeignetes Objekt gefunden wäre, konnten viele Monate vergehen.
Bisher nicht gekannt : ein richtiges Familienleben
Bis dahin mußten wir in eine Privatwohnung umziehen. Das war damals kein Problem, und die Eltern fanden schon bald ein hübsches Einfamilienhaus. Es hatte sogar einen Vorgarten und lag ganz in der Nähe der Brücke, der Schule und der Kirche.
Wir zogen schweren Herzens um - und keiner von uns allen ahnte, daß damit überhaupt erst etwas beginnen sollte, was wir in Wirklichkeit noch gar nicht gekannt hatten: ein richtiges Familienleben.
Tatsächlich wurde alles ganz anders. Ein ungestörtes Privatleben ohne fremde Hotelgäste und ohne Personal begann. Nur das Dienstmädchen, das auch bis dahin unsere Wohnräume betreut hatte, kam mit.
Merkwürdig: Nun saßen wir abends alle zusammen und waren glücklich - ohne uns etwa zu langweilen.
So ist unsere kleine Familie endlich zusammengewachsen
Ohne Kino, Radio und Fernsehen - aus heutiger Sicht fast unvorstellbar.
Nein, es gab kein Radio - aber es gab etwas anderes: das Volkslied. Dutzende der schönsten Volkslieder, mehrstimmig gesungen. Und kleine Handarbeiten. Und Geschichten und Sagen und Kartenspiele und Kartenkunststücke, Brettspiele wie Mühle und Dame. Und wenn ich mich nicht irre, sogar damals schon das unverwüstliche >Mensch ärgere dich nicht<.
So seltsam es auch klingen mag — erst jetzt wuchs die kleine Familie richtig zusammen.
Ganz neu : ein viersitziger Mercedes-Benz
Papa kaufte damals unser erstes Automobil. Es war ein offener, viersitziger Mercedes-Benz mit einer senkrechtstehenden Windschutzscheibe und einer Hupe. Sie saß rechts außen neben dem Chauffeur und hatte einen dicken schwarzen Gummiball zum Draufdrücken. Ebenfalls rechts außerhalb des rotlackierten Wagens waren meterlange Hebel angebracht, die der Fahrer ab und zu mit ebenso energischen wie kraftvollen Bewegungen vorwärts, rückwärts oder seitwärts bewegte. Diese Hebel müssen wohl das gewesen sein, was wir heute als Gangschaltung und Handbremse bezeichnen.
Das Gefährt hob unser Ansehen ganz erheblich, denn es gab damals nur wenige teure Automobile.
Und ich bekam ein Fahrrad
Ich bekam ein Fahrrad. Kein Kinderspielzeug, sondern ein richtiges, äußerst stabiles Knabenfahrrad mittlerer Größe. Es hatte natürlich schon Freilauf, darüber hinaus die neue von Fichtel und Sachs erfundene Freilaufnabe mit Rücktritt; das heißt, zum Bremsen brauchte man die Pedale nur ein wenig rückwärts zu treten. So unscheinbar diese Erfindung zunächst auch schien, sie war und blieb bis auf den heutigen Tag einer der größten Fortschritte in der Fahrradtechnik.
Vier >Mann< auf einem Rad
Für mich und meine Freunde war dieses Rad eine ständige Verlockung zu allerlei artistischen Kunststückchen. Kaum daß ich mich auf diesem Balanciergerät sicher fühlte, ließ ich mir am Hinterrad für ein paar Mark statt der gewöhnlichen Muttern sogenannte Achsverlängerungen anschrauben. Darauf konnte sich ein >Mitfahrer< stellen.
Das ging so großartig, daß ich auch die Vorderradachsen verlängern ließ. Wer da Platz nehmen wollte, mußte mit dem Rücken zur Fahrtrichtung aufsteigen und sich an der Lenkstange festhalten. Daß ein dritter auf der Querstange Platz nehmen konnte, war ohnehin klar. Vier >Mann< auf einem Rad, das war schon eine Art Zirkusnummer, doch als ich dann auch noch einen vierten Mitfahrer direkt auf die Gabel der Lenkstange verfrachtete, endete die Schau nur zu oft im Straßengraben.
Die Seitenstraßen waren praktisch menschenleer
Waren solche Fahrradkunststücke denn mitten im Verkehr überhaupt möglich?
Den >Verkehr< wollen wir in Gänsefüßchen setzen, denn viele Seitenstraßen waren praktisch menschenleer. Am Rand parkende Wagen gab es ebensowenig wie das Wörtchen >parken<; es wurde erst erfunden, als schon Millionen von Autos unsere Straßen überfluteten.
Gesangsunterricht und Kirchenchor
Unser Klassenlehrer war immer besonders gut angezogen; vielleicht konnte er sich das nur leisten, weil er nebenher den Kirchenchor leitete, in der Kirche die Orgel spielte und dafür wohl ein Sondergehalt bezog.
Mich fragte er eines Tages beim Gesangsunterricht, ob ich nicht dem Kirchenchor beitreten wollte.
Ich wollte - und lernte dadurch die schönsten Messen der berühmtesten Komponisten kennen; vom >Kyrie eleison< über >Dies irae, dies illa< bis zum erlösenden >Ite, missa est<, mit dem wir nach Hause geschickt wurden. Die ganzen Texte habe ich heute noch im Kopf.
Als Chorsänger brauchte man nicht auf den harten Bänken zu knien, sondern konnte von der Chorbühne aus ganz ungezwungen hin und her laufen und, wenn einem danach war, eine Zeitlang sogar den großen Blasebalg der Orgel treten, damit ihr die Luft nicht ausging.
Aus wird mal ein Musiker
»Du solltest das Bonner Konservatorium besuchen und ein Musikinstrument lernen«, sagte der Lehrer eines Tages. »Aus dir könnte mal ein Musiker werden.« Ich erzählte Papa und Mama von diesem Vorschlag ...
Papa kaufte mir eine Schülergeige, und schon wenige Wochen später wanderte ich allwöchentlich mit meinem schwarzen hölzernen Geigenkasten, der wie ein Kindersarg aussah, über die Rheinbrücke, die Koblenzerstraße entlang zum Zißkovenschen Konservatorium.
»Wos ist dos für Kratzerei!«
»Aufhör'n, aufhör'n, kutya lancos, wos is dos für Kratzerei!« schrie schon damals der >Zigeunerprimas< den Zigeunerjungen bei ihren Fiedelübungen in der erfolgreichen Operette des neunund-zwanzigjährigen Ungarn Emmerich Kalman zu, während sein Walzerlied >O' komm mit mir und tanz mit mir ins Himmelreich hinein!< mit dem mitreißenden Crescendo von allen Kaffeehauskapellen gespielt und von alt und jung beseligt mitgesummt wurde.
War das, was meine Eltern nun jahrelang ertragen mußten, etwa besser als das Gefiedle der Zigeunerjungen? Es war mir selber ein Greuel.
Würde ich meiner >Stradivari< jemals mehr als diese schrecklichen Etüden entlocken können? Ich war ein paarmal drauf und dran, Geige und Geigenbogen an den Nagel zu hängen.
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